Hessisches LAG, Beschluss vom 05.02.2018 - 16 TaBV 91/17
Fundstelle
openJur 2019, 36262
  • Rkr:

1. Für die Ausübung seines Kontrollrechts nach § 80 Absatz 1 Nr. 1 BetrVG benötigt der Betriebsrat die Protokolle der Türöffnungs- und Schließanlage, da diese indizielle Bedeutung für die von den erfassten Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit haben.

2.

Datenschutzrechtliche Gründe stehen dem nicht entg

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Dezember 2016 - 21 BV 562/16 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über das die Zurverfügungstellung der Zugangsprotokolle einer elektronischen Türöffnungs- und Schließanlage an den Betriebsrat.

In dem Betrieb des Arbeitgebers (Beteiligter zu 2) werden etwa 200 Mitarbeiter beschäftigt; dort ist ein Betriebsrat (Antragsteller) gebildet. Unter dem 10. Oktober 2006 schlossen die Betriebspartner eine Betriebsvereinbarung über Firmenausweise und Zugangskontrolle, deren § 3 folgende Regelung enthält:

Der Betriebsrat hat jederzeit uneingeschränktes Einsichtsrecht in die erfassten sowie in die ausgewerteten Daten im System A gemäß der vorhandenen Betriebsvereinbarung.

Der Betriebsrat begehrt gemäß § 80 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die Zurverfügungstellung der Zugangsprotokolle der Türöffnungs- und Schließanlage.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 39-41 der Akten) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 41-43 der Akten verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers am 10. April 2017 zugestellt. Er hat dagegen am 12. April 2017 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 24. Juli 2017 am 6. Juli 2017 begründet.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Vorlage der Daten nicht erforderlich sei und dass keine datenschutzrechtlichen Belange entgegenstehen. Zutreffend sei, dass die Überwachung der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes eine Aufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 S. 1 HS 1 Betriebsverfassungsgesetz darstelle. Hier verfüge der Betriebsrat aber bereits über die Informationen, die er zur Erfüllung seiner geltend gemachten Überwachungsaufgabe benötigt. Unstreitig teile der Arbeitgeber dem Betriebsrat täglich durch Vorlage der Auszüge aus dem Arbeitszeiterfassungssystem mit, ob eine Überschreitung vorgegebener Zeiten bestimmter Mitarbeiter, die am Arbeitszeiterfassungssystem teilnehmen, vorliegt. Der Betriebsrat habe uneingeschränkten Zugriff auf die Daten des Arbeitszeiterfassungssystems. Hinsichtlich dieser Mitarbeiter sei die Herausgabe der Türöffnungsprotokolle nicht erforderlich, da der Betriebsrat bereits Zugriff auf alle Daten habe. Raum bleibe allenfalls für die Mitarbeitergruppe, deren Arbeitszeit nicht vom Arbeitszeiterfassungssystem erfasst wird: Außendienstmitarbeiter und Managerpositionen. Diese seien in Vertrauensarbeitszeit tätig. Die Außendienstmitarbeiter würden von der elektronischen Schließanlage ohnehin nicht erfasst. Sie hielten ihre Arbeitszeit in täglichen Arbeitszeitprotokollen fest. Hierauf könne der Betriebsrat zugreifen. Fehlerhafte Bedienungen des Zeiterfassungssystems seien dem Arbeitgeber nicht bekannt. Sie erfassten ihre Arbeitszeit durch eigene Ausschreibungen. Dass diese nicht zutreffen bzw. gefälscht seien, komme einer Unterstellung gleich. Ebenfalls zu Unrecht meine das Arbeitsgericht, dass die Protokolle zumindest geeignet sein könnten, falsche Arbeitszeitaufzeichnungen von Mitarbeitern festzustellen. Die Zugangsprotokolle ließen Pausenzeiten unberücksichtigt. Ferner müsse das zu späte Verlassen des Betriebsgebäudes nicht zwingend auf eine Arbeitszeitüberschreitung zurückzuführen sein. Es würden nur die Eintrittszeiten in das Gebäude erfasst. Die Zugangsprotokolle hätten daher keinen Informationswert für die Kontrolle der Arbeitszeitvorgaben. Unklar sei ferner, wie die "weiteren Nachforschungen" aussehen sollen. Der pauschale Verweis des Arbeitsgerichts auf § 32 Abs. 3 BDSG gehe fehl. § 80 Abs. 2 S. 2 HS 1 sei nicht als vorrangige Norm im Sinne des Datenschutzrechts zu qualifizieren. Ferner stehe dem Begehren des Betriebsrats der neue § 26 BDSG- Entwurf, der ab 27. Mai 2018 in Kraft trete, entgegen. Es fehle auch deshalb an der Erforderlichkeit, weil das Herausgabeverlangen noch Jahre lang vollstreckt werden könnte. Dies obwohl dann kein entsprechendes Überwachungsbedürfnis mehr nachvollzogen werden könnte. Ferner werde gegen den Grundsatz der Datensparsamkeit verstoßen. Nach Z. 8 der Anl. 9 Bundesdatenschutzgesetz dürften für einen bestimmten Zweck erhobene Daten ausschließlich zu diesem Zweck verwendet werden. Die Protokollierung der Türanlage diene lediglich dazu, den Zutritt einzelner Personen zu protokollieren. Sie dürfe daher nicht dazu verwendet werden, geleistete Arbeitszeiten zu kontrollieren. Dies müsse auch für den Betriebsrat gelten.

Der Arbeitgeber beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Dezember 2016 -21 BV 562/16- abzuändern und den Antrag des Betriebsrats vollständig zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, die Anwesenheitszeit der Manager könne ausschließlich über die Türprotokolle ausgewertet werden. Es gehe darum, einen Anfangsverdacht zu verifizieren. Hierfür seien die Daten erforderlich. Ein anderweitiges oder milderes Mittel gebe es nicht. Datenschutzrechtliche Bedenken bestünden nicht, da der Betriebsrat nicht Dritter im Sinne des Datenschutzgesetzes sei. Daraus folge, dass die Daten, die der Arbeitgeber zulässigerweise erhebt auch dem Betriebsrat zu überlassen sind, wenn dies zur Durchführung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben erforderlich ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu Recht stattgegeben. Die Beschwerdekammer schließt sich der sehr sorgfältigen und in jeder Hinsicht zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts vollumfänglich an und nimmt hierauf Bezug. Das Vorbringen des Arbeitgebers in der Beschwerdeinstanz führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 S. 2 HS 1 BetrVG die Vorlage der Zugangsprotokolle der elektronischen Türöffnungs- und Schließanlage verlangen kann.

Der Antrag ist nicht deshalb unbestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil sich aus ihm kein Zeitpunkt ergibt, wann der Betriebsrat für welchen konkreten Zeitraum die genannten Protokolle verlangen kann. Eine Auslegung des Antrags ergibt, dass der Betriebsrat jederzeit diese Informationen verlangen kann und dies so lange rückwirkend, wie die entsprechenden Daten dem Arbeitgeber vorliegen. Grenze des Begehrens ist die Unmöglichkeit. Sollten dem Arbeitgeber Daten ab einem gewissen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nicht mehr vorliegen, etwa weil sie aus datenschutzrechtlichen Gründen gelöscht werden mussten, besteht insoweit auch kein Informationsrecht des Betriebsrats, da etwas Unmögliches nicht vom Arbeitgeber verlangt werden kann. Bis zur Grenze der Unmöglichkeit hat der Arbeitgeber jedoch dem Betriebsrat die gewünschten Protokolle zur Verfügung zu stellen, wobei der Betriebsrat durch Benennung des jeweiligen Zeitraums gegenüber dem Arbeitgeber festlegt, welche Protokolle der Türöffnungs- bzw. Schließanlage ihm auszuhändigen sind.

Der Betriebsrat muss ein besonderes Überwachungsbedürfnis nicht darlegen. Der nötige Aufgabenbezug ist hier schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt werden. Dazu gehört auch das Arbeitszeitgesetz. Der Darlegung eines besonderen Anlasses für die Ausübung seines Kontrollrechts bedarf es nicht. Die Grenze liegt dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe des Betriebsrats offensichtlich nicht in Betracht kommt (Bundesarbeitsgericht 14. Januar 2014-1 ABR 54/12-Rn. 23; 13. Februar 2007-1 ABR 14/06-Rn. 23ff).

Für die Ausübung seines Kontrollrechts benötigt der Betriebsrat die Protokolle der Türöffnungs-/Schließanlage. Zwar ist dem Arbeitgeber insoweit zuzustimmen, dass diese nicht zwangsläufig einen Rückschluss auf die von den betreffenden Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit zulassen. Dies steht jedoch der Erforderlichkeit der Zuverfügungstellung dieser Daten an den Betriebsrat nicht entgegen, denn die dortigen Angaben haben für die Feststellung der Arbeitszeit indizielle Bedeutung. Hat sich ein Arbeitnehmer nach dem Ende seiner Arbeitszeit noch im Gebäude aufgehalten, begründet dies ein Indiz dafür, dass er zu diesem Zeitpunkt auch noch gearbeitet hat. Derartige Indizien können dem Betriebsrat Anlass geben, weitere Nachforschungen anzustellen, insbesondere zunächst mit dem Mitarbeiter zu sprechen. Zu denken ist darüber hinaus auch an eine Auswertung von dessen Rechner, insbesondere zu welchen Zeiten wann welche Dateien aufgerufen und bearbeitet wurden. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers reicht es auch nicht aus, dass dem Betriebsrat die täglichen Arbeitszeitprotokolle der Mitarbeiter vorliegen, denn es ist nicht auszuschließen dass bei händischen Angaben unzutreffende Zeiten eingetragen werden bzw. bei elektronischer Arbeitszeiterfassung ausgestochen und sodann weiter gearbeitet wird. Dies zu überprüfen und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sicherzustellen ist gerade das Anliegen des Betriebsrats. Die Daten der Türöffnungs-/Schließanlage sind auch geeignet, eine Überwachung der Arbeitszeit zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn sie das Verlassen des Betriebes nicht festhalten. Auszugehen ist insoweit von folgenden, in der Anhörung vom 5. Februar 2018 unstreitigen, Tatsachen: Für die Mitarbeiter, die mit dem Auto zum Betrieb kommen, wird das Verlassen der Garage erfasst. Für die übrigen Mitarbeiter, wird das Verlassen des Betriebsgeländes zwar nicht dokumentiert, aber das Öffnen der Türen einzelner Bereiche festgehalten. So war in der Anhörung unstreitig, dass Mitarbeiter, wenn sie beispielsweise Toiletten aufsuchen, ihren Arbeitsbereich verlassen und bei ihrer Rückkehr mit dem Chip erneut den Türöffner des Bürotrakts betätigen, dies vom System registriert wird. Hieraus folgt, dass wenn ein Mitarbeiter z.B. um 18:00 Uhr Arbeitsschluss hatte, aber um 19:00 Uhr in seinem Bereich erneut die Tür öffnet, er zu dieser Zeit an seinem Arbeitsplatz anwesend war. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass er zu diesem Zeitpunkt Arbeitsleistungen erbracht hat. Endgültig wird sich dies nur durch weitere Nachforschungen des Betriebsrats klären lassen, die er aufgrund der ihm vorliegenden Indizien sodann anstellen kann.

Dem Arbeitgeber war kein Schriftsatznachlass zu den vom Betriebsrat im Termin vorgelegten Unterlagen zu gewähren. Hierauf kommt es der Kammer bei ihrer Entscheidung nicht entscheidend an.

Der Anspruch ergibt sich auch aus § 3 der Betriebsvereinbarung über Firmenausweise und Zugangskontrolle. Danach hat der Betriebsrat jederzeit und uneingeschränkt ein Einsichtsrecht in die erfassten sowie in die ausgewerteten Daten im System A gemäß der vorhandenen Betriebsvereinbarung. Die Zurverfügungstellung der Zugangsprotokolle der Türöffnungs- und Schließanlage dient der Durchführung des Einsichtsrechts nach § 3 der Betriebsvereinbarung über Firmenausweise und Zugangskontrolle.

Datenschutzrechtliche Gründe stehen dem Begehren des Betriebsrats nicht entgegen. Die Protokolle der Türöffnungs-/Schließanlage enthalten personenbezogene Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG, die von Arbeitgebern zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG zulässigerweise erhoben, verarbeitet und genutzt werden. Gewährt der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 S. 2 HS 1 i.V.m. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG Einsicht in diese Unterlagen, handelt es sich um eine nach § 32 Abs. 1 BDSG zulässige Form der Datennutzung. Dies folgt schon daraus, dass die Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen der Beschäftigten nach § 32 Abs. 3 BDSG durch die nach Abs. 1 dieser Bestimmung erlaubte Datennutzung nicht berührt werden. Zu den Interessenvertretungen der Beschäftigten in diesem Sinne zählt auch der Betriebsrat. Hinzu kommt, dass dieser selbst Teil der verantwortlichen Stelle im Sinne des § 3 Abs. 7 BDSG ist (Bundesarbeitsgericht 7. Februar 2012 -1 ABR 46/10- Rn. 43). Die Einsichtsgewährung bzw. Zurverfügungstellung von Unterlagen stellt daher keine Weitergabe von Daten an Dritte dar (Bundesarbeitsgericht 14. Januar 2014 -1 ABR 54/12- Rn. 28). Der Arbeitgeber ist auch nicht befugt, sich gegenüber dem Anspruch des Betriebsrats auf Grundrechte von Arbeitnehmern, etwa auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, zu berufen (Bundesarbeitsgericht 14. Januar 2014, a.a.O., Rn. 29). An dieser Rechtslage ändert auch die zum 27. Mai 2018 in Kraft tretende Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes nichts. Auch nach dem künftigen § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG(-Entwurf) dürfen zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses Daten erhoben sowie zur Ausübung und Durchführung der Rechte der Interessenvertretungen Daten verarbeitet werden. Ferner stellt § 26 Abs. 6 BDSG-Entwurf klar, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats unberührt bleiben.

Soweit der Arbeitgeber auf Anlage 8 zu § 9 Satz BDSG in der aktuellen, bis 26. Mai 2018 geltenden Fassung verweist, beinhaltet diese (nur), dass zu gewährleisten ist, dass zu unterschiedlichen Zwecken erhobene Daten getrennt verarbeitet werden können. Für das streitgegenständliche Begehren des Betriebsrats ergibt sich daraus nichts.

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, § 2 90 Abs. 1, § 72 ArbGG.