AG Münster, Urteil vom 16.11.2018 - 36 Ds-61 Js 3219/16-45/17
Fundstelle
openJur 2019, 34467
  • Rkr:
Tenor

Der Angeklagte wird wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Nötigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 35,- € verurteilt.

Weiterhin wird gegen den Angeklagten wegen Verstoßes gegen §§ 23 Abs. 1a), 36 Abs. 5 S. 4, 49 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 100,- € festgesetzt.

Dem Angeklagten wird gestattet, die erkannte Geldstrafe in monatlichen Raten von 100,- €, beginnend mit dem 1. des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats zu zahlen. Gerät er mit einer Rate in Verzug, wird der gesamte Rest sofort fällig.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie seine eigenen notwendigen Auslagen.

Angewendete Vorschriften: §§ 113 Abs. 1, 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 21, 22, 23, 53 StGB, §§ 23 Abs. 1a), 36 Abs. 5 S. 4, 49 StVO, 24 StVG

Gründe

I.

Der Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder. Er wohnt seit ca. 2,5 Jahren in einer Einliegerwohnung im Elternhaus. Zuvor hat er mit Unterbrechungen ebenfalls überwiegend bei seinen Eltern gelebt.

Der Angeklagte arbeitet als Disponent und verdient ca. 1.100,- € netto monatlich, ist jedoch wegen einer psychischen Erkrankung, einer paranoiden Schizophrenie, bereits länger krankgeschrieben.

Der Angeklagte ist ausweislich seines Bundeszentralregisterauszuges vom 08.11.2018 bereits vorbestraft. So wurde er am 13.04.2016 vom Amtsgericht Münster (36 Ds 139/15 61 Js 314/15) wegen versuchter Nötigung - zum Nachteil eines Polizeibeamten nach einer allgemeinen Verkehrskontrolle - zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45,- € verurteilt.

II.

1.

Am Mittag des 07.09.2016, gegen 13:35 Uhr, führte der Angeklagte einen mit Fahrgästen besetzten Bus im Linienverkehr der RVM auf der B-Straße Richtung Altenberge. Dort hatte der Zeuge POK G eine Kontrollstelle für die gezielte Überwachung von Handyverstößen am Steuer eingerichtet.

Der Angeklagte hielt während der Fahrt ein schwarzes Smartphone am Ohr und führte Sprechbewegungen aus. Aus diesem Grund setzte der Zeuge G, der ein polizeiliches Dienstmotorrad führte, dem Bus des Angeklagten mit dem amtl. Kennzeichen ST - ... ...# auf der B-Straße nach, überholte ihn und setzte vor dem Bus das Signalzeichen "Bitte Folgen", wobei er gleichzeitig mit seinem rechten Arm ein deutliches Zeichen gab, dass er an der Bushaltestelle im Gewerbegebiet Nienberge anhalten sollte. Der Angeklagte setzte seine Fahrt unbeirrt mit gleicher Geschwindigkeit fort. Der Zeuge G, der bereits an der vorgenannten Bushaltestelle angehalten hatte, setzte sich daraufhin erneut nach einem entsprechenden Überholvorgang vor den Bus des Angeklagten und forderte ihn über einen Außenlautsprecher auf, anzuhalten. Diesem leistete der Angeklagte schließlich Folge.

2.

Der Zeuge G begab sich in den Bus des Angeklagten und forderte ihn, um für ein einzuleitendes und durchzuführendes Ordnungswidrigkeitenverfahren die Personalien des Angeklagten festzustellen, auf, sich auszuweisen. Dem kam der Angeklagte nicht nach. Der Angeklagte reagierte sofort verbal aggressiv, war angeschwitzt und errötet. Er äußerte gegenüber dem Zeugen sinngemäß, dass er nicht glaube dass der Zeuge Polizist sei. Der Zeuge hatte zwar keinen Dienstausweis dabei, war allerdings äußerlich durch die Uniform, Helm, Handschuhe, Dienstwaffe, Polizeimotorad deutlich als Polizeibeamter zu erkennen. Aufgrund der hitzigen Situation forderte der Zeuge über die Leitstellte des Polizeipräsidiums Münster Unterstützung an.

Entweder davor, oder danach, jedenfalls aber als der Zeuge G sich noch als einziger Polizeibeamter im Bus befand, verschloss der Angeklagte, um den Zeugen am Verlassen des Busses und zum Unterlassen der Aufnahme der Personalien des Angeklagten zu hindern, die Bustür und startete den Bus. Erst als der Zeuge äußerte, dass es "kein Gutes Ende nehmen würde", wenn er den Motor nicht sofort ausschalte, kam er der Aufforderung den Bus abzuschalten und die Tür wieder zu öffnen nach.

Erst nachdem die Unterstützung des Zeugen vor Ort eintraf, händigte der Angeklagte dem Zeugen seinen Führerschein, Personalausweis und den Fahrzeugschein aus. Daraufhin verließ der Zeuge den Bus und der Angeklagte setzte seine Fahrt fort.

3.

Am Tattag gegen 14:45 Uhr kontrollierte der Zeuge POK G auf der B-Straße ein weiteres Fahrzeug. Während dieser Kontrolle näherte sich der Angeklagte mit seinem nunmehr leeren Bus auf der B-Straße in Gegenrichtung. Der Zeuge dachte, der Angeklagte würde sich bei dem Zeugen entschuldigen wollen. Stattdessen hielt der Angeklagte den Bus an, bat den Zeugen zu sich und äußerte sinngemäß, "er solle sich das mit der Anzeige noch einmal überlegen. Falls er eine Anzeige schreiben würde, sollte er lieber Tag und Nacht seine Dienstwaffe dabei haben. Er werden ja sehen, was er davon habe." Dadurch wollte der Angeklagte erreichen, dass der Zeuge POK G keine Straf- oder Ordnungswidrigkeitenanzeige gegen ihn erstattet, was der Zeuge gleichwohl am 10.09.2016 tat.

Dem Zeugen, dem der Name des Angeklagten wegen des Strafverfahrens 36 Ds 139/15 61 Js 314/15 von Kollegen bekannt war, nahm aufgrund dieses Vorfalls und des Vorfalls des Strafverfahrens 36 Ds 139/15 61 Js 314/15, die Drohung durchaus ernst und setzte sofort seinen Dienstvorgesetzen in Kenntnis. Ferner veranlasste er, dass ihm im Falle eines Notrufs durch ihn oder durch seine Familie besonderer Polizeischutz gewährt würde. Er führte sogar ein gerichtliches Gewaltschutzverfahren gegen den Angeklagten.

Tatsächlich nahm der Angeklagte, mit Ausnahme während der ersten Hauptverhandlung in dieser Sache am 16.03.2018, keinen Kontakt mit dem Zeugen auf.

Während der zu 1.-3. genannten Taten war der Angeklagte aufgrund einer paranoiden Schizophrenie erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt.

III.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf der geständigen Einlassung des Angeklagten sowie der Anhörung des Sachverständigen.

In der Sache hat sich der Angeklagte nicht eingelassen. Die Feststellungen folgen insoweit aus den Bekundungen des Zeugen POK G in der Hauptverhandlung, der den Sachverhalt detailreich und widerspruchsfrei, aber auch teilweise mit nachvollziehbaren Erinnerungslücken schilderte. Der Zeuge hat den Sachverhalt nahezu identisch im Rahmen seiner Anzeige (Bl. 2 ff. d. Akte) wiedergegeben. Nach dem persönlichen Eindruck hat der Zeuge auch keine großartige Belastungstendenz. Der Zeuge will vielmehr mit der Sache abschließen und von dem Angeklagten in Ruhe gelassen werden. Besonders glaubhaft wirkte auf das Gericht, dass der Zeuge sich bei Ausübung seiner Diensthandlung stark beeinträchtigt fühlte und dass er im Nachhinein die Äußerungen des Angeklagten durchaus ernst nahm. Andernfalls hätte er solch aufwändige Schutzmaßnahmen (Dienstvorgesetzten informieren, Notruf installieren, Durchführung eines Gewaltschutzverfahrens, Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins in Begleitung einer Rechtsanwältin) nicht ergriffen. Es erscheint plausibel, dass er, wie er selbst ausführt, so etwas während seiner langen Dienstzeit noch nicht erlebt haben will.

Die Feststellungen bezüglich der Verantwortlichkeit des Angeklagten folgen aus der Anhörung des Sachverständigen Dr. B. Der Sachverständige verfügt gerichtsbekannt über langjährige Erfahrung bei der (gerichtlichen) Begutachtung zur Frage der Schuldfähigkeit in Strafverfahren. In der Hauptverhandlung wurden die im Vorfeld von dem Sachverständigen erstellten Gutachten vom 09.11.2017 (Bl. 71 ff. d. Akte) sowie 04.05.2018 (Bl. 122 ff. d. Akte) erörtert und zusammenfassend wiedergegeben. Das Ergänzungsgutachten war erforderlich geworden, nachdem sich während der letzten Hauptverhandlung am 16.03.2018 ein Zwischenfall ereignete, der sowohl das Gericht als auch den Sachverständigen daran zweifeln ließ, ob das Ergebnis der Erstbegutachtung, wonach der Angeklagte nicht erheblich beeinträchtigt sein sollte (Bl. 95 d. Akte, S. 25 d. GA), sich würde aufrechterhalten lassen. Der Sachverständige hatte aber gerade durch diesen Vorfall die Möglichkeit, den Angeklagten in einer für ihn akuten Stresssituation (Hauptverhandlung) wahrzunehmen und zu begutachten. Zuvor konnte er das Gutachten lediglich nach Aktenlage und unter Beiziehung der Krankenunterlagen sowie einer 1:1 Exploration des Angeklagten erstellen. Jedenfalls änderte der Sachverständige seine Diagnose von einer akuten schizophrenieformen psychotischen Störung sowie einer leichten depressiven Episode auf eine paranoide Schizophrenie (Bl. 129 d. Akte, 8 des E-GA). Er erläuterte, dass sich Letztere zum früheren Zeitpunkt nicht mit der erforderlichen Sicherheit habe feststellen lassen. Der Unterschied der Erkrankungen bestehe darin, dass der der Zustand der paranoiden Schizophrenie in zeitlicher Hinsicht dauerhaft vorliege, wohingegen die akute schizophrenieformen psychotischen Störung lediglich in Stresssituation auftrete und sich der Zustand des Betroffenen danach wieder normalisieren würde. Der Sachverständige befürchte aber, dass sich der Zustand bei dem Angeklagten chronifiziere. Als einen wesentlichen Auslöser sehe der Sachverständige das problematische Verhältnis des Angeklagten zu seinen Eltern und zu seiner Schwester. Einen normalen Entwicklungs- und Trennungsprozess habe der inzwischen 37-jährige Angeklagte nie durchlebt. Der Sachverständige bekräftigte sodann seine Einschätzung aus der letzten Hauptverhandlung vom 16.03.2018, wonach nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sein könnte. Von einer (nicht ausschließbaren) gänzlichen Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit hat der Sachverständige nicht gesprochen.

IV.

Der Angeklagte hat sich daher wie aus dem Tenor ersichtlich gemäß §§ 113 Abs. 1, 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 21, 22, 23, 53 StGB, strafbar gemacht. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt konnte nach den sachverständigen Ausführungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, so dass § 21 StGB anzuwenden war.

Ferner hat er eine Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 23 Abs. 1a), 36 Abs. 5 S. 4, 49 StVO, 24 StVG begangen.

V.

Bei der Strafzumessung hat sich das Gericht von folgenden Erwägungen leiten lassen. Der Angeklagte war nach den Strafrahmen der §§ 113 Abs. 1, 240 Abs. 1, die jeweils Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsehen, zu bestrafen, wobei die Strafe gemäß den §§ 21, 22, 23, 49 StGB wegen der verminderten Schuldfähigkeit sowie des Versuchs der Nötigung gemildert wurde. Strafmildernd wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte letztlich eine gewisse Therapiebereitschaft zeigt. Strafschärfend musste demgegenüber berücksichtigt werden, dass der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und er die genannten besondere Auswirkungen bei dem geschädigten Zeugen G ausgelöst hat. Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erschienen daher für die Tat zu 2. eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35,- € und für die Tat zu 3. eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 35,- € tat- und schuldangemessen, die gemäß §§ 53, 54 StGB unter besonderer Berücksichtigung der Strafmildernden Umstände auf eine Gesamtgeldstrafe von

60 Tagessätzen zu je 35,- €

zurückgeführt werden konnten. Die Tagessatzhöhe entspricht den Einkommensverhältnissen des Angeklagten.

VI.

Eine Unterbringung nach § 63 StGB kam nicht in Betracht, da der Angeklagte nach den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen auch zukünftig wohl "nur" verbal aggressiv werden dürfte, so dass schon keine erheblichen rechtswidrigen Taten im Sinne der Vorschrift zu erwarten sind.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.

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