Hessisches LAG, Beschluss vom 31.07.2017 - 16 TaBVGa 128/17
Fundstelle
openJur 2019, 35746
  • Rkr:

1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt einen Verfügungsgrund (Eilbedürftigkeit) voraus, §§ 935, 940 ZPO. Aus der in einer Abmahnung enthaltenen Drohung mit einer Kündigung folgt nicht, dass der Ausspruch einer Kündigung unmittelbar bevorsteht.

2. Es fehlt auch am Vorliegen eines Verfügungsanspruchs. Jedenfalls aufgrund von § 103 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied vor dem Ausspruch von arbeitgeberseitigen Kündigungen geschützt. § 103 Absatz 2 BetrVG gewährt dann, wenn der Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung verweigert, einen präventiven Rechtsschutz gegen die bevorstehende Maßnahme. Darüber hinaus ist ein vorbeugender Kündigungsschutz im Kündigungsrecht weder erforderlich, noch gesetzlich vorgesehen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. April 2017 - 3 BVGa 879/16 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Unterlassung des Ausspruchs einer Kündigung.

Der Arbeitgeber betreibt ein Unternehmen der Telekommunikationsbranche und beschäftigt 269 Arbeitnehmer. Bei ihm ist ein aus 9 Mitgliedern bestehender Betriebsrat gebildet, dessen Vorsitzende die Antragstellerin ist. Die Wahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds nach § 38 Abs. 2 BetrVG ist nicht erfolgt.

Unter anderem mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 (Bl. 21, 22 der Akten) erteilte der Arbeitgeber der Betriebsratsvorsitzenden eine Abmahnung und kündigte ihr im Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses an.

Die Betriebsratsvorsitzende begehrt gegenüber dem Arbeitgeber die Untersagung eine Kündigung auszusprechen.

Hinsichtlich der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 168-169 der Akten) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber in absehbarer Zeit beabsichtige, eine Kündigung auszusprechen. Unabhängig davon sei eine Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nur nach erteilter oder ersetzter Zustimmung des übrigen Betriebsrats möglich (§ 103 BetrVG).

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 5. Mai 2017 zugestellt. Er hat dagegen am 1. Juni 2017 Beschwerde eingelegt und diese am 26. Juni 2017 begründet.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Feststellung des Arbeitsgerichts, es sei nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber beabsichtige, eine Kündigung auszusprechen, trage nicht. In der Abmahnung habe der Arbeitgeber ausdrücklich für den Wiederholungsfall eine Kündigung angedroht. Der Hinweis des Arbeitsgerichts auf § 103 BetrVG treffe zwar zu, würde aber im Ergebnis zu einer Verschlechterung des Rechtsschutzes für Betriebsratsmitglieder im Vergleich zu "normalen" Arbeitnehmern führen, weil diesen eine einstweilige Verfügung gegen beabsichtigte Kündigungen im Gegensatz zu Mitarbeitern ohne Sonderkündigungsschutz verweigert werde.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. April 2017 -3 BVGa 879/16- abzuändern und1.

der Beteiligten zu 2 zu untersagen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main -17 BV 274/17- das Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 1 mit der Begründung, dass diese 100 % ihrer Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeit aufwende und deshalb ihre arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitsleistung nicht erbringe, so dass eine Arbeitspflichtverletzung vorliege, durch Kündigung zu beenden,

2.

der Beteiligten zu 2 für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 € ersatzweise Ordnungshaft, zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beteiligten zu 2, anzudrohen.

Die Beteiligte zu 2 beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, es fehle sowohl am Verfügungsgrund, wie auch am Verfügungsanspruch.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 569 ZPO.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Anträge zu Recht abgewiesen. Die Beschwerdekammer schließt sich der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts an und nimmt auf diese Bezug. Das Vorbringen der Betriebsratsvorsitzenden in der Beschwerdeinstanz führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Es fehlt bereits an dem erforderlichen Verfügungsgrund, § 85 Abs. 2 S. 1 ArbGG, §§ 935, 940 ZPO.

Ein Verfügungsgrund ist dann gegeben, wenn die einstweilige Verfügung notwendig ist, um von dem Antragsteller wesentliche Nachteile abzuwenden. Damit ist das besondere Eilbedürfnis gemeint. Bei einer Regelungsverfügung nach § 940 ZPO ist Verfügungsgrund die Notwendigkeit der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis. Für den Erlass einer Leistungsverfügung kommt es darauf an, ob bei ihrer Verweigerung der Eintritt der irreparabler Schäden oder eines irreparablen Zustands beim Gläubiger zu befürchten ist. Der Gläubiger muss darlegen und glaubhaft machen, dass er auf die sofortige Erfüllung dringend angewiesen ist (Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Auflage, § 49 Rn. 6).

Danach fehlt es bereits deshalb am Vorliegen eines Verfügungsgrundes, da keine Tatsachen vorgetragen sind, dass der Ausspruch einer Kündigung konkret bevorsteht. Die allgemeine Drohung mit einer Kündigung in einer Abmahnung reicht hierfür nicht aus.

Darüber hinaus fehlt es auch am Vorliegen eines Verfügungsanspruchs. Jedenfalls aufgrund von § 103 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied vor dem Ausspruch von arbeitgeberseitigen Kündigungen geschützt. § 103 Abs. 2 BetrVG gewährt dann, wenn der Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung verweigert, einen präventiven Rechtsschutz gegen die bevorstehende Maßnahme. Darüber hinaus ist ein vorbeugender Rechtsschutz im Kündigungsrecht weder erforderlich, noch gesetzlich vorgesehen. Es liegt auch keine Ungleichbehandlung gegenüber Mitarbeitern ohne derartigen Sonderkündigungsschutz vor, zumal eine Unterlassung des Ausspruchs von Kündigungen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zugelassen wird, etwa zur Sicherung von Mitbestimmungsrechten bei Betriebsänderungen (vgl. dazu: Hess. LAG 27. Juni 2007 -4 TaBVGa 137/07), also gerade nicht bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen. Ansonsten gilt der Grundsatz, dass Rechtsschutz gegenüber Kündigungen erst im Nachhinein durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage möglich ist.

III.

Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde nicht statthaft, § 92 Abs. 1 S. 3 ArbGG.