Hessischer VGH, Beschluss vom 28.09.2018 - 2 B 2015/18
Fundstelle
openJur 2019, 36082
  • Rkr:

Allein die Einordnung einer Musikgruppe als "extremistisch" kann noch nicht dazu führen, dass ihre künstlerische Tätigkeit als Ganzes nicht grundrechtlich geschützt ist. Gegenstand einer versammlungsrechtlichen Auflage in Bezug auf den Auftritt einer Musikgruppe kann im Regelfall nur sein, dass Lieder und Wortbeiträge unterlassen werden, durch welche gegen geltendes Recht verstoßen wird.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des VG Frankfurt vom 27. September 2018 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die gemäß §§ 146, 147 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Gegenstand der Beschwerde ist die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Auflage Nr. 6 in der Verfügung der Antragsgegnerin vom 24. September 2018 zur Durchführung der für den 29. September 2018, von 16.00 Uhr bis 22.00 Uhr auf dem Frankfurter Rebstockgelände angemeldeten Kundgebung unter dem Thema "Gegen Rassismus und Degeneration", mit der die Antragsgegnerin den Auftritt bzw. (Musik-) Beiträge der türkischen Musikgruppe "X..." untersagte.

Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergeben sich keine Gesichtspunkte, die zum Erfolg der Beschwerde führen.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung zu Recht an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgerichtet, wonach ein Auftrittsverbot unter Beachtung der in den Grundrechten der Art. 8 Abs. 1 und 5 Abs.1 und 3 Satz Grundgesetz - GG - zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung des Verfassungsgebers und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Ausgestaltung des Übermaßverbotes grundsätzlich nur dann gerechtfertigt ist, wenn nicht auf andere Weise die Aufrechterhaltung und der Schutz der Rechtordnung gewährleistet werden kann (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, juris, Rn. 29). Soweit das Verwaltungsgericht unter Beachtung dieser Vorgabe den Auftritt der "X..." unter den im Tenor des Beschlusses im Einzelnen geregelten Auflagen zugelassen hat, greifen die Einwendungen der Antragsgegnerin nicht durch.

Der unter Ziffer 2 der Beschwerdeschrift erhobene - inhaltlich am weitesten gehende - Einwand, bei der "X..." handele es sich um eine extremistische Musikgruppe, für die der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Meinungsfreiheit nicht gelten dürfe, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

Nicht zu teilen vermag der Senat die Einschätzung der Antragsgegnerin, "X..." sei integraler Bestandteil der Nachfolgeorganisation der in der Bundesrepublik durch bestandskräftige Verfügung des Bundesministers des Innern vom 6. August 1998 verbotenen Gruppierung "DHKP-C", die seit 2002 auch durch die Europäische Union als terroristische Organisation gelistet ist. Dies gilt ungeachtet der "Klarstellung" des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat im Rahmen der Behandlung des Tagesordnungspunktes 18 der 208. Sitzung der Innenministerkonferenz sowie in dem Schreiben vom 4. September 2018 an die Innenministerien der Länder (Az. 53005/5#2) und den seitens der Antragsgegnerin und dem Bundesinnenministerium in Bezug genommenen Erkenntnisquellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Wie bereits das Verwaltungsgericht verkennt auch der Senat nicht, dass zwischen "X..." und der DHKP-C eine Vielzahl inhaltlicher Bezüge besteht und dass auch einzelne Mitglieder von "X..." der DHKP-C entweder nahestehen oder ihr sogar zugehören. Für eine vollständige Eingliederung von "X..." in das Organisationsgeflecht der DHKP-C sieht der Senat im Rahmen der im Eilverfahren nur gebotenen und möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtlage noch keine hinreichende Gewissheit, sodass er sich der Schlussfolgerung der Antragsgegnerin, dass das geltende Verbot der DHKP-C sich auch auf "X..." erstrecke, nicht anzuschließen vermag (ebenso: VG Meiningen, Beschluss vom 18. Mai 2018 - 2 E 784/18 Me -, juris). Dies gilt auch ungeachtet der tatrichterlichen Würdigung der Tätigkeit von "X..." in den Urteilen der Oberlandesgerichte Stuttgart (OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juli 2015 - 6-2 StE 1/14) und Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 2017 - III-5 StS 1/15 -, Urteil vom 29. August 2014 - III-4 StS 1/14 -). Demgegenüber geht aus anderen, allgemein zugänglichen Quellen hervor, dass "X..." als eine der populärsten linksorientierten Musikgruppen in der Türkei bei fast jeder linksorientierten Kundgebung auch außerhalb des Spektrums der DHKP-C auftritt. Im Sommer 2010 feierte die Band in Begleitung des Istanbuler Sinfonieorchesters vor 50.000 Gästen im Inönü-Stadion ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum. Damit spricht "X..." ein breites, in der Tendenz links ausgerichtetes Publikum an, das weit über die Anhängerschaft der DHKP-C hinausreicht. Ein ehemaliges Mitglied der Gruppe, der Sänger und Komponist Y... ist Mitglied der oppositionellen sozialdemokratisch-kemalistischen Partei "CHP", für die er seit 2015 dem türkischen Parlament angehört. Trotz einer Vielzahl von Strafverfahren (ca. 500), die u. a. wegen des Verdachts der Unterstützung der DHKP-C gegen die etwa 40 Musikerinnen und Musiker, die die Gruppe in den 30 Jahren ihres Bestehens durchlaufen haben, eingeleitet wurden, kam es jedenfalls bis Mitte 2015 zu keinen entsprechenden Verurteilungen (vgl. Deniz Yüksel, "Wo hört die Musik auf, wo fängt die Propaganda an?", "Die Welt" vom 26. Juni 2015, https://www.welt.de/kultur/pop/article43151517/Wo-hoert-die-Musik-auf-wo-faengt ...; Wikipedia: X...). Dass sich "X..." in einer Reihe von Liedtexten in der Vergangenheit und Gegenwart mit Angehörigen der DHKP-C und deren Politik solidarisiert, macht nicht gleichsam ihr gesamtes künstlerisches Werk zu einem Propagandainstrument dieser Gruppierung. Die politische Ausrichtung ihrer Liedtexte wird zum Teil als ein "Mix der Unterstützung für die Rechte von Kurden, Antiautoritarismus und Marxismus" charakterisiert (vgl. Bryony Wright, "X...: die jailed band Turkey can't silence", The Guardian, 4. April 2016, https://theguardian.com/music/apr/04/X...-the-jailed-band-turkey). Daher sind die seitens der Antragsgegnerin kritisierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf S. 6 des angefochtenen Beschlusses, worin von einem "politischen Werk" gesprochen wird, das "viele weitere Lieder umfasst", durchaus nachvollziehbar. Auch wenn die Musikgruppe ohne jeden Zweifel mit Teilen ihrer Lieder Nähe zur DHKP-C zeigt und damit verfassungsfeindliche Inhalte transportiert, steht sie daher nicht völlig außerhalb des Schutzes der Grundrechte der Meinungs- und Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 und 3 Satz 1 GG.

Soweit die Antragsgegnerin unter Ziffer 1 der Beschwerdeschrift rügt, die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts sei nicht konsistent bzw. widersprüchlich, und sie unter Ziffer 3 der Beschwerdeschrift die Geeignetheit der festgelegten Auflagen anzweifelt, greifen auch diese Einwände nicht durch. Wie bereits das Verwaltungsgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Gefahr besteht, dass bei einem Auftritt der Musikgruppe "X..." strafbare Handlungen im Sinne der Vorschriften der §§ 85 ff. Strafgesetzbuch - StGB - begangen werden. Der Senat verkennt nicht, dass es nach den seitens der Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Verfügung angeführten Erkenntnismitteln in der Vergangenheit bei Auftritten von "X..." auch strafbare Handlungen in Form von Propaganda für die als Terrororganisation durch die Europäische Union gelistete "DHKP-C" (Bezüge in Liedtexten zu dieser Organisation, Zeigen der typischen Uniformen mit den charakteristischen roten Tücher und Gesichtsmasken) gegeben hat. Nicht zu folgen vermag der Senat allerdings den Ausführungen in der Beschwerdeschrift, trotz der festgelegten Auflagen sei sicher davon auszugehen, dass auch bei der Veranstaltung am 29. September in Frankfurt solche Straftaten von Mitgliedern von "X..." begangen werden. Der Vortrag der Antragsgegnerin, der Versuch verhältnismäßige Auflagen zu formulieren, führe in der Realität dazu, dass die verbotenen Lieder gesungen und das verbotene Verhalten gezeigt werde, überzeugt nicht. Soweit sich die Antragsgegnerin darauf bezieht, dass inkriminierte Redebeiträge, Lesungen etc. partiell nicht auf der Bühne, sondern "im Rahmen der Versammlung" durchgeführt würden, fehlt es insoweit an konkreten Darlegungen, dass derartige Verstöße von Angehörigen von "X..." bei dieser Veranstaltung begangen werden könnten. Allein die anonym zitierte Einschätzung des zuständigen Polizeiführers zum bevorstehenden Einsatz genügt nicht, um eine Situation glaubhaft zu machen, wonach Verstöße gegen die durch das Verwaltungsgericht auferlegten und vom Antragsteller so auch akzeptierten Auflagen zum Ablauf des Auftritts von "X..." quasi unausweichlich seien. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Auftritt der Musikgruppe angesichts der erwarteten Teilnehmerzahl allein schon aus Gründen der Schalltechnik auf der hierzu aufgebauten Bühne stattfinden wird. Das Geschehen auf der Bühne ist auch für die vor Ort anwesenden Einsatzkräfte zu überschauen. Auch erscheint es ungeachtet möglicher emotionaler Reaktionen aus dem Publikum im Falle des Einschreitens nicht von vorneherein unzumutbar, dass im Falle von Verstößen gegen die versammlungsrechtlichen Auflagen polizeilich eingegriffen wird, d. h. der Auftritt der Gruppe notfalls beendet wird. Dafür zu sorgen, dass hierfür die notwendigen Einsatzkräfte zur Verfügung stehen, ist Aufgabe der Antragsgegnerin und der Landespolizei. Soweit sich die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf beruft, die Veranstaltung finde in türkischer Sprache statt, was die Erkennbarkeit von Verstößen zusätzlich erschwere, ist es für eine derartige Einsatzlage für die Antragsgegnerin nicht unzumutbar, einen Sprachmittler hinzuzuziehen, der dem zuständigen Einsatzleiter das Geschehen auf der Bühne übersetzt. Soweit im Übrigen Verstöße gegen Strafvorschriften befürchtet werden, die aus der Versammlung heraus, d. h. außerhalb der Bühne von Teilnehmern oder anderen Personen begangen werden könnten, stellt die hier streitgegenständliche versammlungsrechtliche Auflage Nr. 6 bereits kein geeignetes Mittel dar, solchen Verstößen wirksam zu begegnen, da ihr Regelungsgegenstand allein der Auftritt von "X..." ist.

Soweit die Antragsgegnerin schließlich unter Ziffer 4 der Beschwerdeschrift vorträgt, der Anmelder der Veranstaltung stehe für die DHKP-C, verhilft auch dieser Vortrag der Beschwerde nicht zum Erfolg. Von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Durchführung der Versammlung als solcher ist die Antragsgegnerin in ihrer Verfügung selbst nicht ausgegangen. Vielmehr hat sie es als ausreichend erachtet, eine die Versammlung beschränkende Auflage zu erlassen, die lediglich den Auftritt von "X..." zum Inhalt hat. Soweit die Antragsgegnerin daher in ihrer Beschwerdeschrift auf die politische Nähe des Antragstellers als Versammlungsleiter zur DHKP-C Bezug nimmt, verhält sie sich ihrerseits widersprüchlich. Es wird in keiner Weise dargelegt, warum ausgerechnet vom Auftritt von "X..." nicht durch andere Maßnahmen abwendbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen sollen, während dies für die Versammlung im Übrigen und die Auftritte anderer Musikgruppen und Redner auf dieser Veranstaltung nicht gelten soll. Die Ausführungen der Antragsgegnerin, welche die Person des Antragstellers betreffen, sind in diesem Zusammenhang nicht zielführend, weil es sich beim Antragsteller nicht um einen Angehörigen von "X..." handelt. Einwände die sich gegen ihn wegen seiner politischen Aktivitäten bis in die jüngste Vergangenheit richten, können daher allenfalls gegen ihn als Versammlungsleiter und damit die Versammlung als solche geltend gemacht werden. Speziell zur Begründung der hier allein streitgegenständlichen Auflage Nr. 6 sind sie ungeeignet.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GKG. Der Senat folgt damit der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3 und 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte