Hessischer VGH, Beschluss vom 27.11.2015 - 2 A 2073/14.Z
Fundstelle
openJur 2019, 36657
  • Rkr:

1. Eine Stützmauer ist nur dann Bestandteil einer öffentlichen Straße, wenn zwischen Straße und Stützmauer ein funktioneller Zusammenhang besteht.

2. Für die Feststellung eines funktionellen Zusammenhangs sind zunächst die heutigen erkennbaren örtlichen Verhältnisse zugrunde zulegen. Im Einzelfall kann sich Abweichendes jedoch aus heute noch zuverlässig ermittelbaren Umständen zum Zeitpunkt der Errichtung der Straße ergeben.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 18. November 2014 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Unter Abänderung der Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 60.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.Streitgegenstand ist die Frage, ob die Stützmauer, die sich auf Höhe des klägerischen Grundstücks Flur ..., Flurstück .../... an der A...straße befindet, in der Straßenbaulast der Beklagten steht.

Das Grundstück des Klägers grenzt außer an das Straßengrundstück der Straße B... auch an das Straßengrundstück der A...straße an. Nach einem Vermessungsplan des Beklagten befinden sich 55,04 m2 der Stützmauer auf dem klägerischen Grundstück, Flurstück .../... und 6,12 m2 der Grundfläche der Stützmauer auf dem Straßengrundstück der A...straße. Das klägerische Grundstück hatte zum Zeitpunkt der Errichtung der Stützmauer einen anderen Grenzverlauf und endete bereits oberhalb des heutigen Straßengrundstücks der A...straße. In den Jahren ab 1903 wurde die A...straße projektiert. Damals stand an der in Richtung der geplanten Straße verlaufenden Grundstücksgrenze der Voreigentümer des Klägers eine damals sanierungsbedürftige Mauer. Aus den Akten des Beklagten (Schreiben vom 24. Februar 1903) ist zu entnehmen, dass damals dem Grundstückseigentümer auferlegt wurde, die baufällige Mauer abzutragen und durch eine neue zu ersetzen. In dem Schreiben heißt es, diese neue Mauer müsse in Zukunft geordnete Entwässerungsverhältnisse ermöglichen. Deshalb dürfe die Mauer nicht an der alten Stelle errichtet werden, da dann das sich hinter der Mauer ansammelnde Wasser nicht in zulässiger Weise entsorgt werden könne. Zur Lösung der Problematik biete es sich an, eine neue Mauer bereits jetzt in die geplante Flucht der projektierten Straße zu setzen. Die zwischen der alten Grundstücksgrenze und der dann zu errichtenden Mauer befindliche, derzeit noch städtische Fläche solle im Wege der Grenzregulierung dem Privatgrundstück (der Voreigentümer des Klägers) zugeschlagen werden (siehe zu alledem die von der Beklagten vorgelegte Abschrift des Schreibens vom 24. Februar 1903 - ursprünglich in Sütterlinschrift -, Bl. 29 der Gerichtsakte).

Die Straße und die Stützmauer wurden in der Folgezeit zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt gebaut. Die Stützmauer ist mittlerweile sanierungsbedürftig. Eine vorläufige Sanierung kostet nach Schätzung der Beklagten 10.000,00 Euro, eine Generalsanierung 60.000,00 Euro. Seit dem Jahre 2002 führen die Beteiligten Gespräche und Schriftverkehr darüber, wer die Kosten der Sanierung zu tragen hat.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 28. Mai 2013 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Unterhalts- und Sanierungspflicht für die Mauer anzuerkennen. Nachdem eine entsprechende Erklärung der Beklagten nicht abgegeben wurde, hat der Kläger am 7. Oktober 2013 die vorliegende Feststellungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, die Stützmauer sei Teil der A...straße. Sie sei wegen der seinerzeit geplanten Straße dorthin gebaut worden, wo sie jetzt stehe. Sie sei nur wegen des Straßenbaus errichtet worden und vermittle seinem Grundstück keinen Nutzen. Die Beklagte habe die Mauer gebaut. Dies ergebe sich daraus, dass der Plan der Mauer aus der Abteilung Straßenbau des Stadtbauamtes vom 5. August 1903 stamme und nicht aus einem Bauantrag seiner Rechtsvorgänger.

Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, die Mauer sei zur Abstützung des Grundstücks errichtet worden. Dafür spreche, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Mauer noch keine Straße existiert habe. Außerdem sei die Mauer für das Grundstück vorteilhaft, weil es dadurch besser genutzt werden könne, indem es bis zur Mauer weniger steil abfalle. Ein funktionaler Zusammenhang zwischen Stützmauer und Straße bestehe nicht.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Straßenbaulast der Beklagten erstrecke sich nicht auf die Stützmauer. Es fehle am erforderlichen Zusammenhang mit der A...straße. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Hessischen Straßengesetzes - HStrG - könne sich die Straßenbaulast zwar grundsätzlich auch auf die dort genannten Stützmauern erstrecken, und zwar unabhängig davon, ob eine Stützmauer auf öffentlichem oder privatem Grund stehe. Voraussetzung dafür sei aber, dass die Stützmauer für die Herstellung bzw. Aufrechterhaltung der für die Benutzbarkeit der Straße gebotenen Sicherheit in dem Sinne erforderlich sei, dass sie entweder die höher gelegene Straße selbst gegen ein angrenzendes Grundstück abstütze oder die tieferliegende Straße gegen ein Abrutschen des anliegenden Geländes schütze. Sofern eine Mauer sowohl der Straße als auch einem privaten Grundstück diene, komme es für die Einordnung als Straßenbestandteil darauf an, ob die Stützmauer überwiegend der Straße diene.

Die streitgegenständliche Mauer diene nach Maßgabe dieser Grundsätze nicht überwiegend dem Schutz der Straße, sondern überwiegend dem klägerischen Grundstück. Allein die das Grundstück des Klägers abschließende Stützmauer rage im Gegensatz zu den Nachbargrundstücken hoch auf. Nur hier sei das bergwärts der Straße liegende Grundstück entsprechend aufgeschüttet. Die Umstände der Errichtung der Mauer im frühen 20. Jahrhundert spielten für die Beurteilung keine entscheidende Rolle, da es für die Frage der heutigen Einordnung darauf ankomme, wem die Mauer heute überwiegend diene.

Hierzu sei festzustellen, dass die Mauer überwiegend dem Grundstück des Klägers diene, indem sie dessen Benutzbarkeit steigere. Es sei zwar richtig, dass das klägerische Grundstück zur Mauer hin auf einer Breite von ca. 2 m abfalle und in diesem Bereich nur eingeschränkt bis kaum nutzbar sei. Die Erhöhung der Nutzbarkeit des Grundstücks liege allerdings nicht in dem Zugewinn dieses Teilstücks. Vielmehr liege der Zugewinn darin, dass die Mauer ein Abfallen des Grundstücks auch in dem Bereich, der jetzt als ebene Rasenfläche genutzt werde, verhindere. Das Grundstück des Klägers stelle sich so dar, dass sich an sein Haus eine große, nahezu ebene Rasenfläche anschließe, die vollumfänglich nutzbar sei und erst kurz vor der Mauer abfalle, wobei der abfallende Teil im Hinblick auf die gesamte Rasenfläche und erst recht im Hinblick auf das gesamte Grundstück von untergeordneter Bedeutung sei. Existierte die Mauer nicht oder nur in geringerer Höhe, fiele das Grundstück auf einer viel größeren Fläche mit großem Gefälle zur Straße hin ab und wäre entsprechend geringer nutzbar.

Zudem sei die Mauer in ihrer jetzigen Gestalt nicht zwingend notwendig, um die Nutzbarkeit und Sicherheit der Straße zu gewährleisten. Zwar verhindere sie auch ein Abrutschen des Klägergrundstücks zur Straße und diene so deren Sicherheit. Doch das sei nicht der Hauptzweck der Mauer. Dies zeige sich deutlich daran, dass die auf gleicher Höhe wie das Grundstück des Klägers beginnenden Nachbargrundstücke keine oder wesentlich niedrigere Mauern hätten. Die A...straße verlaufe an ihnen aber in gleicher Weise wie am Grundstück des Klägers, ohne dass die Benutzbarkeit eingeschränkt oder die Sicherheit der Straße nicht gewährleistet wäre. Die Grundstücke mit erheblich kleineren oder keinen Mauern fielen zur ACstraße so stark ab, dass ihre Abhänge eher durch Wildwuchs gekennzeichnet seien und nicht wie das klägerische Grundstück eine gepflegte Rasenfläche mit gärtnerischer Gestaltung aufwiesen.

Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung begründet der Kläger mit ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils sowie mit Verfahrensmängeln. Die Sachverhaltsermittlung des Verwaltungsgerichts sei unzutreffend. Die Genehmigung zum Bau der streitgegenständlichen Mauer sei nicht einer Rechtsvorgängerin des Klägers erteilt worden. Die Rechtsvorgänger des Klägers seien nicht Bauherren der Mauer gewesen und ihr Mauerbau sei auch nicht durch die Beklagte gestattet worden. Aus den Planunterlagen ergebe sich vielmehr, dass das Amt für Straßenbau der Beklagten den Bau der Mauer beantragt und durchgeführt habe. Soweit die Beklagte sich auf einen Bauantrag eines Rechtsvorgängers des Klägers beziehe, betreffe dieser Bauantrag nicht die streitgegenständliche Mauer, sondern eine andere Mauer.

Auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die streitgegenständliche Mauer diene nicht überwiegend dem Schutz der Straße, sondern überwiegend dem klägerischen Grundstück, sei unzutreffend. Das klägerische Grundstück sei nicht aufgeschüttet. Vor dem Bau der A...straße sei der Hang nicht so steil abgefallen, dass eine Stützmauer notwendig gewesen wäre. Die Stützmauer sei erst notwendig geworden wegen der Straße, weil im Hinblick darauf erhebliche Abgrabungen erfolgt seien, die ohne die Straße nicht notwendig gewesen wären.

Die Annahmen des Verwaltungsgerichts zur Nutzbarkeit des Grundstücks am Abhang seien unzutreffend. Das Steilstück, das vom klägerischen Grundstück direkt zur Mauer abfalle, sei nicht nur 2 m breit. Vielmehr sei allein nach dem Augenschein davon auszugehen, dass dieser steile Teil eine Breite von 3 - 4 m ausmache, wobei das Gelände auf einer Strecke von 2,40 m um 1,40 Höhenmeter abfalle. Das gesamte Grundstück habe im Rasenbereich Gefälle, oben am Haus lediglich 5 %, an der steilen Stelle vor der Mauer über 50 %. Die Rasenfläche könne wegen ihres Gefälles nicht genutzt werden, zum Beispiel auch nicht als Stellfläche für Gartenmöbel etc.. Sie könnte ebenso gut mit Gehölzen bewachsen sein wie auf den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Nachbargrundstücken.

Die angegriffene Entscheidung leide an Verfahrensmängeln. Gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs sei verstoßen worden, weil das Gericht nicht zu erkennen gegeben habe, dass es davon ausgehe, dass Bauherr der Mauer ein Rechtsvorgänger des Klägers gewesen sei. Ferner hätte das Gericht darauf hinweisen müssen, dass es davon ausgehe, dass das Grundstück des Klägers zur Mauer lediglich auf einer Breite von 2 m abfalle. Auch hätte das Gericht darauf hinweisen müssen, dass es davon ausgehe, dass das Grundstück oberhalb des nach seiner Auffassung steil abfallenden Bereichs als ebene Rasenfläche genutzt werde. Schließlich hätte das Gericht darauf hinweisen müssen, dass die Nachbargrundstücke seiner Ansicht nach nicht in einer dem klägerischen Grundstück vergleichbaren Weise genutzt würden und eher durch Wildwuchs genkennzeichnet seien. Darüber hinaus enthalte die angefochtene Entscheidung gerade in Bezug auf diese vier vom Gericht ohne rechtlichen Hinweis zugrunde gelegten Tatsachen keine Begründung (§ 138 Ziffer 6 VwGO).

II.Der gemäß § 124a Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor genannte Urteil hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht zuzulassen, da entgegen der Auffassung des Klägers keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Es liegen keine ernstlichen Zweifel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung, also eine entscheidungserhebliche rechtliche oder tatsächliche Begründung der Vorinstanz mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung nach summarischer Prüfung nicht nur hinsichtlich einzelner Begründungen, sondern im Ergebnis als fehlerhaft und deshalb der Erfolg der angestrebten Berufung möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110,77; ständige Rechtsprechung des beschließenden Senats, vgl. Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 2 UZ 3375/09 -, Beschluss vom 29. Oktober 2007 - 2 UZ 1864/06 -).

Für die im Ergebnis richtige Entscheidung des Verwaltungsgerichts war es zunächst unerheblich, ob die Stützmauer aufgrund eines Bauantrags eines Rechtsvorgängers des Klägers oder im Zuge des Baus der A...straße durch die Beklagte errichtet wurde (siehe dazu Berufungszulassungsantrag Seite 2 f.). Denn zutreffend ist das Verwaltungsgericht von dem Rechtssatz ausgegangen, dass es für die Bestimmung der Reichweite der Straßenbaulast allein darauf ankommt, ob ein funktionaler Zusammenhang zwischen Straße und Stützmauer besteht. Andere Umstände, etwa auch der, ob die Stützmauer auf öffentlichem oder auf privatem Grund steht, sind demgegenüber unerheblich.

Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend auch zu der Bewertung gekommen, dass die streitgegenständliche Mauer nicht überwiegend der Straße, sondern dem klägerischen Grundstück dient (dazu siehe Zulassungsantrag Seite 3 f.).

Soweit das Verwaltungsgericht aufgrund unterbliebener Inaugenscheinnahme des Grundstücks zu unzutreffenden Feststellungen über das Gefälle der Rasenfläche gekommen ist, wirkt sich dies auf das Ergebnis nicht aus. Vielmehr kommt der Senat aufgrund der vom Kläger vorgelegten Fotos und aufgrund des Akteninhalts ohne Weiteres zu der Feststellung, dass die Stützmauer überwiegend dem klägerischen Grundstück dient und für den Straßenausbau nicht erforderlich war.

Der rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts ist zutreffend. Die Straßenbaulast für eine Stützmauer obliegt gemäß §§ 9, 2 Abs. 2 Nr. 1 HStrG dem Straßenbaulastträger, wenn ein funktionaler Zusammenhang zwischen Straße und Stützmauer besteht. Nach übereinstimmender Auffassung der Oberverwaltungsgerichte und der Verwaltungsgerichte zu den jeweiligen insoweit wortgleichen Landesstraßengesetzen ist nicht jede der als möglicher Straßenbestandteil genannten Stützmauern Teil der öffentlichen Straße. Vielmehr ist zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass die Stützmauer für die Herstellung und Aufrechterhaltung der Benutzbarkeit und Sicherheit der Straße in dem Sinne erforderlich ist, dass sie entweder die höher gelegene Straße selbst gegen ein angrenzendes Grundstück abstützt oder die tiefer liegende Straße gegen ein Abrutschen des anliegenden Geländes schützt (siehe etwa VGH Mannheim, Urteil vom 16. Januar 1996 - 3 S 769/95 -, juris Rn. 22 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. Februar 2003 - 7 B 1995/02 -, juris Rn. 4 ff.; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. November 2006 - 5 BS 185/06 -, juris Rn. 8 ff.; VG Minden, Urteil vom 15. Februar 2008 - 1 K 48/07 -, juris Rn. 35; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 4. September 2014 - 4 K 148/14.MW -, juris Rn. 17). Dieser Auffassung folgt auch der Senat für das Hessische Straßengesetz.

In der Rechtsprechung wird für die Beurteilung teilweise auf die Situation im Zeitpunkt der Errichtung der Straße abgestellt (so OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O. Rn. 12 ff.), wobei aber aus den Umständen der Errichtung der Straße auch auf die objektive Funktion der Stützmauer geschlossen wird (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Andererseits wird die Auffassung vertreten, dass allein die Umstände, wie sie sich bei heutiger Betrachtung darstellen, maßgeblich sein sollen (so ausdrücklich VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; VG Neustadt (Weinstraße), a.a.O.; VG Minden, a.a.O.). Bei der letzteren Betrachtungsweise dürfte auch eine Rolle spielen, dass die Umstände der Errichtung einer "alten" Straße heute häufig nicht mehr eindeutig aufklärbar und feststellbar sind (so etwa VG des Saarlandes, Urteil vom 29. August 2012 - 10 K 1916/11-), juris Rn. 32 ff.; VG Minden, a.a.O.). Möglich erscheint auch, dass eine spätere wesentliche Änderung der Straße erst zur Begründung der Unterhaltspflicht des Straßenbaulastträgers führt (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, a.a.O. Rn. 10).

Nach Auffassung des Senats ist wegen der naheliegenden Schwierigkeit, die "Baugeschichte" schon lange vorhandener Straßen und Stützmauern nachzuvollziehen, zunächst auf die heutigen erkennbaren örtlichen Verhältnisse abzustellen. Aus heute noch zuverlässig ermittelbaren Umständen zum Zeitpunkt der Errichtung der Straße können sich jedoch im Einzelfall abweichende Feststelllungen zum funktionalen Zusammenhang zwischen Straße und Stützmauer ergeben. Auch eine spätere wesentliche Änderung der Straße kann sich auf den Zusammenhang zwischen Straße und Stützmauer auswirken.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist ein funktionaler Zusammenhang zwischen Straße und Stützmauer hier nicht gegeben.

Die A...straße kann aus heutiger Sicht auch durch Abböschungen und ohne Vorhandensein der streitgegenständlichen Stützmauer am klägerischen Grundstück geführt werden. Dies belegen die vom Kläger vorgelegten Fotos der Situation an den Nachbargrundstücken westlich und östlich. Auf dem östlichen Nachbargrundstück ist der Abhang durch eine mit Bäumen und Sträuchern bewachsene Abböschung geformt, es findet sich lediglich eine der klägerischen Mauer nicht vergleichbare niedere Begrenzungsmauer zur Straße hin. Auf dem westlichen Nachbargrundstück befindet sich ebenfalls eine mit Bäumen bewachsene Abböschung, außerdem sind dort eingefallene Reste einer losen Mauer zu sehen, die den Hang nicht funktional stützen. Die Situation an den beiden Nachbargrundstücken zeigt also, dass der Hang beim Straßenbau auch ohne Anlegung einer höheren Stützmauer wie beim Kläger abgefangen werden konnte, die Straße ist nicht derart in den Hang hineingebaut, dass sie einer hohen Stützmauer bedarf. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Situation sich beim Kläger wesentlich von der der Nachbargrundstücke unterscheidet, also dass etwa das natürliche Gelände bei ihm weiter vorspringt, etwa in Form einer Fels- oder Erdnase und deshalb nur dort eine hohe Stützmauer zur Straßenführung erforderlich ist.

Aus der vom Kläger vorgelegten Teil-Kopie von Blatt 70 der Grundstücksakte (Darstellung der projektierten neuen Entwässerung im Jahre 1903, dazu Zulassungsantrag Seite 4 f.) ergibt sich nicht anderes. Auch für den damaligen Zeitpunkt ist nicht feststellbar, dass für den Straßenbau eine derartige Stützmauer notwendig war.

Der Kläger hat nur die obere Hälfte des Planes in vergrößerter Form vorgelegt. Aus der Zusammenschau mit der unteren Hälfte des Planes in der Akte, auf der die alte und die neue Mauer sowie die Entwässerungsleitungen eingezeichnet sind, ist zu erkennen, dass entgegen der Auffassung des Klägers die beiden Skizzen auf der von ihm vorgelegten oberen Hälfte des Plans nicht die Zustände vor und nach Errichtung der Straße darstellen, sondern dass es sich um "Längsschnitte" (oder "Querschnitte") desselben Bauzustandes, aber an verschiedenen Stellen (einmal am östlichen und einmal am westlichen Ende des klägerischen Grundstücks) handelt.

Ob und wieviel das klägerische Grundstück im Zuge des Straßenausbaus aufgeschüttet worden ist (siehe dazu Zulassungsantrag Seite 4 f.), ist ebenfalls unerheblich für die Frage, ob die Stützmauer überwiegend der Straße oder überwiegend dem Grundstück dient. Aufgrund unterbliebenen Augenscheins unzutreffende Feststellungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass sich oben an das Haus des Klägers eine "nahezu ebene Rasenfläche" anschließe, die "vollumfänglich nutzbar" sei und erst kurz vor der Mauer abfalle (dazu Zulassungsantrag Seite 5 und Seite 6) sind unerheblich für die Richtigkeit der Feststellung, dass zwischen Straße und Stützmauer kein funktionaler Zusammenhang besteht. Auch wenn aufgrund der vom Kläger mit dem Zulassungsantrag vorgelegten Fotos der Rasenfläche davon auszugehen ist, dass diese insgesamt in einem Gefälle liegt, das nach unten zur Mauer hin steiler wird, lässt sich doch anhand der Fotos ohne Weiteres feststellen, dass im Vergleich zum westlichen und zum östlichen Nachbargrundstück diese Hangfläche besser nutzbar ist. Dies stellt ein - weiteres - Indiz dafür dar, dass die beim Straßenbau hier gewählte Geländeform (keine Abböschung mit insgesamt starkem Gefälle, sondern geringer abfallendes Gelände mit anschließender Stützmauer) in erster Linie der besseren Nutzbarkeit des Grundstücks des Klägers gedient hat.

Schließlich ergibt sich für den Senat der überwiegende Nutzen der Mauer für das Grundstück auch aus der bereits oben erwähnten Planunterlage Blatt 70 der Grundstücksakte in Verbindung mit der von der Beklagten vorgelegten Abschrift des Schreibens vom 24. Januar 1903 (- ursprünglich in Sütterlinschrift -, Bl. 29 der Gerichtsakte). Dort heißt es nämlich, die im Jahre 1903 baufällige Mauer dürfe nicht an der alten Stelle wiedererrichtet werden, da sie unbedingt entwässert werden müsse und dies nur dann geschehen könne, wenn das hinter der Mauer sich ansammelnde Wasser durch Drainagen weitergeführt würde, solche Drainagen seien aber mit Rücksicht auf die spätere Gestaltung technisch nicht zulässig. Deshalb sei es zur Vermeidung doppelter Herstellungskosten für die Ausführung einer Grenzmauer am vorteilhaftesten, wenn die neue Mauer jetzt schon in die spätere Flucht der Straße gesetzt würde. Diese Vorgabe nimmt der Entwässerungsplan (a.a.O., Bl. 70) auf und projektiert eine neue Mauer in der Straßenflucht der zukünftigen Straße mit den entsprechende Entwässerungseinrichtungen. Hiernach diente der Bau der neuen Stützmauer - auch wenn der Mauerbau selbst im Zuge des Straßenbaus durch die Straßenbaubehörde erfolgt sein mag - auch der Herstellung einer ordnungsgemäßen Entwässerung des klägerischen Grundstücks.

Die Berufung ist nicht deshalb gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hätte.

Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, nicht nur selbst zur Rechtslage Stellung zu nehmen, sondern sich vor Erlass der Entscheidung zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären sowie Anträge zu stellen (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133; BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1997 - 6 B 55.96 -, juris, jeweils m. w. N.). Dem Anspruch eines Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs entspricht die Pflicht des Gerichts, das Vorbringen und die Anträge der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hiergegen wird verstoßen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 1988 - 1 BvR 818/88 -, BVerfGE 79, 51; Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -, a. a. O.), das Gericht im Sinne einer Überraschungsentscheidung ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -, BVerfGE 84, 188; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 - 9 C 147.86 -, juris Rn. 23), oder wenn das Gericht Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 1985 - 2 BvR 414/84 -, BVerfGE 70, 180). Art. 103 Abs. 1 GG bietet jedoch keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 1982 - 1 BvR 1379/80 -, BVerfGE 60, 1- oder in bestimmter Weise würdigt. Gegenstand der Rüge nach Art. 103 Abs. 1 GG kann insbesondere auch nicht die Behauptung sein, ein Gericht habe aus dem Vortrag eines Beteiligten unzutreffende Schlüsse gezogen und deshalb im Ergebnis falsch entschieden.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich keine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung feststellen. Der Kläger macht nicht geltend, dass das Verwaltungsgericht sein Vorbringen ungenügend zur Kenntnis genommen hätte, sondern wendet sich gegen die Bewertung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht, wenn er rügt, das Gericht habe nicht zu erkennen gegeben, dass es davon ausgehe, dass Bauherr der Mauer ein Rechtsvorgänger des Klägers gewesen sei. Zu diesem Gesichtspunkt haben die Beteiligten allerdings streitig vorgetragen. Das Verwaltungsgericht hat seine Bewertung unzutreffend in den unstreitigen Teil des Tatbestandes gestellt und dies auf den Tatbestandsberichtigungsantrag des Kläger hin korrigiert (Beschluss vom 15. April 2015, Gerichtsakte Bl. 145 ff.). Eine Gehörsverletzung durch das Verwaltungsgericht ist jedoch nicht erkennbar, da das Verwaltungsgericht dieses Vorbringen der Beteiligten bewertet hat.

Die Rüge, das Gericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es davon ausgehe, das Grundstück des Klägers falle lediglich auf einer Breite von 2 m hin ab und sei oberhalb dieses Bereichs eben (Ziffer 2.2 und 2.3, Seite 8 f. des Zulassungsantrags), kann ebenfalls keine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung aufzeigen. Es wird nicht dargelegt, dass insoweit wesentliches Vorbringen des Klägers übergangen worden wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht insoweit gemäß seinen Urteilsgründen den Sachverhalt "in Ansehung der hierzu vorgelegten Lichtbilder und in Anbetracht der gerichtsbekannten tatsächlichen Umstände vor Ort" (UA S. 5 unten) bewertet. Diese Bewertung ist zwar teilweise - wie oben ausgeführt - unzutreffend und mit einer derartigen unzutreffenden Bewertung des Sachverhalts mussten die Beteiligten grundsätzlich nicht rechnen. Es lässt sich jedoch ausschließen, dass die unrichtige Bewertung des Sachverhalts für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich geworden ist. Denn entscheidungserheblich war für das Gericht, dass die streitgegenständliche Mauer nicht überwiegend dem Schutz der Straße, sondern überwiegend dem klägerischen Grundstück dient (UA S. 5). Das Verwaltungsgericht argumentiert entscheidungstragend damit, dass dann, wenn die Mauer nicht existierte oder lediglich in geringerer Höhe vorhanden wäre, das Grundstück des Klägers auf einer größeren Fläche mit größerem Gefälle zur Straße hin abfallen würde und entsprechend weniger nutzbar wäre (UA S. 6). Dass diese Feststellung richtig ist, lässt sich anhand der vom Kläger vorgelegten Fotos - vor allem im Vergleich zur Situation auf den Nachbargrundstücken - ohne Weiteres sagen. Dann sind jedoch die teilweise unzutreffenden Annahmen des Verwaltungsgerichts zu den Geländeformen auf dem klägerischen Grundstück nicht entscheidungserheblich geworden.

Mit der Rüge, das Gericht hätte zu erkennen geben müssen, dass es davon ausgehe, die Nachbargrundstücke würden nicht in einer dem klägerischen Grundstück vergleichbaren Weise genutzt und seien eher durch Wildwuchs gekennzeichnet (Ziffer 2.4 des Zulassungsantrags), wendet sich der Kläger wiederum gegen eine Bewertung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und kann hiermit keine Gehörsverletzung darlegen. Das Verwaltungsgericht hat die vorgelegten Lichtbilder anders gewürdigt, als es nach Auffassung des Klägers zutreffend ist.

Schließlich liegt auch kein Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 138 Ziff. 6 VwGO vor. Die Rüge, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht mit Gründen versehen, soweit es tatsächliche Umstände unzutreffend bewerte, erfüllt nicht die Voraussetzungen für ein Fehlen der Entscheidungsgründe (siehe zu den Voraussetzungen eines Verfahrensmangels nach § 138 Nr. 6 VwGO etwa: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 138 Rn. 26 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach sind die Kosten demjenigen aufzuerlegen, der ein Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat legt die vom Kläger angegebene Schätzung der Beklagten für eine Generalsanierung zugrunde, weil die Feststellungsklage auf die dauerhafte Feststellung der Rechtsbeziehungen zwischen Kläger und Beklagten in Bezug auf die Stützmauer angelegt ist. Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung von Amtswegen ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3 und 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

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