VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.07.2019 - 9 K 1438/19
Fundstelle
openJur 2019, 33798
  • Rkr:

Aus der Bezugnahme des § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG auch auf § 4 Abs. 6 StVG folgt, dass auch für die Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG ("Kenntnis erhält") grundsätzlich ausschließlich die durch das Kraftfahrtbundesamt übermittelten Auszüge aus dem Fahreignungsregister als Sachstand maßgeblich sind.

Eine innerbehördliche Wissenszurechnung unterbleibt auch, wenn ein Verkehrsverstoß durch die Bußgeldstelle des Rechtsträgers der Fahrerlaubnisbehörde geahndet wurde.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war Inhaber einer Fahrerlaubnis. Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen Überschreitens der 8-Punkte-Grenze. Die Eintragungen im Fahreignungsregister stellen sich wie folgt dar:

Datum / Bl.

Ordnungswidrigkeit

P.

Entscheidung

Rechtskraft

Tilgung

14. 2. 17

2 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 60,00 €

23. 2. 17

14. 3. 17

14. 9. 19

26. 4. 17

3 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 75,00 €

5. 9. 17

24. 1. 18

24. 7. 20

8. 5. 17

4 VV

+ 40 km/h innerorts

11.3.6 BKatV, 175,00 €

22. 6. 17

14. 7. 17

14. 7. 22

16. 11. 17

5 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 125,00 €

3. 1. 18

26. 1. 18

26. 7. 20

4. 7. 17

6 VV

+ 22 km/h außerorts

11.3.4 BKatV, 80,00 €

22. 8. 17

9. 2. 18

9. 8. 20

19. 6. 18

13 VV

Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG (PZU:, 21. 6. 18

30. 5. 18

27 VV

+ 21 km/h außerorts

11.3.4 BKatV, 175,00 €

30. 7. 18

21. 8. 18

21. 2. 21

18. 7. 18

28 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 200,00 €

23. 8. 18

13. 9. 18

13. 3. 21

2. 8. 18

40 VV

+ 33 km/h außerorts

11.3.6 BKatV, 192,00 €

20. 9. 18

9. 10. 18

9. 4. 21

18. 8. 18

53 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 182,50 €

27. 9. 18

20. 10.18

20. 4. 21

21. 11. 18

54 VV

Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG PZU (-)

C. 6. 12. 18 (Bl. 61 VV)

27. 8. 18

78 VV

+ 26 km/h außerorts

11.3.5 BKatV, 135,00 €

29. 10. 18

21. 11. 18

21. 5. 21

20. 2. 19

Entziehung der Fahrerlaubnis

30. 10. 18

101 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 200,00 €

21. 11. 18

29. 1. 19

29. 7. 21

31. 8. 18

120 VV

Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG), LKW, 30 TS à 10 €

3. 1. 19

24. 1. 19

24. 1. 24

Mit Schreiben vom 23. Januar 2019 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Innerhalb der ihm bis zum 4. Februar 2019 gesetzten Frist gab der Kläger keine Stellungnahme ab.

Mit vom 20. Februar 2019 datierten und am 26. Februar 2019 zugestellten Bescheid entzog die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis, forderte ihn auf, seinen Führerschein bis zum 6. März 2019 bei ihr abzuliefern, drohte ihm für den Fall, dass er seinen Führerschein nicht innerhalb der Frist abgeliefert wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 € an und erhob eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 153,45 €. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Entziehung der Fahrerlaubnis ergebe sich aus § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Nach dieser Vorschrift sei dem Kläger die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil er nach den - im Einzelnen in der Anlage zum Bescheid aufgeführten - Eintragungen im Fahreignungsregister 8 Punkte erreicht habe und damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte. Die Gebühr entspreche dem Verwaltungsaufwand. Auf Grund des entstandenen durchschnittlichen Verwaltungsaufwandes seien in Fällen der vorliegenden Art 150,00 € angemessen.

Am 25. März 2019 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt insbesondere vor, bei der Verwarnung sei der Verstoß vom 27. August 2018 unberücksichtigt geblieben. Der Punktestand habe sich damit auf 7 Punkte verringert. Der Punktestand habe sich nicht wieder erhöht, weil der Beklagten am 21. November 2018 und damit am Tag des Ausstellens der Verwarnung die rechtskräftige Ahndung der Ordnungswidrigkeit bekannt gewesen sei. § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG, nach der sich der Punktestand wieder erhöhen könne, stelle ausdrücklich auf die Kenntnis der zuständigen Behörde und nicht des Kraftfahrtbundesamtes ab. Es sei unerheblich, dass die Mitteilung an das Kraftfahrtbundesamt erst am 6. Dezember 2018 erfolgt sei. Andernfalls wäre es in das Belieben der Behörde gestellt, durch verspätete Mitteilungen die Regelung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG leerlaufen zu lassen. Auf Grund der damit feststehenden Kenntnis sei der Punktestand des Klägers mit dem Ausstellen der Verwarnung auf 7 Punkte zu verringern gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Begründung der angegriffenen Ordnungsverfügung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

Gründe

Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit mit Beschluss der Kammer vom 15. April 2019 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Ordnungsverfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Nach dieser Vorschrift gilt der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich 8 oder mehr Punkte ergeben. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die nach Landesrecht zuständige Behörde ist in dieser Hinsicht an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 4 Abs. 5 Satz 3 StVG). Sie hat für das Ergreifen der Maßnahmen auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (Tattagsprinzip, § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG).

Die Voraussetzungen der unwiderlegbaren gesetzlichen Fiktion des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG liegen vor, so dass die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis entziehen musste. Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Ordnungswidrigkeit war der 27. August 2018. In diesem Zeitpunkt lagen 8 Punkte vor.

Dies ergibt sich aus der Anwendung des gesetzlichen Fahreignungs-Bewertungssystems. Auf die ab dem 1. Mai 2014 gespeicherten Verkehrszuwiderhandlungen nach § 4 Abs. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 40 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) i.V.m. Anlage 13 FeV sind die seit diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen anwendbar.

Gemäß § 4 Abs. 2 StVG in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung sind für die Anwendung des Fahreignungs-Bewertungssystems die in einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe s StVG - der Fahrerlaubnisverordnung - bezeichneten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten maßgeblich. Sie werden nach Maßgabe der in Satz 1 genannten Rechtsverordnung wie folgt bewertet:

1. Straftaten mit Bezug auf die Verkehrssicherheit oder gleichgestellte Straftaten, sofern in der Entscheidung über die Straftat die Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 69 und 69b des Strafgesetzbuches oder eine Sperre nach § 69a Absatz 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches angeordnet worden ist, mit drei Punkten,

2. Straftaten mit Bezug auf die Verkehrssicherheit oder gleichgestellte Straftaten, sofern sie nicht von Nummer 1 erfasst sind, und besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeiten jeweils mit zwei Punkten und

3. verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeiten mit einem Punkt.

Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Soweit in Entscheidungen über Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auf Tateinheit entschieden worden ist, wird nur die Zuwiderhandlung mit der höchsten Punktzahl berücksichtigt.

Gemäß § 40 FeV sind dem Fahreignungs-Bewertungssystem die in Anlage 13 bezeichneten Zuwiderhandlungen mit der dort jeweils festgelegten Bewertung zu Grunde zu legen. Anlage 13 FeV wiederum enthält tabellarisch die Bezeichnung und Bewertung der im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems zu berücksichtigenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.

Geschwindigkeitsüberschreitungen werden gemäß Ziffer 2.2.3 Anlage 13 FeV als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten mit 2 Punkten bewertet, soweit für ihre Ahndung 9.1 bis 9.3, 11.1 bis 11.3 jeweils in Verbindung mit 11.1.6 bis 11.1.10 der Tabelle 1 des Anhangs (11.1.6 nur innerhalb geschlossener Ortschaften), 11.2.5 bis 11.2.10 der Tabelle 1 des Anhangs (11.2.5 nur innerhalb geschlossener Ortschaften) oder 11.3.6 bis 11.3.10 der Tabelle 1 des Anhangs (11.3.6 nur innerhalb geschlossener Ortschaften) des Bußgeldkatalogs gemäß Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) einschlägig sind. Sie werden gemäß Ziffer 3.2.2 Anlage 13 FeV als (schlicht) verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten mit 1 Punkt bewertet, soweit für ihre Ahndung 8.1, 9, 10, 11 in Verbindung mit 11.1.3, 11.1.4, 11.1.5, 11.1.6 der Tabelle 1 des Anhangs (11.1.6 nur außerhalb geschlossener Ortschaften), 11.2.2, 11.2.3, 11.2.4, 11.2.5 der Tabelle 1 des Anhangs (11.2.2 nur innerhalb, 11.2.5 nur außerhalb geschlossener Ortschaften), 11.3.4, 11.3.5, 11.3.6 der Tabelle 1 des Anhangs (11.3.6 nur außerhalb geschlossener Ortschaften) des Bußgeldkatalogs einschlägig sind.

Verstöße gegen die sonstigen Pflichten des Fahrzeugführers werden gemäß Ziffer 3.2.15 Anlage 13 FeV i.V.m. Ziffern 108, 246.1, 247 der Anlage zur BKatV mit 1 Punkt bewertet. Hierzu gehört das rechtswidrige Benutzen eines elektronischen Geräts beim Führen eines Fahrzeugs (Ziffer 246.1 der Anlage zur BKatV).

Die im Tatbestand tabellarisch dargestellten, ab dem 1. Mai 2014 gespeicherten Verkehrsverstöße wurden jeweils den zutreffenden Bestimmungen des Bußgeldkatalogs zugeordnet und nach Maßgabe der Anlage 13 FeV durchgehend korrekt bewertet. Zutreffend wurden für die Zuwiderhandlungen unter Ausschluss der am 31. August 2018 und am 30. Oktober 2018 begangenen Zuwiderhandlungen 8 Punkte ermittelt.

Von diesen 8 Punkten wurde kein Punkt getilgt.

Die Tilgung der Punktbewertungen richtet sich nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StVG jeweils für die mit einem Punkt bewerteten Ordnungswidrigkeiten - dann zweieinhalb Jahre - und nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b) StVG hinsichtlich der mit zwei Punkten bewerteten Ordnungswidrigkeiten - dann fünf Jahre. Die Tilgungsfristen beginnen jeweils mit dem Tag der Rechtskraft (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG). Im Zeitpunkt des letzten Tattages (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG) vor der Entziehung der Fahrerlaubnis, dem 27. August 2018, war der hiernach früheste Tilgungszeitpunkt, nämlich der 14. September 2019 für den am 14. März 2017 rechtskräftig geahndeten Verstoß vom 14. Februar 2017, noch nicht erreicht.

Weitere Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist, dass die Vorstufenmaßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG ergriffen worden sind. Ergeben sich vier oder fünf Punkte, ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis beim Erreichen eines dieser Punktestände schriftlich zu ermahnen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG). Ergeben sich sechs oder sieben Punkte, ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis beim Erreichen eines dieser Punktestände schriftlich zu verwarnen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG).

Gemäß § 4 Abs. 6 StVG darf die nach Landesrecht zuständige Behörde eine Maßnahme nach Absatz 5 Satz 1 Nummer 2 oder 3 erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe nach Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 oder 2 bereits ergriffen worden ist (Satz 1). Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen (Satz 2). Im Fall des Satzes 2 verringert sich der Punktestand mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen (1.) Ermahnung auf fünf Punkte, (2.) Verwarnung auf sieben Punkte, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist (Satz 3). Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Satz 3 begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, erhöhen den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand (Satz 4).

Die Vorstufenmaßnahmen sind ergriffen worden, ohne dass erhebliche Verringerungen des Punktestandes eingetreten sind. Die Beklagte hat den Kläger nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ordnungsgemäß mit Schreiben vom 19. Juni 2018 ermahnt, nachdem er durch folgende Handlungen

Datum / Bl.

Ordnungswidrigkeit

P.

Entscheidung

Rechtskraft

Tilgung

14. 2. 17

2 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 60,00 €

23. 2. 17

14. 3. 17

14. 9. 19

26. 4. 17

3 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 75,00 €

5. 9. 17

24. 1. 18

24. 7. 20

8. 5. 17

4 VV

+ 40 km/h innerorts

11.3.6 BKatV, 175,00 €

22. 6. 17

14. 7. 17

14. 7. 22

16. 11. 17

5 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 125,00 €

3. 1. 18

26. 1. 18

26. 7. 20

4. 7. 17

6 VV

+ 22 km/h außerorts

11.3.4 BKatV, 80,00 €

22. 8. 17

9. 2. 18

9. 8. 20

6 Punkte auf Grund rechtskräftig geahndeter Verstöße, die der Beklagten gemäß § 4 Abs. 8 StVG zur Kenntnis gelangt waren, erreicht hatte.

Die Ermahnung enthielt nach § 4 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 7 StVG in der beigefügten Anlage, auf die die Ermahnung Bezug nahm, einen zutreffenden Hinweis auf die Möglichkeit der freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar, die - unter weiteren Voraussetzungen - zu einer Reduktion um einen Punkt führen könne. Eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem solchen Seminar hat der Kläger ausweislich des Verwaltungsvorgangs der Beklagten, der keine Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit aufweist, nicht vorgelegt.

Weil die Maßnahmenstufe der Ermahnung noch nicht ergriffen war, verringerte sich der erreichte Punktestand von 6 auf 5 (§ 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 StVG).

Dass die Ermahnung folgenden vor ihrem Ergehen begangenen Verkehrsverstoß

Datum / Bl.

Ordnungswidrigkeit

P.

Entscheidung

Rechtskraft

Tilgung

30. 5. 18

27 VV

+ 21 km/h außerorts

11.3.4 BKatV, 175,00 €

30. 7. 18

21. 8. 18

21. 2. 21

nicht berücksichtigt hatte, führt nicht zu einer weiteren Verringerung des Punktestandes bzw. im Ergebnis nicht zur Nichtberücksichtigung dieses Verstoßes. Mit dem Verstoß hat der Kläger zwar im Zeitpunkt des Ausstellens der Ermahnung am 19. Juni 2018 bereits sogar 7 Punkte - nach obiger Verringerung 6 Punkte - erreicht.

Dem Kläger kommt deshalb jedoch im Ergebnis keine weitere Verringerung nach § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG zu Gute. Die Beklagte konnte den Kläger wegen dieses Verstoßes noch nicht ermahnen, weil sie - schon auf Grund der rechtskräftigen Ahnung erst am 21. August 2018 - nicht nach Maßgabe des § 4 Abs. 8 StVG Kenntnis von dem Verstoß erlangt hat. In einer solchen Fallgestaltung erhöht nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG der Punkt für die begangene Zuwiderhandlung, die vor dem Ausstellen der Ermahnung begangen wurde, den gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 StVG eigentlich auf 5 Punkte zu verringernden Punktestand wieder auf 6 Punkte.

Als der Kläger mit folgenden Ordnungswidrigkeiten

Datum / Bl.

Ordnungswidrigkeit

P.

Entscheidung

Rechtskraft

Tilgung

30. 5. 18

27 VV

+ 21 km/h außerorts

11.3.4 BKatV, 175,00 €

30. 7. 18

21. 8. 18

21. 2. 21

18. 7. 18

28 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 200,00 €

23. 8. 18

13. 9. 18

13. 3. 21

2. 8. 18

40 VV

+ 33 km/h außerorts

11.3.6 BKatV, 192,00 €

20. 9. 18

9. 10. 18

9. 4. 21

18. 8. 18

53 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 182,50 €

27. 9. 18

20. 10.18

20. 4. 21

9 Punkte auf Grund rechtskräftig geahndeter Verstöße, die der Beklagten gemäß § 4 Abs. 8 StVG zur Kenntnis gelangt waren, erreicht hatte, wurde er ordnungsgemäß mit Schreiben vom 21. November 2018 von der Beklagten verwarnt.

Weil die Maßnahmenstufe der Verwarnung noch nicht ergriffen war, verringerte sich der erreichte Punktestand von 9 auf 7 (§ 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG).

Die Verwarnung enthielt in ihrer Anlage, auf die in der Verwarnung verwiesen wurde, nach § 4 Abs. 5 Satz 2, Abs. 7 StVG zutreffende Hinweise auf die Möglichkeit der freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar, die allerdings nach § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG wegen Überschreitens der 5-Punkte-Grenze nicht mehr zu einer Punktereduktion führen könne, sowie darauf, dass bei Erreichen von 8 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde.

Dass die Verwarnung folgende vor ihrem Ergehen begangene Verkehrsverstöße

Datum / Bl.

Ordnungswidrigkeit

P.

Entscheidung

Rechtskraft

Tilgung

27. 8. 18

78 VV

+ 26 km/h außerorts

11.3.5 BKatV, 135,00 €

29. 10. 18

21. 11. 18

21. 5. 21

30. 10. 18

101 VV

Mobiltelefon, 246.1 BKatV, 200,00 €

21. 11. 18

29. 1. 19

29. 7. 21

31. 8. 18

120 VV

Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG), LKW, 30 TS à 10 €

3. 1. 19

24. 1. 19

24. 1. 24

nicht berücksichtigt hatte, führt nicht zu einer weiteren Verringerung des Punktestandes.

Mit den am 27. August 2018, 31. August 2018 und 30. Oktober 2018 begangenen Verstößen hat der Kläger zwar im Zeitpunkt des Ausstellens der Verwarnung am 21. November 2018 sogar bereits - nach obiger Verringerung - 11 Punkte und damit die Maßnahmenstufe der Entziehung der Fahrerlaubnis überschritten.

Dem Kläger kommt deshalb jedoch im Ergebnis keine Verringerung nach § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG zu Gute. Die Beklagte konnte den Kläger wegen dieser Verstöße noch nicht verwarnen, weil sie - hinsichtlich der Ordnungswidrigkeiten vom 31. August 2018 und 30. Oktober 2018 schon auf Grund der rechtskräftigen Ahnung erst am 24. Januar 2018 und 29. Januar 2019 - nicht nach Maßgabe des § 4 Abs. 8 StVG Kenntnis von den Verstößen erlangt hat.

In einer solchen Fallgestaltung erhöhen nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG die Punkte für die begangenen Zuwiderhandlungen, die vor dem Ausstellen der Verwarnung begangen wurden, den gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG eigentlich auf 7 Punkte verringerten Punktestand wieder bzw. führen nicht zu einer endgültigen Verringerung des Punktestandes.

Dies gilt auch hinsichtlich des am 21. November 2018, dem Tag des Ausstellens der Verwarnung, rechtskräftig geahndeten Verstoßes vom 27. August 2018. Dem Kläger ist nicht in seiner Auffassung zu folgen, dass der Beklagten der Punkt für diese Zuwiderhandlung demnach bekannt gewesen sei und es hinsichtlich dieses Punktes nicht zu einer Erhöhung nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG komme. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 ist die nach Landesrecht zuständige Behörde bei der Ergreifung der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden. Hinsichtlich der Kenntnis dieser rechtskräftigen Entscheidung nimmt § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG wiederum Bezug auf die nach Landesrecht zuständige Behörde.

Als Fahrerlaubnisbehörde zuständig ist die Beklagte gemäß §§ 1, 2 Nr. 1 der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Straßenverkehr und Güterbeförderung vom 5. Juli 2016 (GV NRW S. 527) i.V.m. § 3 Abs. 1 OBG NRW als Kreisordnungsbehörde; im Falle der Beklagten nimmt diese deren Aufgaben als kreisfreie Stadt wahr. Die Beklagte ist auch zuständig für die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten (RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales - 43.8 - 57.04.16 - v. 2.11.2010).

Dies führt jedoch entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu einer etwaigen Wissenszurechnung zweier Stellen innerhalb der Beklagten mit der Folge, dass § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG für den am 21. November 2018 geahndeten Verstoß nicht griffe. Worüber vielmehr die Fahrerlaubnisbehörde im Sinne des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG "Kenntnis erhält", bestimmt abschließend § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG. Danach hat zur Vorbereitung der Maßnahmen nach Absatz 5 das Kraftfahrt-Bundesamt bei Erreichen der jeweiligen Punktestände nach Absatz 5, auch in Verbindung mit den Absätzen 6 und 7, der nach Landesrecht zuständigen Behörde die vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister zu übermitteln.

Im Fahreignungs-Bewertungssystem entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde auf der Grundlage der ihr gemäß § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Eintragungen im Fahreignungsregister. Dieser Kenntnisstand ist maßgebend für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG. Für die Frage, ob die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist und sich, wenn zunächst diese Maßnahme zu ergreifen ist, der Punktestand verringert (§ 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG), kann nichts anderes gelten. Eine andere Betrachtung liefe dem Ziel der Gesetzesänderung zuwider, bei einer Anhäufung von Verkehrsverstößen die Entziehung der Fahrerlaubnis auch dann zu ermöglichen, wenn der Betroffene nach der Verwarnung die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr durch eine Änderung seines Verkehrsverhaltens verhindern kann.

BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21/15 -, BVerwGE 157, 235-249, Rn. 25, juris, vgl. zuvor auch BayVGH, Beschluss vom 23. Mai 2016 - 11 CS 16.585 -, Rn. 15, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 15. März 2017 - 3 K 217/17 -, Rn. 22, juris a.E.

Informationen, welche der Fahreignungsbehörde von anderen Stellen - etwa vom Fahrerlaubnisinhaber selbst, anderen Behörden oder Gerichten oder auch innerbehördlich - übermittelt werden, stehen den Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts nicht gleich.

VG Karlsruhe, Beschluss vom 15. März 2017 - 3 K 217/17 -, Rn. 22, juris; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 16 B 382/16 -, juris.

Aus diesen Grundsätzen und der Bezugnahme des § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG auch auf § 4 Abs. 6 StVG folgt, dass auch für die Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG ("Kenntnis erhält") ausschließlich die durch das Kraftfahrtbundesamt übermittelten Auszüge aus dem Fahreignungsregister als Sachstand maßgeblich sind. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine etwaige innerbehördliche Wissenszurechnung hinsichtlich der am 21. November 2018 eingetretenen Rechtskraft der Ahndung des Verstoßes vom 27. August 2018 unterbleibt mit der Folge, dass die nachträgliche Übermittlung des Registereintrags den Punktestand hier gemäß § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG wieder erhöht.

Greifbare Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches oder manipulatives Vorgehen

- als Gesichtspunkt in Betracht gezogen von BayVGH, Beschluss vom 28. April 2016 - 11 CS 16.537 -, Rn. 13 - 14, juris -

der Beklagten bestehen nicht.

Mit dem Verstoß am 27. August 2018 hat der Kläger somit 8 Punkte erreicht. Er gilt als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Darüber hinaus dürften sich im Falle des Klägers drei weitere Punkte durch die vor Erlass der Ordnungsverfügung begangenen Ordnungswidrigkeiten begangen haben. Die Fahrerlaubnisbehörde hat für das Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG, Tattagsprinzip). Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist allein das objektive Vorliegen der rechtskräftig geahndeten Ordnungswidrigkeit maßgeblich. Auf die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde durch Übermittlung des Registerauszugs nach § 4 Abs. 8 StVG kommt es im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht an. Die Erwägungen zu § 4 Abs. 6 StVG lassen sich auf die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht übertragen, weil § 4 Abs. 6 StVG, insbesondere dessen Satz 4, lediglich für die Wirkungen der Vorstufenmaßnahmen auf die Kenntniserlangung durch die Behörde abstellt.

Für eine von der zwingenden Rechtsfolge des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG abweichende Einzelfallbetrachtung ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung kein Raum.

Die Aufforderung, den Führerschein unverzüglich bei der Beklagten abzuliefern, findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 und 4 StVG.

Ermächtigungsgrundlage der Zwangsgeldandrohung sind §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 und 63 Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW (VwVG NRW). Einer Anhörung bedurfte es gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW nicht. Die Höhe des jeweils angedrohten Zwangsgeldes ist angesichts der drohenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit verhältnismäßig. Sie erscheint erforderlich und angemessen, um einen wirtschaftlich Handelnden in der Position des Klägers zur Abgabe des Führerscheins zu veranlassen.

Die Gebührenfestsetzung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Beklagte den ihr in Ziffer 206 der Anlage 1 zur Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr eröffneten Gebührenrahmen erkannt und eingehalten. Die festgesetzte Gebühr hat sie nachvollziehbar mit ihrem Verwaltungsaufwand und der Einordnung des Falles als durchschnittlich begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).