Hessisches LAG, Beschluss vom 19.03.2018 - 16 TaBV 185/17
Fundstelle
openJur 2019, 36123
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 7. Juni 2017 - 2 BV 2/17 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat.

Der Arbeitgeber (Antragsteller) betreibt eine Eisengießerei. Bei ihm ist ein aus 25 Mitgliedern bestehender Betriebsrat (Beteiligter zu 3) sowie ein Gesamtbetriebsrat (Beteiligter zu 4) gebildet, dem der Beteiligte zu 2 jeweils als Mitglied angehört.

Nachdem der Arbeitgeber bereits in seinem Quartalsbericht III-2015 darauf hinwies, dass die Auftragslage bis 2019 um 15 % fallen wird (Bl. 63 der Akten) und er auch im Quartalsbericht II- 2016 ausführte, dass er sich auf deutliche Auftragsrückgänge einstellen müsse und dabei sei, eine Konzeptänderung zur Anpassung an die sich verändernde Auftragslage zu erstellen (Bl. 64 der Akten), fand am 10. November 2016 ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung und verschiedenen Arbeitnehmervertretern (ohne den Beteiligten zu 2) über die Zukunft des Unternehmens statt, in dem als theoretisches Szenario ("worst case" ) erwähnt wurde, dass, wenn sich die Tonnagezahlen in der Produktion zukünftig rückläufig entwickeln sollten, es im schlimmsten Falle zu einem Abbau von ca. 1100-1200 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2021 kommen könnte.

Das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 1. Dezember 2016 (Bl. 123 der Akten), an der der Beteiligte zu 2 ausweislich der Anwesenheitsliste (Bl. 124 der Akten) teilnahm, lautet insoweit:"TOP 9: Verschiedenes

Kollege A berichtet über das Gespräch, welches am 10.11.2016 mit Herrn B, Herrn C, Kollege D, Kollege E und ihm stattgefunden hat. Das Thema war Zukunftsberatung. Die Informationen/Szenario/Prognosen welche die GF mitgeteilt hat, sind folgende (Stand heute):

Osteuropa wird gebaut, weil es der Eigner so will.

Im Bereich Bremsscheiben verlieren wir im Moment einen Auftrag nach dem anderen.

Unsere Zukunft liegt Leichtbauguss, Doppelstockverfahren.

Tonnagerückgang

in 2016 waren es 473.000 t

in 2021 könnten es voraussichtlich 367.000 t sein

Personal

2016/2017 = 3700 Mitarbeiter

2018 = 3300 Mitarbeiter und

2021 = 2500 Mitarbeiter"

Auf der Betriebsversammlung vom 4. Dezember 2016 meldete sich der Beteiligte zu 2 unter dem Tagesordnungspunkt "Verschiedenes" zu Wort und äußerte: "Wir haben am Donnerstag mitgeteilt bekommen, dass F Personalabbau im großen Stil plant. 1100 sollen es nach Planung der Geschäftsführung sein. Wie viele Kollegen in den nächsten Jahren ihren Arbeitsplatz tatsächlich verlieren werden, steht noch nicht fest. Oder doch, Herr B?"

Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 2 habe auf der Betriebsversammlung falsche Tatsachen mitgeteilt, weshalb er aus dem Betriebsrat auszuschließen sei.

Hinsichtlich der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. der Gründe (Bl. 153-155 der Akten) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Betriebsratsmitglied habe seine gesetzlichen Pflichten nicht grob verletzt. Seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung unterfielen als Werturteile dem Grundrecht der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers am 8. August 2017 zugestellt. Er hat dagegen am 10. August 2017 Beschwerde eingelegt und diese am 9. Oktober 2017 (Montag) begründet.

Der Arbeitgeber behauptet, der Beteiligte zu 2 neige dazu, Interna aus Verhandlungen zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat in die Betriebsöffentlichkeit zu bringen und dort teilweise verzerrt, teilweise bewusst wahrheitswidrig darzustellen. Die Behauptung, der Arbeitgeber plane Personalabbau im großen Stil, 1100 sollen es sein, sei falsch. Der Arbeitgeber habe dem Betriebsrat gegenüber im Vorfeld der Betriebsversammlung zum Ausdruck gebracht, dass ein Stellenabbau in der genannten Größenordnung zwar im schlimmsten Falle möglich ("zu befürchten") sei, dass aber alles getan werden müsse, um dies zu verhindern. Nichts anderes ergebe sich auch aus den Quartalsberichten. Das Arbeitsgericht habe die Äußerungen des Beteiligten zu 2 zu Unrecht als Werturteil gewertet. Im Übrigen gelte das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Hinblick auf den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht uneingeschränkt. Die Äußerung des Beteiligten zu 2 beinhalte keine Wertung, sondern eine Tatsachenfrage. Wie das Arbeitsgericht zu der Einschätzung gelange, der Beteiligte zu 2 habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass er der Geschäftsleitung nicht glaube, sei nicht nachvollziehbar. Der Beteiligte zu 2 habe gesagt, dass bereits eine Planung bestünde, wonach 1100 Stellen abgebaut werden sollen und dass der Betriebsrat auch hierüber bereits informiert sei. Dies treffe jedoch nicht zu. Das Arbeitsgericht habe nicht gewürdigt, dass vor der Betriebsversammlung am 1. Dezember 2016 eine vorbereitende Betriebsratssitzung stattgefunden hat. Dort sei der Bericht des Betriebsratsvorsitzenden genehmigt worden. Der Beteiligte zu 2 hätte in dieser Sitzung Stellung nehmen können. Die Äußerung des Beteiligten zu 2 hätte zur Ablehnung eines Kreditantrags führen können. Schließlich habe es das Arbeitsgericht unterlassen, sich mit den vorangegangenen Pflichtverletzungen des Beteiligten zu 2 auseinanderzusetzen. Diese dokumentierten, dass der nunmehr eingetretene endgültige Vertrauensverlust eine Vorgeschichte habe, die nicht außer Acht gelassen werden dürfe.

Der Arbeitgeber beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 7. Juni 2017 -2 BV 2/17- abzuändern und den Beteiligten zu 2 aus dem Betriebsrat auszuschließen.

Der Beteiligte zu 2 beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2 ist der Ansicht, ein Ausschlussgrund liege nicht vor. Er verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer (16 TaBV 12/17) selbst ein dem Betriebsrat mitgeteilter interessenausgleichspflichtiger Personalabbau als solcher kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis darstelle. Der Arbeitgeber variiere während des Verfahrens seinen Tatsachenvortrag. Während es in der Antragsschrift (Bl. 17 der Akten) noch geheißen habe, der Beteiligte zu 2 habe wahrheitswidrig behauptet, der Abbau von 1200 Arbeitsplätzen sei nicht nur ein theoretisches Szenario, sondern ein Faktum, werde nunmehr vorgetragen er habe gesagt, dass der Arbeitgeber Personalabbau im großen Stil plane. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der Beteiligte zu 2 gesagt haben soll, es stehe noch nicht fest, wie viele Kollegen ihren Arbeitsplatz tatsächlich verlieren. Dies zeige, dass der Beteiligte zu 2 von einem möglichen Szenario gesprochen habe. Bereits in dem Geschäftsbericht Nr. 1/2015 sei davon die Rede, dass die schlechte Auftragslage dazu zwinge, den Personalstand anpassen zu müssen. Die vom Arbeitsgericht festgestellte Äußerung des Beteiligten zu 2 unterliege dem Grundrecht der Meinungsfreiheit. Der Abbau von 1100 Stellen sei keine falsche Tatsachenbehauptung, sondern auf der der Betriebsversammlung vorangegangenen Betriebsratssitzung seitens der Geschäftsleitung dem Betriebsrat und der IG-Metall mitgeteilt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen. Der Antrag des Arbeitgebers auf Ausschluss des Beteiligten zu 2 auf dem Betriebsrat ist unbegründet.

Nach § 23 Abs. 1 BetrVG kann (unter anderem) der Arbeitgeber den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Zu den gesetzlichen Pflichten gehören alle Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Eine zum Ausschluss führende Pflichtverletzung muss schuldhaft, das heißt vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen worden sein. Es genügt eine einmalige grobe Pflichtverletzung. Erforderlich ist eine besonders schwere Pflichtverletzung, die unter Berücksichtigung aller Umstände eine weitere Amtsführung untragbar werden lässt. Eine Verletzung der Schweigepflicht, wenn sie wiederholt erfolgt oder schwerwiegende Folgen hat, kann eine grobe Pflichtverletzung darstellen (Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 28. Aufl., § 23 Rn. 15-19).

Wie der Beteiligte zu 2 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Kammer (20. März 2017 - 16 TaBV 12/17) ausführt, unterlag der Beteiligte zu 2 im Hinblick darauf, dass der Arbeitgeber selbst den Betriebsrat unmittelbar zuvor über den Rückgang der Produktionszahlen und einen hieraus folgenden möglichen Personalabbau informierte, keiner Schweigepflicht, weil es sich hierbei um kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis handelte, § 79 Absatz 1 BetrVG. Dies gilt umso mehr, als bereits in den Geschäftsberichten von dem Produktionsrückgang und der Erstellung einer Konzeptänderung zur Anpassung an die sich verändernde Auftragslage die Rede war. Der Arbeitgeber hat die Information über das "theoretisch drohende Szenario" eines Personalabbaus auch nicht ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet.

Der Beteiligte zu 2 durfte die Information aus der Betriebsratssitzung zu TOP 9 der Tagesordnung über das Gespräch mit der Geschäftsleitung vom 10. November 2016 zum Gegenstand eines Redebeitrags auf der Betriebsversammlung machen. Es handelte sich um eine Angelegenheit wirtschaftlicher Art, die den Betrieb und seine Arbeitnehmer unmittelbar betraf, § 45 BetrVG. Es ging um die aktuelle wirtschaftliche Situation des Betriebs und mögliche Konsequenzen für den Bestand der Arbeitsplätze in der unmittelbaren Zukunft bis 2021.

Die an der Betriebsversammlung teilnehmenden Arbeitnehmer haben das Recht, im Rahmen der Behandlung der anstehenden Themen ihre Meinung zu allen betrieblichen Angelegenheiten frei zu äußern. Hierfür können sie sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Absatz 1 GG berufen (Fitting, BetrVG, 28. Auflage, § 45 Rn. 22).

Die dem Beteiligten zu 2 als Betriebsratsmitglied obliegende Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit schränkte dessen Meinungsfreiheit nicht dahingehend ein, dass er seinen auf der Betriebsversammlung gehaltenen Redebeitrag hätte unterlassen müssen.

Die Regelung des § 2 BetrVG begrenzt das durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, wobei einzelne Mitglieder des Betriebsrats bei der Ausübung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben einbezogen sind (Fitting, BetrVG, § 2 Rn. 17, 27). Dieses findet zwar seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen § 2 BetrVG gehört. Bei der Anwendung der Vorschrift muss der besondere Wesensgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG gewahrt bleiben. Deshalb muss die Norm unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts ausgelegt und dementsprechend in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (zu § 74 Abs. 2 BetrVG: BAG 17.3.2010 - 7 ABR 95/08 - BAGE 133, 342; Rn. 39 m.w.N.). Die Gerichte haben von Verfassungs wegen zu prüfen, ob von der Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften Grundrechte der Arbeitnehmer betroffen sind. Trifft dies zu, haben sie diese, soweit möglich, im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (BAG 22.11.2012 - 2 AZR 673/11 - NZA 2013, 730, Rn. 18).

Der Redebeitrag des Beteiligten zu 2 unterfiel dem Schutzbereich des Art. 5 Absatz 1 GG. Es handelte sich nicht um eine (unwahre) Tatsachenbehauptung, sondern insgesamt um eine Meinungsäußerung.

Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1 Grundgesetz hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Meinung ist jede subjektive Stellungnahme, die durch Elemente des Wertens und Dafürhaltens geprägt ist (BVerfGE 61, 1,8; 44,197,202; 7, 198,210). Subjektive Stellungnahmen in diesem Sinn sind zunächst alle Werturteile. Werturteile sind nicht dem Beweis zugänglich. Über sie kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Sie sind häufig schon an der Wortwahl zu erkennen, insbesondere an der Verwendung wertender Adjektive ("gut", "schlecht") und Substantive ("Gewerkschaftsskandal", BVerfG NJW 2004,277,278 [BVerfG 16.07.2003 - 1 BvR 1172/99]). Werturteile sind unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Qualität geschützt (BVerfGE 93,246,289; 33, 1,14; BVerfG NJW 2003,3760 [BVerfG 29.07.2003 - 1 BvR 2145/02]). Von Werturteilen sind Tatsachenbehauptungen zu unterscheiden. Diese sind verobjektivierbar, d.h. dem Beweis zugänglich. Sie können als richtig oder falsch, als wahr oder unwahr eingestuft werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beweis im konkreten Fall tatsächlich geführt werden kann, sondern nur, ob sich eine solche Beweisführung überhaupt denken lässt (BVerfG NJW 1999,483,484 [BVerfG 25.08.1998 - 1 BvR 1435/98]). In die Abgrenzung ist der gesamte Kontext der Äußerung (Ort, Zeit, Personen, Intention) einzubeziehen. Eine untrennbare Verknüpfung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil liegt vor, wenn die Tatsachenbehauptung als Grundlage für ein Werturteil dient, so dass Letzteres ohne Erstere nicht verständlich wäre (BVerfGE 85, 1,15). Dasselbe gilt, wenn sich in einem Text Tatsachen und Werturteile abwechselnd und derart aufeinander beziehen, dass eine einheitliche Äußerung vorliegt (BVerfGE 61, 1,9). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfGE 93,266,295). Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil anderenfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte. Denn anders als bei Meinungen im engeren Sinne, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 -1 BvR 444/13, 1 BvR 597/13, Rn. 18). Steht die Tatsachenbehauptung dagegen für sich, d.h. in keiner Verbindung mit einem Werturteil, ist sie nicht geschützt (BVerfGE 99, 185, 187 [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]; zur Bedeutung der Meinungsfreiheit im Verhältnis Arbeitgeber versus Betriebsrat siehe: Wichert DB 2018, 381ff).

Der Beteiligte zu 2 äußerte auf der Betriebsversammlung Folgendes: "Wir haben am Donnerstag mitgeteilt bekommen, dass F Personalabbau im großen Stile plant. 1100 sollen es nach Planung der Geschäftsführung sein. Wie viele Kollegen in den nächsten Jahren ihren Arbeitsplatz tatsächlich verlieren werden, steht noch nicht fest. Oder doch, Herr B?"

Der Sinn der Äußerung bestand erkennbar darin, die Belegschaft zu warnen, dass ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze bedroht ist. Diese Äußerung enthält einen Tatsachenkern, dass der Arbeitgeber einen Personalabbau plane. Als mögliche Zahl werden 1100 Arbeitsplätze genannt, wobei diese Zahl als noch nicht fest stehend bezeichnet wird. Ferner enthält die Äußerung eine wertende Umschreibung der drohenden Maßnahme als "im großen Stil". Diese Wertung ist auf einen Tatsachenkern, die Planung eines Personalabbaus seitens des Arbeitgebers, bezogen. In ihr kommt auch zum Ausdruck, dass derzeit noch keine Entscheidung gefallen ist. Es ist von einer Planung die Rede und davon dass noch nicht fest steht, wie viele Arbeitnehmer betroffen sein werden. Die Ungewissheit des möglichen Personalabbaus kommt ferner in der Rückfrage an den Geschäftsführer zum Ausdruck. Aufgrund des Aufeinanderbezogenseins von Wertung und Tatsachenkern unterfällt die Äußerung insgesamt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.

Auf die vom Arbeitgeber hervorgehobene Unterscheidung zwischen einer "bestehenden Planung", von der der Beteiligte zu 2 gesprochen habe und einem theoretischen Szenario ("worst case"), von dem dieser in dem Gespräch mit einzelnen Betriebsratsmitgliedern gesprochen habe, kommt es nicht entscheidend an. Zum einen ist auch eine bestehende Planung gekennzeichnet von der Ungewissheit der Zukunft, was sie mit einem theoretischen Szenario gemeinsam hat; lediglich der angenommene Grad der Wahrscheinlichkeit des künftigen Ereignisses mag unterschiedlich sein. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Beteiligte zu 2 an dem Gespräch, in dem von einem "theoretischen Szenario" die Rede war, nicht teilgenommen hat. Er war lediglich bei der Betriebsratssitzung vom 1. Dezember 2016 anwesend, in der unter TOP 9 von dem Betriebsratsmitglied A über das Gespräch vom 10. November mit der Geschäftsleitung berichtet wurde; siehe hierzu Protokoll der Betriebsratssitzung, Bl. 123 der Akte. Dort werden konkrete Zahlen hinsichtlich Produktionsrückgang einerseits und künftigem Rückgang der Mitarbeiter andererseits genannt. Bei Berücksichtigung dieses Informationsstandes konnte der Beteiligte zu 2 durchaus von einer (bestehenden) Planung eines Personalabbaus in der genannten Größenordnung ausgehen. Auch deshalb hat der Beteiligte zu 2 mit seinem Redebeitrag auf der Betriebsversammlung gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Absatz 1 BetrVG nicht verstoßen.

Soweit der Arbeitgeber meint, der Beteiligte zu 2 hätte in der Betriebsratssitzung Stellung nehmen können, verkennt er, dass Art. 5 Absatz 1 GG gerade die öffentliche Meinungsäußerung gewährleistet.

Es trifft auch nicht zu, dass die Äußerung des Beteiligten zu einer Ablehnung eines Kreditantrags hätte führen können. Wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre hierfür die schlechte wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers als solche, nicht aber eine Äußerung des Beteiligten zu 2 auf der Betriebsversammlung ursächlich. Die schlechte wirtschaftliche Situation des Unternehmens des Arbeitgebers ergab sich zudem bereits aus den vorangegangenen Geschäftsberichten, die auch den mit dem Arbeitgeber in Geschäftsbeziehung stehenden Banken bekannt sein dürften.

Die vom Arbeitgeber erstinstanzlich angeführten "früheren Verfehlungen" des Beteiligten zu 2, die zumindest teilweise bereits Gegenstand eines Amtsenthebungsverfahren der übrigen Betriebsratsmitglieder gegenüber dem Beteiligten zu 2 waren (ArbG Gießen 2 BV 6/16), zeigen nur, dass das Verhältnis innerhalb des Betriebsrats nicht immer harmonisch war. Inwiefern der Beteiligte zu 2 seine Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber verletzt hätte, zeigt dieser nicht im Einzelnen auf. Gerade darauf kommt es aber an (Fitting, BetrVG, § 23 Rn. 10).

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG.

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