LG Dresden, Endurteil vom 12.11.2019 - 1a O 1056/19
Fundstelle
openJur 2019, 33962
Rechtskraft:
Tenor

I. Die einstweilige Verfügung vom 21. Juni 2019 wird aufrecht erhalten.

II. Die Verfügungsbeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 € vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.000,00 €.

Tatbestand

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung.

Wegen des Sachverhaltes wird auf die Darstellung im Beschluss vom 21 Juni 2019 (Bl. 44 ff. dA) verwiesen.

Der Verfügungskläger, der sich um ein Mandat für den Sächsischen Landtag bei der Landtagswahl am 1. September 2019 beworben hatte, verfügte nach eigenen Angaben über ca. 1.500 “Follower“. Er aktivierte einen alten — 2017 eröffneten — Zweit-Account unter dem Namen “..._dd“ am 10. Juli 2019, nachdem die Verfügungsbeklagte sich geweigert hafte, den hier streitgegenständlichen Account wieder zu eröffnen. Hier hat er derzeit 400 “Follower“.

Der Verfügungskläger meint, er sei als Kandidat für die Sächsischen Landtagswahlen auf die Nutzung des sozialen Mediums “Twitter“ angewiesen gewesen.

Der Beschluss vom 21. Juni 2019, mit dem dem Antrag des Verfügungsklägers stattgegeben worden war, wurde dem Verfügungskläger am 26. Juni 2019 zugestellt. Mt Schreiben vom selben Tag beantragte der Verfügungskläger die Berichtigung, die mit Beschluss vom 27. Juni 2019 erfolgte (Bl. 54 dA). Des Weiteren beantragte er auch die Zustellung des Beschlusses durch das Gericht. Dies lehnte das Gericht fehlerhaft mit Beschluss vom 27. Juni 2019 ab und stellte dann nach Eingang der sofortigen Beschwerde vom 27. Juni 2019 (Bl. 58 ff. dA) aufgrund des Abhilfebeschlusses vom 1. Juli 2019 den Beschluss zu.

Ausweislich der Akte wurde der erste Zustellungsversuch am 3. Juli 2019 unternommen. Dabei unterließ es aber das Gericht, die Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht beizufügen.

Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2019 beantragte der Verfügungskläger ein Ordnungsmittel nach § 890 ZPO festzusetzen; dieser Antrag wurde den Rechtsanwälten ... in München zur Stellungnahme übersandt, nachdem diese sich dem Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers gegenüber mit Schreiben vom 25. Juli 2019 (OMH Bl. 3) angezeigt hatten. Gegenüber dem Gericht zeigten sie sich jedoch nicht an. Mit Schreiben vom 8. August 2019 (OMH B. 14) erklärten sie — wiederum gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers — in dieser Angelegenheit die Verfügungsbeklagte nicht mehr zu vertreten. Mit Schreiben vom 13. August 2019 teilten die Rechtsanwälte ... dem Gericht mit, sie verträten die Verfügungsbeklagte im Ordnungsmittelverfahren nicht.

Ausweislich der Akte fragte ein Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers am 22. (vgl. Ordnungsmittelheft), 23. und 26. August 2019 (Bl. 100 R dA) wegen der Zustellung nach. Da bemerkte das Gericht die fehlerhafte Zustellung und verfügte die Zustellung am 29. August2019 nochmals ordnungsgemäß (vgl. Bl. 101 dA).

Am 2. September 2019 (Bl. 135 f. dA) unterzeichnete ein Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten die Annahmeverweigerung und sandte die Unterlagen, die den Eingangsstempel der Verfügungsbeklagten auf den 5. September 2019 tragen (wobei es sich um die — in der Akte beiliegenden — am 29. August 2019 übersandten Unterlagen handelt) an das Gericht zurück. Die Annahmeverweigerung ging mit Anschreiben vom 4. September 2019 am 5. September 2019 beim Gericht ein. Mit einem Schriftsatz im Umfang von 33 Seiten (Bl. 102 if. dA) vom 4. September 2019, eingegangen am selben Tag, beantragte die Verfügungsbeklagte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung.

Der Verfügungskläger beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 21. Juni 2019 aufrechtzuerhalten.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 21. Juni 2019 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte meint, die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bestünden nicht, da der Verfügungskläger über einen Zweit-Account verfügt habe. Zudem habe es der Verfügungskläger selbst in der Hand gehabt, die Sperrung aufzuheben, indem er die beanstandeten Tweets nur hätte löschen müssen.

Es stelle eine den Richtlinien der Verfügungsbeklagten zur Integritat von Wahlen widersprechendes Verhalte vor, wenn der Verfügungskläger dazu aufrufe, ungültige Stimmzettel zu produzieren. Aufgrund der Verhaltensregeln habe der Verfügungskläger gesperrt werden dürfen.

Des Weiteren verweist die Verfügungsbeklagte auf einen Vorfall in Bad Karlshafen (dazu Anlage AG 5): dort hatte ein Wahlhelfer einem Wähler — mit einem Lachen — scherzhaft erklärt habe, er müsse seinen Wahlzettel unterschreiben. Nachdem der Wähler dies getan habe und die Stimme für ungültig erklärt wurde, sei die Wahl, bei der ein Kandidat mit einer Stimme Mehrheit gewählt wurde, wiederholt worden. Dies zeige, dass auch scherzhafte Erklärungen Einfluss auf die Wahl nehmen könne.

Der Erlass der einstweiligen Verfügung nehme die Hauptsache vorweg. Die Grundrechte der Verfügungsbeklagten seien verletzt.

Der Beschluss sei aufzuheben, da der Beschluss nicht in der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO zugestellt worden sei und § 167 ZPO nicht zur Anwendung komme, weil der Verfügungskläger nicht rechtzeitig bei Gericht nachgefragt habe um das Verfahren voranzutreiben.

Wegen der weiteten Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Der zulässige Widerspruch der Verfügungsbeklagten führt zu keiner Abänderung der Entscheidung, da auch nach dem Widerspruchsverfahren der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zulässig und begründet ist.

A.

Der Widerspruch der Verfügungsbeklagten ist zulässig.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist weiterhin begründet, da die von der Verfügungsbeklagten vorgebrachten Argumente nicht stichhaltig sind.

I. Soweit die Verfügungsbeklagte beantragt, den Beschluss wegen Ablaufs der Vollziehungsfrist aufzuheben (vgl. dazu Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 929 Rn. 21), ist der Widerspruch unbegründet.

1. Bei einer Auslandszustellung, bei der der Beschluss — wie hier — von Amts wegen zuzustellen ist (vgl. OLG Dresden, NJW-RR 2019, 319), ist die Vollziehungsfrist gewahrt, wenn innerhalb der Frist der Antrag auf Auslandszustellung bei Gericht eingereicht wird und die tatsächliche Zustellung “dem nächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 9.7.20136 U 120/13, BeckRS 2013, 20071; Beschluss vom 1.7.2014, 6 U 104/14, GRUR-RR 2015, 183; Zöller/Vollkommer, aaO., § 929 Rn. 10).

2. Der Verfügungskläger hat den Antrag am 26. Juni 2019, am Tag der Zustellung des Beschlusses beantragt.

3. Soweit das Gericht die erste Zustellung fehlerhaft ohne die Belehrung über die Annahmeverweigerung durchführte, hindert das nicht eine Zustellung “demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO, da Mängel im Geschäftsbereich des Gerichts dem Verfügungskläger nicht zuzurechnen sind.

a) Es genügte auch, dass der Verfügungskläger innerhalb eines Monats nach Ablauf der Vollziehungsfrist, bei Gericht wegen der Zustellung nachfragte, da wie dargelegt — der Fehler bei Gericht lag und nicht beim Verfügungskläger.

b) Insofern kann dahinstehen, ob die Verfügungsbeklagte, der schon vom Landgericht Dresden mehrfach Schriftsätze in deutscher Sprache zugestellt wurde und die schon mehrfach unter Verweis auf die fehlende Übersetzung die Annahme verweigerte, sich hier nach dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben noch auf die fehlende Belehrung berufen kann. Insofern kann auch dahinstehen, ob die Belehrung über die Annahmeverweigerung tatsachlich fehlte, da der im Tatbestand dargelegte Sachverhalt nahelegt, dass die Verfügungsbeklagte vor der zweiten Zustellung schon die Annahmeverweigerung — wohl hinsichtlich der ersten Zustellung — erklarte.

4. Soweit die Verfügungsbeklagte im Schriftsatz vom 6. November 2019 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt (Beschluss vom 9.7.2013,6 U 120/13, BeckRS 2013, 20071) meint, die Verfügungsklägerin habe an die Rechtsanwälte ... wegen § 172 ZPO zustellen müssen, so führt das nicht zu einem anderen Ergebnis:

a) Es lag nämlich keine Bestellung im Sinne des § 172 ZPO vor: die Mitteilung einer Prozessvollmacht im sinne des § 172 ZPO kann erfolgen, in dem ein Prozessbevollmächtigter sich für die Partei bestellt oder wenn der Prozessgegner diese dem Gericht mitteilt, indem der Prozessgegner den Prozessbevollmächtigten in der Klageschrift benennt (vgl. Zöller/Schultzky, aaO., § 172 Rn. 6 f.).

b) Beides war aber nicht der Fall: weder hat sich die Kanzlei ... bei Gericht angezeigt (wie im Fall des OLG Frankfurt 6 U 120713) — das einzige Schreiben an das Gericht war die Mileilung, nicht bevollmächtigt zu sein — noch hat der Prozessgegner, hier der Verfügungskläger, durch Benennen der Rechtsanwälte ... in der Antragsschrift diese Kanzlei im Sinne des § 172 ZPO benannt. Insofern hätten Zustellungen durch das Gericht nicht an die Kanzlei ... erfolgen können. Dann musste der Verfügungskläger den Beschluss auch nicht an diese Kanzlei zustellen.

c) Im Übrigen hatten die Rechtsanwälte ... hatten ja offensichtlich Kenntnis von dem Beschluss, so dass ein Mangel, wäre ein Zustellung nach § 172 ZPO notwendig, offensichtlich nach § 189 ZPO geheilt gewesen wäre.

5. Soweit die Verfügungs beklagte sich darauf berufen, dass die jetzigen Prozessbevollmächtigten sich Anfang September bestellten und daher an diese zuzustellen gewesen wäre, so ist das allein schon deshalb unbeachtlich, weil die Zustellung dann schon bewirkt war.

II. Soweit die Verfügungsbeklagte die Aufhebung mangels Verfügungsanspruch begehrt, ist der Widerspruch ebenfalls ohne Erfolg.

1. Insofern wird auf die Darlegungen im Beschluss vom 21. Juli 2019 (dort vor allem unter B IV 1 d; Bl. 46 f. dA) verwiesen, die durch die Widerspruchsbegründung der Verfügungsbeklagten nicht entkräftet werden.

2. Die Äußerungen des Verfügungsklägers waren erkennbar scherzhaft gemeint und konnten unter Zugrundelegens des objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (dazu OLG München, Beschluss vom 24.8.2018, 18 W 1294/18, MMR 2018, 753, zitiert nach juris, dort Rn. 31) auch nicht anders ausgelegt werden.

3. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die “Follower“ regelmäßig Anhänger der politischen Linie des Verfügungsklägers sein dürften, so dass die Nachricht die politischen Gegner, also die AfD-Wähler im Zweifel gar nicht erreichte und auch nicht erreichen sollte. Die Mtteilung war erkennbar mehr darauf gerichtet, den eigenen Anhängern die Dummheit der Wähler der AfD vorzuführen als eine Handlungsanweisung von Personen zu erteilen, die die Nachricht ohnehin nicht lesen.

4. Soweit die Verfügungs beklagte auf den Vorfall bei einer lokalen Wahl in Bad Karlshafen verweist, rechtfertigt dies auch kein anderes Ergebnis: dort war ein Kandidat mit einer Stimme Mehrheit gewählt worden, die für ungültig erklärte Stimme hatte also wohl Einfluss auf das Wahlergebnis. Dann ergibt sich zwingend, dass die Wahl aufgehoben werden muss. Wenn aber ein Kandidat im Vorfeld einer Wahl eine allgemeine Äußerung über Twitter verbreitet, dann kommt dies einer Äußerung eines Wahlhelfers auch nicht im Ansatz nahe. Der von der Verfügungsbeklagten herangezogene Vergleich ist mehr als bemüht. Und im Übrigen bindet eine Entscheidung eines Gemeinderates in Hessen das Gericht nicht in seiner Interpretation einer Außerung.

III. Soweit die Verfügungsbeklagte meint, es fehle an einem Verfügungsanspruch, so dringt sie auch damit nicht durch:

1. Soweit die Verfügungs beklagte den Verfügungskläger darauf verweist, dass er es selbst in der Hand hätte, die Sperrung durch das Löschen der beanstandeten Tweets zu beenden, so kann sie damit nicht durchdringen:

2. Soweit der Verfügungskiäger das Recht hat, die beanstandeten Tweets zu posten, er also das soziale Medium rechtmäßig verwendet, kann er nicht gezwungen werden, diese zu löschen. Aelmehr ist die Verfügungsbeklagte verpflichtet mangels eines pflichtwidrigen Verhaltens des Verfügungsklägers die Sperrung wieder aufzuheben.

3. Es liegt auch keine Vorwegnahme der Hauptsache vor, denn die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren käme angesichts der Schnelllebigkeit der Informationen in den sozialen Medien und der damals bevorstehenden Landtagswahl im Ergebnis einer Rechtsverweigerung gleich (vgl. dazu auch OLG München aaO., zitiert nach juris, dort Rn. 50).

4. Die Verfügungsbeklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass der Verfügungskläger über einen — vertraglich unzulässigen — Zweit-Account verfügt, da dieser unstreitig bei weitem nicht so viele Follower erreicht wie der gesperrte Account.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.