LAG Hamm, Urteil vom 19.06.2018 - 12 Sa 218/18
Fundstelle
openJur 2019, 33159
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 28.09.2017 - 2 Ca 572/17 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Ausgleich eines Arbeitszeitguthabens.

Die 1965 geborene Klägerin stand in der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2017 als Sekretärin in der beklagten Steuerberater- und Wirtschaftsprüfergesellschaft in einem Arbeitsverhältnis, in dem sie zuletzt 3.250,- € brutto monatlich erzielte.

Bei der Beklagten wird für die Arbeitnehmer eine Arbeitszeitkonto geführt und bei Beginn und Ende der Arbeitszeit elektronisch erfasst. Dabei können die Arbeitnehmer sehen, wie lange sie gearbeitet haben und wie viele Überstunden sie angesammelt haben. Sollen Überstunden in Freizeit ausgeglichen werden, musste über das Zeiterfassungsprogramm ein Antrag auf Freizeitausgleich gestellt werden, der dann von der Beklagten genehmigt wurde.

Am 27.09.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich und fristlos. In dem darauf geführten Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien im Gütetermin am 15.11.2016 folgenden bestandskräftig gewordenen Vergleich:

1. Die Parteien sind sich einig, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten durch ordentliche, arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung vom 27.09.2016 mit Ablauf des 31.03.2017 enden wird.

2. Die Beklagten rechnen das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin jeweils zum Fälligkeitszeitpunkt ab und zahlen den sich ergebenden Nettobetrag an die Klägerin. Die Parteien sind sich darin einig, dass der Klägerin auch die ihr zustehenden Weihnachtsgeldansprüche 2016 abgerechnet und ausgezahlt werden. Die Zahlung erfolgt unter Berücksichtigung Anspruchsübergangs auf die Agentur für Arbeit.

3. Die Beklagten stellen die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht der Erbringung der Arbeitsleistung bis einschließlich 31.01.2017 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. Urlaubsansprüche der Kläger für 2016 und 2017 werden mit der Freistellung in Natur gewährt.

4. Die Beklagten erstellen der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Zwischenzeugnis mit guter Leistungs- und Führungsbeurteilung sowie ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis unter dem Beendigungsdatum mit guter Leistungs- und Führungsbeurteilung und einer Dankes- und Bedauerns- und Wunschformel. Die Klägerin wird jeweils einen Entwurf vorlegen, von dem die Beklagten nur abweichen dürfen soweit in diesem unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten sind.

5. Damit ist der Rechtsstreit 2 Ca 1641/16 erledigt.

6. Die Beklagtenseite behält sich den Widerruf des geschlossenen Vergleiches durch schriftliche Anzeige zu den Gerichtsakten bis 22. Nov. 2016 beim Arbeitsgericht Münster eingehend vor.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.01.2017 monierte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass Überstunden nicht ausgeglichen worden seien und bat um Abrechnung und Auszahlung. Da die Beklagte dem nicht nachkam, nahm die Klägerin die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit zunächst auf Vorlage des Monatsjournals 2016 aus dem Zeiterfassungssystem in Anspruch.

Nach Mitteilung durch die Beklagte, dass zum Zeitpunkt 30.09.2016 die Gleitzeitliste 67,10 Überstunden aufgewiesen habe, stellte die Klägerin die Klage um auf Zahlung eines der Höhe nach unstreitigen Betrages in Höhe von 1.317,28 € brutto um.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf die Abgeltung der aufgelaufenen Überstunden. Dieser Anspruch sei auch nicht erfüllt worden durch die Freistellung im Vergleich vom 15.11.2016. Aus der ausdrücklichen Regelung zum Urlaub folge, dass andere Ansprüche gerade nicht hätten erledigt werden sollten. Eine andere Auslegung des Vergleichs komme nicht in Betracht. Die Forderung sei auch nicht verfallen, da sie erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sei.

Sie hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.317,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz nach BGB seit dem 01.02.2017 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, durch die Freistellung im gerichtlichen Vergleich seien auch die Freizeitausgleichsansprüche erledigt worden. Aus der ausdrücklichen Erwähnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs könnten im Hinblick auf die Freizeitausgleichsansprüche keine Schlüsse gezogen werden. Diese Regelung sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erforderlich gewesen, um die Erfüllungswirkung herbeizuführen. Im Übrigen seien die Ansprüche auch verfallen, weil sie nach § 12 des Arbeitsvertrages hätten innerhalb von 3 Monaten schriftlich geltend gemacht werden müssen.

Mit Urteil vom 28.09.2017 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Vergleich sei dahingehend auszulegen, dass Ansprüche auf Freizeitausgleich durch die Freistellung nicht erfüllt worden seien. Der Wortlaut sei unergiebig und auch die Interessenlage bei Vergleichsabschluss spreche nicht für eine Erfüllung der Freizeitausgleichsansprüche. Beim Prozessvergleich handele es sich um einen Erlassvertrag, sodass die Klägerin während der Freistellung von der Arbeitspflicht befreit sei. Die Freistellungsvereinbarung habe nicht in erster Linie der Erfüllung von Ansprüchen der Klägerin gedient, sondern der Regelung der Arbeitsverpflichtung für den verbleibenden Zeitraum des Arbeitsverhältnisses. Zudem wäre ein Antrag auf Freizeitausgleich erforderlich gewesen, um das Arbeitszeitkonto auf diese Weise abzubauen. Das Verlangen der Klägerin sei auch nicht treuwidrig noch seien die Ansprüche der Klägerin verfallen.

Gegen das ihr am 20.02.2018 zugestellte und wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 21.02.2018 Berufung eingelegt und diese am 17.04.2018 begründet.

Sie hält die Auslegung des Prozessvergleichs durch das Arbeitsgericht für unzutreffend. Sowohl Interessenlage als aus Wortlaut sprächen dafür, dass gerade auch der Anspruch auf Freizeitausgleich durch die Freistellung erledigt werden sollte.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 28.09.2017 - 2 Ca 572/17 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 ArbGG statthaft und nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG zulässig sowie in gesetzlicher Form und Frist nach den §§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519 ZPO eingelegt und fristgerecht ordnungsgemäß begründet worden.

II. Die Berufung hat Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

1. Der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des Freizeitausgleichs für 67,10 Stunden ist durch die vereinbarte Freistellung im Prozessvergleich vorm 15.11.2016 gemäß § 362 BGB erfüllt worden. Deswegen war das Arbeitszeitkonto bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeglichen, sodass eine Auszahlung nicht in Betracht kommt. Dies ergibt die Auslegung des Vergleichs.

a) Prozessvergleiche sind als Verträge nach den §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen (vgl. BAG, 25.01.2017 - 4 AZR 522/15, Rn. 25; 24.09.2015 - 2 AZR 716/14, Rn. 35; 10.12.2014 - 10 AZR 63/14, Rn. 21). Bei der Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien müssen auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einbezogen werden, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Dabei sind insbesondere die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt (vgl. BAG, 14.12.2016 - 7 AZR 797/14, Rn. 31).

b) Mit dem Arbeitsgericht geht auch die Berufungskammer davon aus, dass der Wortlaut im Prozessvergleich vom 15.11.2016 unergiebig ist. Weder das Arbeitszeitkonto noch die Freizeitausgleichsansprüche werden - anders als in der arbeitsvertraglichen Praxis üblich (vgl. dazu Lingemann/Groneberg, NJW 2010, 3496, 3498; Bauer/Krieger/Armold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014, C Rn. 75) - erwähnt. Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass nach Ziffer 3 des Vergleichs Urlaubsansprüche der Klägerin aus 2016 und 2017 mit der Freistellung in Natur gewährt werden sollen. Die Argumentation der Klägerin, die Freizeitausgleichsansprüche aus dem Arbeitszeitkonto würden vom Vergleich deswegen nicht erfasst, weil das Schicksal der anderen Freizeitansprüche, nämlich des Urlaubs, ausdrücklich geregelt sei, überzeugt nur vordergründig. Denn dass der Vergleich zu dem einen Punkt eine Regelung trifft und zu dem anderen schweigt, führt im Umkehrschluss mangels Vergleichbarkeit nicht zwingend zu der Annahme, dass auch eine Regelung unterbleiben sollte.

Rechtlich ist zwischen Urlaubsanspruch und Anspruch auf Freizeitausgleich zu unterscheiden. Während beim Urlaub der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf hat, gewährten Urlaub abzubrechen oder zu unterbrechen, handelt es sich beim Abbau eines zugunsten des Arbeitnehmers bestehenden Zeitsaldos in der Regel um eine Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit im Sinne von § 106 S. 1 GewO (vgl. BAG, 19.05.2009 - 9 AZR 433/08, Rn. 28; LAG Hamm, 18.05.2017 - 18 Sa 1143/16, Rn. 36) ). Denn mit der Bestimmung der Zeit der Arbeitsleistung wird auch diejenige Zeit bestimmt, in der der Arbeitnehmer keine Arbeit zu leisten hat. Beim Urlaubsanspruch tritt die Erfüllungswirkung nur dann ein, wenn für den Arbeitnehmer durch eine Freistellungserklärung deutlich wird, dass die für § 362 BGB notwendige Erfüllungshandlung vorgenommen werden soll (vgl. BAG, 10.02.2015 - 9 AZR 455/16, Rn. 19). Daher bedurfte es einer ausdrücklichen Vereinbarung für den Zeitraum der unwiderruflichen Freistellung, dass die Urlaubsansprüche in der Freistellungszeit erfüllt werden sollen. Die Regelung des einen (Urlaubsabgeltung) und das Weglassen einer Regelung des anderen (Freizeitausgleichsansprüche) lässt mangels Vergleichbarkeit nicht zwingend den Schluss zu, die Freizeitausgleichsansprüche sollten durch die Freistellung nicht erledigt werden.

c) Allerdings sprechen die sich aus dem Vergleich ergebende Interessenlage der Parteien und die übrigen Begleitumstände dafür, dass mit der unwiderruflichen Freistellung auch ohne ausdrückliche Erwähnung die Freizeitausgleichsansprüche aus dem Arbeitszeitkonto ebenfalls erfüllt werden sollten. Der Inhalt des Vergleichs macht die Intention der Parteien deutlich, alle Streitfragen des aus Sicht des Gütetermins vom 15.11.2016 noch bis zum 31.01.2017 andauernden Arbeitsverhältnisses zu antizipieren und einer Lösung zu zuführen.

Der Prozessvergleich ist im Kontext eines Kündigungsschutzprozesses vereinbart worden, den die Klägerin angestrengt hatte, weil sie am 27.09.2016 fristlos gekündigt worden war. Die Parteien haben das Arbeitsverhältnis nicht mit der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31.10.2016 beendet, sondern eine längere Laufzeit bis zum 31.01.2017 vereinbart, weil die Klägerin ein länger dauerndes Arbeitsverhältnis einer Abfindung vorgezogen hat. In Ziffer 2 des Vergleichs haben die Parteien die ausstehenden Vergütungsansprüche bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses inkl. der entsprechenden Abrechnungen geregelt. Gleichzeitig haben sie aber auch an die Weihnachtsgeldansprüche 2016 gedacht und eine Regelung für etwaige Anspruchsübergänge auf die Bundesagentur für Arbeit. Getroffen. Ziffer 3 des Vergleichs regelt den Verzicht der Beklagten auf die Entgegennahme der Arbeitsleitung der Klägerin bis zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung. In Satz 2 wird dann ausdrücklich vereinbart, dass die Urlaubsansprüche der Klägerin für 2016 und für 2017 mit der Freistellung in Natur gewährt werden. Den Zeugnisanspruch der Klägerin wollten die Parteien soweit wie möglich ebenfalls regeln. Deswegen enthält Ziffer 4 sowohl eine Vereinbarung eines Zwischenzeugnisses als auch die eines Arbeitszeugnisses mit jeweils guter Leistungs- und Führungsbeurteilung und einer Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel. Der Klägerin wird es erlaubt einen Entwurf vorzulegen, von dem die Beklagte nur abweichen darf, wenn er unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält. In Ziffer 5 wird dann der Rechtsstreit erledigt. Aus all dem wird deutlich, dass die Parteien bei Abschluss des Prozessvergleichs im Gütetermin ihre Vertragsbeziehung endgültig regeln wollten, um weiteren Streit zu vermeiden. Deswegen wurden Abrechnungen, Weihnachtsgeld, Arbeitspflicht, Zwischen- und Endzeugnis geregelt. Diesem Interesse der Parteien wird eine widerspruchsfreie Auslegung aber nur dann gerecht, wenn man die Freistellungsvereinbarung auch als eine solche versteht, die durch die Befreiung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Vergütung das Arbeitszeitkonto zum Ausgleich bringt. Dagegen spricht auch nicht, dass die Parteien in Ziffer 5 nur eine einfache Erledigungsklausel, die den Rechtsstreit erledigt, nicht aber eine qualifizierte vereinbart haben, die auch alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst. Denn die gesamte vertragliche Regelung macht deutlich, dass die Parteien wohl davon ausgegangen sind, mit dem Vergleich alle notwendigen Regelungen getroffen zu haben, so dass es einer qualifizierten Klausel nicht mehr bedurfte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Ein Anlass, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, ist nicht ersichtlich.