LG Münster, Urteil vom 25.03.2019 - 15 Ns 61 Js 3219/16 (1/19)
Fundstelle
openJur 2019, 33170
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Angeklagten wird das Verfahren, soweit es den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit betrifft, auf Kosten der Staatskasse, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten erstattet, eingestellt.

Die weitergehende Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Münster vom 16. November 2018 wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

(abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Münster wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 35.- Euro unter Zubilligung einer Ratenzahlung in Höhe von 100.- Euro monatlich verurteilt worden. Als Einzelstrafen hat das Amtsgericht für den Widerstand auf 30 Tagessätze Geldstrafe und für die versuchte Nötigung auf 50 Tagessätze erkannt. Weiterhin hat das Amtsgericht den Angeklagten wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 23 Abs. 1 a), 36 Abs. 5 S. 4, 49 StVO, 24 StVG mit einer Geldbuße von 100.- Euro belegt.

Mit seiner Berufung hat der Angeklagte zunächst seinen Freispruch wegen Schuldunfähigkeit begehrt; im Schlussantrag hat er dies jedoch relativiert und auf eine Strafmilderung angetragen. Das Rechtsmittel führte zur Verfahrenseinstellung wegen der Ordnungswidrigkeit und blieb im Übrigen ohne Erfolg.

II.

Der heute 37 Jahre alte Angeklagte hat die Gesamtschule besucht und von 2004-2008 Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Dieses Studium musste er abbrechen, um nach einer Erkrankung seines Vaters für die Familie Geld zu verdienen. Er arbeitete zunächst als Disponent für einen Verkehrsbetrieb, machte dann den Busführerschein und fuhr in der Folgezeit auch Linienbusse. In dieser Zeit zog er zurück in das elterliche Haus, wo er eine eigene Wohnung besitzt, aber bis heute eng an den elterlichen Haushalt angebunden blieb. Engere Freunde außerhalb der Familie oder gar Beziehungen zu Frauen hat der Angeklagte bis heute praktisch nicht gehabt.

Im Laufe der Zeit entwickelte der Angeklagte eine paranoide Persönlichkeitsstörung aus dem schizophrenen Formenkreis, die sich bis heute hin zu einer manifesten paranoiden Schizophrenie verstärkt hat. Infolge dieser Erkrankung verlor der Angeklagte im März 2017seine Fahrerlaubnis. Seit April 2017 ist er krankgeschrieben und bezieht Arbeitslosengeld I in Höhe von 1.100.- Euro monatlich. Die Fahrerlaubnis für Pkw will der Angeklagte inzwischen zurückerhalten haben.

Nach mehreren stationären Klinikaufenthalten nimmt der Angeklagte das Medikament Abilify. Zur Zeit der verfahrensgegenständlichen Taten hatte er dieses aber abgesetzt. Inzwischen erhält er alle vier Wochen eine Depotmedikation. Eine intensivere psychotherapeutische Betreuung nimmt der Angeklagte bislang nicht in Anspruch, obschon dies offenbar erforderlich wäre.

Strafrechtlich war der Angeklagte bislang einmal - einschlägig - aufgefallen: Er wurde durch Urteil des Amtsgerichts Münster vom 13.4.2016 in dem Verfahren 61 Js 314/15 wegen versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45.- Euro verurteilt. Ausweislich der Urteilsgründe hatte der Angeklagte versucht, unter Einsatz von Drohungen einen Polizeibeamten dazu zu bringen, seine den Angeklagten belastenden Angaben in einem Bußgeldverfahren zu ändern.

III.

Die Berufungsstrafkammer hat folgende Feststellungen zu den Tatvorwürfen getroffen:

1. Am 7. September 2016 fuhr der Angeklagte gegen Mittag einen mit Fahrgästen besetzten Bus der RVM in Münster auf der B-Str. in Richtung Altenberge. Während der Fahrt hielt er ein Smartphone in der Hand, was der Polizeibeamte POK G beobachtete und weshalb der den Angeklagten mit seinem Dienstmotorrad verfolgte und anzuhalten versuchte. Der Angeklagte ignorierte zunächst das Haltesignal und stoppte sein Fahrzeug erst, nachdem der Beamte sich vor den Bus gesetzt und mit Außenlautsprecher zum sofortigen Halten aufgefordert hatte.

2. Der Beamte begab sich in den Bus und wollte die Personalien des Angeklagten zur weiteren Durchführung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen des Verdachts des ordnungswidrigen Bedienens eines Mobiltelefons während der Fahrt feststellen. Der Angeklagte reagierte aggressiv, verlangte von dem uniformierten Beamten, sich auszuweisen und bestritt, weil dieser seinen Dienstausweis nicht dabei hatte, dass POK G überhaupt Polizist sei. Als der Beamte daraufhin Unterstützung anforderte, schloss der Angeklagte die Türen des Busses und machte Anstalten, mitsamt dem Beamten an Bord loszufahren. Nur auf massive Vorhaltungen seitens des Beamten ließ sich der Angeklagte bewegen, die Türen wieder zu öffnen. Nach Eintreffen weiterer Polizeibeamter händigte der Angeklagte sodann auch seine Ausweise aus. Er durfte anschließend seine Fahrt fortsetzen.

3. Etwa eine Stunde später kehrte der Angeklagte mit seinem nunmehr leeren Bus zu der Stelle zurück, wo er zuvor kontrolliert worden war und wo sich POK G weiterhin zur Verkehrsbeobachtung aufhielt. Er hielt an, bat den Beamten zu sich und äußerte zu ihm sinngemäß, er solle sich das mit der Anzeige noch einmal überlegen. Wenn er eine Anzeige schreiben würde, solle er lieber Tag und Nacht seine Dienstwaffe dabei haben. Er würde schon sehen, was er davon hätte. POK G erstattete gleichwohl eine Ordnungswidrigkeitenanzeige und traf für sich und für seine Familie Sicherheitsvorkehrungen im Hinblick auf die Vorfälle in dem o.g. Verfahren 61 Js 314/15. Zudem führte er ein gerichtliches Gewaltschutzverfahren gegen den Angeklagten durch.

IV.

Das Verhalten des Angeklagten zu 2. stellt ein strafbares gewaltsames Widerstandleisten nach § 113 Abs. 1 StGB (in der zur Tatzeit geltenden alten Fassung) dar. Das Verhalten zu 3. verwirklicht schuldhaft den Tatbestand einer versuchten Nötigung nach den §§ 240, 22, 23 StGB. Beide Taten stehen im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander (§ 53 StGB). Es ist nach den tatsächlichen Befunden aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. B, dem die Kammer folgt, jedoch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei diesen Taten infolge einer akuten psychischen Störung aus dem paranoidschizophrenen Formenkreis zwar schuldfähig, jedoch in seiner Fähigkeit eingeschränkt war, das Unrecht seiner Tat einzusehen und danach zu handeln (§ 21 StGB).

Soweit dem Angeklagten darüber hinaus im amtsgerichtlichen Urteil wegen seines Verhaltens unter 1. eine Ordnungswidrigkeit nach den §§ 23 Abs. 1 a), 36 Abs. 5 S. 4, 49 StVO, 24 StVG zur Last gelegt wurde, steht der weiteren Verfolgung ein Verfahrenshindernis im Wege. Nach den §§ 33 Abs. 3 S. 3 OWiG, 26 Abs. 3 StVG verjähren derartige Taten nach spätestens zwei Jahren, sofern nicht bis dahin ein Urteil ergangen ist. Da die Tat am 7. September 2016 stattfand, das erstinstanzliche Urteil aber erst am 16. November 2018 erging, war bereits damals die sog. absolute Verjährung eingetreten, weshalb insoweit kein Sachurteil mehr möglich ist.

V.

Für die Strafe für das festgestellte Vergehen des Widerstandes war von dem Strafrahmen des § 113 Abs. 1 StGB a.F. auszugehen, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Für die versuchte Nötigung droht § 240 Abs. 1 StGB dieselbe Strafe an. Allerdings hat die Strafkammer insoweit wegen der Nichtvollendung der Tat eine Strafmilderung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Ferner waren beide Strafrahmen nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB im Hinblick auf die verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zu reduzieren. Damit betragen die Höchststrafen für den Widerstand zwei Jahre drei Monate und für die versuchte Nötigung infolge der doppelten Milderung ein Jahr acht Monate Freiheitsstrafe.

Bei der Einordnung der Taten in die sich daraus ergebenden Strafrahmen sprachen zu Gunsten des Angeklagten die vergleichsweise geringe Intensität der Gewalt bzw. der Drohungen gegenüber dem Geschädigten POK Freude, ferner die erlittenen beruflichen Folgen, weil auch infolge der Taten den Ordnungsbehörden die Erkrankung des Angeklagten offenkundig geworden war und er daher seine Fahrerlaubnis verlor. Strafschärfend mussten sich demgegenüber sowohl die unmittelbar einschlägige Vorbelastung als auch die Tatfolgen der persönlichen Verunsicherung, die POK G erlitten hatte, auswirken.

Bei zusammenfassender Wertung konnten beide Vergehen danach im unteren Bereich des Strafrahmens eingeordnet werden, wobei der Nötigungsversuch wegen der verursachten, dem Angeklagten zuzurechnenden mittelbaren Tatfolgen letztlich schwerer wog als der Widerstand und die Strafe insoweit einen deutlicheren Abstand zur Mindeststrafe einzuhalten hatte. Im Ergebnis hielt die Strafkammer daher die bereits vom Amtsgericht verhängten Einzelstrafen von 30 Tagessätzen Geldstrafe für den Widerstand und von 50 Tagessätzen für den Nötigungsversuch ebenfalls für tat- und schuldangemessen. Es konnte daher bei diesen Festlegungen bleiben. Auch die Höhe eines Tagessatzes hatte das Amtsgericht nach den Einkommensverhältnissen des Angeklagten zutreffend nach § 40 Abs. 2 StGB auf 35.- € festgesetzt.

Gemäß den §§ 53, 54 StGB war aus den Einzelstrafen eine Gesamtgeldstrafe zu bilden, wobei die Strafkammer den engen zeitlichen Zusammenhang und die gleiche Angriffsrichtung der Delikte berücksichtigt hat. In der Gesamtschau war die Strafkammer wie das Amtsgericht der Auffassung, dass eine moderate Erhöhung der Einsatzstrafe von 50 Tagessätzen auf eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen dem Gesamtgewicht der abzuurteilenden Taten am besten gerecht wird, weshalb sie wie das Amtsgericht auf diese Gesamtstrafe erkannt hat.

Ebenso wie das Amtsgericht hielt auch die Strafkammer die Zubilligung von Zahlungserleichterungen in Gestalt von Ratenzahlung in Höhe von 100.- Euro im Monat für sachgerecht (§ 42 StGB).

VI.

Damit hat sich das amtsgerichtliche Urteil hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Straftaten im Ergebnis als zutreffend erwiesen, weshalb die Strafkammer die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten zu verwerfen hatte. Hinsichtlich der Verkehrsordnungswidrigkeit war hingegen das Verfahren einzustellen (§ 260 Abs. 3 StPO). Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen des Berufungsverfahrens beruht vor diesem Hintergrund auf den §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 1 StPO.

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