OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.10.2019 - 6 A 3727/18
Fundstelle
openJur 2019, 33768
  • Rkr:
Verfahrensgang

Erfolgloser Zulassungsantrag einer Klägerin, die ihre Einstellung in den Polizeivollzugsdienst begehrt.

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

A. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. aus N. ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

B. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die Klägerin stützt ihn auf die Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 5 und 1 VwGO. Keiner dieser Zulassungsgründe ist gegeben.

I. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass das angefochtene Urteil im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO auf einem Verfahrensfehler beruht.

1. Mit dem - eingehenden - Vortrag dazu, sie leide nicht unter Migräne, wird kein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO dargetan. Nur angemerkt sei insoweit, dass der Stellungnahme des Facharztes für Neurologie Dr. H. vom 22. Februar 2017 entgegen dem Vorbringen der Klägerin keineswegs zu entnehmen ist, die Migräne sei "endgültig austherapiert und geheilt"; Dr. H. vertritt darin vielmehr die - nachfolgend noch zu erörternde - Auffassung, eine Migräne habe gar nicht vorgelegen. Ebenso wenig ist ein Verfahrensfehler dargelegt mit der bloßen Benennung des - zudem offensichtlich unvollständigen - Beweisantrags, "für die Tatsache, dass die Klägerin seit mindestens Mitte 2014 beschwerdefrei ist und nicht mehr unter Migräne oder Migräne mit Aura gelitten hat und auch einer Migräne aus ärztlicher Erfahrung in Wiederholung nicht mehr zu rechnen ist, durch".

2. Die Klägerin macht ferner erfolglos geltend, es hätte ihrem Antrag entsprechend ein weiteres Sachverständigengutachten zu vier im Einzelnen aufgeführten Beweisfragen eingeholt werden müssen (wobei es sich bei der mit der Frage zu 4. unter Beweis gestellten Polizeidiensttauglichkeit ohnehin um eine dem Beweis unzugängliche rechtliche Bewertung handelt).

Über die Einholung eines weiteren Gutachtens entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (§ 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO). Die unterlassene Einholung zusätzlicher Gutachten kann deshalb nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn die vorliegenden Gutachten ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegen dem Gericht bereits sachverständige Äußerungen zu einem Beweisthema vor, muss es ein zusätzliches Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 -, BVerwGE 150, 1 = juris Rn. 31, und Beschluss vom 27. März 2013 - 10 B 34.12 -, NVwZ-RR 2013, 620 = juris Rn. 4, jeweils m.w.N.

Dies wird mit dem Zulassungsantrag nicht dargelegt. Der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Sachverhalt sei mit Blick auf die bereits vorliegenden ärztlichen Berichte und Stellungnahmen umfassend geklärt und das Gericht in die Lage versetzt gewesen, die Frage der Polizeidiensttauglichkeit der Klägerin abschließend zu beurteilen, setzt der Zulassungsantrag im Wesentlichen seine abweichende Sichtweise entgegen. Er macht insbesondere nicht erkennbar, dass LRMD Dr. Q. in seinen zugrunde gelegten Stellungnahmen von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist.

Vergeblich verweist die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahmen des Facharztes für Neurologie Dr. H. vom 10. August 2016 und vom 22. Februar 2017 und die nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils noch eingeholte und vorgelegte Bescheinigung des Prof. Dr. L. vom 11. Oktober 2018. Diese leiden jeweils daran, dass die Ärzte von anamnestischen Angaben ausgehen, die mit denjenigen nicht in Einklang zu bringen sind, die die Klägerin in der Vergangenheit behandelnden Ärzten gegenüber gemacht hat, und insoweit auf einer unzureichenden Erkenntnisgrundlage beruhen. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheinigungen des Dr. H. aus diesem Grund zu Recht als ungeeignet angesehen, die anderweitigen ärztlichen Bescheinigungen in Zweifel zu ziehen und weiteren Aufklärungsbedarf zu begründen. Nichts anderes gilt für die Stellungnahme des Prof. Dr. L. , die dem Verwaltungsgericht allerdings nicht bekannt sein konnte.

Im Einzelnen gilt hier Folgendes: Die von der Klägerin angegebenen Beschwerden aus der Zeit, in der sie ihretwegen Ärzte aufgesucht hat, sind am ausführlichsten wiedergegeben im Bericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. C. vom 10. Juni 2014. Danach hat die Klägerin über Blitze vor den Augen geklagt, gefolgt von Zittern und Erbrechen. Sie höre dann nichts mehr und könne nicht richtig sehen. Erstmals aufgetreten sei dies bei der ersten Periode vor fünf Jahren. Sie leide oft unter Kopfschmerzen, immer auftretend dann, wenn sie ihre Periode bekomme. Als Diagnose hat Dr. C. "Migräne mit Aura" vermerkt. Vergleichbares ist der Bescheinigung der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. X. vom 11. Februar 2016 zu entnehmen. Danach befand sich die Klägerin dort seit 2013 in Behandlung unter anderem wegen insbesondere während der Periodenblutung aufgetretenen Migräneattacken, zum Teil mit Aura, die seit Einnahme der Pille nicht mehr aufgetreten seien. Der Praktische Arzt Dr. S. hat in seinem Befundbericht vom 7. Juni 2016 für die Zeit seit dem 1. Januar 2013 festgestellt, nach seinen Unterlagen sei im Januar und September 2013 ein Migräneanfall aufgetreten, ein dritter (und der letzte ihm bekannt gewordene) Anfall mit Zittern und Erbrechen am 2. Januar 2014. Vor den Attacken habe die Klägerin eine Aura mit Sehstörungen in Form von Blitzen und leichter Schwerhörigkeit gehabt. In der Bescheinigung der Ärztin für Allgemeinmedizin K. vom 9. Juni 2016 ist die Rede von migräneartige Beschwerden bis vor zwei Jahren.

Den Bescheinigungen des Dr. H. vom 10. August 2016 und vom 22. Februar 2017 lagen dagegen offenbar anamnestische Angaben zugrunde, mit denen die Klägerin deutlich weniger gewichtige Beschwerden geschildert hatte. So ist in ersterer Bescheinigung lediglich die Rede von "Z.n. passagere(n) Migräneattacken mit geringer Intensität und sehr geringer Anfallsfrequenz". Blitze vor den Augen habe es nur 2013 gegeben, Kopfschmerzen seien nur vereinzelt bei der Menstruation aufgetreten und nur in einer Intensität, die keiner ärztlichen Intervention bedurft habe. Hieraus (und - nur - auf dieser Grundlage nachvollziehbar) folgert Dr. H. , die Diagnose einer Migräne mit Aura, die erst nach fünf Episoden gestellt werden solle, sei für ihn nicht gesichert, bzw. - in der Bescheinigung vom 22. Februar 2017 -, es sei "unzulässlich eine singuläre optische Sensation als Aura zu bezeichnen"; tatsächlich hätten lediglich Cephalgien vorgelegen. Die genannten anamnestischen Angaben sind offensichtlich unvereinbar mit denjenigen, die den oben genannten Bescheinigungen zugrunde liegen (zusammengefasst: seit 2009 oft Kopfschmerzen teils mit Blitzen vor den Augen, Zittern und Erbrechen, Hör- und Sehstörungen, Kopfschmerzen regelmäßig bei Auftreten der Periode). Auf die Widersprüche ist im Einzelnen bereits das Verwaltungsgericht eingegangen, ohne dass die Klägerin dem mit dem Zulassungsvorbringen durchgreifend entgegen getreten wäre.

Ähnliches gilt für die Bescheinigung des Chefarztes der Klinik für Neurologie des Evangelischen Krankenhauses V. Prof. Dr. L. vom 11. Oktober 2018. Dieser ist zu entnehmen, dass die Klägerin dem Arzt gegenüber angegeben hatte, sie habe in den Jahren 2009 bis 2014 drei Episoden erlitten, in denen sie Blitze vor den Augen gesehen, eine Hörminderung bemerkt, gezittert und erbrochen habe. Diese Symptomatik habe für Sekunden angehalten. In den gleichen Jahren habe sie während ihrer Periode frontale Kopfschmerzen verspürt, ohne Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmüberempfindlichkeit. Zunächst ist schon für sich genommen kaum vorstellbar, dass eine mit Erbrechen verbundene Symptomatik nur für Sekunden anhält. Davon abgesehen stehen die Angaben wiederum nicht mit denen in Einklang, die die Klägerin gegenüber den sie in der Vergangenheit behandelnden Ärzten gemacht hat. Der Bescheinigung der Dr. C. vom 10. Juni 2014 zufolge gingen vielmehr die mit Hör- und Sehstörungen, Zittern und Erbrechen verbundenen Kopfschmerzen zumindest auch mit der Periode einher. Gleiches ergibt sich aus der Bescheinigung der Ärztin Dr. X. vom 11. Februar 2016. Aus dem Umstand, dass die Symptomatik (auch) der Bescheinigung des Prof. Dr. L. zufolge schon seit 2009 bestand und allein Dr. S. in seinem Befundbericht vom 7. Juni 2016 für den Zeitraum Januar 2013 bis Januar 2014 drei Migräneanfälle mit Zittern und Erbrechen konkret aufführt, folgt daneben, dass die Angabe unrichtig ist, es habe nur drei Episoden gegeben.

Dabei hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Angaben zu den bei ihr vorliegenden Symptomen, die die Klägerin den sie in der Vergangenheit behandelnden Ärzten gegenüber gemacht hat, als zutreffend und die auf den abweichenden Angaben beruhenden Bescheinigungen folgerichtig als nicht tragfähig erachtet. Es ist bereits keinerlei Grund dafür ersichtlich, warum die Klägerin jenen Ärzten gegenüber falsche Angaben gemacht haben sollte. Vielmehr musste sie damals, um eine passende und wirksame Behandlung zu erhalten, ein erhebliches Interesse daran haben, die Beschwerden wahrheitsgemäß zu schildern. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass sie nicht einmal bei Einreichung der Bescheinigungen bei Gericht kenntlich gemacht hat, ihre dort aufgeführten Angaben seien übertrieben oder sonst falsch bzw. falsch aufgenommen gewesen. Im Gegenteil hat die Klägerin bei der Untersuchung im Januar 2018 - abweichend von den Bescheinigungen - nochmals bestätigt, dass die Symptomatik erstmals 2009 aufgetreten ist. Hingegen hat die Klägerin ein offensichtliches - nämlich im Sinne ihres Wunsches, in die Ausbildung für den Polizeidienst eintreten zu können, verfahrenstaktisch motiviertes - Interesse daran, Dr. H. und Prof. Dr. L. gegenüber Angaben zu machen, die die bei ihr aufgetretenen Symptome herunterspielen. Auch der Umstand, dass die Klägerin in der Vergangenheit einen recht hohen Aufwand betrieben hat, um ihren als Migräne eingestuften Beschwerden auf den Grund zu gehen, indem sie eine Reihe von Ärzten aufgesucht und sich noch am 15. September 2014 einem MRT des Schädels und des Hirnstamms unterzogen hat, spricht dafür, dass diese über die nur vereinzelten und geringgewichtigen Ereignisse hinausgingen, die Grundlage der Stellungnahmen des Dr. H. und des Prof. Dr. L. sind. Schließlich bestätigen die Angaben der Klägerin bei der Untersuchung vom Januar 2018, dass diese die in der Vergangenheit erlittenen Episoden nunmehr als weniger gravierend darstellt, als sie tatsächlich waren. Darin hat sie der Darstellung des Dr. Q. zufolge vom erstmaligen Auftreten von Kopfschmerzen 2014 bzw. - damit allerdings schon unvereinbar - von einem nur einmaligen Kopfschmerzanfall mit Lichtblitzen, Zittern und Erbrechen im Jahre 2009 gesprochen.

Von alldem abgesehen tritt der Zulassungsantrag auch in keiner Weise der die Ablehnung des Beweisantrags selbständig tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts entgegen, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungs- und Beweisermittlungsantrag.

II. Das Antragsvorbringen weckt ferner keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Hinsichtlich dieses Zulassungsgrundes bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in substantiierter Weise darzulegen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn das Gericht schon auf Grund des Antragsvorbringens in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht.

Die Behauptung, das Gericht stelle "einzig als maßgeblich und offensichtlich überzeugend auf die Ausführungen des Herrn Dr. Q. ab", ist unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat sich vielmehr neben den Ausführungen des Dr. Q. auf eine Reihe weiterer ärztlicher Bescheinigungen gestützt und sich mit der Einschätzung des Dr. H. eingehend auseinander gesetzt. Dass die Stellungnahme des Dr. H. aufgrund ihrer defizitären Erkenntnisgrundlage ungeeignet ist, Zweifel an der Tragfähigkeit der Bewertung des Dr. Q. zu wecken, ist bereits dargestellt worden.

Schon im sachlichen Ausgangspunkt unzutreffend ist auch der Vortrag, alle ärztlichen Feststellungen hätten "doch eins gemein: Sie stellen fest, dass es sich um Vorfälle aus den Jahren 2013-2014 handelt und seitdem keine Vorkommnisse mehr zu verzeichnen sind". Es entspricht vielmehr schon den Angaben der Klägerin selbst in der polizeiärztlichen Untersuchung im Januar 2018, ferner der Bescheinigung der Dr. C. vom 10. Juni 2014 und offensichtlich auch ihren Angaben Prof. Dr. L. gegenüber, dass die Beschwerden erstmals schon 2009 aufgetreten sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig.