LAG Hamm, Beschluss vom 23.08.2019 - 13 TaBV 44/18
Fundstelle
openJur 2019, 33974
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 20.06.2018 - 1 BV 1/18 - abgeändert.

Der Antrag wird abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines durch Einigungsstellenspruch zustande gekommenen Sozialplans.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Automobilzulieferbranche. Sie gehört zum weltweit agierenden E-Konzern, in dem aktuell ca. 9.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Davon wurden ca. 640 Mitarbeiter (Stand: Januar 2018) für die Arbeitgeberin in ihrem Betrieb in Q tätig. Dort besteht der zu 2) beteiligte Betriebsrat.

Die Arbeitgeberin befindet sich seit langem in finanziellen Schwierigkeiten. Ihre Gesellschafterin bzw. andere Konzerngesellschaften fingen in den vergangenen

Jahren liquiditätswirksame Verluste von mehr als 140 Millionen Euro auf. Der laufende Geschäftsbetrieb wurde bis zur Betriebsschließung am 30.04.2019 durch Zahlungen konzernangehöriger Unternehmen aufgrund von diesen erteilter schriftlicher Liquiditätszusagen sichergestellt.

Eine Liquiditätszusage vom 22.02.2017 über einen Höchstbetrag von 20 Millionen Euro für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2018 wurde "für eine insolvenzvermeidende Sanierung" erteilt. Nr. 3 Satz 4 und 5 der Zusage lauten:

"Der vorgenannte Höchstbetrag stellt den voraussichtlichen Liquiditätsbedarf der Gesellschaft bis zum 31. Dezember 2018 dar. Er umfasst insbesondere aber ohne Einschränkung eine etwaig benötigte Liquidität für Leistungen unter einem noch mit dem Betriebsrat der Gesellschaft zu verhandelnden Sozialplan, einschließlich aus diesem Höchstbetrag an einzelne Mitarbeiter zu zahlende Abfindungen."

Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Zusage wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 18.01.2018 eingereichte Kopie (Bl. 74 ff. d. A.).

Am 23.04.2018 wurde u.a. der Arbeitgeberin "mit dem Ziel der Insolvenzvermeidung" eine weitere bis zum 30.06.2018 reichende Liquiditätszusage bis zu einem Höchstbetrag von 5 Millionen Euro erteilt, wobei etwaige Sozialpläne davon nicht erfasst seien sollten.

Schließlich kam es am 16.10.2018 konzernintern zur Abgabe einer dritten an die Arbeitgeberin gerichteten Liquiditätszusage "mit dem Ziel der Ermöglichung einer insolvenzvermeidenden Betriebsstilllegung". Sie erstreckte sich unter Berücksichtigung der mit der Liquiditätszusage vom 22.02.2017 gewährten 20 Millionen Euro auf einen neuen kumulierten Höchstbetrag von 50 Millionen Euro, um den Liquiditätsbedarf der Arbeitgeberin für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019 zu decken. Davon ausgenommen wurden "wie auch immer geartete Zahlungsansprüche aus einem Sozialplan".

Hinsichtlich des weiteren Inhalts der zwei zuletzt genannten Liquiditätszusagen wird verwiesen auf die mit arbeitgeberseitigem Schriftsatz vom 01.08.2019 eingereichten Kopien (Bl. 666 ff. d. A.).

Vor dem Hintergrund der schlechten finanziellen Situation traf die Arbeitgeberin in einem ersten Schritt die unternehmerische Entscheidung, die Arbeitsverhältnisse mit 227 Stammkräften zu beenden. Darüber unterrichtete sie den Betriebsrat am 27.03.2017. Die in der Folgezeit zwischen den Betriebspartnern geführten Gespräche blieben ergebnislos, so dass die Arbeitgeberin am 15.05.2017 die Verhandlungen für gescheitert erklärte.

Auf ihren Antrag wurde durch einen arbeitsgerichtlichen Beschluss vom 02.06.2017 eine Einigungsstelle "zwecks Abschlusses eines Interessensausgleichs und Sozialplans" eingerichtet.

In deren dritter Sitzung am 27.07.2017 kam es zum Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich.

Anschließend sprach die Arbeitgeberin, beginnend im August 2017, zahlreichen Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen aus mit dem Ziel, den Personalbestand, wie geplant, zu reduzieren. Mit 72 davon betroffenen Mitarbeitern schloss sie im Januar 2018 Abfindungsvergleiche - und mit weiteren Beschäftigten im Februar 2018.

In der Einigungsstelle wurden in zwei weiteren Sitzungen am 16.11.2017 und 19./20.12.2017 Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans geführt, die schließlich scheiterten. So kam es am Ende der Sitzung im Dezember 2017 zu folgendem Ablauf:

Nachdem nur noch die Mitglieder der Einigungsstelle anwesend waren, blieb zunächst ein von der Arbeitgeberseite überreichter Entwurf eines Einigungsstellenspruchs, der im Kern keine Abfindungsleistungen vorsah, ohne Mehrheit. Auch ein sodann vom Betriebsrat zur Abstimmung gestellter Entwurf erreichte nicht die erforderliche Mehrheit. Schließlich stellte der Vorsitzende seinen Entwurf eines Sozialplans zur Abstimmung, der bei einem Faktor von 0,3 ein Gesamtvolumen in Höhe von 4,287 Millionen Euro vorsah.

Für den Vorschlag wurden drei Stimmen dafür und drei Stimmen dagegen abgegeben.

Nach einer Sitzungsunterbrechung erklärte Rechtsanwalt Dr. K, der für die Arbeitgeberin zum Mitglied der Einigungsstelle bestimmt worden war, die Arbeitgeberseite lehne den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab.

Sodann stellte der Vorsitzende seinen Vorschlag erneut zur Abstimmung, der mit vier zu drei Stimmen angenommen wurde. Hinsichtlich des Inhalts des beschlossenen Sozialplans wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 18.08.2018 eingereichte Kopie (Bl. 67 ff. d. A.).

Der Spruch wurde der Arbeitgeberin am 04.01.2018 zugeleitet, woraufhin sie mit einem beim Arbeitsgericht am 18.01.2018 eingegangenen Feststellungsantrag die Unwirksamkeit des Spruchs geltend gemacht hat.

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, es liege ein Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften vor, weil ihr verwehrt worden sei, den gestellten Befangenheitsantrag in angemessener Frist schriftlich zu begründen. Es habe tatsächlich eine Befangenheit des Vorsitzenden vorgelegen.

Davon abgesehen habe die Einigungsstelle das ihr eingeräumte Ermessen überschritten bzw. es erst gar nicht ausgeübt, denn das beschlossene Sozialplanvolumen sei mit Blick auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unvertretbar.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "zwecks Abschlusses eines Interessenausgleichs und Sozialplans im Hinblick auf die zur Zeit beabsichtigte Betriebsänderung (Personalabbau) im Betrieb Q der Arbeitgeberin" vom 20.12.2017 unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Meinung geäußert, der mündlich gestellte Befangenheitsantrag sei schon mangels Schriftform unbeachtlich; im Übrigen sei der Antrag nicht von der Arbeitgeberin selbst, sondern einem Beisitzer gestellt worden.

Auch Ermessensfehler bei der Aufstellung des Sozialplans seien nicht ersichtlich. Durch die Liquiditätszusage vom 22.02.2017 hätten der Arbeitgeberin noch ausreichend Mittel zur Erfüllung der Sozialplanforderungen zur Verfügung gestanden.

Mit Beschluss vom 20.06.2018 hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsbegehren der Arbeitgeberin stattgegeben. Hinsichtlich der Begründung wird verwiesen auf B. der erstinstanzlichen Entscheidung (Bl. 365 ff. d. A.).

Dagegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Beschwerde.

Er meint, es sei von Seiten der Arbeitgeberin nichts dafür vorgetragen worden, dass bei Zahlung der Sozialplanabfindungen zum Fälligkeitszeitpunkt im Jahr 2018 Illiquidität eingetreten wäre.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 20.06.2018 - 1 BV 1/18 - abzuändern und den Antrag abzuweisen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie streicht heraus, dass die mit dem Sozialplan beschlossenen Abfindungszahlungen für sie wirtschaftlich unvertretbar seien. In dem Zusammenhang müsse berücksichtigt werden, dass von den am 22.02.2017 zugesagten Mitteln in Höhe von 20 Millionen Euro zum Zeitpunkt des Spruchs der Einigungsstelle bereits ca. 15,68 Millionen verbraucht gewesen seien; der Restbetrag sei entsprechend der Liquiditätsplanung für das Jahr 2018 benötigt worden.

Davon abgesehen hätten Mittel aus der genannten Liquiditätszusage nur für einen mit dem Betriebsrat verhandelten Sozialplan benutzt werden dürfen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23.08.2019 (Bl. 766 ff. der Akten) ergänzend Bezug genommen.

B.

I. Der von der Arbeitgeberin im Laufe des Verfahrens auf den Regelungsgegenstand "Sozialplan" begrenzte Feststellungsantrag ist zulässig. Denn streiten die Beteiligten - wie vorliegend - über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs, ist nach Maßgabe des § 256 Abs. 1 ZPO die Feststellung der Unwirksamkeit der Entscheidung zu beantragen (vgl. z. B. BAG, 22.01.2013 - 1 ABR 85/11 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 219). Dabei ist, soweit es um die gerichtliche Überprüfung eines Überschreitens der Grenzen des Ermessens geht, die Zweiwochenfrist des § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG zu wahren, was hier durch den am 18.01.2018 von der Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht eingereichten Antrag geschehen ist, nachdem ihr der streitbefangene Spruch am 04.01.2018 zugeleitet worden war.

II. Der Antrag ist aber entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht begründet. Denn der Spruch der Einigungsstelle vom 19./20.12.2017 ist verfahrensfehlerfrei ergangen und steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben des § 76 Abs. 5 S. 3 i.V.m. § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG.

1. Was die in der letzten Einigungsstellensitzung von Rechtsanwalt Dr. K abgegebene Erklärung angeht, der Vorsitzende werde wegen Befangenheit abgelehnt, resultiert daraus kein Verfahrensfehler.

a) Allerdings handelt die Einigungsstelle rechtsfehlerhaft, wenn sie einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden übergeht und unmittelbar zur Sache entscheidet (z. B. BAG, 29.01.2002 - 1 ABR 18/01 - AP BetrVG 1972 § 76 Einigungsstelle Nr. 19).

b) Im Streitfall liegt ein solcher Verfahrensfehler aber nicht vor.

aa) Wie sich aus dem Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 19./20.12.2017 ergibt, waren, nachdem zwei Personen den Sitzungssaal verlassen hatten, "nur noch die Mitglieder der Einigungsstelle anwesend", wozu Rechtsanwalt Dr. K zählte. Daraus ist zu entnehmen, dass dieser den Befangenheitsantrag nur in seiner Funktion als von der Arbeitgeberseite bestelltes Mitglied der Einigungsstelle gestellt haben kann.

bb) Dieser Antrag war nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG (a.a.O.) unbeachtlich. Ein Befangenheitsgesuch gegen den Vorsitzenden kann nämlich nicht ein anderes Mitglied der Einigungsstelle, sondern nur eine der beiden Betriebsparteien selbst anbringen. Nur deren Rechtsstellung wird von einem - möglicherweise verfahrensfehlerhaft ergangenen - Spruch der Einigungsstelle betroffen. In dieser Hinsicht kann nichts anderes gelten als für die Vorsitzenden mehrköpfiger Spruchkörper von staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten.

Die Einigungsstelle soll nämlich nach dem Gesetz unabhängig von den unmittelbar betroffenen beteiligten Betriebsparteien sein. Ihre beisitzenden Mitglieder sind nicht an Weisungen des Arbeitgebers und des Betriebsrats gebunden. Sie sollen vielmehr mit einer gewissen Unabhängigkeit bei der Schlichtung des Regelungsstreits mitwirken, zu deren Beilegung die Betriebsparteien selbst nicht in der Lage waren. Auch wenn die Nähe der Beisitzer zu der sie bestellenden Betriebspartei nicht zu verkennen und vom Gesetz gewollt ist, so können sie nicht mit deren Vertretern, etwa Verfahrensbevollmächtigten, gleichgesetzt werden. Dies schließt es aus, dass sie im Zusammenhang mit Befangenheitsgesuchen die einseitige Parteirolle annehmen und - sei es im eigenen Namen, sei es namens und in Vollmacht einer Betriebspartei - einen Antrag auf Ablehnung des Einigungsstellenvorsitzenden stellen, über den sie anschließend selbst zu entscheiden haben. Zu den Aufgaben der Beisitzer gehört es, auf Antrag einer der beiden Betriebsparteien darüber zu befinden, ob die Befangenheit des Einigungsstellenvorsitzenden zu besorgen ist, nicht aber, dieser Besorgnis selbst Ausdruck zu geben.

2. Der Einigungsstellenspruch verstößt auch nicht gegen die gesetzlichen Vorgaben des § 76 Abs. 5 S. 3,4 i.V.m. § 112 Abs. 5 S. 1, S. 2 Nr. 3 BetrVG.

a) Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (22.01.2013 - 1 ABR 85/11 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 219; siehe auch 15.03.2011 - 1 ABR 97/09 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 212; 24.08.2004 - 1 ABR 23/03 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 174; 06.05.2003 - 1 ABR 11/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 161; zuletzt 07.05.2019 - 1 ABR 54/17 - BB 2019, 2043) ist Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle nach § 76 Abs. 5 S. 3, 4 und § 112 Abs. 5 BetrVG, ob sich der Spruch der Einigungsstelle als angemessener Ausgleich der Belange des Unternehmens auf der einen und der betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite erweist.

aa) Dabei ist maßgeblich allein auf die getroffene Regelung als solche abzustellen. Eine Überschreitung der Grenzen des Ermessens muss in ihr selbst als Ergebnis des Abwägungsvorgangs liegen. Auf die von der Einigungsstelle angestellten Erwägungen kommt es nicht an. Die Frage, ob die ihr gezogenen Grenzen des Ermessens eingehalten sind, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Es geht um die Wirksamkeit einer kollektiven Regelung, die von der Wahrung des der Einigungsstelle eingeräumten Gestaltungsrahmens abhängig ist.

bb) Die Einigungsstelle hat nach § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG bei ihrer Entscheidung über einen Sozialplan sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Im Rahmen billigen Ermessens muss sie unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles Leistungen zum Ausgleich oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile vorsehen, hat aber bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen zu berücksichtigen, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach der Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden (§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG).

cc) Der Ausgleichs- und Milderungsbedarf der Arbeitnehmer bemisst sich nach den ihnen drohenden Nachteilen. Der wirtschaftlichen Vertretbarkeit kommt dabei eine Korrekturfunktion zu. Die Einigungsstelle hat von dem von ihr vorgesehenen Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile abzusehen, wenn dieser den Fortbestand des Unternehmens gefährden würde. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung stellt damit für sie eine Grenze der Ermessensausübung dar.

Ist der für angemessen erachtete Ausgleich von Nachteilen der Arbeitnehmer für das Unternehmen wirtschaftlich nicht vertretbar, ist das Sozialplanvolumen bis zum Erreichen der Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit zu mindern. Die gebotene Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens kann die Einigungsstelle sogar zum Unterschreiten der aus § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG folgenden Untergrenze eines Sozialplans zwingen. Erweist sich auch eine noch substantielle Milderung der mit der Betriebsänderung verbundene Nachteile als für das Unternehmen wirtschaftlich unvertretbar, soll es sogar zulässig und geboten sein, von einer solchen Milderung abzusehen.

dd) Die Vorschrift des § 112 Abs. 5 BetrVG bestimmt nicht die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans. Maßgeblich sind die Gegebenheiten des Einzelfalles. Dabei ist grundsätzlich von Bedeutung, ob und welche Einsparungen für das Unternehmen mit der Betriebsänderung verbunden sind, deren nachteilige Auswirkungen auf die Arbeitnehmer der Sozialplan kompensieren soll. Der Umstand, dass sich ein Unternehmen bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, entbindet es nach den gesetzlichen Wertungen nicht von der Notwendigkeit, weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen. Sogar in der Insolvenz sind Betriebsänderungen gemäß § 123 InsO sozialplanpflichtig.

Bei der Prüfung, wie sehr der Sozialplan das Unternehmen belastet und ob er möglicherweise dessen Fortbestand gefährdet, sind sowohl das Verhältnis von Aktiva und Passiva als auch die Liquiditätslage zu berücksichtigen. Führt die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, zur bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals, ist die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit regelmäßig überschritten.

ee) Für die gerichtliche Kontrolle der Sozialplandotierung durch einen Spruch der Einigungsstelle bedeutet dies, dass der Anfechtende die Überschreitung einer der genannten Ermessensgrenzen dartun muss. Ficht der Arbeitgeber - wie hier - den Sozialplan wegen mangelnder wirtschaftlicher Vertretbarkeit an, hat er darzulegen, woraus sich das ergeben soll.

b) Nach Maßgabe dieser vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze kann hier anhand der maßgeblichen Gegebenheiten des Einzelfalles nicht festgestellt werden, dass die von der Einigungsstelle beschlossene Sozialplandotierung in Höhe von 4,287 Millionen Euro (mit einem Faktor von 0,3) die Grenzen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit überschritten hat. Denn selbst wenn man in dem Zusammenhang zu Gunsten der Arbeitgeberin davon ausgeht, dass sie zum maßgeblichen Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs am 19./20.12.2017 aufgrund einer durch drei Konzernunternehmen am 22.02.2017 erteilten Liquiditätszusage in Höhe von 20 Millionen Euro für die Jahre 2017/2018 "nur" noch über liquide Mittel in Höhe von ca. 4,32 Millionen Euro verfügte, war es für sie trotzdem aufgrund einzelfallspezifischer Erwägungen ohne Gefährdung des Unternehmensfortbestandes wirtschaftlich vertretbar, Sozialplanleistungen im Umfang von 4,287 Millionen Euro zu erbringen.

aa) So hat die Arbeitgeberin in der mündlichen Anhörung am 23.08.2019 zu Protokoll erklärt, dass ein im Bereich der Automobilindustrie weltweit operierender Konzern wie E (mit aktuell ca. 9.000 Arbeitnehmern) Gefahr laufe, gegebenenfalls auch Aufträge für solvente konzernangehörige Unternehmen zu verlieren, wenn bei einem anderen Konzernunternehmen Insolvenz angemeldet werde.

bb) Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass bei der Arbeitgeberin nach ihren eigenen Angaben in den letzten Jahren Unternehmensverluste von mehr als 120 Millionen Euro durch andere Konzerngesellschaften getragen wurden. Normalerweise wäre nämlich bei einer derart massiven, anhaltend negativen Entwicklung schon lange die Einstellung des Geschäftsbetriebes zu erwarten gewesen.

cc) Dass es dazu in der Vergangenheit nicht gekommen ist, im Gegenteil durch die Liquiditätszusage vom 22.02.2017 konzernintern sogar weitere ca. 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden, und zwar gerade für eine "insolvenzvermeidende Sanierung", dokumentiert, dass auf Seiten der Arbeitgeberin immer die Sicherheit bestand, im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit von anderen Konzernunternehmen finanziell adäquat aufgefangen zu werden.

dd) Bestätigt wird diese Tatsache durch die weiteren zwei Liquiditätszusagen aus dem Jahre 2018.

(1) So wurde die Liquiditätszusage vom 23.04.2018 über maximal 5 Millionen Euro zum Ausgleich operativer Verluste für den relativ kurzen Zeitraum bis zum 30.06.2018 unter anderem der Arbeitgeberin "mit dem Ziel der Insolvenzvermeidung" erteilt.

(2) Auch in der zweiten Liquiditätszusage vom 16.10.2018, die rückwirkend für den Zeitraum ab 01.07.2018 galt, wurde an mehreren Stellen das von der Obergesellschaft der E-Gruppe, E3, vorgegebene Ziel verankert, die zwischenzeitlich am 24.04.2018 bekannt gegebene Betriebsstilllegung zum 30.04.2019 "außerhalb eines Insolvenzverfahrens" zu verwirklichen. Dafür wurden von der in England ansässigen E2 U.K. Ltd. - über die aufgrund der Liquiditätszusage vom 22.02.2017 gewährten 20 Millionen Euro hinaus - neue Mittel in Höhe von 30 Millionen Euro zugesagt. Dabei orientierte sich der kumulierte Höchstbetrag in Höhe von 50 Millionen Euro am voraussichtlichen Liquiditätsbedarf für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019 - und zwar jetzt "zur Durchführung der insolvenzvermeidenden Betriebsstilllegung".

ee) Vor dem geschilderten Hintergrund der sicheren wirtschaftlichen Eingebundenheit in einen Konzernverbund mit dem über viele Jahre garantierten und tatsächlich auch erfolgten Zufluss aller zur Insolvenzvermeidung erforderlichen finanziellen Mittel in dreistelliger Millionenhöhe ist es deshalb der Arbeitgeberin rechtlich verwehrt, sich in der hier zu beurteilenden Konstellation auf den Einwand der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit zu berufen.

(1) So verfügte sie zum maßgeblichen Zeitpunkt des Spruchs der Einigungsstelle im Dezember 2017 aufgrund der Liquiditätszusage vom 22.02.2017 noch über finanzielle Mittel in Höhe von ca. 4,32 Millionen Euro, um den von der Einigungsstelle festgelegten Zahlungsverpflichtungen im Gesamtvolumen von 4,287 Millionen Euro nachkommen zu können.

(a) In dem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach Nr. 3 S. 5 der genannten Liquiditätszusage der Höchstbetrag von insgesamt 20 Millionen Euro "insbesondere aber ohne Einschränkung" für Leistungen aus einem Sozialplan einschließlich an einzelne Mitarbeiter zu zahlender Abfindungen eingesetzt werden sollte. Damit ist von den Geldgebern ein Vorrang zum Ausdruck gebracht worden, nämlich die zur Verfügung gestellten liquiden Mittel im Besonderen zum Ausgleich bzw. zur Milderung der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer einzusetzen.

(b) Wenn die Arbeitgeberin in dem Zusammenhang darauf verweist, die genannte Bestimmung habe nur für einen mit dem Betriebsrat zu verhandelnden Sozialplan gegolten, kann dies nicht zu einer sachlich gerechtfertigten Einschränkung führen. Denn sowohl bei einer Einigung der Betriebsparteien über einen Sozialplan als auch bei einem Spruch der Einigungsstelle ist gleichermaßen materiell darauf zu achten, dass es unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit zu einem Ausgleich oder zu einer Milderung der Nachteile für den Arbeitnehmer kommt (vgl. § 112 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 S. 1 BetrVG). Es kann also im Ergebnis nicht von Relevanz sein, ob im Verhandlungswege oder durch einen Einigungsstellenspruch eine den konkreten Gegebenheiten - auch in wirtschaftlicher Hinsicht - Rechnung tragende Lösung gefunden wird.

(c) Im Übrigen hätte sich andernfalls für die Arbeitgeberin - bei aus ihrer Sicht nicht vorhandenen liquiden Mitteln - auch die Frage stellen müssen, ob nicht angesichts der durch den Spruch begründeten, wenn auch bestrittenen Forderungen nach § 18 InsO die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit hätte beantragt werden müssen.

(d) Aber namentlich unter Berücksichtigung der konzernrechtlichen Vorgabe, es zu keiner Insolvenz kommen zu lassen, konnte die Arbeitgeberin am 19./20.12.2017 gesichert damit rechnen, wie in der Vergangenheit auch für das Jahr 2018 von anderen Konzernunternehmen die finanziellen Mittel zu erhalten, die erforderlich waren, um trotz der Pflicht zur Erfüllung von Sozialplanforderungen den Fortbestand des Unternehmens nicht zu gefährden.

(aa) Bestätigt wird dies auch durch die Tatsache, dass sich die Arbeitgeberin schon wenige Wochen später im Januar 2018 gegenüber insgesamt 72 betroffenen Arbeitnehmern und dann im Februar 2018 gegenüber weiteren Beschäftigten wirtschaftlich dazu imstande sah, im Vergleichswege die Zahlung von Abfindungen in nicht unerheblicher Höhe zuzusagen. Dabei erklärte sie, dass die dafür erforderlichen Mittel "von ihren Gesellschaftern" zur Verfügung gestellt würden. Letztlich erhielt sie dann auch den für die Zahlung der Abfindungen erforderlichen Betrag von einer in den USA ansässigen Konzerngesellschaft.

(bb) Daneben wurden der Arbeitgeberin am 23.04. und 16.10.2018 konzernseits weitere Liquiditätszusagen im Umfang von 5 und 30 Millionen Euro gegeben - im zweiten Fall sogar rückwirkend zur Deckung des Liquiditätsbedarfs ab dem 01.01.2017.

(aaa) In dem Zusammenhang bleibt darauf hinzuweisen, dass es mehr als fragwürdig ist, wenn in den beiden Liquiditätszusagen - im Unterscheid zur ersten Zusage vom 22.02.2017 - ein durch einen Sozialplan begründeter Mehrbedarf an finanziellen Mitteln ausdrücklich ausgeschlossen wird. Denn wenn ein maßgeblich von Liquiditätszahlungen anderer Konzernunternehmen abhängiger Geschäftsbetrieb zur Vermeidung einer Insolvenz aufrechterhalten werden soll, gehört dazu auch das finanzielle Vermögen, im Falle des Abbaus von Arbeitsplätzen der im Gesetz verankerten Verpflichtung nachkommen zu können, den sozialen Belangen der davon betroffenen Arbeitnehmer durch den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile Rechnung zu tragen. Bei der gebotenen ganzheitlichen Betrachtung ist es nämlich nicht zu rechtfertigen, dass ein Unternehmen namentlich im Verhältnis zu Kunden und Lieferanten durchgehend mit ausreichend Liquidität im Millionenumfang ausgestattet wird, sich aber gegenüber ihren Arbeitnehmern bei einer Betriebsänderung durch Personalabbau darauf beruft, es sei wirtschaftlich unvertretbar, irgendwelche finanziellen Ausgleichsleistungen zu erbringen.

(bbb) Offensichtlich wurde dies bei Abschluss der Liquiditätszusage vom 22.02.2017 auf Seiten der damaligen drei konzernangehörigen Geldgeber auch noch so gesehen, als sie gemäß Nr. 3 S. 5 der Zusage insbesondere und ohne Einschränkung die für Sozialplanleistungen benötigte Liquidität zur Verfügung stellten.

(ccc) Hinzu kommt, dass nach den Bestimmungen der beiden Liquiditätszusagen aus dem Jahr 2018 von einem Liquiditätsbedarf "nur" Sozialplanansprüche ausgenommen sind, der Arbeitgeberin es also offensichtlich möglich war und ist, die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel zu verwenden, um Abfindungen an von der Betriebsschließung betroffene Arbeitnehmer zu zahlen, mit denen man sich vergleichsweise einigt. Letztlich würde also die Frage der wirtschaftlichen Vertretbarkeit - wie schon zu Beginn des Jahres 2018 geschehen - davon abhängig gemacht, ob auf kollektiver oder individualrechtlicher Grundlage den sozialen Belangen betroffener Arbeitnehmer durch die Zahlung von Abfindungen Rechnung getragen wird, was mit den in § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG und § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG zum Ausdruck kommenden, kollektivrechtlich zu realisierenden gesetzlichen Schutzzweck nicht im Einklang steht.

Nach alledem ergibt sich, dass die durch den Einigungsstellenspruch geschaffenen Ansprüche in vollem Umfang noch durch die gerade dafür gedachten finanziellen Mittel aus der Liquiditätszusage vom 22.02.2017 befriedigt werden konnten. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit gerade auch im Hinblick auf den weiteren Fortbestand des Unternehmens der Arbeitgeberin war gewährleistet. Denn bereits Mitte Dezember 2017 war wegen der konzernseits als unverzichtbar eingestuften Vermeidung einer Insolvenz sicher zu erwarten, dass die Arbeitgeberin auch für das Jahr 2018 mit ausreichend Liquidität durch andere Konzernunternehmen ausgestattet werden würde, was ja dann auch tatsächlich geschah. So wurde nur kurze Zeit nach Abschluss des Einigungsstellenverfahrens gerade auch für die Gewährung von Abfindungen an mehr als 72 Arbeitnehmer von Seiten eines Konzernunternehmens die dafür erforderlichen nicht unerheblichen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, bevor der Arbeitgeberin zwei weitere Liquiditätszusagen in einem Gesamtumfang von 35 Millionen Euro gegeben wurden.

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht gegeben. Denn in der Entscheidung wird zur Begründung, ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, maßgeblich auf die spezifischen Gegebenheiten des Einzelfalls abgestellt.

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