LAG Köln, Urteil vom 06.09.2019 - 7 SaGa 16/19
Fundstelle
openJur 2019, 34556
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 Ga 45/19

Einzelfall einer einstweiligen Verfügung auf Gewährung von Freistellung für einen bestimmten Zeitraum zum Zwecke der Urlaubsnahme.

Tenor

Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.09.2019 in Sachen 2 Ga 45/19 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in der Berufungsinstanz noch darum, ob der Verfügungsbeklagte/Berufungskläger den Verfügungskläger/Berufungsbeklagten in der Zeit vom 09.09. bis einschließlich 27.09.2019 zum Zwecke der Urlaubsnahme von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen hat.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, dem Freistellungsantrag des Klägers für den Zeitraum 09.09 bis 27.09.2019 stattzugeben, für andere erstinstanzlich darüber hinaus beantragte Zeiträume jedoch abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 05.09.2019 Bezug genommen.

Das Urteil des ersten Rechtszuges wurde dem Verfügungsbeklagten am 05.09.2019 um 15.50 Uhr zugestellt. Dieser hat noch am selben Tage gegen das vorgenannte Urteil Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Verfügungsbeklagte wiederholt seine Auffassung, dass es für die vom Verfügungskläger begehrte einstweilige Verfügung bereits an einem Verfügungsgrund fehle. Die vom Verfügungskläger insoweit behaupteten familiären Gründe seien weder hinreichend dargetan noch glaubhaft gemacht worden. Im Übrigen habe der Kläger die Dringlichkeit durch vorsätzliche und verzögerte Antragstellung selbst herbeigeführt. Der urlaubserfahrene Verfügungskläger habe den Urlaubsantrag an die falsche Stelle gerichtet.

Außerdem, so der Berufungskläger, fehle es an einem Verfügungsanspruch. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, ob dem Verfügungskläger noch 30 Urlaubstage zugestanden hätten. Der noch offene Resturlaub von weiteren 30 Tagen stamme aus dem Jahr 2017. Warum dieser Resturlaub aus 2017 ausgerechnet im streitgegenständlichen Zeitraum im September 2019 genommen werden müsse, erschließe sich nicht.

Ferner habe das Arbeitsgericht ihm, dem Arbeitgeber, auch unberechtigt vorgeworfen, nicht vorgetragen zu haben, wie viele Arbeitnehmer er für weitere Schichten benötige und wie er die Arbeitskapazität hierfür einsetzen könne. Das Gericht hätte ohne weiteres bei dem Verfügungsbeklagten nachfragen können. Hierfür sei auch eine präsente Zeugin anwesend gewesen.

Die Angaben zu den Urlaubswünschen anderer Arbeitnehmer seien im Übrigen auch nicht zu pauschal gewesen. Diese Angaben ergäben sich vielmehr aus den vorgelegten Lohnübersichten und Dienstplänen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Verfügungsbeklagte hierzu weiter ausgeführt, dass einer anderen Mitarbeiterin ein Urlaubsantrag für September 2019 aus betrieblichen Gründen abgelehnt worden sei und einem weiteren Mitarbeiter statt beantragter 3 Wochen nur 2 Wochen gewährt worden seien.

Der Verfügungsbeklagte und Berufungskläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.09.2019, Aktenzeichen 2 Ga 45/19 abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Verfügungskläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger und Berufungsbeklagte tritt den Ausführungen des Berufungsklägers entgegen und verteidigt die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift und der Berufungserwiderungsschrift wird ergänzend Bezug genommen.

Gründe

I. Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.09.2019 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen formal ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Verfügungsbeklagten konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben. Dass das Arbeitsgericht dem Antrag des Verfügungsklägers, in der Zeit vom 09.09. bis einschließlich 27.09.2019 zum Zwecke der Urlaubsnahme von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt zu werden, stattgegeben hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Annahme des Berufungsklägers fehlt es für den Erlass der vom Verfügungskläger begehrten einstweiligen Verfügung insoweit weder an einem Verfügungsanspruch, noch an einem Verfügungsgrund.

1. Der Verfügungsanspruch des Klägers ergibt sich zum einen daraus, dass zugunsten des Klägers im Zeitpunkt des Beginns der begehrten Freistellung am 09.09.2019 noch der gesamte Jahresurlaubsanspruch 2019 offenstand. Dies folgt aus dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien. Danach hatte der Kläger im gesamten Urlaubsjahr 2017 - insbesondere wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit - keinen Erholungsurlaub verwirklicht. Im Jahre 2018 und in der ersten Hälfte des Jahres 2019 hatte der Verfügungskläger dagegen jeweils 30 Arbeitstage Urlaub erhalten. Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass sich eine Erfüllungsleistung bei mehreren noch offenen gleichartigen Ansprüchen auf die jeweils älteste Schuld bezieht (vgl. § 366 Abs. 2 BGB), bewirkte der im Jahre 2018 gewährte Erholungsurlaub die Erfüllung des Erholungsurlaubsanspruchs des Klägers für das Jahr 2017, und durch die in der ersten Hälfte des Jahres 2019 gewährten 30 Urlaubstage wurde der Urlaubsanspruch für das Jahr 2018 getilgt.

2. Ein Verfall des Erholungsurlaubsanspruchs des Klägers für das Jahr 2017 hatte nach den Grundsätzen der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Urlaubsrecht (vgl. insbesondere BAG vom 19.02.2019, 9 AZR 423/16) noch nicht eintreten können.

3. Es kann nach dem Vortrag des Verfügungsbeklagten auch nach wie vor nicht ausreichend nachvollzogen werden, dass dringende betriebliche Erfordernisse einer Urlaubsfreistellung des Klägers in dem beantragten Zeitraum im Dezember 2019 entgegengestanden hätten.

a. Der Arbeitgeber hat seine Personalplanung grundsätzlich daran auszurichten, dass zum einen alle von ihm für erforderlich gehaltenen betrieblichen Arbeiten erledigt werden können, dass aber auch andererseits alle Arbeitnehmer die Möglichkeit haben müssen, den ihnen zustehenden Erholungsurlaub vollständig in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich können daher nur nicht einplanbare, unvorhergesehene Ereignisse dringende betriebliche Belange begründen, die dem Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers rechtmäßig entgegengehalten werden können.

b. Hierzu hat der Verfügungsbeklagte weder erst- noch zweitinstanzlich nachvollziehbaren konkreten Vortrag gehalten. Insbesondere hat der Beklagte an keiner Stelle dargelegt, aus welchen Gründen er welche Mindestbesetzung seiner Filiale für erforderlich hält, die durch die Urlaubsgewährung an den Kläger im September 2019 gefährdet worden wäre. Die Vorlage unkommentierter umfangreicher Anlagen, aus denen sich das Gericht selbst die passenden Informationen heraussuchen soll, genügt dem prozessualen Vortragserfordernis nicht.

c. Der Verfügungskläger seinerseits muss sich dagegen entgegen der Annahme des Beklagten für die zeitliche Festlegung seines Urlaubswunsches grundsätzlich nicht rechtfertigen. § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG besagt nämlich, dass "bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs ... die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen" sind, "es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange ... entgegenstehen".

d. Ebenso wenig hat der Verfügungsbeklagte ausreichend dargelegt, dass Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, dem Freistellungswunsch des Klägers für die Zeit vom 09.09. bis 27.09.2019 entgegenstanden. Unabhängig davon, dass es, wie bereits ausgeführt, an konkreten Angaben des Verfügungsbeklagten dazu fehlt, welchen Umfang die betrieblich erforderliche Mindestbesetzung der Filiale umfasst, hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht einräumen lassen, dass zumindest auch einem anderen Arbeitnehmer für September 2019 zwei Wochen Urlaub gewährt worden sind. Warum dessen Urlaubswunsch vorrangig zu berücksichtigen war, hat der Verfügungsbeklagte indessen nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass der Kläger im 1. Halbjahr 2019 bereits 30 Tage Resturlaub aus dem Vorjahr erhalten hatte, reicht hierfür nicht aus. Dieser Gesichtspunkt kann unter Umständen eine Rolle spielen, jedoch erscheint dies keineswegs zwingend. Der Kläger hatte im Jahre 2017 keinerlei Erholungsurlaub. Der ihm zweifelsfrei jetzt noch zustehende Urlaub muss grundsätzlich bis zum Jahresende 2019 genommen werden. Es ist auch in keiner Weise bekannt, ob der andere Arbeitnehmer, dem im September 2019 Urlaub gewährt wurde, nicht ebenfalls bereits zuvor Urlaubsansprüche hatte verwirklichen können.

4. Entgegen der Auffassung des Berufungsklägers steht dem Verfügungskläger auch ein Verfügungsgrund zu.

a. Nach der Ablehnung des Urlaubsantrags des Klägers durch Schreiben der Personalabteilung der Beklagten vom 05.07.2019 (Bl. 69 d. A.) stand dem Verfügungskläger nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung, um seinen Freistellungsantrag für die Zeit vom 09.09. bis 27.09.2019 im Rahmen eines regulären Klageverfahrens durchzusetzen.

b. Entgegen der Darstellung des Berufungsklägers hat der Verfügungskläger den Verfügungsgrund, d. h. die Eilbedürftigkeit seines Antrags, auch nicht treuwidrig selbst herbeigeführt. Im Gegenteil: Die diesbezügliche Argumentation des Verfügungsbeklagten erscheint ihrerseits widersprüchlich und treuwidrig.

aa. Unstreitig wandte sich der Kläger mit seinem Urlaubswunsch "Ende Juni/Anfang Juli 2019" an den nach der Darstellung der Beklagten für die Urlaubserteilung allein zuständigen Restaurantleiter A . Dies ergibt sich aus der vom Verfügungsbeklagten selbst vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Restaurantleiters A . Nach eigenem Bekunden des Restaurantleiters in seiner eidesstattlichen Versicherung, insoweit deckungsgleich mit der Darstellung des Verfügungsklägers, verwies der Restaurantleiter den Verfügungskläger darauf, dass er ja im Jahre 2019 bereits 30 Urlaubstage gehabt habe. Auf den Einwand des Verfügungsklägers, dass es sich dabei aber nur um Alturlaub gehandelt habe, verwies der Restaurantleiter den Verfügungskläger nunmehr unstreitig an Dritte. Er sah sich offensichtlich nicht in der Lage zu beurteilen, ob dem Verfügungskläger noch weitere Urlaubsansprüche zustanden, und forderte den Verfügungskläger auf, sich an die sog. "Operationsmanagerin" Frau K (so der Restaurantleiter) oder an die Personalabteilung (so der Verfügungskläger) zu wenden.

bb. Unverzüglich richtete der Kläger daraufhin mit Schreiben vom 03.07.2019 seinen Urlaubsantrag u. a. für die Zeit vom 09.09. bis 27.09.2019 an die Personalabteilung des Beklagten. Mit Schreiben vom 05.07.2019 (Bl. 69 d. A.) lehnte die Personalabteilung den Urlaubsantrag des Verfügungsklägers ab. Dabei führte sie aus: "Die Verwaltung ist nicht dazu befähigt, Urlaubsanträge zu bewilligen. Wenden Sie sich bei solchen Angelegenheiten bitte an ihren Restaurantmanager."

cc. Im üblichen Geschäftsgang einer normal funktionierenden Verwaltung hätte diese den Urlaubsantrag des Klägers, wenn sie sich hierfür unzuständig gefühlt hätte, von sich aus an den zuständigen Restaurantmanager weitergeleitet. In diesem Fall hätte die Personalabteilung auch sogleich erfahren, dass der Restaurantleiter bereits vorher vom Verfügungskläger wegen des Urlaubsantrags kontaktiert worden war und sich für unzuständig erklärt hatte.

dd. Der Kläger schaltete nunmehr seine Gewerkschaft ein, die mit Schreiben vom 06.08.2019 die Urlaubswünsche des Klägers erneut bei dem Beklagten anbrachte. Entgegen der Darstellung des Beklagten wandte sich die Gewerkschaft nicht ausdrücklich an die Personalabteilung des Verfügungsbeklagten, sondern richtete ihr Schreiben neutral an die "J. H S e. (Bl. 70 d. A.)

ee. Gleichwohl antwortete der Beklagte durch Schreiben seines Prokuristen vom 14.08.2019 an die Gewerkschaft des Klägers wiederum mit dem lapidaren Hinweis, "dass die Verwaltung nicht für die Urlaubsgewährung zuständig ist, sondern der Restaurantleiter des Restaurants. Ihr Mitglied möge sich bitte in solchen Angelegenheiten an den Restaurantleiter Herrn A wenden."

Auch Mitte August 2019 verweist der Beklagte somit den Kläger erneut wegen seines Urlaubsantrags an den Restaurantleiter, der sich bereits Ende Juni/Anfang Juli 2019 dem Kläger gegenüber für unzuständig erklärt hatte.

c. Die Verzögerung der Klärung der streitigen Angelegenheit des Urlaubsantrags für September 2019 ist somit aus objektiver Sicht ganz wesentlich dem Verfügungsbeklagten und nicht dem Verfügungskläger anzulasten.

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