FG Münster, Urteil vom 19.09.2019 - 5 K 3345/17 Kg
Fundstelle
openJur 2019, 33253
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Streitig ist für das Bestehen eines Kindergeldanspruchs, ob und für welche Zeiträume die Klägerin in der Zeit von Juni 2015 bis September 2017 ihren Wohnsitz und/oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

Die Klägerin ist polnische Staatsbürgerin und Mutter eines am 00.00.2005 geborenen Sohnes namens K. Dieser lebt zusammen mit seinem Vater, der auch der Ehemann der Klägerin ist, in dem von der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam geführten Haushalt unter der Adresse xxx in Polen (vgl. Familienstandsbescheinigung, Bl. 230 der KG-Akte). Der Ehemann der Klägerin war im Streitzeitraum Rentner. Die Klägerin war vor und im Streitzeitraum als Pflegekraft in Deutschland tätig.

Die Klägerin war in der Zeit ab 2015 erwerbswirtschaftlich wie folgt tätig:

Sie betreute die Eheleute H vom 01.02. - 16.05.2015. Nach dem Tod von Herrn H betreute sie weiterhin Frau H vom 15.08. - 17.10.2015 sowie vom 15.12.2015 - 09.02.2016. Am 09.02.2016 verstarb Frau H.

Während der vorgenannten Zeiträume lebte die Klägerin im Haushalt der Eheleute H bzw. der Frau H (A-Str. 58, 00000 B). Der Klägerin standen ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bad (Souterrain) zur Verfügung. Die Küche konnte von der Klägerin mitgenutzt werden. Für die Nutzung der Räumlichkeiten zahlte die Klägerin ein Entgelt. Während ihrer Abwesenheit (17.05. - 14.08.2015, 18.10. - 14.12.2015) nutzte eine andere Pflegekraft das jeweils zuvor der Klägerin zur Verfügung gestellte Zimmer und Bad.

Die Klägerin war in der Zeit vom 28.04. - 15.07.2016 als Franchisenehmerin der Firma I GmbH tätig. Das Gewerbe meldete sie am 27.04.2016 an (Bl. 439 der KG-Akte). Im Rahmen dieser Tätigkeit schloss sie einen Dienstleistungsvertrag mit Frau T B (B-Str. 21, 00000 C) über die Laufzeit vom 28.04. - 28.06.2016 (Bl. 440 der KG-Akte). Die Vertragslaufzeit wurde bis zum 15.07.2016 verlängert (Bl. 445 der KG-Akte). In der Zeit vom 28.04. - 15.07.2016 wohnte die Klägerin bei M N unter der Anschrift B-Str. 21, 00000 C (Bl. 445 der KG-Akte, Bl. 82 der Gerichtsakte).

Seit dem 14.09.2016 ist die Klägerin im Haushalt der Eheleute T bzw. nach dem Tod von Frau T am 25.11.2016 im Haushalt des Herrn T (C-Str. 2a, 00000 B) als Pflegekraft tätig. Ihre Tätigkeit übte die Klägerin in den folgenden Zeiträumen aus: 14.09. - 28.10.2016, 16.11. - 20.12.2016, 11.01. - 08.04.2017, 11.05. - 15.07.2017, 07.09. - 17.11.2017, 03.01. - 17.03.2018, 05.05. - 15.07.2018, 08.09.2018 - 26.01.2019.

In den vorgenannten Zeiträumen lebte die Klägerin im Haushalt der Eheleute T bzw. des Herrn T. Der Klägerin wurden ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bad zur Verfügung gestellt. Sie konnte die Küche mitbenutzen. Die Überlassung der Räumlichkeiten wurde bei der Klägerin steuerlich als Sachbezug behandelt (vgl. Bl. 55R der Gerichtsakte). In den jeweiligen Zeiträumen, in denen die Klägerin nicht als Pflegekraft im Haushalt T tätig war, sondern sich bei ihrer eigenen Familie in Polen aufhielt, wurde das Zimmer sowie das Bad von einer anderen Pflegekraft genutzt.

Die Klägerin bezog in der Vergangenheit in Deutschland Kindergeld für ihren Sohn K. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 18.06.2015 (Bl. 386 der KG-Akte) Kindergeld für den Zeitraum Juli bis Oktober 2014 sowie für den Zeitraum Januar bis Mai 2015. Eine darüber hinausgehende Zahlung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2016 ab (Bl. 416 der KG-Akte), da die Klägerin weder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe noch der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterliege oder als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werde.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 13.06.2016, einem Montag, Einspruch ein (Bl. 422 ff. der KG-Akte). Sie gab an, dass sie seit 2007 regelmäßig in Deutschland arbeite. Nach einem jeweiligen Aufenthalt von ca. 3 Monaten gehe sie regelmäßig nach Polen zurück, wo sie dann ca. 2 Monate verweile. Im Anschluss sei sie wieder für ca. 3 Monate in Deutschland, um zu arbeiten. In diesem Rhythmus habe sie seit Mai 2012 bei der Familie H gearbeitet. So sei sie Mitte Mai 2015 wieder nach Polen gereist und ab dem 14.08.2015 wieder in Deutschland gewesen und habe wieder bei der Familie H gearbeitet.

Mit ihrer Einspruchsentscheidung vom 25.09.2017 (Bl. 486 der KG-Akte) wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nicht. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Denn der von ihr beschriebene Rhythmus, nach welchem sie sich regelmäßig drei Monate in Deutschland aufhalte und ihrer Tätigkeit als Pflegekraft nachgehe, um im Anschluss für zwei Monate in Polen im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann und ihrem Kind zu leben, begründe weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Sie unterliege ebenso wenig der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder werde als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt.

Die Klägerin hat daraufhin am 27.10.2017 Klage erhoben.

Sie trägt vor, dass sie seit dem 15.06.2012 in Deutschland arbeite und für die Jahre 2015 und 2016 vom Finanzamt B als unbeschränkt steuerpflichtig geführt werde. Zudem habe sie, wie sich auch aus der Meldebescheinigung ergäbe, ihren Wohnsitz in B. Seit September 2018 würde die Beklagte ihr, der Klägerin, auch wieder Kindergeld für ihren Sohn K zahlen, ohne dass sich die Arbeits- und Wohnverhältnisse geändert hätten.

Sie beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 09.05.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2017 zu verpflichten, ihr Kindergeld für den Zeitraum Juni 2015 bis September 2017 für ihren Sohn K zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin im Streitzeitraum in Deutschland keinen Wohnsitz gehabt habe. Soweit ihr in dem Haus des Herrn T ein Zimmer zur Verfügung gestellt worden sei, begründe dieser Umstand keinen Wohnsitz. Denn eine nur vorübergehende Nutzung begründe keinen Wohnsitz. Die Klägerin habe sich im Haushalt des Herrn T immer nur zwischen 5 bis 12 Wochen aufgehalten, bevor sie wieder nach Polen gefahren sei. Zudem habe während der Abwesenheit der Klägerin eine andere Pflegekraft in den von ihr zuvor genutzten Räumlichkeiten gewohnt. Soweit das Finanzamt B davon ausgegangen sei, dass die Klägerin ihren Wohnsitz im Inland habe, entfalte dies keine Bindungswirkung für die Entscheidung über die Kindergeldbewilligung. Die Klägerin habe auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Sie habe sich während des Streitzeitraums nie mehr als 6 Monate durchgehend in Deutschland aufgehalten. Der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland ergebe sich auch nicht aus einer durchgehenden Erwerbstätigkeit von mehr als 6 Monaten. Denn die Klägerin habe ihre Erwerbstätigkeit immer wieder nach 2 bis 3 Monaten für mehrere Wochen und damit nicht nur kurzzeitig unterbrochen. Zum Ende einer dreimonatigen Arbeitsphase sei das Arbeitsverhältnis auch immer beendet worden, so dass nicht festgestanden habe, ob es im Anschluss an die zweimonatige Aufenthaltsphase in Polen fortgesetzt werde. Eine Addition der einzelnen Arbeitszeiträume komme daher nicht in Betracht. Die Zahlung von Kindergeld seit September 2018 beruhe auf einer Änderung der Verhältnisse bei der Klägerin. Denn diese sei seit dem 08.09.2018 durchgängig bei der Familie T in B unselbständig erwerbstätig und seit diesem Zeitpunkt bei der Krankenkasse ... im Inland krankenversichert gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO).

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Ablehnungsbescheid vom 09.05.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2017 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat für den Streitzeitraum Juni 2015 bis September 2017 keinen Anspruch auf Kindergeld.

Gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hat Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Klägerin hatte für den Streitzeitraum weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

1. Die Klägerin hat im Rahmen ihres Aufenthaltes in den Haushalten der Eheleute H und T sowie der Frau N keinen Wohnsitz begründet.

a) Gemäß § 8 der Abgabenordnung (AO) hat einen Wohnsitz jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Das setzt voraus, dass Räumlichkeiten vorhanden sind, die objektiv auf Dauer zum Wohnen geeignet sind und dass Umstände bestehen, die auf ein Beibehalten und Benutzen der Wohnung schließen lassen (BFH, Urteil vom 19.03.2002, I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411; FG Münster, Urteil vom 01.12.2008, 5 K 4329/03, juris).

Das Innehaben einer Wohnung i.S. des § 8 AO setzt voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig nutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungs- bzw. Besuchszwecken reicht nicht aus (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 15.07.2010, III R 6/08, BStBl II 2012, 883; vom 20.11.2008, III R 53/05, BFH/NV 2009, 564).

Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH, Urteil vom 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 m.w.N.).

Das Innehaben einer Wohnung i.S. des § 8 AO unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass der Steuerpflichtige sie beibehalten und benutzen wird, drückt u.a. ein Zeitmoment aus, das sich auf die in Betracht kommende Wohnsitzbegründung bezieht und von dort aus gesehen in die Zukunft gerichtet ist (BFH, Urteil vom 30.08.1989, I R 215/85, BStBl II 1989, 956). Es handelt sich deshalb um eine Prognoseentscheidung (BFH, Urteil vom 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 m.w.N.).

Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen im Wege einer Prognoseentscheidung Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Ein solcher Umstand, der auf die Beibehaltung und Benutzung schließen lässt, ist die voraussichtliche Nutzungsdauer. Als Anhaltspunkt für die Beibehaltung und Nutzung ist regelmäßig auf die Sechsmonatsfrist des § 9 Satz 2 AO zurückzugreifen, da in dieser Frist zum Ausdruck kommt, ab welcher Zeitdauer ein Aufenthalt nicht mehr nur vorübergehend ist (BFH, Urteil vom 20.11.2008, III R 53/05, BFH/NV 2009, 564).

Der Steuerpflichtige muss zu eigenen Wohnzwecken über die Wohnung verfügen können. Daher führt die dauerhafte Vermietung bzw. Untervermietung zum Verlust der für ein Innehaben notwendigen Verfügungsmacht (FG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.1999, 14 K 613/98, EFG 1999, 716; Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 8 AO, Rn. 30).

Die Beurteilung, ob ein inländischer Wohnsitz anzunehmen ist, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet (BFH, Urteile vom 20.11.2008, III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; vom 15.07.2010, III R 6/08, BStBl II 2012, 883).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sowie nach einer Gesamtwürdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls hatte die Klägerin in dem Streitzeitraum keinen Wohnsitz im Inland.

Die Klägerin nutzte zwar die ihr überlassenen Räumlichkeiten in den Haushalten der Familien H und T zu Wohnzwecken und diese waren hierfür geeignet. Sie konnte in den Zeiten ihrer Anwesenheit auch über die Räumlichkeiten verfügen. Sie war jedoch nicht Inhaberin einer Wohnung i.S.d. § 8 AO. Denn nach den objektiven Umständen war im Rahmen einer Prognoseentscheidung nicht davon auszugehen, dass die Klägerin die Wohnung beibehält. Ihr Aufenthalt im Haushalt der jeweiligen Familie bzw. des jeweils überlebenden Ehegatten und damit auch in den der Klägerin im Haushalt überlassenen Räumlichkeiten war von vornherein immer auf ein bis (höchstens) drei Monate beschränkt. Ein über den Zeitraum ihrer Tätigkeit hinausgehendes Beibehalten der Wohnung war jeweils nicht möglich, denn während ihrer jeweils ein bis zwei Monate andauernden Abwesenheit wurden die ihr zuvor überlassenen Räumlichkeiten von einer anderen Pflegekraft genutzt. Vor diesem Hintergrund und wegen des Umstandes, dass der Klägerin die Wohnung nur zu dem Zweck zur Verfügung gestellt wurde, dass sie ihre Pflegeleistung effektiv und unter den bestmöglichsten Umständen für die Eheleute H bzw. T ausüben kann, standen nach Auffassung des Senates der Klägerin die Räumlichkeiten gerade nicht nach Belieben zur Verfügung, so dass sie diese nicht jederzeit für sich hätte nutzen können.

Die Klägerin hat ferner nach Auffassung des Senates mit Benutzung der ihr überlassenen Räumlichkeiten im Haushalt der Frau N ebenfalls keinen Wohnsitz begründet. Denn insoweit war die Nutzung der Räumlichkeiten aufgrund des geschlossenen Vertrages von Beginn an auf zwei Monate befristet. Anhaltspunkte, die für eine Prognose dahingehend sprechen, dass eine auf Dauer angelegte und in das Belieben der Klägerin gestellte Nutzung der ihr überlassenen Räumlichkeiten als Wohnung vorliegt, sind nicht ersichtlich und wurden im Klageverfahren von der Klägerin auch nicht vorgetragen.

2. Die Klägerin hatte in den Haushalten der Eheleute H und T sowie der Frau N auch nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

a) Den gewöhnlichen Aufenthalt hat gem. § 9 Satz 1 AO jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Nach § 9 Satz 2 AO ist als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Dies gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert.

Eine eigenständige Bedeutung erlangt § 9 AO in Verhältnis zum Wohnsitz nach § 8 AO vor allem dadurch, dass für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Unterschied zum Wohnsitz keine Wohnung unterhalten werden muss. Es genügt, dass sich jemand tatsächlich für eine gewisse Dauer "in diesem Gebiet", mithin im Inland aufhält (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 12).

Anders als im Fall eines Wohnsitzes nach § 8 AO kann eine Person nicht gleichzeitig verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, sondern zu einer bestimmten Zeit immer nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt haben (BFH, Urteil vom 27.04.2005, I R 112/04, BFH/NV 2005, 1756). Daher wird mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts immer der bisherige aufgegeben. Solange hingegen ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt nicht begründet worden ist, bleibt der bisherige gewöhnliche Aufenthalt grundsätzlich aufrechterhalten (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 16 m.w.N.).

b) Ein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin im Inland folgt nicht aus § 9 Satz 2 AO, denn sie hielt sich nicht mehr als sechs Monate zeitlich zusammenhängend im Inland auf. Die jeweiligen Aufenthalte von ein bis zwei Monaten in dem in Polen gelegenen Haushalt, den die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann führt und in dem auch der gemeinsame Sohn K lebt, stellen keine nur kurzfristigen Unterbrechungen im Sinne des § 9 Satz 2 Halbs. 2 AO dar.

Die Beurteilung, ob eine Unterbrechung des Aufenthalts noch als kurzfristig anzusehen ist, kann nur im Hinblick auf das Fortbestehen des nach § 9 Satz 2 Halbs. 1 AO erforderlichen Zusammenhangs beurteilt werden. Danach kommt es darauf an, ob trotz der Unterbrechungen noch von einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt gesprochen werden kann. Hierfür kommt es wiederum allein auf die objektive Dauer der Abwesenheit an (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 35).

Der Senat sieht die Aufenthalte von ein bis zwei Monaten in Polen, die sich jeweils an den ein- bis dreimonatigen Aufenthalten in Deutschland anschließen, nicht mehr als kurzfristig i.S.d. § 9 Satz 2 Halbs. 2 AO an. Dies folgt aus der bloßen Dauer der jeweiligen Unterbrechung im Verhältnis zu der vorherigen Aufenthaltszeit in Deutschland. Dabei verkennt der Senat nicht, dass zwischen der vor und nach einem Aufenthalt in Polen im Inland ausgeübten Tätigkeit, nämlich der Pflege der Eheleute H und später der Eheleute T, ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Aufenthalten im Inland besteht. Allerdings kommt es für den gewöhnlichen Aufenthalt darauf an, dass ein zeitlicher Zusammenhang besteht. Dieser ist aus Sicht des Senates im Fall eines regelmäßigen Wechsels des tatsächlichen Aufenthaltsortes, bei dem ein- bis zu dreimonatigen Aufenthalt im Inland ein bis zu zweimonatiger Aufenthalt in Polen gegenübersteht, nicht mehr gegeben.

c) Die Klägerin hatte innerhalb des Streitzeitraums auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 Satz 1 AO in Deutschland begründet.

Anders als bei § 9 Satz 2 AO hat die Frist von sechs Monaten im Rahmen der Prüfung des § 9 Satz 1 AO nicht die Bedeutung einer festen Grenze, sondern bildet nur eine Richtschnur. Entscheidend ist nach § 9 Satz 1 AO, wo sich der Lebensmittelpunkt der zu beurteilenden Person befindet. Neben der (geplanten) Verweildauer in einem bestimmten Gebiet können hierfür auch die sonstigen Umstände des Aufenthalts, wie z.B. die persönlichen und familiären Verhältnisse der fraglichen Person oder der Grund ihres Aufenthalts, relevant sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die sechsmonatige Frist nur knapp über- oder unterschritten wird (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 22 m.w.N.).

Ob eine Abwesenheit den bisherigen Aufenthalt nur unterbricht oder bereits beendet, richtet sich ebenso wie die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts danach, ob die äußerlich erkennbaren Umstände darauf hindeuten, dass sich der Mittelpunkt des Lebensinteresses von dem bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort wegverlagert hat (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 24). Beendet wird der gewöhnliche Aufenthalt, wenn die zu beurteilende Person an dem betreffenden Ort oder in dem betreffenden Land nicht mehr verweilt und auch nicht mehr den Willen zur Rückkehr hat (Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 9 AO, Rn. 16). Besteht die Rückkehrabsicht hingegen fort, kommt es für die Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts vorrangig auf das Über- oder Unterschreiten der Sechs-Monatsfrist des § 9 Satz 2 AO an (BFH, Urteil vom 27.04.2005, I R 112/04, BFH/NV 2005, 1756). Daher spricht erst bei einem Auslandsaufenthalt von mehr als sechs Monaten eine Vermutung für die Aufgabe des bisherigen inländischen gewöhnlichen Aufenthalts (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 25 m.w.N.).

Hinsichtlich der Beendigung eines gewöhnlichen Aufenthalts sind auch hier, über den zeitlichen Aspekt hinaus, berufliche, familiäre und gesellschaftliche Bindungen zu berücksichtigen. So kann der gewöhnliche Aufenthalt im Inland trotz eines beruflich bedingten Auslandsaufenthalts von mehr als sechs Monaten fortbestehen, wenn die zu beurteilende Peron in verhältnismäßig kurzen Abständen immer wieder ins Inland zurückkehrt, weil sie sich hier "zu Hause" fühlt (Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 9 AO Rn. 26).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht der Senat davon aus, dass die Klägerin im Streitzeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hatte. Sie hat mit ihrem jeweiligen Aufenthalt zur Ausübung ihrer Betreuungsleistung in den Haushalten der Familien H und T sowie von Frau N keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 Satz 1 AO im Inland begründet und deshalb nicht gleichzeitig ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen beendet. Die Klägerin hielt sich, wie von ihr auch von Anfang an beabsichtigt, in der Regel ca. zwei Monate, jedoch nie länger als drei Monate im Inland auf. Sie beabsichtigte jeweils, nach Ablauf dieser Zeit für einen längeren Zeitraum von ein bis zwei Monaten wieder nach Polen zurückzukehren. Für einen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen spricht auch, dass die Klägerin dort einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind führte. Familiäre Verbindungen in Deutschland bestanden hingegen nicht, sondern der dortige Aufenthalt diente allein beruflichen Zwecken.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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