FG Kassel, Beschluss vom 07.11.2018 - 7 V 476/18
Fundstelle
openJur 2019, 36250
  • Rkr:
Tenor

Die Vollziehung der Prüfungsverfügung vom xx.xx. xxxx wird gegen Hinterlegung des Arbeitsvertrags des Fahrers F, der ihn betreffenden Lohnabrechnungen für den Zeitraum xx.xx. xxxx und der ihn betreffenden Arbeitszeitaufzeichnungen für den Zeitraum xx.xx.xxxx, sowie für den Fall, dass aus den Arbeitszeitaufzeichnungen nicht hervorgeht, ob innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet wurde, einer Aufschlüsselung nach innerdeutschen Fahrten, bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 7 K 907/18 ausgesetzt. Die Unterlagen sind bis zum xx.xx.xxxx beim Hessischen Finanzgericht einzureichen und werden bis zum Ablauf des dritten Monats nach Bekanntgabe einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 7 K 907/18 gesondert und ohne Einsichtnahmemöglichkeit beim Hessischen Finanzgericht verwahrt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer die Kontrolle des Mindestlohngesetzes (MiLoG) betreffenden Prüfungsverfügung nach § 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG).

Die Antragstellerin (Astin.) ist ein international tätiges Logistikunternehmen mit Sitz in Polen. Am xx.xx.xxxx wurden im Rahmen der bundesweiten Schwerpunktprüfung (SPP) im Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe mehrere Lastkraftwagen (LKW) durch den Antragsgegner (Ag.) aus dem fließenden Verkehr gezogen. Unter anderem wurde ein LKW der Astin. geprüft. Der polnische Fahrer des LKWs gab an, seit dem xx.xx.xxxx für die Astin. zu arbeiten und einen Festlohn i.H.v. polnische Zloty zu erhalten. Pro Monat fänden Transporte nach Deutschland an 5-10 Tagen statt, maximal jedoch insgesamt 90 Stunden pro Monat. Weitere Angaben zu den Transporten, insbesondere ob eine Be- oder Entladung in Deutschland erfolgt, machte der Fahrer nicht. Der Fahrer legte einen Arbeitsvertrag in deutscher Sprache und ein polnisches Dokument vor; beides wurde kopiert und zum Vorgang genommen. Die Astin. wurde fernmündlich aufgefordert, Lohnunterlagen der letzten 3 Monate per Fax zu übersenden.

Mit Fax vom selben Tag zeigte der Prozessbevollmächtigte seine Vertretung an und bat um den Erlass einer Prüfungsverfügung mit der Auflistung der gewünschten Dokumente.

Mit Schreiben vom xx.xx.xxxx übersandte der Ag. die Prüfungsverfügung nebst Begleitschreiben. Das Begleitschreiben war adressiert an den Prozessbevollmächtigten. Im Bezug wurde das Schreiben des Prozessbevollmächtigten nebst Aktenzeichen angegeben. Im Fließtext nannte der Ag. die Astin. Angefordert wurde der Arbeitsvertrag des Fahrers, Lohnabrechnungen für den Zeitraum xx.xx.xxxx sowie Arbeitszeitaufzeichnungen für den Zeitraum xx.xx.xxxx. Für den Fall, dass sich aus den Arbeitszeitaufzeichnungen nicht ergeben würde, ob innerhalb oder außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet wurde, sollte ferner noch eine Aufschlüsselung nach innerdeutschen und ausländischen Fahrten beigefügt werden. Die Prüfungsverfügung war ebenfalls an den Prozessbevollmächtigten adressiert und nannte im Text als Anschrift des Arbeitgebers die Anschrift der Astin., nicht jedoch ihren Namen. In dem Textfeld, in dem der Arbeitgeber anzugeben ist, nannte der Ag. lediglich den Begriff "SPP im Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe", ohne einen konkreten Arbeitgeber zu bezeichnen.

Mit Schreiben vom xx.xx.xxxx legte die Astin., vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der Ag. lehnte die AdV ab. Gegen die Ablehnung des Antrags auf AdV legte die Astin. mit Schreiben vom Einspruch ein, den der Ag. mit Schreiben vom als unbegründet zurückwies.

Die Astin. ist der Ansicht, dass ernstliche Zweifel an der mit dem Einspruch angegriffenen Prüfungsverfügung bereits deswegen bestünden, weil diese an einem unheilbaren Mangel leide. Die Prüfungsverfügung richte sich an den falschen Adressaten, da das Feld zum prüfenden Arbeitgeber lediglich den Text enthalte "SPP im Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe" und der Inhaltsadressat somit völlig unbestimmt sei.

Auch überschreite die Prüfungsverfügung den Anwendungsbereich des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) bereits deswegen, da diese eine Aufschlüsselung nach innerdeutschen und ausländischen Fahrten verlange. Im Rahmen des MiLoG könnten jedoch nur Nachweise für Arbeitszeitaufzeichnungen verlangt werden, bei denen sich der Fahrer in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Hinsichtlich ausländischer Fahrten sei eine Prüfungs- und Gesetzgebungskompetenz der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben, so dass für diese geleistete Arbeitszeit gerade keine Nachweise verlangt werden könnten.

Des Weiteren bestünden erhebliche rechtliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Prüfung der Mindestlohnvorschriften im Transportgewerbe. Dabei verweist die Astin. zum einen auf den Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Februar 2018 (Az. 1 V 1175/17), aus dem hervorgehe, dass hinsichtlich aller Transportarten ungeklärt sei, ob § 20 MiLoG überhaupt auf ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen ohne Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland anwendbar sei. Zum anderen sei nunmehr auch das erste zivilrechtliche Urteil des Amtsgerichts (AG) Weißenburg (Az. 1 C 435/16) bzw. Landgerichts (LG) Ansbach (Az. 1 S 872/17) zum MiLoG rechtskräftig. Aus diesen Urteilen ginge hervor, dass selbst bei Kabotagetransporten ausländischer Unternehmer im Inland, das MiLoG unanwendbar sei.

Hilfsweise trägt die Astin. vor, die Prüfungsverfügung sei unzulässigerweise an einen ausländischen Transportunternehmer und damit an einen falschen Adressaten gerichtet. Bei europarechtskonformer Auslegung des MiLoG sei dieses nicht auf ausländische Transportunternehmen anwendbar. Dies könne sich - zumindest für den Transitbereich - aus der Pressemitteilung des 30. Januar 2015 des Bundesministerium für Arbeit ergeben, die eine Übergangsregelung für Transittransporte und ein vorübergehendes Aussetzen der MiLoG-Regelungen anordne.

Die Prüfungsverfügung sei verfassungswidrig, da diese die Astin. gleich in mehreren ihrer Grundrechte verletzen würde. Zum einen sei das Grundrecht der Berufsauswahl und Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Zum anderen sei die Astin. auch in ihrem Grundrecht aus Art. 14 GG verletzt, da von diesem Grundrecht auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb erfasst sei. Ferner sei die Astin. darüber hinaus auch in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Die Regelungen des MiLoGs würden gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen sowie gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Zu unbestimmt seien dabei insbesondere die Regelungen des persönlichen Geltungsbereiches, der erfassten Transportarten, der Vergütungsbestandteile, der Überstundenregelungen sowie der Umrechnungskurse.

Die Prüfungsverfügung sei nicht unionsrechtskonform. Vielmehr seien die Grundfreiheiten der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 ff. AEUV, sowie die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 ff. i.V.m. 92 AEUV der Antragstellerin verletzt. Auch in kollisionsrechtlicher Hinsicht sei die Anwendung des MiLoGs auf die Astin. nicht europarechtskonform, da in das nationale Arbeitsrecht - polnisches Recht gemäß Art. 8 Rom I Verordnung -unzulässigerweise eingegriffen würde, da die Eingriffsnorm nach Art. 9 der Rom I Verordnung nicht greife. Auch seien Art. 8 Abs. 4, 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 1072/92, wonach die Durchführung von Kabotagetransporten nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden dürfe, verletzt.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der Prüfungsverfügung vom xx.xx.xxxx bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, ein unheilbarer Mangel wegen Unbestimmtheit läge nicht vor. Beide Schreiben seien zusammen genommen Teil eines inhaltlich hinreichend bestimmten Verwaltungsaktes nach §§ 118 ff. der Abgabenordnung.

Das MiLoG und die dazu ergangenen Rechtsvorschriften seien auch im Verkehrssektor geltendes deutsches Recht, so dass die Astin. als Arbeitgeberin im Speditions- und Transportgewerbe die Prüfung zu dulden und mitzuwirken habe. Zwar übe der Ag. für den reinen Transitverkehr derzeit sein Ermessen nach § 2 SchwarzArbG dahingehend aus, von Prüfungen abzusehen, der konkrete Sachverhalt sei jedoch von dieser Ermessensbindung nicht betroffen. Nach der Befragung des Fahrers habe der Ag. davon ausgehen können, dass der Fahrer grenzüberschreitende Dienstleistungen erbracht habe und nicht im reinen Transitverkehr gefahren sei.

Ferner sei die Vorwegnahme der Hauptsache zu befürchten, da § 17 Abs. 2 S. 1 MiLoG lediglich eine Aufbewahrungsfrist von 2 Jahren vorschreibe. Unter Berücksichtigung der üblichen Verfahrensdauer im Falle einer finanzgerichtlichen Auseinandersetzung bestünde folglich die Gefahr, dass bei einer stattgebenden Entscheidung im Aussetzungsverfahren die angeforderten Unterlagen nach Ablauf von 2 Jahren nicht mehr bereitgehalten werden müssten und auch nicht würden, wodurch deren Prüfung praktisch vereitelt würde.

II.

1. Der zulässige Antrag ist begründet.

Gemäß § 69 Abs. 2, 3 FGO soll die Vollziehung eines Verwaltungsakts ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei einer überschlägigen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (st. Rspr.; vgl. u.a. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 10. Februar 1967, III B 9/66, BStBl. III 1967, 182). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Die Entscheidung ergeht aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und Aktenlage ergibt (vgl. BFH, Beschluss vom 20. Januar 2015, IX B 112/14, BFH/NV 2015, 537 [BFH 20.01.2015 - XI B 112/14]).

Bei Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist die beantragte AdV zu gewähren. Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Prüfungsverfügung vom xx.xx.xxxx. Ferner wird durch eine Aussetzung gegen Hinterlegung der Dokumente auch die Hauptsache nicht vorweggenommen.

a) Die Prüfungsverfügung ist nicht bereits wegen Nichtigkeit des Verwaltungsaktes im Sinne des § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auszusetzen, da sie insbesondere hinreichend inhaltlich bestimmt ist.

§ 119 Abs. 1 AO sieht vor, dass ein Verwaltungsakt inhaltlich bestimmt sein muss. Nach der Rechtsprechung des BFH bedeutet dies, dass ein Verwaltungsakt bestimmt, unzweideutig und vollständig den Willen der Behörde zum Ausdruck bringen und damit u.a. auch klar erkennen lassen muss, an wen er sich richtet (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21. Oktober 1985, GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230). Dabei reicht es aus, wenn der Inhaltsadressat nach dem objektiven Erklärungsinhalt des Verwaltungsaktes und nach den dem Betroffenen bekannten Umständen im Wege der Auslegung bestimmt werden kann (vgl. Güroff, in: Gosch, AO/FGO, § 119 AO, Rd. 4). Dementsprechend genügt es, wenn die in einer Prüfungsverfügung vermissten Angaben sich im Begleitschreiben finden. Wegen der Einheit der Schreiben, die beide zusammen zu einem Verwaltungsakt verbunden sind, ist dies ausreichend (vgl. BFH, Urteil vom 15. Februar 2008, II B 79/07, BFH/NV 2008, 1102).

Die Prüfungsverfügung sowie das Begleitschreiben weisen in ihrem Zusammenspiel eindeutig die Astin. als Regelungsempfängerin aus. Im Fließtext des Begleitschreibens ist die Astin. ausdrücklich genannt. Ferner wird das Schreiben des Prozessbevollmächtigten nebst eigenem Aktenzeichen zitiert, so dass erkennbar ist, dass es sich um die Aufforderung gegenüber der Astin. handelt, da diese über das Aktenzeichen eindeutig zuzuordnen ist. Ähnlich der Angabe eine Steuernummer, muss diese Angabe zur Auslegung herangezogen werden (vgl. Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 119 AO, Rd. 33) und ermöglicht somit die eindeutige Identifizierung der Astin. als Inhaltsadressatin.

b) Die Prüfungsverfügung ist jedoch wegen ernstlicher Zweifel in rechtlicher Hinsicht von der Vollziehung auszusetzen.

Ernstlich zweifelhaft ist eine Rechtsfrage, wenn zwei Instanzgerichte zu einer höchstrichterlich bisher nicht geprüften Frage mit erwägenswerten Argumenten eine unterschiedliche Rechtsauffassung vertreten (vgl. BFH, Beschluss vom 1. Oktober 2007, VII B 130/07, BFH/NV 2008, 231) oder wenn der BFH die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden hat und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte sowie in der Fachliteratur (insoweit) unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. BFH, Beschluss vom 10. Mai 1968, III B 55/67, BStBl II 1968, 610; Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO, Rd. 307; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 69 Rd. 161; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO, Rd. 91).

Die Rechtsfragen der Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung nach § 2 SchwarzArbG für ausländische Transportunternehmer sind in mindestens fünf instanzgerichtlichen Entscheidungen sowie zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und zivilgerichtlicher Rechtsprechung behandelt und teilweise gegenläufig entschieden worden. Daneben bestehen zahlreiche divergierende Literaturmeinungen, die zu den Urteilen und Beschlüssen teilweise im deutlichen Widerspruch stehen. Eine höchstrichterliche Entscheidung des BFH ist - soweit ersichtlich - nicht ergangen, sodass erhebliche Zweifel in rechtlicher Hinsicht bestehen.

aa) Das FG Baden-Württemberg hat in dem - soweit ersichtlich - ersten Beschluss die in materieller Hinsicht zentrale Frage, was unter einem "im Inland beschäftigten" Arbeitnehmer i.S.d. § 20 MiLoG zu verstehen ist, bzw. ob §§ 16, 17 und 20 MiLoG für im Transportgewerbe tätige ausländische Arbeitgeber ggf. verfassungs- oder europarechtskonform einschränkend auszulegen sind, ausdrücklich offen gelassen (vgl. FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2017, 11 V 2865/15, Beck-Online Rn. 38). Grund für das Offenlassen, sei gewesen, dass im zu entscheidenden Einzelfall nicht ausgeschlossen werden könnte, dass der Arbeitnehmer nicht lediglich Transitfahrten durchgeführt habe. Für den Fall, dass nicht lediglich Transitfahrten durchgeführt wurden, bejahte das FG folglich die Anwendung der §§ 16, 17 und 20 MiLoG auf ausländische Arbeitgeber im Transportgewerbe und wies den Antrag auf AdV ab (vgl. FG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 42). Gleichzeitig wies es jedoch darauf hin, dass in der Literatur gefordert werde, die Anwendung des MiLoG von einer Mindestbeschäftigungsdauer im Inland abhängig zu machen oder jedenfalls reine Transitfahrten aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen (vgl. FG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 39).

bb) Das FG Berlin-Brandenburg kam zu einer gegenteiligen Entscheidung und setzte die Prüfungsanordnung aus (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2018, 1 V 1175/17, DStR 2018, 927). Maßgeblich für diese Entscheidung war insbesondere, dass die Streitfragen zur Anwendung des MiLoG auf ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen der Transport- und Logistikbranche ohne Niederlassung in der Bundesrepublik in der Rechtsprechung und Literatur unverändert ungeklärt seien (vgl. FG Berlin-Brandenburg, a.a.O, Rn. 17 und 18). Es sei völlig offen, ob ausnahmslos jede, auch nur kurzfristige Tätigkeit auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Inlandsbeschäftigung darstelle oder ob etwa eine bestimmte Dauer oder ein Bezug zu den deutschen Sozialversicherungsunternehmen oder zu den Lebenshaltungskosten in Deutschland vorauszusetzen sei. Im Hinblick darauf, dass die Anwendbarkeit des MiLoG davon abhänge, welcher Lehrmeinung zu folgen sei, erwiese sich die Rechtslage als völlig offen.

cc) In zwei inhaltsgleichen Urteilen vom 17. Juli 2018 hat das FG Baden-Württemberg die Klagen überwiegend abgewiesen und festgestellt, dass nach seiner Ansicht ausländische Arbeitgeber den Vorschriften des MiLoG jedenfalls insoweit unterliegen würden, als ihre Arbeitnehmer über reine Transitfahrten hinaus Transporte aus oder nach einem anderen Mitgliedstaat mit Beladung oder Entladung oder Kabotagefahrten durchführten (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteile vom 17. Juli 2018, 11 K 544/16 und 11 K 2644/16, juris). Das FG setzt sich mit erwägenswerten Argumenten mit den zahlreichen anderen Ansichten in der Literatur auseinander, kommt jedoch im Ergebnis zu einer - weit überwiegenden - Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung.

dd) In der - soweit ersichtlich - letzten instanzgerichtlichen Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts zur Thematik hat der beschließende Senat bei summarischer Prüfung die Auffassung geteilt, dass - von reinen Transitfahrten abgesehen - die §§ 16, 17 und 20 MiLoG auch auf ausländische Arbeitgeber im Transportgewerbe grundsätzlich Anwendung fänden und hat den Antrag auf AdV abgelehnt (vgl. Sächsisches FG, Beschluss vom 23. August 2018, 4 V 1019/18, juris). Allerdings sei im Hinblick auf die EuGH-Rechtsprechung die Anwendung des MiLoG nur gerechtfertigt, wenn die ausländischen Arbeitnehmer in nennenswertem Umfang deutschen Lebenshaltungskosten unterlägen, was jedenfalls bei den Fällen des grenzüberschreitenden Straßenverkehrs mit Be- oder Entladung in Deutschland und der Kabotage nicht von vornherein auszuschließen wäre (vgl. Sächsisches FG, a.a.O., Rd. 33). Auch hier werden zahlreiche abweichende Ansichten der Literatur zum Anwendungsbereich thematisiert auch wenn sich das FG diesen im Ergebnis nur zum Teil anschließt (vgl. Sächsisches FG, a.a.O., Rd. 31,32).

ee) Das BVerfG sieht die rechtlichen Fragen bei der Auslegung und Anwendung der in Rede stehenden Normen bisher nicht durch die Fachgerichte geklärt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.06.2015, 1 BvR 555/15, NJW 2015, 2242). Es hat ferner entschieden, dass eine Vorabentscheidung der Verfassungsbeschwerde wegen allgemeiner Bedeutung nach dem entsprechend anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 BVerfGG nicht angezeigt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. September 2017, I BvR 1928/17, HFR 2017, 1165 [BVerfG 19.09.2017 - 1 BvR 1928/17]). In dem Beschluss führt das BVerfG aus, dass zahlreiche fachrechtliche und relevante Fragen des MiLoG ungeklärt seien, was dagegen spräche, auf die prozessrechtlich geforderte Klärung solcher Fragen durch die dazu berufenen Fachgerichte zu verzichten.

ff) In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung wird das MiLoG teilweise selbst für den Fall von Kabotagetransporten wegen eines Verstoßes gegen die europäische Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) für unwirksam erkannt (vgl. AG Weißenburg, Urteil vom 11. August 2017, 1 C 435/16, nachgehend LG Ansbach, Beschluss vom 14. März 2018, 1 S 872/17, juris).

Danach erweist sich die Rechtslage hinsichtlich aller denkbaren Transportformen (Transit/Kabotage/reine Inlandsfahrten, jeweils mit oder ohne Inlandsbezug wie Ent- oder Beladen) bereits aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, jedenfalls jedoch unter Berücksichtigung des Erfordernisses der Einheit der Rechtsordnung, im Zusammenspiel mit der zivilgerichtlichen Rechtsprechung als offen. Gegenstand des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz kann es nach Auffassung des erkennenden Gerichts jedoch nicht sein, die sich in diesem Zusammenhang stellenden zahlreichen schwierigen Rechtsfragen zu gewichten und vorläufig gegebenenfalls zu Lasten der Astin. zu entscheiden (so auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2018, 1 V 1175/17, DStR 2018, 927).

c) Ferner wird die Hauptsache durch die - entsprechend einer Sicherheitsleistung - angeordnete Hinterlegung nicht vorweggenommen.

In ständiger Rechtsprechung ist im Rahmen des Verfahrens zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes zu berücksichtigen, dass dieses Verfahren die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf (vgl. BFH, Beschluss vom 17. Dezember 2003, I B 182/02, BFH/NV 2004, 815; vom 30. Oktober 1990, VII B 33/90, BFH/NV 1991, 607). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird nur dann zugelassen, wenn entweder bereits keine Gefahr einer Fehleinschätzung zu Gunsten des Antragstellers gegeben ist, weil die Rechtslage klar und eindeutig ist oder wenn die Maßnahme unerlässlich ist, der Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich ist und der Anordnungsgrund eine besondere Intensität aufweist. Diese Regeln, die zwar für den Bereich der einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO entwickelt worden sind, gelten ebenso für das Verfahren wegen AdV nach § 69 FGO (vgl. BFH, Beschluss vom 17. Dezember 2003, I B 182/02, BFH/NV 2004, 815). Damit ist es im Wege der AdV nur zulässig, eine vorläufige Maßnahme zu treffen, und nicht eine solche, die vollendete Tatsachen schaffen würde und damit das Ergebnis des in der Hauptsache schwebenden Rechtsstreits vorweg nähme (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 69 Rd. 228).

Der erkennende Senat schließt sich dabei der Auffassung des baden-württembergischen Finanzgerichts (vgl. Beschluss vom 28. Juli 2017, 11 V 2865/15, Beck-Online), sowie des sächsischen Finanzgerichts (vgl. Beschluss vom 23. August 2018, 4 V 1019/18, juris) an und erkennt die Gefahr der Vorwegnahme der Hauptsache. Denn im Hinblick darauf, dass § 17 Abs. 2 Satz 1 MiLoG die Aufbewahrungsfrist auf 2 Jahre begrenzt, steht es zu befürchten, dass unter Berücksichtigung der üblichen Verfahrensdauer eines finanzgerichtlichen Hauptverfahrens die angeforderten Unterlagen nach Ablauf von 2 Jahren nicht mehr bereitgehalten werden müssten und auch nicht würden, wodurch deren Prüfung faktisch vereitelt und die Entscheidung in der Hauptsache im Ergebnis vorweggenommen wäre. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Prüfungsverfügung vom xx.xx.xxxx datiert und die streitgegenständlichen Unterlagen somit in weniger als einem Jahr nicht mehr bereitgehalten werden müssten, wohingegen die Hauptsache 7 K 907/18 erst im Juni 2018 eingegangen ist und derzeit noch nicht zur Entscheidung ansteht. Dieser Gefahr begegnet der erkennender Senat jedoch in entsprechender Anwendung der in § 69 Abs. 2 S. 3 FGO vorgesehenen Sicherheitsleistung mit der Anordnung der Hinterlegung der entsprechenden Dokumente bei Gericht.

2. Das Gericht war gehalten, die Aussetzung der Vollziehung von einer Hinterlegung der im Tenor genannten Dokumente in Analogie zur Sicherheitsleistung bei Steueransprüchen abhängig zu machen (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO).

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH dient die Sicherungsleistung dem Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers und ist nur dann geboten, wenn die Realisierung des (angeblichen) Steueranspruchs gerade durch die AdV gefährdet oder ernstlich erschwert wird (vgl. BFH, Beschluss vom 1. Oktober 2007, VII B 130/07, BFH/NV 2008, 231). Nach diesen Rechtsgrundsätzen wäre die Realisierung des (angeblichen) Prüfungsanspruchs gerade wegen der kurzen Aufbewahrungsfrist des § 17 Abs. 2 S. 1 MiLoG (vgl. oben) durch eine unbedingte Aussetzung gefährdet. Nach Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere des nicht-monetären Aussetzungsinteresses und der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Prüfungsverfügung, hält der erkennende Senat die Hinterlegung der Dokumente für verhältnismäßig, um einen geeigneten Ausgleich zwischen dem möglichen Prüfungsanspruch des Ag. und dem Aussetzungsinteresse der Astin. zu schaffen und dem Gebot auf effektiven Rechtsschutz Genüge zu tun (vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO, Rd. 111). Das Gericht verlangt dabei keine Aufschlüsselung nach innerdeutschen und ausländischen Fahrten, wie in der Prüfungsverfügung vom 21. September 2017 angegeben, sondern lediglich eine Aufschlüsselung nach innerdeutschen Fahrten. Hinsichtlich ausländischer Fahrten ist eine Prüfungs- und Gesetzgebungskompetenz der Bundesrepublik Deutschland unstreitig nicht gegeben und wird auch nicht vom Ag. behauptet, so dass es ausreichen wird, dass sich die innerdeutschen Fahrten aus der Aufschlüsselung ergeben.

3. Die Kostenregelung folgt § 135 Abs. 1 FGO. Dabei wirkt sich die Tatsache, dass dem Begehren der Astin., AdV ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, nicht entsprochen wurde, nicht zu ihren Lasten aus, weil es sich lediglich um eine Aussetzungsmodalität handelt (vgl. BFH, Beschluss vom 22. Juli 1980, VII B 43/79, BStBl II 1980, 658).

4. Gegen diese Entscheidung wird die Beschwerde zugelassen (§ 128 Abs. 3 FGO), da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung der Bundesfinanzgerichtshofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).