OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 03.02.2016 - 1 Ws 186/15
Fundstelle
openJur 2019, 34670
  • Rkr:
Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Gießen vom 23.04.2013 - Az.: ... - und der angefochtene Beschluss des Landgerichts Gießen vom 30.01.2015 werden aufgehoben.

Gründe

Die Beschwerde ist als Beschwerde gegen die letzte Haftentscheidung der Kammer vom 30.01.2015 zulässig (§ 304 StPO) und auch in der Sache erfolgreich.

Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Gießen vom 23.04.2013 (Az.: ...), welcher durch Beschluss des Landgerichts Gießen vom 30.01.2015 aus den Gründen seines Erlasses und des Urteils aufrechterhalten wurde, vorgeworfenen Straftaten nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Gießen vom 26.09.2013 des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe schuldig, nachdem das Urteil des Landgerichts Gießen vom 26.09.2013 im Schuldspruch rechtskräftig geworden ist (...) und nur noch der Rechtsfolgenausspruch in Frage steht.

Bei dem Angeklagten besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Angeklagte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen (s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 112, Rn. 17). Dabei sind die in dem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen zu berücksichtigen, wobei in der Regel die Erwartung einer hohen Strafe allein ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Fluchtgefahr begründen kann, die Anforderungen an zusätzliche Umstände sind jedoch umso geringer, je höher die Straferwartung ausfällt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 112, Rn. 24). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet die nicht rechtskräftig verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten auch unter Inbezugnahme der bisher erlittenen, anrechenbaren Untersuchungshaft derzeit noch einen beträchtlichen Anreiz, sich dem weiteren Fortgang des Strafverfahrens einschließlich der weiteren Strafvollstreckung nicht zur Verfügung zu halten. Bei einer Straferwartung in der bisher erkannten Höhe wäre das Strafende erst im Januar 2017 erreicht, da der Angeklagte Untersuchungshaft in der vorliegenden Sache seit dem 23.04.2013 verbüßt. Einer vorzeitig bedingten Entlassung nach § 57 StGB steht vorliegend entgegen, dass das Landgericht mit Urteil vom 30.01.2015 noch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet hat, so dass noch eine Reststrafenerwartung von rund elf Monaten besteht. Ausweislich der Urteilsgründe vom 30.01.2015 steht der Angeklagte im Übrigen einer solchen Unterbringung ablehnend gegenüber. Er möchte vielmehr eine Therapie nach § 35 BtMG durchführen. Der dadurch begründete Fluchtanreiz ist daher derzeit noch als erheblich zu beurteilen. Diesem Fluchtanreiz stehen genügend fluchthemmende Bindungen familiärer oder sonstiger Art nicht gegenüber.

(Von der Darstellung der nachfolgenden Ausführungen wird aus Gründen des Persönlichkeitsrechts abgesehen - die Red.)

Unter diesen Umständen spricht bei der gebotenen Gesamtabwägung weiterhin eine größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte sich im Falle seiner Freilassung dem weiteren Verfahren nicht zur Verfügung halten wird.

Gleichwohl führt die Beschwerde zur Aufhebung des Haftbefehls, weil das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist und die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft sich deshalb als unverhältnismäßig erweist (§ 120 Abs. 1 StPO).

Das Beschleunigungsgebot erfasst das gesamte Strafverfahren. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren [BVerfG, NStZ-RR 2005, 346 [BVerfG 30.06.2005 - 2 BvR 157/03]]. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates verstärkt sich mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft [BVerfG, Beschlüsse vom 13.05.2009, 2 BvR 388/09, 05.12.2005, 2 BvR 1964/05, und 16.03.2006, 2 BvR 170/06, jeweils zit. n. juris; NJW 1980, 1448]. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen. Zum anderen steigen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund [BVerfG, Beschlüsse vom 16.03.2006, 2 BvR 170/06, und 13.05.2009, 2 BvR 388/09, jeweils zit. n. juris]. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist [BVerfG, Beschluss vom 13.05.2009, 2 BvR 388/09, zit. n. juris]. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen [BVerfG, Beschlüsse vom 13.05.2009, 2 BvR 388/09, und 16.03.2006, 2 BvR 170/06, jeweils zit. n. juris; KG, Beschluss vom 03.11.2005, 3 Ws 532/15, 3 Ws 532/15, 141 AR 499/15, zit. n. juris]. Das Beschleunigungsgebot beansprucht insofern auch nach Erlass eines erstinstanzlichen Urteils Geltung [BVerfG, Beschluss vom 13.05.2009, 2 BvR 388/09, zit. n. juris; NStZ 2005, 456 [BVerfG 22.02.2005 - 2 BvR 109/05]; Senatsbeschluss vom 23.10.2015, 1 Ws 144/15]. Vor diesem Hintergrund kommt es im Rahmen der Abwägung zwischen Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängt [BVerfG, Beschlüsse vom 16.03.2006, 2 BvR 170/06, und 05.12.2005, 2 BvR 1964/05, jeweils zit. n. juris]. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden [BVerfG, Beschlüsse vom 16.03.2006, 2 BvR 170/06, und 05.12.2005, 2 BvR 1964/05, jeweils zit. n. juris].

Die Prüfung des Verfahrensverlaufs ergibt, dass das Verfahren bis Eingang beim Bundesgerichtshof am 05.02.2014 mit der gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist. Der Angeklagte wurde am 23.04.2013 vorläufig festgenommen. Die Staatsanwaltschaft hat nur einen Monat später am 23.05.2013 Anklage erhoben. Die Anklage ging am 28.05.2013 beim Landgericht Gießen ein. Am selben Tag verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Anklageschrift mit einer Stellungnahmefrist von einer Woche. Die Anklage wurde dem Verteidiger am 31.05.2014 zugestellt. Die zuständige Strafkammer hat am 02.07.2013 über die Eröffnung entschieden und Termin zu Hauptverhandlung auf den 06.09.2013 anberaumt, was dem unter Beschleunigungsgesichtspunkten noch hinnehmbaren Zeitraum von drei Monaten zwischen Eröffnungsreife und Terminsbeginn entspricht. Der Angeklagte wurde sodann im zweiten Fortsetzungstermin am 26.09.2013 durch die ... Strafkammer des Landgerichts Gießen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe tateinheitlich mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt; ferner wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Am 04.10.2013 legte der Verteidiger hiergegen Revision ein. Am 25.10.2013 gelangten die schriftlichen Urteilsgründe zur Geschäftsstelle. Das Urteil wurde am 29.10.2013 zugestellt. Durch Beschluss vom 10.12.2013 verwarf die Kammer die Revision als unzulässig, da keine form- und fristgerechte Revisionsbegründung bei Gericht eingegangen war. Am 19.12.2013 gingen bei Gericht ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und eine entsprechende Begründung der Revision bei Gericht ein. Mit Verfügung vom 06.01.2014 leitete der Vorsitzende die Akten an die Staatsanwaltschaft weiter. Am 28.01.2014 fertigte der Generalbundesanwalt eine Stellungnahme. Die Stellungnahme wurde dem Verteidiger am 06.02.2014 zugestellt. Die Stellungnahme des Generalbundesanwalts ging am 05.02.2014 beim Bundesgerichtshof ein.

Nach den genannten Maßstäben ist bei weiterer Prüfung jedoch festzustellen, dass das Verfahren nach Eingang beim Bundesgerichtshof (Az.: ...) am 05.02.2014 den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht mehr vollständig gerecht wird. Eine relevante Verfahrensverzögerung ergibt sich insofern daraus, dass die Akten dem Berichterstatter durch den Vorsitzenden erst am 26.05.2014 zugeleitet wurden. Bereits diese mangelnde Förderung des Verfahrens zwischen Eingang des Verfahrens und Zuweisung an den Berichterstatter im Jahr 2014 führt zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer.

Ein sachlicher Grund, welcher den Zeitraum von etwa drei Monaten zwischen Ablauf der Frist zur Gegenerklärung und Zuweisung rechtfertigt und eine den staatlichen Verfolgungsorganen zurechenbare und vermeidbare Verfahrensverzögerung ausschießt, ist nicht ersichtlich. Selbst unter Berücksichtigung einer angemessen Bearbeitungszeit hätte im vorliegenden Verfahren, welches sich als nicht überdurchschnittlich umfangreich und schwierig darstellt, nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme mit einer Zuleitung binnen einer Woche gerechnet werden können. So erfolgte die Zuleitung des Vorsitzenden an den Berichterstatter zu Az.: ...bezüglich der Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 30.06.2015 nach Zustellung an den Verteidiger am 06.07.2015 bereits am 26.07.2015, wobei die Akte dem Vorsitzenden rund zwei Wochen nach Zustellung vorgelegt worden sein dürfte. Hier ist eine zügige Zuweisung erfolgt. In Haftsachen müssen die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit eine gerichtliche Entscheidung über den Anklagevorwurf herbeizuführen [BVerfG, Beschluss vom 16.03.2006, 2 BvR 170/06, zit. n. juris; KG, Beschluss vom 03.11.2005, 3 Ws 532/15, 3 Ws 532/15, 141 AR 499/15, zit. n. juris]. Auch im Revisionsverfahren gilt daher der Grundsatz der vorrangigen Behandlung von Haftsachen gegenüber Nichthaftsachen und von besonderen Haftsachen gegenüber anderen Haftsachen [BVerfG, NJW 2006, 272]. Notfalls sind auch bereits terminierte Nichthaftsachen zu Gunsten von Haftsachen zurückzustellen [BVerfG, NJW 2006, 272]. Auch wenn sich für die Durchführung eines strafgerichtlichen Revisionsverfahrens starre zeitliche Grenzen nur schwer festlegen lassen, kann dies gleichwohl nicht bedeuten, dass das Revisionsgericht in der Erledigung seiner Verfahren frei wäre [BVerfG, NJW 2006, 272]. Kommt es zu Verfahrensverzögerungen, kann etwa die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Dies gilt selbst dann, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Die Überlastung des Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich gefassten Gemeinschaft [BVerfG, Beschluss vom 30.07.2014, 2 BvR 1457/14, BeckRS 2014, 54605].

Der Vorsitzende Richter des zuständigen 2. Strafsenats am Bundesgerichthof hat auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 13.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben:

"(...), auf Ihre Anfrage teile ich mit, dass mir die Sache ... vermutlich am 07. Februar 2014 zugeleitet wurde. Am 26. Mai 2014 habe ich das Senatsheft gelesen und an den Berichterstatter zugeleitet. Besondere Gründe in der Sache, die zu der überdurchschnittlich langen Liegezeit bei mir Anlass gaben, gab es nicht. Die Verzögerung beruhte vielmehr auf der allgemeinen Geschäftslage des Senats mit einer hohen Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreichen Hauptverhandlungen und einer Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren."

Zwar kann die kurzfristige, weder voraussehbare noch vermeidbare Überlastung des Gerichts einen wichtigen Grund für eine Verzögerung des Verfahrens darstellen, nicht jedoch eine nicht behebbare Belastung des Spruchkörpers. Gemäß der Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kann zum damaligen Zeitpunkt nicht von einer nur kurzfristigen Überlastung des Gerichts gesprochen werden, da er ausdrücklich die hohe Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreiche Hauptverhandlungen und eine Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren anspricht. Es verbleibt deshalb bei einer der Justiz zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von rund drei Monaten, die unter Beschleunigungsaspekten nicht mehr hinzunehmen ist.

Die Verzögerung des Verfahrens ist auch nicht etwa durch eine spätere besonders intensive Bearbeitung ausgeglichen worden, auch wenn Verzögerungen letztlich auf den Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt A teilweise zurückzuführen sind. Unabhängig davon, ob die Heilung einer schon eingetretenen Verletzung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes durch nachfolgende überpflichtmäßige Beschleunigung überhaupt möglich ist [hierzu BVerfG, NJW 2006, 272], wären die Strafverfolgungsorgane und Gerichte nunmehr verpflichtet gewesen, das Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben. Gemessen daran stellt sich die weitere Bearbeitung nicht als eine hervorzuhebende besondere Förderung dar. Erst durch Beschluss vom gewährte der Bundesgerichtshof zu Az.: ...Wiedereinsetzung, hob das Urteil vom 26.09.2013 im Rechtsfolgenausspruch auf und verwarf die Revision im Übrigen. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache an eine andere große Strafkammer des Landgerichts Gießen zurückverwiesen. Die Schlussverfügung des Bundesgerichtshofes datiert auf den 30.10.2014. Am 13.11.2014 gingen die Akten bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein, von wo sie an die Staatsanwaltschaft Gießen geschickt wurden. Dort gingen die Akten am 20.11.2014 ein. Die Akten gingen beim Landgericht Gießen sodann am 27.11.2014 ein. Am 18.12.2014 führte die Vorsitzende Terminsgespräche mit dem Verteidiger, wobei ein Termin am 23.01.2015 angeboten wurde, an dem der Verteidiger aber nicht verfügbar war. Am 30.12.2015 terminierte der Vorsitzende absprachegemäß auf den 30.01.2015. Am 30.01.2015 wurde der Angeklagte durch die 2. große Strafkammer des Landgerichts Gießen zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt; ferner wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Am 05.02.2015 legte der Verteidiger Rechtsanwalt Revision hiergegen ein. Das Urteil gelangte entsprechend eines Vermerks der Vorsitzenden am 06.03.2015 zur Geschäftsstelle und wurde am 10.03.2015 zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist lief damit am 10.04.2015 ab. Durch Beschluss vom 15.04.2015 verwarf das Landgericht Gießen die Revision als unzulässig, da keine form- und fristgerechte Revisionsbegründung bei Gericht eingegangen war. Am 29.04.2015 ging ein Schreiben des Angeklagten vom 22.04.2015 beim Landgericht ein. Die Geschäftsstelle leitete es unter dem 30.04.2015 an die Staatsanwaltschaft weiter. Die Staatsanwaltschaft übersandte das Schreiben am 15.05.2015 dem Verteidiger mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen, ob es sich bei dem Schreiben um einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung handelt. Es ging keine Stellungnahme ein. Am 09.06.2015 nahm die Staatsanwaltschaft dahingehend Stellung, dass das Schreiben des Angeklagten als Wiedereinsetzungsantrag auszulegen sei und leitete die Akten wieder dem Landgericht zu, das die Akte unter dem 15.06.2015 unter Hinweis auf §§ 46, 347 StPO zurückleitete und um weitere Veranlassung (Weiterleitung an den Bundesgerichtshof) bat. Am 17.06.2015 wurde die Fertigung eines Übersendungsberichts an den Generalbundesanwalt verfügt. Am 30.06.2015 nahm der Generalbundesanwalt Stellung. Die Stellungnahme und der Antrag wurden dem Verteidiger Rechtsanwalt A am 06.07.2015 zugestellt. Am 03.07.2015 ging die Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (Az.: ...) ein. Am 26.07.2015 wurde die Akte dem Berichterstatter durch den Vorsitzenden zugeleitet. Am 20.08.2015 teilte Rechtsanwalt B dem Landgericht Gießen die Vertretung des Angeklagten mit und beantragte Akteneinsicht. Am 25.08.2015 teilte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt B mit, dass die angeforderte Akte nicht übersandt werden kann, weil sie zur Zeit anderweitig versandt sei und voraussichtlich erst wieder in vier Wochen zur Verfügung stände. Am 06.10.2015 teilte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt B mit, dass die Akte zur Durchführung der Revision an den Generalbundesanwalt übersandt worden sei und sein Schreiben der Akte nachgesandt werde. Am 15.10.2015 wurde Rechtsanwalt B durch den Bundesgerichtshof Akteneinsicht gewährt. Am 23.10.2015 wurde Rechtsanwalt B die Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 30.06.2015 zugeleitet. Die Akten gelangten am 30.10.2015 an den Bundesgerichtshof zurück. Mit Schriftsatz vom 16.11.2015 nahm Rechtsanwalt B Stellung, beantragte Wiedereinsetzung und begründete die Revision. Am 20.11.2015 nahm der Generalbundesanwalt zum Schreiben von Rechtsanwalt B vom 16.11.2015 Stellung. Die Stellungnahme ging am 26.11.2015 beim Bundesgerichtshof ein. Die Stellungnahme des Generalbundesanwalts wurde Rechtsanwalt A und Rechtsanwalt B am 27.11. und 08.12.2015 zugestellt. Laut telefonischer Auskunft der Geschäftsstelle des 2. Strafsenats beim Bundesgerichtshof vom 02.02.2016 hat der Bundesgerichtshof über den Wiedereinsetzungsantrag und die Revision noch nicht entschieden. Somit stellt sich der weitere Ablauf des Verfahrens nicht als überdurchschnittlich zügig dar. Die erste Entscheidung des Bundesgerichtshofes datiert erst unter dem 08.10.2014. Das Landgericht hat zwar das weitere Verfahren nach Teilaufhebung angemessen gefördert. Es erschließt sich aber später nicht, warum das Akteneinsichtsgesuch des Verteidigers Rechtsanwalt B durch die Staatsanwaltschaft nicht bereits am 25.08.2015 weitergeleitet worden ist. Das zweite Verfahren beim Bundesgerichtshof (Az.: ...) ist fast sieben Monaten nach Eingang beim Bundesgerichtshof noch nicht abgeschlossen, wobei aber zu berücksichtigen ist, dass eine Revisionsbegründung durch einen Rechtsanwalt erst am 16.11.2015 beim Bundesgerichtshof vorlag.

Auch wenn sich mit der Verurteilung - auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist - das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs vergrößert [BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005, 2 BvR 109/05, BeckRS 2005, 24599], ist die vorliegend eingetretene - von den Justizbehörden zu vertretende Verfahrensverzögerung - in einem durchschnittlich gelagerten (Revisions-) Verfahren wie dem hiesigen - der Angeklagte war in der Hauptverhandlung in vollem Umfang geständig - selbst unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der zu erwartenden mehrjährigen Freiheitsstrafe nicht mehr zu rechtfertigten. Hier ist maßgeblich in Blick zu nehmen, dass die Untersuchungshaft inzwischen über zwei Jahre und neun Monate andauert. Bei einer derart langen Dauer der Untersuchungshaft ist auch einer einzelnen Verzögerung von etwa drei Monaten besonderes Gewicht beizumessen.

Deshalb war der Haftbefehl auf die Beschwerde hin aufzuheben.

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