Hessisches LAG, Beschluss vom 20.06.2016 - 16 TaBV 101/15
Fundstelle
openJur 2019, 35265
  • Rkr:

1. Nach dem entsprechend anwendbaren § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

2. § 51 Abs. 1 S. 1 BetrVG enthält insoweit eine Lücke, als dort nicht auf § 38 Abs. 2 BetrVG verwiesen wird. Hätte der Gesetzgeber diese Lücke erkannt, hätte er sie dahingehend geschlossen, dass er § 38 Abs. 2 in den Katalog der Verweisungsnormen des § 51 Abs. 1 BetrVG aufgenommen hätte. Daraus folgt, dass der Gesamtbetriebsrat verpflichtet ist, die Auswahlentscheidung über die vollständige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung dann, wenn mehr als ein Wahlvorschlag vorliegt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 - 17 BV 420/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

1.

Die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats am 4. Juni 2014 wird für unwirksam erklärt.

2.

Der Gesamtbetriebsrat wird verpflichtet, die Auswahlentscheidung über die vollständige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung dann, wenn mehr als ein Wahlvorschlag vorliegt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen.Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsteller als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 11, 13 bis 16 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 - 17 BV 420/14-wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Auswahlentscheidung im Gesamtbetriebsrat hinsichtlich freigestellter Mitglieder dieses Gremiums.

Beteiligte zu 12 (Arbeitgeber) ist ein Transportunternehmen auf dem Gebiet des Schienenverkehrs. Dort ist ein Gesamtbetriebsrat (Beteiligter zu 11) gebildet. Diesem gehören die Antragsteller (Beteiligte zu 2-10) sowie die Beteiligten zu 13-16 als Mitglieder an.

Der Arbeitgeber, handelnd durch die Personalvorständin A, und der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, der Beteiligte zu 13, kamen überein, dass wegen der umfangreichen und vielfältigen Aufgaben und der Größe des Unternehmens 4 Vollfreistellungen erforderlich sind.

Der Gesamtbetriebsrat konstituierte sich am 4. Juni 2014. Zu dieser Sitzung war mit Schreiben vom 21. Mai 2014 (Bl. 15ffd.A.) eingeladen worden. Die Antragsteller reichten vor der Sitzung eine Vorschlagsliste für die freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats ein, auf der die Beteiligten zu 5, 8, 10 und 4 in dieser Reihenfolge aufgelistet waren. Zur Wahl stand eine weitere Vorschlagsliste, die die Namen der Beteiligten zu 13-16 enthielt. Es wurde sodann eine Abstimmung nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl vorgenommen, wobei auf die Liste der Beteiligten zu 13-16 14.257 Stimmen und auf die von den Antragstellern eingereichte Liste 4509 Stimmen entfielen. Daraufhin wurde vom Versammlungsleiter festgestellt, dass die Beteiligten zu 13-16 gewählt sind.

Die Antragsteller haben in ihrer am 17. Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift die Auffassung vertreten, die getroffene Auswahlentscheidung hinsichtlich der freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats sei unwirksam, da sie nach den Grundsätzen der Verhältniswahl hätte stattfinden müssen.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I der Gründe (Bl. 120-122 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen teilweise stattgegeben. Die Antragsteller seien antragsbefugt und hätten die zweiwöchige Anfechtungsfrist nach § 19 BetrVG analog eingehalten. Die durchgeführte Wahl der freizustellenden Gesamtbetriebsratsmitglieder sei unwirksam, da sie nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts hätte durchgeführt werden müssen. Zwar verweise § 51 Abs. 1 BetrVG nicht auf § 38 BetrVG. Hieraus folge jedoch nur, dass das Gesetz keine abstrakte Erforderlichkeit für die Freistellung von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats vorsehe. Für den Fall, dass die Betriebsparteien es als notwendig ansehen, eine gewisse Anzahl der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats unabhängig vom konkreten Anlass freizustellen, sei § 38 Abs. 2 BetrVG entsprechend anzuwenden. Der weitere Antrag, gerichtet darauf dass die Auswahlentscheidung über die völlige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführt wird, sei jedoch unbegründet. Voraussetzung sei zunächst, dass zwischen den Betriebsparteien überhaupt eine Regelung getroffen werde, dass eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats für den Zeitraum der Wahlperiode freigestellt werde. Zudem könnten die Betriebsparteien oder auch Tarifvertragsparteien von den Regelungen des § 38 BetrVG abweichen. Dies schließe Regelungen über die Wahl der freizustellenden Mitglieder im Wege des Mehrheitswahlrechts ein.

Dieser Beschluss wurde dem Vertreter der Antragsteller am 4. Mai 2015 und dem der Beteiligten zu 11, 13-16 am 5. Mai 2015 zugestellt. In seinem Schriftsatz vom 2. Juni 2015, eingegangen am selben Tag, hat der Vertreter der Antragsteller Beschwerde gegen die Abweisung des Hauptantrags zu 2 bzw. des 2. Hilfsantrags eingelegt. Die Beschwerde der Beteiligten zu 11, 13-16 ist am 3. Juni 2016 eingegangen. Nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 7. September 2015 sind die Beschwerdebegründungen der Antragsteller sowie der Beteiligten zu 11, 13-16 am 7. September 2015 eingegangen.

Die Antragsteller sind der Auffassung, die Abweisung des Hauptantrags zu 1 als unzulässig durch das Arbeitsgericht sei rechtsfehlerhaft. Für die Feststellung bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis. Bei rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit der Freistellung stehe fest, dass hierfür eine Grundlage nicht gegeben sei, woraus folge, dass eine neue Wahl durchzuführen sei. Zutreffend habe das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Freistellungswahl ausgesprochen. Bei der Abweisung des Antrags zu 2 habe es allerdings verkannt, dass bei der von ihm selbst angenommenen entsprechenden Anwendung von § 38 Abs. 2 BetrVG zwingend die Grundsätze der Verhältniswahl anzuwenden sind. Deshalb könne bei mehreren Wahlvorschlägen das Verhältniswahlprinzip das einzig zulässige Wahlverfahren sein.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 - 17 BV 420/14- abzuändern, soweit die Antragsteller unterlegen sind, und1.

festzustellen, dass die Wahl bzw. der Beschluss des beteiligten Gesamtbetriebsrats (Beteiligter zu 11) zum Tagesordnungspunkt 6 der 1. außerordentlichen Sitzung des Gesamtbetriebsrats vom 4. Juni 2014 betreffend die Freistellung der Beteiligten B, C, D und E (Beteiligte zu 13- 16) unwirksam ist,

2.

den beteiligten Gesamtbetriebsrat zu verpflichten, die Auswahlentscheidung über die vollständige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung dann, wenn mehr als ein Wahlvorschlag vorliegt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen,

hilfsweise

für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1 und 2 festzustellen, dass im Rahmen der Beschlussfassung oder Wahl des beteiligten Gesamtbetriebsrats zum Tagesordnungspunkt 6 der 1. außerordentlichen Gesamtbetriebsratssitzung der Antragsteller zu 5, Herr F, anstelle der Beteiligten zu 16, Frau E, zum freigestellten Betriebsratsmitglieds bestimmt worden ist,

3.

die Beschwerde der Beteiligten zu 11, 13-16 zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 11, 13-16 beantragen,

1.

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 -17 BV 420/14- aufzuheben,

2.

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 -17 BV 24/14- die Anträge und Hilfsanträge der Beschwerdegegner zu 1. und 2. abzuweisen,

3.

die Beschwerde des Beschwerdegegners zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, der Antrag zu. 1 sei zumindest für die Beteiligten zu 2-4 und 6-10 unzulässig, da diese nicht in konkreten eigenen Rechtspositionen betroffen seien. Lediglich der Beteiligte zu 5 hätte bei der Anwendung der Grundsätze der Verhältniswahl gegebenenfalls das Recht gehabt, auch als Mitglied des Gesamtbetriebsrats teilfreigestellt zu werden. Der Antrag zu 2 und der hilfsweise Antrag seien ebenfalls unzulässig, da sie zu unbestimmt seien. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass ein Beschluss über die Freistellung der Gesamtbetriebsratsmitglieder nach § 37 BetrVG und keine Wahl im Sinne des § 38 BetrVG erfolgt sei. Ein derartiger Beschluss könne nicht nach § 19 BetrVG angefochten werden. Jedenfalls seien die Anträge unbegründet. Für eine analoge Anwendung von § 38 BetrVG sei kein Raum, da eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliege. Im Rahmen des § 37 BetrVG seien die Grundsätze der Mehrheitswahl anzuwenden. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer Regelungsabrede über die Freistellung von 4 Gesamtbetriebsratsmitgliedern ausgegangen. Es habe keine konkrete Absprache über 4 Freistellungen gegeben. Auch der Antrag zu 2 sei unbegründet. Insofern sei die abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Der Hilfsantrag sei nicht nur unzulässig und in sich widersprüchlich sondern auch unbegründet. Es könne lediglich festgestellt werden, dass eine Wahl oder ein Beschluss unwirksam ist. Das Arbeitsgericht sei jedoch nicht berechtigt, eine eigenständige Wahlentscheidung im Wege einer Ersetzung zu treffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerden sind statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG.

Die Beschwerde der Antragsteller ist jedoch hinsichtlich des Antrags zu 1 bereits unzulässig, denn insoweit haben die Antragsteller auf die Beschwerde verzichtet. Dies ergibt sich daraus, dass im Schriftsatz vom 2. Juni 2015 (Bl. 165 Rückseite d.A.)

Beschwerde (ausdrücklich nur) gegen die Abweisung des Hauptantrags zu 2 bzw. des 2. Hilfsantrags eingelegt wird. Damit haben die Antragsteller im Übrigen auf Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts verzichtet. Im Hinblick darauf ist die Beschwerde hinsichtlich des später mit Schriftsatz vom 8. Januar 2016 (Bl. 277 d.A.) gestellten Antrags zu 1 unzulässig.

Im Übrigen sind die Beschwerden zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde der Beteiligten zu 11,13-16 ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats am 4. Juni 2014 zu Recht für unwirksam erklärt. Die Beschwerdekammer schließt sich hinsichtlich der Stattgabe dieses Antrags den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts an und nimmt hierauf Bezug. Die Ausführungen der Beteiligten zu 11, 13-16 in der Beschwerdeinstanz führen zu keiner abweichenden Beurteilung.

Der Antrag ist zunächst dahin auszulegen, dass mit "Wahl" die am 4. Juni 2014 getroffene Auswahlentscheidung über die Personen, die für die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit als Gesamtbetriebsratsmitglieder von der Arbeitsleistung unabhängig vom konkreten Anfallen einer Gesamtbetriebsratstätigkeit im jeweiligen Einzelfall freizustellen sind, gemeint ist. Ob diese Auswahlentscheidung von den Beteiligten als Beschluss oder Wahl bezeichnet wird, ist ohne Bedeutung. Maßgeblich ist allein, dass nach Auffassung der Antragsteller diese Auswahlentscheidung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl hätte getroffen werden müssen, was unstreitig nicht erfolgt ist.

Der Antrag ist als Gestaltungsantrag darauf gerichtet, die am 4. Juni 2014 im Wege der Mehrheitswahl erfolgte Bestimmung der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats für unwirksam zu erklären. Diese Entscheidung ist als gremieninterne Wahl in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich.

Die nach § 19 analog BetrVG einzuhaltende Anfechtungsfrist (Bundesarbeitsgericht 20. April 2005 -7 ABR 44/04) ist gewahrt. Die konstituierende Sitzung des Gesamtbetriebsrats, in der die streitige Auswahlentscheidung erfolgte, fand am 4. Juni 2014 statt. Die zweiwöchige Frist des § 19 analog BetrVG lief damit am 18. Juni 2014 ab. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Entscheidung gerichtete Antrag ging am 17. Juni 2014 beim Arbeitsgericht ein. Dass später auf Anregung des Arbeitsgerichts ein geänderter Antrag hilfsweise gestellt wurde, ist für die Wahrung der Frist unerheblich. Mit der Antragsschrift war der Streitgegenstand klar umrissen. Von diesem wird auch der später als Hilfsantrag gestellte Antrag, dem das Arbeitsgericht stattgegeben hat, umfasst.

Die Antragsteller sind antragsberechtigt. Antragsberechtigt ist jedes einzelne Gesamtbetriebsratsmitglied, das geltend macht, in seiner Rechtsstellung als Gesamtbetriebsratsmitglied oder einer Schutz genießenden Minderheit verletzt zu sein (Bundesarbeitsgericht 21. Juli 2004 -7 ABR 62/03- Rn. 16). Dies trifft auf sämtliche Antragsteller zu.

Der Antrag ist begründet. Die vom Gesamtbetriebsrat am 4. Juni 2014 durchgeführte Auswahlentscheidung über die freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats ist unwirksam.

Nach dem entsprechend anwendbaren § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats verstößt gegen wesentliche Wahlvorschriften, weil sie nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl erfolgte.

Zwar hat der Gesamtbetriebsrat gemäß § 51 Abs. 1 BetrVG kein Recht auf Freistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG. Die enumerative Aufzählung in § 51 Abs. 1 BetrVG schließt es aus, eine Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von der beruflichen Tätigkeit nach der Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG vorzunehmen. (Landesarbeitsgericht München 19. Juli 1990 -6 TaBV 62/89- NZA 1991, 905; Richardi-Annuß, BetrVG, 15. Aufl., § 51 Rn. 51). Unmittelbar anwendbar über diese Verweisungsnorm ist jedoch § 37 Abs. 2 BetrVG. Diese Norm betrifft in erster Linie die vorübergehende Arbeitsbefreiung aus konkretem Anlass. Demgegenüber sieht § 38 BetrVG eine nicht durch konkrete Anlässe bedingte generelle Freistellung oder Teilfreistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung vor (Fitting, BetrVG, 28. Auflage, § 37 Rn. 17). Stets möglich ist die Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern durch freiwillige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat (GK-BetrVG-Kreutz, 10. Auflage, § 51 Rn. 55). § 38 Abs. 2 BetrVG sieht hinsichtlich der Auswahl der freizustellenden Personen den Grundsatz der Verhältniswahl vor. Diese Norm ist entsprechend anzuwenden, wenn die Erforderlichkeit der Anzahl der Freistellungen unstreitig ist und lediglich über die Person der Freizustellenden Streit besteht (Erfurter Kommentar-Koch, 16. Auflage, § 51 BetrVG Rn. 4; Fitting, BetrVG, 28. Auflage, § 51 Rn. 44; Richardi-Annuß, BetrVG, 15. Aufl., § 51 Rn. 51; Däubler/Kittner/Klebe/Wedde-Trittin, BetrVG, 15. Aufl., § 51 Rn. 64; Löwisch, BB 2002, 1366, 1368; a.A.: GK-BetrVG-Kreutz, 10. Auflage, § 51 Rn. 55; Hess /Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG, 9. Aufl., § 51 Rn. 63; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht-Joost, 3. Auflage, § 225 Rn. 78).

Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 38 Abs. 2 BetrVG liegen vor. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält. Die Lücke muss sich also aus dem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan ergeben. Darüber hinaus muss der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen (Bundesgerichtshof, Urteile vom 4. Dezember 2014 - III ZR 61/14-, NJW 2015, 1176, Rn. 9; 17. November 2009 - XI ZR 36/09, BGHZ 183, 169 Rn. 23 und vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32, jeweils mwN).

§ 51 Abs. 1 S. 1 BetrVG enthält insoweit eine Lücke, als dort nicht auf § 38 Abs. 2 BetrVG verwiesen wird. Zwar ist davon auszugehen, dass die Nichteinbeziehung des § 38 Abs. 1 BetrVG dem Willen des Gesetzgebers entsprach, da für den Gesamtbetriebsrat pauschale Freistellungen nicht als erforderlich angesehen wurden. Insofern kann von einem bewussten Handeln des Gesetzgebers ausgegangen werden, wenn in § 51 Abs. 1 BetrVG nicht auf § 38 Abs. 1 BetrVG verwiesen wird. Hierbei hat der Gesetzgeber jedoch übersehen, dass freiwillige Freistellungen im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat stets möglich sind. Für diese Fälle ist zu regeln, ob die Auswahl der freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl oder der Verhältniswahl erfolgt. Hätte der Gesetzgeber diese Lücke erkannt, hätte er sie dahingehend geschlossen, dass er § 38 Abs. 2 in den Katalog der Verweisungsnormen des § 51 Abs. 1 BetrVG aufgenommen hätte. Dies ergibt sich aus der vergleichbaren Interessenlage. § 38 Abs. 2 BetrVG schreibt für den Betriebsrat die Wahl der freigestellten Mitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl vor. Damit soll dem Minderheitenschutz Rechnung getragen werden. Es wäre sinnwidrig, wenn gerade beim Gesamtbetriebsrat der Minderheitenschutz unberücksichtigt bliebe. Ein Sachgrund für ein unterschiedliches Wahlverfahren hinsichtlich der Freistellungen beim Betriebsrat einerseits und dem Gesamtbetriebsrat andererseits ist nicht erkennbar.

Die Gegenauffassung (GK-BetrVG-Kreutz, 10. Auflage, § 51 Rn. 55; Hess /Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG, 9. Aufl., § 51 Rn. 63; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht-Joost, 3. Auflage, § 225 Rn. 78) überzeugt nicht. Sie nennt entweder gar keine Argumente (GK-BetrVG-Kreutz, 10. Auflage, § 51 Rn. 55). Hess /Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG, 9. Aufl., § 51 Rn. 63 lehnen eine Anwendung des § 38 Abs. 2 mit dem formalen Argument, dass es sich nicht um eine Freistellung im Sinne des § 38 handele ab, was den Sinn und Zweck der Norm (Minderheitenschutz) unberücksichtigt lässt. Joost (Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Auflage, § 225 Rn. 78) meint schließlich, das formale Freistellungsverfahren nach § 38 Abs. 2 BetrVG finde auch bei vollständiger Arbeitsbefreiung deshalb keine Anwendung, da es sich nicht um eine pauschale Freistellung handele. Dies mag auf die Fälle des § 37 Abs. 2 BetrVG zutreffen, lässt jedoch freiwillige Freistellungen von Gesamtbetriebsratsmitgliedern unberücksichtigt. Für derartige Fälle muss eine Regelung hinsichtlich des Wahlverfahrens getroffen werden. Unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber zu treffenden Interessenabwägung beim Erlass der Norm wäre in § 51 Absatz 1 BetrVG hinsichtlich der Auswahl der freizustellenden Gesamtbetriebsratsmitglieder auf § 38 Abs. 2 BetrVG verwiesen worden.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich Folgendes:

Wie sich aus der Stellungnahme des Arbeitgebers im Beschwerdeverfahren (Schriftsatz vom 9. Januar 2015, Bl. 229, 230 d.A.) ergibt, waren aus dessen Sicht die vom Gesamtbetriebsrat vorgeschlagenen 4 Vollfreistellungen vor dem Hintergrund der umfangreichen und vielfältigen Aufgaben und der Größe des Unternehmens erforderlich. Damit sind sich die Betriebspartner zumindest stillschweigend insoweit einig gewesen. Soweit die Beteiligten zu 11, 13-16 das Vorliegen einer Regelungsabrede bestreiten, mag dies die rechtliche Einordnung dieser Übereinkunft betreffen, nicht jedoch das Vorliegen eines Einverständnisses über 4 Vollfreistellungen für den Gesamtbetriebsrat als solches. Ansonsten wäre es unverständlich, wieso der Gesamtbetriebsrat eine Auswahl hinsichtlich der freizustellenden Personen zur Abstimmung gestellt hat.

Die Abstimmung über die Personen der freizustellen Mitglieder des Gesamtbetriebsrats erfolgte nicht gemäß § 38 Abs. 2 analog BetrVG nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, obwohl 2 Listen zur Wahl standen. Bei dem Minderheitenschutz des § 38 Abs. 2 BetrVG handelt es sich um eine wesentliche Wahlvorschrift. Dieser Verstoß führt auch zu einer Beeinflussung des Wahlergebnisses, denn ansonsten wäre voraussichtlich ein Mitglied der Minderheitenliste gewählt worden.

3. Die Beschwerde der Antragsteller ist teilweise begründet. Der Antrag zu 2 ist begründet. Der Arbeitgeber Gesamtbetriebsrat [berichtigt gem. Beschluss vom 8. September 2016] ist verpflichtet, die Auswahlentscheidung über die vollständige Freistellung von

Gesamtbetriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung dann, wenn mehr als ein Wahlvorschlag vorliegt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen, §§ 51 Abs. 1, 38 Abs. 2 analog BetrVG.

Das Arbeitsgericht hat diesen Antrag zu Unrecht abgewiesen.

Eine Auslegung des Antrags ergibt, dass eine Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl nur dann vorgenommen werden soll, wenn die Betriebspartner zuvor zumindest stillschweigend eine Einigung über die Anzahl der Freistellungen getroffen haben. Anderenfalls stellt sich die Frage der Durchführung einer Wahl nicht.

Soweit das Arbeitsgericht ausführt, die Betriebs- oder Tarifvertragsparteien könnten von § 38 BetrVG abweichen, ist dies zwar in § 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG geregelt. Diese Norm bezieht sich -wie ihre Stellung im ersten Absatz des § 38 BetrVG zeigt- nur auf die Anzahl der Freistellungen, nicht auf das einzuhaltende Wahlverfahren. Dieses ist in § 38 Abs. 2 BetrVG geregelt und kann gerade nicht abweichend durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt werden (Fitting, BetrVG, 28. Aufl., § 38 Rn. 29).

Der für den Fall des Unterliegens gestellte Hilfsantrag fällt der Kammer nicht zur Entscheidung an.

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen liegen nicht vor, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

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