OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.08.2019 - 2 U 35/19
Fundstelle
openJur 2019, 33337
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag der Beklagten vom 19. Juli 2019, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf, Az. 4c O 39/16, vom 11. Juli 2019 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

Die mit Beschluss vom 23. Juli 2019 angeordnete vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung des Senats über den Einstellungsantrag der Beklagten ist damit gegenstandslos.

Gründe

Der zulässige Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem mit der Berufung angegriffenen Urteil des Landgerichts (§§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 Abs. 1 S. 1 ZPO) ist unbegründet.

1.

Gemäß §§ 719, 707 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil - gegen oder ohne Sicherheitsleistung - einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht stets die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits umfassend abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 S. 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.01.2016, Az.: I-15 U 66/15, BeckRS 2016, 01680; Beschl. v. 21.12.?2015, Az.: I-15 U 132/14; Beschl. v. 27.10.?2015, Az.: I-2 U 24/15; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2017, Az.: I-15 U 65/17; GRUR-RR 2010, 122 - prepaid telephone calls; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone, jew. m.w.N).

Für den Bereich des Patentrechts besteht darüber hinausgehend die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (BGH, GRUR 2000, 862 - Spannvorrichtung; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.01.2016, Az.: I-15 U 66/15, BeckRS 2016, 01680; Beschl. v. 21.12.?2015, Az.: I-15 U 132/14; Beschl. v. 27.10.?2015, Az.: I-2 U 24/15; Beschl. v. 13.01.2016, Az.: I-15 U 66/15, BeckRS 2016, 01680; Beschl. v. 13.01.2017, Az.: I-2 U 82/16, BeckRS 2017, 100463; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 50 - Leiterbahnstrukturen; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.04.?2015, Az. 6 U 168/14, BeckRS 2015, 18619, jew. m.w.N.).

Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn entweder bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird, oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.01.2016, Az.: I-15 U 66/15, BeckRS 2016, 01680; Beschl. v. 21.12.?2015, Az.: I-15 U 132/14; Beschl. v. 02.02.?2015, Az.: I-15 U 135/14; Beschl. v. 27.10.?2015, Az.: I-2 U 24/15; GRUR-RR 2010, 122 - prepaid telephone calls; InstGE 9, 173 - Herzlappenringprothese; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 50 - Leiterbahnstrukturen; Beschl. v. 09.04.?2015, Az.: 6 U 168/14, BeckRS 2015, 18619, jew. m.w.N.).

Voraussichtlich keinen Bestand hat das angefochtene Urteil bei offensichtlicher bzw. evidenter Fehlerhaftigkeit. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen, die für die erstinstanzliche Entscheidung tragend sind. Erweisen sich diese Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen bereits bei der anzustellenden summarischen Prüfung als nicht tragfähig, ist die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil regelmäßig einstweilen einzustellen. Dies gilt in der Regel ungeachtet dessen, ob das angefochtene Urteil sich im Ergebnis möglicherweise mit anderen Feststellungen oder aufgrund anderer rechtlicher Erwägungen als zutreffend erweisen kann (OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 50 - Leiterbahnstrukturen; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.01.2016, Az.: I-15 U 66/15, BeckRS 2016, 01680; Beschl. v. 22.08.2017, Az.: I-15 U 66/17).

2.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung hier nicht vor.

a)

Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung scheitert bereits daran, dass eine Solche gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 S. 2 ZPO nur angeordnet werden könnte, wenn die Vollstreckung den Beklagten nicht nur einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, sondern wenn die Beklagten zugleich auch zur Erbringung einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage wären. Derartiges wird durch die Beklagten weder behauptet noch glaubhaft gemacht.

b)

Auch für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung besteht keine Veranlassung.

aa)

Dass Patienten bei einer fehlenden Verfügbarkeit der angegriffenen Ausführungsform am Markt gezwungen sein könnten, zum Produkt der Klägerin zu wechseln, womit zumindest nach dem nunmehr auch durch eine Reihe von Stellungnahmen (vgl. Anlagen HE 87 - HE 92) untermauerten Vorbringen der Beklagten ein erhöhtes Gesundheitsrisiko verbunden sein könnte, stellt ein unbeachtliches Drittinteresse dar, auf welches sich die Beklagten im Verfahren auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung von vornherein nicht mit Erfolg berufen können (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2017, Az: I-15 U 60/17; Cepl/Voß/Lunze, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtschutz, 2. Aufl., § 707 Rz. 6; zum Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO: OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117 - Fahrbare Betonpumpe; Cepl/Voß, a.a.O., § 712, Rz. 6; vgl. auch MüKo ZPO/Götz, 5. Aufl., § 707 Rz. 13, wonach die beiderseitigen Interessen abzuwägen sind; BeckOK/Ulrici, 25. Edition, Stand: 15.06.2017, Rz. 18, wonach das Einstellungsinteresse des Schuldners und das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers abzuwägen sind).

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die durch die Beklagten in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage nach der Verfügbarkeit eines Ersatzpräparats bereits Gegenstand eines auf die Erteilung einer Zwangslizenz gerichteten, letztlich aber erfolglos gebliebenen einstweiligen Verfügungsverfahrens war. Im Rahmen dieses Verfahrens ist das fachkundig besetzte Bundespatentgericht (Anlage K 55, S. 21 ff.) mit einer ausführlichen und nachvollziehbaren Begründung zu dem Ergebnis gelangt, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass ein öffentliches Interesse bei fehlender Verfügbarkeit der angegriffenen Ausführungsform nicht durch ein im Wesentlichen gleichwertiges Ausweichpräparat befriedigt werden könne. Diese Entscheidung des Bundespatentgerichts hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 4. Juli 2019 (Az.: X ZB 2/19) bestätigt (vgl. Anlagen K 56 f.). In diesem Zusammenhang hat sich der Bundesgerichtshof ausführlich sowohl mit der Frage der unerwünschten Nebenwirkungen bei einer Gabe von A. in einer Dosierung von 140 mg (vgl. Anlage K 57, Rz. 53 ff.) als auch mit der Problematik möglicher Unverträglichkeitsreaktionen oder eines Nichtansprechens auf "A." auseinandergesetzt (vgl. Anlage K 57, Rz. 57 ff.), konnte ein öffentliches Interesse an einer Verfügbarkeit von "B." jedoch gleichwohl nicht feststellen. Dieses Ergebnis des, auf die Erteilung einer Zwangslizenz gerichteten einstweiligen Verfügungsverfahrens würde bei einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung konterkariert, so dass dem Unterlassungstitel auch aus diesem Grund unter dem Gesichtspunkt möglicher Drittinteressen nicht einstweilen die Vollstreckbarkeit nach §§ 707, 719 ZPO genommen werden kann. Andernfalls würden die spezifischen Voraussetzungen einer Nutzungserlaubnis nach § 24 PatG über die "Hintertür" des Einstellungsverfahrens umgangen.

Die durch die Beklagten nunmehr zur Akte gereichte und bisher im parallelen Zwangslizenzverfahren nicht berücksichtigte neue Studie (vgl. Anlagen HE 79 und HE 79a) gibt für eine abweichende Beurteilung und insbesondere für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung keinen Anlass. Auch wenn diese Studie bisher in dem auf die vorläufige Erteilung einer Zwangslizenz gerichteten Verfahren keine Berücksichtigung finden konnte, sind die Beklagten insoweit nicht rechtlos gestellt. Soweit sich aus ihrer Sicht die den bisherigen Entscheidungen zugrundeliegenden Tatsachen durch diese Studie maßgeblich geändert haben, steht es ihnen frei, im Zwangslizenzverfahren beim Bundespatentgericht jederzeit einen neuen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu platzieren. Aber auch unabhängig davon ist eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auf der Grundlage der nunmehr vorgelegten Studie nicht geboten. Abgesehen davon, dass auch das Medikament "A." nach den Ausführungen des fachkundig besetzten Bundespatentgerichts (vgl. Anlage K 43, S. 26, erster Absatz; a.A. in diesem Punkt aber wohl BGH, Anlage K 56, Rz. 53 ) mittels einer einfachen Spritze in einer geringeren Dosierung verabreicht werden könnte, stützt das Bundespatentgericht - wie auch nunmehr der Bundesgerichtshof - seine Entscheidung unter anderem auf die als "Ebbinghaus"-Studie bezeichnete Substudie der "Fourier"-Studie. Danach konnten ausweislich der Ausführungen des Bundespatentgerichts auch bei LDL-C-Werten von kleiner als 25 mg/dl keinerlei unerwünschte Nebenwirkungen beobachtet werden, was eine Dosisreduktion im Falle des Medikaments "A." obsolet mache (vgl. Anlage K 43, S. 26, zweiter Abs.; Anlage K 57, S. 24, Rz. 56). Kommt die nunmehr vorgelegte Studie davon abweichend zu dem Ergebnis, dass sich die Gefahr eines Schlaganfalls bei LDL-C-Konzentrationen von < 50 mg/dl erhöht, liegen allenfalls - eine Vergleichbarkeit unterstellt - zwei sich widersprechende Studien vor. Ein erhöhtes Gesundheitsrisiko der Patienten lässt sich mit den im Einstellungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln auf dieser Grundlage nicht feststellen.

bb)

Soweit sich die Beklagten zur Begründung ihres Antrages auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung weiterhin auf eine aus ihrer Sicht hohe Vernichtungswahrscheinlichkeit des Klagepatents im Einspruchsbeschwerdeverfahren berufen, vermag auch dieses Vorbringen dem Einstellungsbegehren nicht zum Erfolg zu verhelfen.

In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der Aussetzungsentscheidung des Landgerichts um eine Ermessensentscheidung handelt, hinsichtlich derer der Senat von vornherein lediglich eine eingeschränkte Prüfungsbefugnis besitzt. Da die Anordnung einer Aussetzung bei festgestellter Vorgreiflichkeit im Ermessen des Gerichts steht, könnte der Senat in einem eventuellen Beschwerdeverfahren gegen eine Aussetzung der Verhandlung lediglich überprüfen, ob das Landgericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Daran fehlt es, wenn das Landgericht von einem unrichtigen Prüfungsmaßstab ausgegangen ist oder wenn ausschlaggebende wesentliche Gesichtspunkte, z.B. einzelne Entgegenhaltungen oder Einspruchsgründe, überhaupt nicht oder erkennbar falsch gewürdigt worden sind (OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 352 - Stanzwerkzeug; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Aufl., Abschn. E, Rz. 765). Soweit die Aussetzungsentscheidung indessen vertretbar ist, kann das Beschwerdegericht seine eigene Ermessensentscheidung nicht an die Stelle derjenigen des Landgerichts setzen.

Nichts anderes kann im umgekehrten Fall gelten. Entscheidet sich das Landgericht im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung gegen eine Aussetzung, unterliegt auch diese Entscheidung unter Zugrundelegung des vorstehend wiedergegebenen Maßstabs ausschließlich der Prüfung auf Ermessensfehler. Dies gilt erst Recht im Verfahren auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung, in welchem ohnehin lediglich entscheidend ist, ob die angefochtene Entscheidung bei summarischer Prüfung offensichtliche bzw. evidente Fehler erkennen lässt. Soweit die Beklagte das landgerichtliche Urteil angreift, hat im jetzigen Verfahrensstadium keine ins Einzelne gehende rechtliche Auseinandersetzung mit jedem Begründungsargument stattzufinden, wie sie der künftigen Berufungsentscheidung des Senats zu Grunde liegen wird. Vielmehr geht es darum, ob sich bereits bei einer bloß summarischen (überschlägigen) Betrachtung Rechtsfehler feststellen lassen, die die Beklagten benachteiligen.

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

(1)

Zu Recht hat das Landgericht in seine (Nicht-) Aussetzungsentscheidung maßgeblich einfließen lassen, dass die nunmehr auch im Einstellungsverfahren ausführlich unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Erfindungshöhe diskutierte Entgegenhaltung "C." (D 9) sowohl Gegenstand des unter acht Einwendungen Dritter geführten Erteilungsverfahrens als auch des Einspruchsverfahrens vor der Einspruchsabteilung war. Mit der Entgegenhaltung haben sich somit unter dem angesprochenen Gesichtspunkt bereits zwei fachkundige Stellen befasst und sind davon ausgehend zu dem Ergebnis gelangt, die D 9 stehe einer erfinderischen Tätigkeit nicht entgegen. Gleiches gilt für die von den Beklagten gegen die Neuheit eingewandte Druckschrift "D." (D 14).

Nach der durch den Senat im Zusammenhang mit den Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung entwickelten Grundsätzen besteht Grund, die Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einem Unterlassungsgebot abzusehen, nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält oder wenn der mit dem Rechtsbehelf gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung unternommene Angriff auf das Verfügungspatent auf (z.B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben (OLG Düsseldorf, Urt. vom 06.12.2012, Az.: I-2 U 46/12, BeckRS 2013, 13744; Urt. v. 31.08.2017, Az.: I-2 U 6/17, BeckRS 2017, 125978; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 17/17, BeckRS 2017, 150889; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18, BeckRS 2019, 14699). Demgegenüber ist es für den Regelfall nicht angängig, den Verfügungsantrag trotz erstinstanzlich aufrechterhaltenen Schutzrechts allein deshalb zurückzuweisen, weil das Verletzungsgericht seine eigene (laienhafte) Bewertung des technischen Sachverhaltes an die Stelle der Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.11.2011, Az.: I-2 U 41/11; Urt. v. 18.12.2014, Az.: I-2 U 60/14, BeckRS 2015, 01829; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 17/17, BeckRS 2017, 150889; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18, BeckRS 2019, 14699). Solches verbietet sich ganz besonders dann, wenn es sich um eine technisch komplexe Materie (z.B. aus dem Bereich der Chemie oder Elektronik) handelt, in Bezug auf die die Einsichten und Beurteilungsmöglichkeiten des technisch nicht vorgebildeten Verletzungsgerichts von vornherein limitiert sind. Geht es nicht darum, dass z.B. Passagen einer Entgegenhaltung von der Einspruchsabteilung übersehen und deshalb bei seiner Entscheidungsfindung überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind, sondern dreht sich der Streit der Parteien darum, welche technische Information einem im Bestandsverfahren gewürdigten Text aus fachmännischer Sicht zu entnehmen und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann hieraus aufgrund seines allgemeinen Wissens zu ziehen imstande gewesen ist, sind die Rechtsbestandsinstanzen aufgrund der technischen Vorbildung und der auf dem speziellen Fachgebiet erworbenen beruflichen Erfahrung ihrer Mitglieder eindeutig in der besseren Position, um hierüber ein Urteil abzugeben. Es ist daher prinzipiell ausgeschlossen, dass sich das Verletzungsgericht mit (notwendigerweise laienhaften) eigenen Erwägungen über das Votum der technischen Fachleute hinwegsetzt und eine Unterlassungsverfügung verweigert (OLG Düsseldorf Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18, BeckRS 2019, 14699).

Nichts anderes kann für das Hauptsacheverfahren und damit erst recht für einen in diesem Zusammenhang stehenden Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gelten. Dreht sich - wie hier - der Streit im Wesentlichen darum, welchen Offenbarungsgehalt der Fachmann dem bereits durch die fachmännisch besetzte Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz ausführlich gewürdigten Stand der Technik entnimmt, geht es unter Zugrundelegung des eingangs dargestellten Maßstabs für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Patentverletzungsprozess grundsätzlich nicht an, dass der Senat sich über die Entscheidung der technischen Fachleute hinwegsetzt und davon ausgehend die Zwangsvollstreckung einstellt.

(2)

Davon abgesehen hat sich das Landgericht nicht bloß damit begnügt, auf das reine Ergebnis der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu verweisen, sondern hat sich sodann auch ausführlich mit den einzelnen Entgegenhaltungen unter Einbeziehung der Entscheidungsgründe der Einspruchsentscheidung (Anlagen K 48, K 48a) und den von den Beklagten hiergegen erhobenen Einwänden beschäftigt, wobei sich die Kammer auch mit den durch die Beklagten vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt hat.

Die gebotene summarische Prüfung führt nicht zu der Erkenntnis, das Landgericht habe den Rechtsstreit aufgrund eines evidenten Fehlers nicht ausgesetzt. In Übereinstimmung mit anerkannten Aussetzungsregeln ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Rechtsbestand des Klagepatents nicht in einem solchen Maße gefährdet ist, dass eine Verurteilung der Beklagten wegen Patentverletzung zu unterbleiben hat. Aus dem durch die Beklagten erhobenen Vorwurf, das Landgericht habe bei seiner Aussetzungsentscheidung drohende Schäden nicht in den Blick genommen (vgl. hierzu: Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Aufl., Abschn. D Rz. 357), folgt nichts anderes. Denn unabhängig von der Frage der Berücksichtigungsfähigkeit möglicher, in erster Linie durch die vor der Vollstreckung zu erbringende Sicherheitsleistung abgedeckter Vollstreckungsschäden im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung bedingt eine Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits stets eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren. Eine Solche hat das Landgericht jedoch - nicht zuletzt mit Blick auf das erstinstanzlich erfolglos gebliebene Rechtsbestandsverfahren und gleichwohl mit ausführlicher Begründung - verneint. Im Übrigen hat sich die Kammer mit der Frage möglicher Folgen der Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs bereits im Zusammenhang mit der durch die Beklagten aufgeworfenen Problematik der Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs beschäftigt, so dass dieser Themenkreis, wenn auch an anderer Stelle, in der landgerichtlichen Entscheidung Berücksichtigung gefunden hat. Ob die Einwände der Beklagten letztlich zu einer abweichenden Beurteilung durch den Senat führen und ob der Senat der Auffassung des Landgerichts in jedem einzelnen Punkt folgt, ist derzeit nicht zu klären, sondern dem Berufungsverfahren vorbehalten.

cc)

Eine Einstellungsanordnung rechtfertigt sich schließlich ebenso wenig aus dem Gesichtspunkt eines außergewöhnlichen, über die normalen Vollstreckungsfolgen hinausgehenden und nicht wiedergutzumachenden Schadens zu Lasten der Beklagten. Abgesehen davon, dass zukünftige Umsatzeinbußen keinen außergewöhnlichen Nachteil begründen können, gründet sich die gesamte betreffende Argumentation der Beklagten auf das zentrale Argument, die Beklagten wären nach der vorläufigen Vollstreckung dauerhaft von der Vermarktung ausgeschlossen, da sie bei einer Vollstreckung nicht nur ihre Verhandlungsposition in den Verhandlungen mit dem Spitzenverband "Bund der Krankenkassen" über die Erstattungsbeträge verlieren würden, sondern auch kein Arzt mehr das Produkt der Beklagten nach einer zwischenzeitlichen Einstellung des Vertriebs aus verschiedenen Gründen (Annahme von Nebenwirkungen und Gesundheitsrisiken; Richtlinien für das Verschreibungsverhalten der Ärzte und das dort verankerte Therapierungsgebot) verschreiben werde. Hierbei handelt es sich jedoch um typische Vermögensschäden, die der Beklagten für den Fall der späteren Änderung der landgerichtlichen Entscheidung nach § 717 Abs. 2 ZPO als Vollstreckungsschaden zu ersetzen wären und die zuvor durch die von der Klägerin vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheitsleistung abgedeckt werden. Sie vermögen dementsprechend eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung von vornherein nicht zu rechtfertigen. Dass die Einstellung der Herstellung und des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform demgegenüber zur Insolvenz der Beklagten führen würde, ist nicht ersichtlich und wird durch die Beklagten auch nicht behauptet. Ebensowenig lässt sich dem Vortrag der Beklagten entnehmen, dass die für die vorläufige Vollstreckung des Unterlassungstitels durch das Landgericht mit 16.000.000,- € bemessene Sicherheit nicht ausreicht, um zumindest die bis zur Entscheidung des Senats nach § 718 Abs. 1 ZPO möglicherweise entstehenden Vollstreckungsschäden abzusichern.

Geht man von den Prämissen der Beklagten aus, so bedeuten diese im Übrigen umgekehrt auch, dass die Klägerin ein nicht weniger anerkennenswertes Interesse daran hat, das landgerichtliche Urteil zu vollstrecken und so ihre Position am Markt zu stärken (vgl. zur Interessenabwägung im eV-Verfahren: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2017, Az.: I-15 U 65/17). Davon, dass die Klägerin wie von den Beklagten behauptet, an der sofortigen Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils kein Interesse habe, kann dementsprechend keine Rede sein.