Hessisches LSG, vom 23.01.2017 - L 9 U 111/14
Fundstelle
openJur 2019, 32819
  • Rkr:

Bei einer Belastung von 16,5 MNh in einem Zeitraum von 10 Jahren (hier: 8,1 Jahren) handelt es sich nicht um eine besonders intensive Belastung im Sinne der Konsensempfehlungen (Befundkonstellation B2, 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) , weil der Orientierungswert für Männer nach dem MDD in Höhe von 25 MNh nicht erreicht ist. Der nach der Rechtsprechung des BSG modifizierte hälftige MDD-Dosiswert von 12,5 MNh ist nicht maßgeblich. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen ist insoweit eindeutig.

Tenor

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

II.

Die Beteiligten haben einander für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach den Nrn. 2108 und/oder 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1967 geborene Kläger ist gelernter Zimmerer, hat jedoch in seinem Ausbildungsberuf nach Ausbildungsende nicht mehr gearbeitet. Ab 1988 war er bei unterschiedlichen Firmen als Kraftfahrer mit Be- und Entladetätigkeiten befasst.

Am 23. Januar 2008 rief der Kläger bei der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), an und teilte mit, an einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie an Druckbeschwerden im Bereich des linken Knies zu leiden. Wegen des Bezuges zu der von ihm seit ca. 20 Jahren ausgeübten Tätigkeit als Kraftfahrer bat er um Einleitung eines BK-Feststellungsverfahrens.

Nachdem der Kläger nähere Angaben zu seinen Berufstätigkeiten gemacht und auch diverse medizinische Unterlagen vorgelegt hatte, zog die Beklagte im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen einen Krankheitsbericht bei Wirbelsäulenerkrankungen von dem behandelnden Orthopäden des Klägers Dr. D. vom 19. Februar 2008 und auch von Dr. E., ebenfalls Orthopäde, vom 21. Februar 2008 nebst dessen Krankenunterlagen bei. Im Weiteren zog die Beklagte ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers, der AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen, vom 21. Februar 2008, die Akte des Versorgungsamtes B-Stadt, einen Rehabilitationsentlassungsbericht der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen, der Rechtsvorgängerin der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Hessen, über eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme des Klägers vom 24. Februar 2005 bis 23. März 2005 in der Klinik am Park Bad Schwalbach sowie die Befundberichte der Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin in B-Stadt aus den Jahren 2004 bis 2006 bei. Zu diesen Unterlagen äußerte sich der beratende Arzt der Beklagten Dr. F. unter dem 16. März 2008. Der Chirurg führte aus, dass bei den Befunden von einer schicksalhaften Bandscheibenerkrankung an typischer Stelle in den unteren Segmenten L3/4 und L4/L5 aus körpereigener Ursache auszugehen sei. Bei Fehlen belastungsadaptiver degenerativer Veränderungen im Bereich der übrigen LWS und linkskonvexer Torsionsskoliose sei ein belastungskonformes Schadensbild nicht erkennbar. Eine berufliche Verursachung der Bandscheibenerkrankung im Sinne der BK Nrn. 2108/2110 sei auch unter Berücksichtigung der beruflichen Anamnese nicht wahrscheinlich.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte die Anerkennung der geltend gemachten BKen mit Bescheid vom 19. März 2008 ab. Zur Begründung führte sie an, dass nach dem Ergebnis ihrer Ermittlungen die LWS-Beschwerden des Klägers durch die berufliche Beschäftigung weder verursacht noch verschlimmert worden seien. Die Röntgenaufnahmen der LWS vom 13. Februar 2004 zeigten in der Aufsicht eine linkskonvexe Seitausbiegung mit Auswanderung der Dornfortsatzreihe nach rechts und Scheitelpunkt L3 im Sinne einer Torsionsskoliose. Im seitlichen Strahlengang ergäbe sich eine geringe Verschmälerung des Bandscheibenraumes L4/L5. Die übrigen Zwischenwirbelräume kämen sämtlich ohne Höhenminderung zur Darstellung. Zudem bestehe Spondylarthrose an L4/L5 und L5/S1. In den CT-Aufnahmen vom 15. Juni 2004 und den MRT-Aufnahmen vom 21. Juni 2005 seien ein Bandscheibenvorfall L4/L5 und eine leichte zirkuläre Vorwölbung L3/4 festgestellt worden. Bei dieser Befundkonstellation handele es sich um Veränderungen, die insgesamt anlagebedingt entstanden und nicht auf berufliche Ursachen zurückzuführen seien, da das für einen beruflich bedingten Überlastungsschaden zu fordernde Verteilungsmuster eines dem altersüblichen vorauseilenden Verschleißzustandes von fußwärts nach kopfwärts abnehmend nicht nachzuweisen sei.

Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein ärztliches Attest seines seinerzeit noch nicht habilitierten Orthopäden Dr. C. vom 21. August 2008, einen Befundbericht der Radiologie B-Stadt vom 15. Oktober 2008 über ein CT der LWS und ein Gutachten nach Aktenlage der Agentur für Arbeit B-Stadt vom 10. März 2008 vor. Nachdem eine nähere Begründung nicht erfolgt war, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2009 unter Vertiefung der bereits in dem Ausgangsbescheid genannten Gründe zurück. Nach interner fachärztlicher Aussage handele es sich im Falle des Klägers um eine schicksalhafte Bandscheibenerkrankung aus körpereigener Ursache. Ein belastungskonformes Schadensbild sei nicht erkennbar. Diese Beurteilung finde in dem vorliegenden Krankheitsbericht des behandelnden Orthopäden des Klägers Dr. D. vom 19. Februar 2008 Bestätigung. Darin verneine dieser einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der vorliegenden LWS-Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit. Die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens übersandten medizinischen Unterlagen beschrieben keine neuen Befunde. Dr. C. begründe seine Auffassung hinsichtlich des Vorliegens eines ursächlichen Zusammenhangs nicht.

Seinen Anspruch hat der Kläger mit Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt vom 9. März 2009 weiterverfolgt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass eine Erkrankung, die auf eine berufsbedingte Belastung zurückgeführt werden könne, vorliege. Es gehe alleinig um die Frage, ob diese "schicksalsbedingt" oder berufsbedingt sei. Der Kläger sei in den 20 Jahren seiner Berufstätigkeit als Kraftfahrer praktisch durchgehend in der Müllabfuhr tätig gewesen. Bis zu seinem Ausscheiden habe er schwere Tonnen zu transportieren gehabt, insbesondere 50-Liter-Tonnen, die ein Gewicht von bis zu einem halben Zentner hätten aufweisen können. Die 50-Liter-Tonnen seien erst im Jahre 2005, also nach dem Ausscheiden des Klägers, ausgetauscht worden. Zur Bestätigung dieser Angabe hat der Kläger einen Bericht in der Kundenzeitschrift des Zweckverbandes Abfall- und Werkstoffeinsammlung des Landkreises BX-Stadt (ZAW aktuell) aus April 2005 vorgelegt.

Nach dem Hinweis des Klägers auf ein ebenfalls bei dem Sozialgericht Darmstadt anhängiges Streitverfahren auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente hat das Sozialgericht die Verfahrensakte S 14 R 494/06 mit u. a. einem fachorthopädischen Gutachten von Dr. G. vom 13. Juni 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 29. November 2007, einem nervenärztlichen Fachgutachten von Dr. H. vom 17. Juli 2007 sowie einem orthopädischem Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. J. vom 19. Februar 2009 beigezogen.

Zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen hat die Beklagte eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition bezogen auf die BK Nr. 2108 der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) vom 11. Juli 2011 vorgelegt. Bezogen auf die Tätigkeit des Klägers als Zimmerer von August 1984 bis April 1986 ist von dort eine berufliche Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) von 1,9 Meganewtonstunden (MNh) ermittelt worden. Zu der Arbeitsplatzexposition von November 1988 bis April 2004 hat sich der Präventionsdienst der BG Verkehr - ebenfalls einer Rechtsvorgängerin der Beklagten - unter dem 25. Juli 2011 geäußert. Nach den dortigen Feststellungen ist der Kläger vom 15. November 1988 bis 28. Februar 1991, vom 16. Juli 1992 bis 6. Dezember 1993 und vom 1. Februar 1994 bis 30. November 1999 gefährdenden Belastungen im Sinne der BK Nr. 2108 ausgesetzt gewesen. Hierfür ist eine Gesamtbelastungsdosis von 14,6 MNh errechnet worden. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer gefährdenden Belastung im Sinne der BK Nr. 2110 hätten in den beurteilen Tätigkeitszeiträumen nicht vorgelegen. Der Kläger sei LKW im Stadt-, Nah- und Fernverkehr sowie auf Deponien gefahren. Die von ihm genutzten Fahrzeuge seien innerhalb der Lenkzeit nicht geeignet gewesen, Werte der Beschleunigung aw(8)w(8)>=0,63 m/s2 zu ergeben. Eine Gesamtbelastungsdosis infolge von Ganzkörperschwingungen, die im Sitzen auf die LWS einwirken, habe daher nicht ermittelt werden können. Für die Tätigkeit des Klägers bei der K. Personal-Leasing GmbH vom 16. April 2002 bis 15. April 2003 hat die Präventionsabteilung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft am 29. September 2011 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vorgelegt und eine Gesamtbelastungsdosis von 3,5 MNh ermittelt. Eine Gefährdung im Sinne einer BK Nr. 2110 ist ausgeschlossen worden. Zu der Tätigkeit des Klägers bei der L. eG vom 23. Oktober 2000 bis 22. Oktober 2001 hat die Abteilung Prävention der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution am 19. September 2011 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vorgelegt und eine berufliche Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 1,0 MNh festgestellt. Ganzkörperschwingungsbelastungen im Sitzen im Sinne der BK Nr. 2110 sind ausgeschlossen worden, weil der Kläger keine Fahrzeuge oder fahrbaren Arbeitsmaschinen auf unebenen Fahrbahnen gefahren habe. Für die Tätigkeit des Klägers bei der M. GmbH in M-Stadt vom 24. Januar 2000 bis 30. September 2000 hat der Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft für Handel und Warendistribution eine Gesamtbelastungsdosis von 1,1 MNh (Stellungnahme vom 9. Januar 2012) ermittelt. Nach Abschluss der Ermittlungen in arbeitstechnischer Hinsicht hat das Sozialgericht ein fachorthopädisches Gutachten bei Dr. N. vom 15. Februar 2012 eingeholt. Der Sachverständige hat die folgenden Gesundheitsbeeinträchtigungen diagnostiziert:

1. Wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit lumboischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik bei kernspintomographisch nachgewiesenem Bandscheibenvorfall in Höhe L4/L5 ohne wesentliche knöcherne Begleitreaktion in Form einer Spondylosenbildung mit Wirbelgelenksverschleißänderungen in Höhe L4/L5, L5/S1 sowie Kreuzdarmbeinfugensymmetrie leichtgradig zu Ungunsten links, leichtgradige Lendenwirbelsäulenseitverbiegung linksseitig mit korrespondierendem thorakolumbalen Gegenschwung rechtsseitig.

2. Initiale Verschleißveränderungen der unteren Halswirbelsäule der Etage C6/C7 klinisch kompensiert.

Ergänzend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass sich auf orthopädischem Fachgebiet einerseits eine angeborene Formveränderung, leichtgradig im Sinne einer Thorakolumalskoliose, finde und dass die Abnutzungserscheinungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) in Höhe C6/C7 nicht deutlicher als in Höhe L4/L5 seien. Es fehle bei den nachgewiesenen Bandscheibenvorfallsbildungen/Wirbelgelenksverschleißveränderungen lediglich die Begleitspondylose, so dass in Abhängigkeit des Ermittlungsergebnisses der Präventionsabteilung mit einer Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD von 21,3 MNh die "BK 2110" zur Anerkennung vorzuschlagen sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hat der Sachverständige mit 10 vom Hundert (v. H.) bewertet.

Zu der Expertise hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme ihres Geschäftsbereiches Prävention vom 5. März 2012 und auch eine ergänzende Stellungnahme des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Holz und Metall vom 30. Mai 2012 vorgelegt. Bezogen auf das zweite Zusatzkriterium der Fallkonstellation B2 nach den Konsensempfehlungen seien weder eine intensive Belastung noch ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen gegeben. Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat Dr. N. mit ergänzender Stellungnahme vom 31. Januar 2013 seine Expertise dahingehend konkretisiert, dass eine Konstellation B2 vorliege und wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren ausgeschlossen. Zwar liege eine Begleitspondylose nicht vor. Jedoch sei eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps in mehreren Bandscheibensegmenten, hauptbefundlich der Etagen L4/L5 und L5/S1, gegeben. Unter Auswertung der vorgegebenen Tabelle der Bandscheibenhöhe ergäbe sich für das Segment L1/L2 eine Chondrose Grad II, für das Segment L2/L3 keine Chondrose, für das Segment L3/L4 keine Chondrose, für das Segment L4/L5 eine Chondrose Grad II sowie für das Segment L5/S1 keine Chondrose. Es lägen somit zwar ein Bandscheibenschaden in Höhe des ersten und zweiten Lendenwirbelkörpers (LWK) und in Höhe des vierten und fünften LWK vor, jedoch keine Anschlussveränderungen der darüber liegenden und darunter liegenden Segmente, so dass an der B2 Konstellation festzuhalten sei. Zumindest ein Teil der vorliegenden arbeitsplatztechnischen Ermittlungen hätte zudem Spitzenbelastungen bestätigt, wenn auch letztendlich der Grenzwert von zehn Jahren mit 10,6 Jahren ermittelt worden sei. Die Ermittlung der Bandscheibenbelastung sei jedoch auf das Segment L5/S1 bezogen erfolgt, geschädigt sei jedoch das Segment L4/L5. Zusammengefasst sei eine Überschreitung des hälftigen Dosisrichtwertes in dem erforderten Zeitraum gegeben, der Richtwert für die Lebensdosis von weniger als zehn Jahren lasse mit den derzeitigen Ermittlungswerten Interpretationsspielraum zu.

Während der Kläger sich die Feststellungen des Sachverständigen zu Eigen gemacht hat, ist die Beklagte diesen entgegengetreten. Dabei hat sie zunächst darauf hingewiesen, dass eine intensive Belastung dann anzunehmen sei, wenn der von der Konsensempfehlung vorausgesetzte Richtwert für die Lebensdosis in weniger als zehn Jahren erreicht werde, wobei als Richtwert weiterhin 25 MNh maßgebend seien. Der hälftige Orientierungswert entsprechend dem Bundessozialgerichts (BSG) Urteil vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R) fände bei der Beurteilung der besonderen Belastungsintensität keine Anwendung. Wie Dr. N. dazu komme, dass Belastungsspitzen im Falle des Klägers stellenweise vorgelegen hätten, sei nicht nachvollziehbar. Die Bandscheibendruckkräfte hätten nach den Feststellungen des Präventionsdienstes eindeutig unterhalb 6 Kilonewton (kN) gelegen, so dass Belastungsspitzen im Sinne der Konstellation B2 zweifelsfrei nicht vorgelegen hätten. Auch sei die Ermittlung der Bandscheibenbelastung entsprechend der geforderten Belastungsspitzen in Bezug auf das Segment L5/S1 vorzunehmen, weil Belastungen im Sinne der BK nach den Nrn. 2108 und 2110 nach biomechanischen Erkenntnissen regelmäßig zu einer Hauptschädigung der unteren Wirbelsäulensegmente führten. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 15. März 2013 hat Dr. N. in Anbetracht der Gesamtanamnese, fehlenden konkurrierenden Faktoren und "der durchaus diskussionswürdigen Belastungsermittlung" an seiner Feststellung einer berufsbedingten Bandscheibenerkrankung festgehalten.

Mit Beschluss vom 23. April 2013 hat das Sozialgericht die Verwaltungsberufsgenossenschaft Mainz zum Verfahren beigeladen.

Nach Hinweis des Vorsitzenden in einem ersten Kammertermin vom 28. Juni 2013 hat die Präventionsabteilung der Beklagten unter dem 5. August 2013 eine weitere Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition und eine Neuberechnung der Belastungsdosis nach dem MDD unter Ansatz eines Müllbehältergewichtes von 50 kg für die Zeiträume der dortigen Zuständigkeit durchgeführt. Danach erhöhe sich die Gesamtbelastungsdosis von 14,6 MNh auf 20,2 MNh. Das zweite Zusatzkriterium der Fallkonstellation B2 sei nach wie vor nicht erfüllt. Bei einer Dosisberechnung würde innerhalb von 8,1 Jahren nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,5 MNh erreicht werden. Ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen sei nicht gegeben, da auch die Handhabung von Lasten mit einem Gewicht von 50 kg keine Bandscheibendruckkräfte >= 6 kN verursachten.

Die Klage hat das Sozialgericht sodann mit Urteil vom 14. Februar 2014 abgewiesen. Es lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht vor. Zwar erfülle der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen mit einer von der Beklagten bzw. den Präventionsdiensten errechneten MDD-Gesamtdosis von über 20 MNh. Auch seien die Erkrankungen, für die der Kläger Entschädigungsleistungen beanspruche, nämlich einen Bandscheibenvorfall in Höhe L4/L5 mit Wirbelgelenksverschleißveränderungen in Höhe L4/L5 und L5/S1, nachgewiesen. Allerdings seien diese an der LWS vorliegenden Bandscheibenerkrankungen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die physikalischen Einwirkungen zurückzuführen, denen der Kläger während seines Berufslebens ausgesetzt gewesen sei. Es sei die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen gegeben, bei der ein Zusammenhang als nicht wahrscheinlich beurteilt werden müsse. Der bei dem Kläger festgestellte Befund am Segment L4/L5 erfülle die Grundvoraussetzung für die B-Konstellationen. Es läge keine Konstellation B1 vor, es fehle insoweit an einer Begleitspondylose. Die Bandscheibenerkrankung erfülle auch nicht die Voraussetzungen der Konstellation B2, da keines der dort genannten Zusatzkriterien gegeben sei. Die Kammer folge insoweit den ausführlich dokumentierten und überzeugenden MDD Berechnungen der Präventionsdienste der Berufsgenossenschaften. Den Richtwert für die Lebensdosis von 25 MNh habe der Kläger nicht in weniger als zehn Jahren erreicht. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) habe in seiner Stellungnahme vom 5. August 2013 nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger innerhalb von 8,1 Jahren nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,5 MNh erreicht habe, wobei diesem Wert bereits ein Mülltonnengewicht von 50 kg zugrunde liege. Auch ließen die Ausführungen des Präventionsdienstes selbst bei diesem Mülltonnengewicht kein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen erkennen. Wenn Dr. N. gleichwohl die Zusatzkriterien "besonders intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" annähme, verkenne er insoweit die klaren Aussagen des Präventionsdienstes. Zudem scheine er für das Zusatzkriterium "besonders intensive Belastung" den hälftigen Grenzwert für die Lebensdosis als ausreichend anzusehen. Dabei verlasse er sein medizinisches Fachgebiet und übertrage unreflektiert die Rechtsprechung des BSG auf dieses Zusatzkriterium. Auch das weitere Zusatzkriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten" - sei nicht erfüllt. Dies folge insoweit aus dem Sachverständigengutachten von Dr. N. Die Feststellung der BK 2110 sei ebenfalls abzulehnen. Der Kläger habe keine gefährdende Tätigkeit im Sinne dieser BK ausgeübt.

Gegen die ihm am 2. Juni 2014 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 27. Juni 2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht der Kläger geltend, dass nicht nachvollziehbar bzw. erkennbar sei, inwieweit die Befunde aus den Jahren 2004 und 2005 in dem Verfahren berücksichtigt worden seien. Auch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. N. seien infrage zu stellen und mit den Vorbefunden nicht in Einklang zu bringen. Der Sachverständige habe die bei dem Kläger mehrfach diagnostizierte Spondylarthrose unbeachtet gelassen. Es bestehe insoweit weiterer Ermittlungsbedarf.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2009 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 und/oder Nr. 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Ergebnis hält sie die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und daran fest, dass eine besonders intensive Belastung erst vorliegt, wenn eine Belastungsdosis von mindestens 25 MNh in weniger als zehn Jahren erreicht wurde. Hierzu bezieht sie sich auf die Entscheidungen der Landessozialgerichte Berlin-Brandenburg und Bayern in den Urteilen vom 6. Mai 2010 - L 3 U 19/06, 19. Januar 2012 - L 2 U 24/09 ZVW und vom 31. März 2013 - L 17 U 244/06. Nichts anderes lasse sich aus der Entscheidung des BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 entnehmen. Auch sei die Beklagte aufgrund des ebenfalls zur Akte gereichten Rundschreibens Nr. 418/2015 vom 2. Dezember 2015 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) bis zur Vorlage neuer aussagefähiger medizinischer Erkenntnisse gehalten, bei der Anwendung der Konsensempfehlungen den maßgeblichen Richtwert von 25 MNh zu beachten.

Die Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat gemäß § 109 SGG ein fachorthopädisch-fachrehabilitatives Sachverständigengutachten von Prof. Dr. C. vom 6. Dezember 2015 eingeholt. An direkten Bandscheibenerkrankungen hat der Sachverständige eine Chondrose im Segment L1/L2 sowie L4/L5 und im Segment C6/C7, einen Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 sowie Spondylosen in Höhe L5 und L2 in Folge eines Bandscheibenschadens festgestellt. Die beschriebenen Spondylarthrosen im Segment L4/L5 und L5/S1 seien Zeichen einer Verbrauchsschädigung der Wirbelgelenke. Der Bandscheibenvorfall sei als altersuntypisch einzustufen, es bestehe ein altersuntypisches Schädigungsmaß. Der Hauptschaden sei in einem Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 festzumachen; darüber hinaus seien nachrangige Bandscheibenschäden geringerer Ausprägung im Sinne einer Chondrose im Segment L3/L4 sowie L1/L2 und C6/C7 zu finden. Die Spondylosen seien an der Deckplatte des zweiten LWK sowie in den Segmenten L4/L5 nachweisbar, die Wirbelgelenksverschleißerkrankungen im Sinne einer Spondylarthrose im Segment L4/L5 und L5/S1. Die Verschleißveränderungen seien damit in den unteren beiden Lumbalsegmenten, also dort, wo die höchste berufliche Exposition erfolgte, am stärksten ausgeprägt. Anzunehmen sei eine Konstellation B7. Über die Lokalisation der bandscheibenbedingten Erkrankung im Bereich LWK 4/5 bestehe eine Begleitspondylose im Segment 4/5 und L2. Auch sei die Schädigung der HWS schwächer ausgeprägt als die der LWS. Es bestehe daher ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang. Als konkurrierende Ursache läge bei dem Kläger einzig eine Seitausbiegung flachen Ausmaßes mit einem Krümmungswinkel von 8 Grad nach Cobb vor. Da Skoliosen als adäquate konkurrierende Ursache erst ab einem Skoliosewinkel von 35 Grad vorlägen, sei eine konkurrierende Ursache von überragender Qualität nicht gegeben. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung nach der BK Nr. 2108 sei gegeben. Die MdE sei mit 10 v. H. zu bewerten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und auch der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Gründe

Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Ein Anspruch auf Anerkennung der BK Nr. 2108 oder der BK Nr. 2110 besteht nicht.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 7. Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden.

Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 128 Rn. 3b m. w. N.). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287 [BSG 02.02.1978 - 8 RU 66/77]; 61, 127, 128).

Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität) und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (sog. haftungsausfüllende Kausalität - dazu: Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, Kommentar, Anm. 54 zu § 8 SGB VII). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheit gilt dabei, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die Wahrscheinlichkeit, d. h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59 [BSG 19.03.1986 - 9a RVi 2/84]).

In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 2108 "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können" bezeichnet. Voraussetzung für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 ist daher, dass der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat und dass durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein muss, die noch besteht. Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Unterlassungszwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK Nr. 2108 nicht vor (vgl. BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R sowie vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R - und - B 2 U 14/08 R).

Zur Überzeugung des erkennenden Senats steht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme gemessen an diesen Kriterien fest, dass die bei dem Kläger vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung keine Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ist.

Der Kläger war von August 1984 bis April 1986 als Zimmerer und von November 1988 bis April 2004 als Kraftfahrer und Müllwerker abhängig beschäftigt und damit als Beschäftigter gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. In diesem Zeitraum war der Kläger Einwirkungen ausgesetzt, die grundsätzlich geeignet waren, eine bandscheibenbedingte Erkrankung an der LWS zu verursachen.

Zur Bestimmung des Ausmaßes der erforderlichen Einwirkungen bei der BK Nr. 2108 ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSG vom 18. März 2003 - B 2 U 13/02 R) auf der Basis der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) abzustellen (vgl. dazu die grundlegende Veröffentlichung von Jäger u. a., ASUMed 1999, 101 ff, 112 ff.). Dieses Modell stellt grundsätzlich eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK Nr. 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau umschriebenen Einwirkungen dar (BSG vom 19. August 2003 - B 2 U 1/02 R; BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 6/ 13 R, B 2 U 20/14 und B 2 U 10/14 R.). Jedoch müssen die vom MDD vorgegebenen Orientierungswerte im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse modifiziert werden (BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R). Welches Maß an belastenden Einwirkungen mindestens erforderlich ist, um eine Berufskrankheit - ggf. unter Einbeziehung weiterer Kriterien - anzuerkennen oder umgekehrt, wo die Mindestgrenze liegt, bis zu der ein rechtlich relevanter Ursachenzusammenhang ohne weitere Prüfung ausgeschlossen werden kann, ist danach unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu entscheiden (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R und vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R). Bezüglich der BK Nr. 2108 bedarf das MDD im Hinblick auf die an seinen wissenschaftlichen Grundlagen und seinem Berechnungsmodus geäußerte Kritik der weiteren Überprüfung. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse deuten nämlich darauf hin, dass auch unterhalb der Orientierungswerte nach dem MDD liegende Werte ein erhöhtes Risiko für Bandscheibenerkrankungen auslösen können. Auf eine Mindesttagesdosis ist daher entsprechend dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh bei Männern herabzusetzen (vgl. dazu BSG vom 30. Oktober 2007 a. a. O. m. w. N., bestätigt durch BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R und B 2 U 20/14/R).

Nach den auf umfangreichen und sorgfältigen Ermittlungen basierenden Stellungnahmen der Präventionsdienste der Beklagten und anderer Berufsgenossenschaften ist der Kläger im Rahmen seiner o.a. Tätigkeiten rückenbelastend mit einer kumulativen Einwirkungsbelastung i. H. v. insgesamt 27,52 MNh tätig gewesen. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der BK Nr. 2108 voraussetzt - mit rund 17 Jahren auch langjährig. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl. 2006, Heft 10, S. 30, Abschnitt IV; bestätigend auch BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R m. w. N.) Der einschlägige - hälftige - Grenzwert von 12,5 MNh ist damit ausgehend von diesen Eckdaten überschritten.

Es liegt auch eine altersuntypische bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor, was der Senat den Gutachten von Dr. N. und Prof. Dr. C. entnimmt. Danach bestehen bei dem Kläger nach stattgehabtem Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 ein wiederkehrendes Nervenwurzelreizsyndrom links, ein rezidivierendes Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom mit Schmerz- und Reizsymptomatik und teilweise auch Ausstrahlung in das linke Bein, darüber hinaus Wirbelgelenksverschleißveränderungen mit Wirbelkörperkantenausziehung in mehreren Segmenten.

Zwischen der Bandscheibenerkrankung des Klägers und den gefährdenden Einwirkungen besteht allerdings kein ursächlicher Zusammenhang. Für die Bewertung des Ursachenzusammenhangs zwischen beruflichen Belastungen und Bandscheibenerkrankung ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu berücksichtigen; daher sind neben der Begründung des Verordnungsgebers auch die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums, die wissenschaftliche Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirates sowie die sog. Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe ("Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", Bolm-Audorff, Franz, Grosser, Schröter, Seidler u.a., Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) zu beachten. In seinen Urteilen vom 23. April 2015 (Az.: B 2 U 6/13 R, B 2 U 20/14 und B 2 U 10/14 R) hat das BSG bestätigt, dass diese Konsensempfehlungen weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand abbilden.

In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie und kommen ebenso in Berufsgruppen vor, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, wie in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben. Aus diesem Grund kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD und erst recht nicht die knappe Überschreitung des vom BSG angesetzten Schwellenwerts - dazu unten mehr - die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108, BArbBl. 2006, S. 30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK Nr. 2108 bedarf es weiterer Kriterien für die Beurteilung der beruflichen Verursachung. Diese dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS sind in den bereits erwähnten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung niedergelegt.

Eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK Nr. 2108 setzt nach den Konsensempfehlungen den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder einen Bandscheibenvorfall einerseits und eine korrelierende klinische Symptomatik andererseits voraus (vgl. Konsensempfehlungen 1.3/ 1.4 - S. 215 f. sowie zur Berechnung der Bandscheibenhöhen Anhang 3 - S. 224 ff.).

Für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS im Sinne der BKV ist der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) dabei zwar unabdingbare, nicht aber bereits hinreichende Voraussetzung (vgl. 1.3 der Konsensempfehlungen). Vielmehr muss eine korrelierende klinische Symptomatik wie eine neurologische Ausfallsymptomatik hinzukommen. Nach dem Merkblatt zu der BK Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 1. September 2006 (BArbBl. 10/2006, S. 30 ff, veröffentlicht in Mehrtens/Brandenburg "Die Berufskrankheitenverordnung") müssen chronische oder chronisch-rezidivierende Beschwerden und Funktionseinschränkungen bestehen, die therapeutisch nicht mehr voll kompensiert werden können und die den geforderten Unterlassungstatbestand begründen. Das BSG hat mit Urteil vom 31. Mai 2005 (Az.: B 2 U 12/04 R) dargelegt, dass eine bloß röntgenologisch feststellbare Veränderung der LWS ohne Funktionsbeeinträchtigung zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der bandscheibenbedingten Erkrankung nicht ausreicht angesichts der Materialien und der sinnorientierten Auslegung der Regelung unter Beachtung des Gesamtzusammenhangs. Denn angesichts des geforderten Unterlassungszwangs ist Voraussetzung für diese Berufskrankheit, dass das Krankheitsbild über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und dass es zu Funktionseinschränkungen geführt hat, die eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich macht; daher ist ein klinisches Beschwerdebild mit Funktionseinschränkungen Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.

Unter Berücksichtigung der Konsensempfehlungen kommt vorliegend nur eine mit dem Buchstaben "B" beginnende Konstellation in Betracht, da bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegt (was Konstellation A ausschließt), die beiden unteren LWS-Segmente betroffen sind (was Konstellation C ausschließt) und weil nicht nur lediglich ein Ausprägungsgrad in Form einer Protrusion (Konstellation D) bzw. Chondrose Grad I (Konstellation E) vorliegt.

Die Konsensempfehlungen setzen für alle Befundkonstellationen der Konstellation B voraus, dass eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Außerdem muss die Exposition ausreichend sein und eine plausible Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung bestehen. Kann unter Berücksichtigung dessen zusätzlich eine Begleitspondylose nachgewiesen werden (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt keine Begleitspondylose vor (und sind wesentliche konkurrierende Ursachen nicht erkennbar), so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen u.a. dann als wahrscheinlich betrachtet (Konstellation B2), wenn zusätzlich

- eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation B2, 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt) oder

- bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation B2, 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt) oder

- eine besonders intensive Belastung bestand, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation B2, 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder

- ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen bestand, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation B2, 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) gilt.

Ist keines dieser Zusatzkriterien erfüllt, ist die Konstellation B3 einschlägig, für die kein Konsens mit Blick auf eine wahrscheinliche Verursachung besteht.

Bei dem Kläger ist ein Bandscheibenvorfall (Prolaps) im Segment L4/L5 nachgewiesen, bildgebend sind zudem Höhenminderungen (Chondrosen) des Zwischenwirbelraumes L4/L5, L3/L4 und auch L1/L2 gesichert. Der Senat folgt insoweit den - von den Beteiligten nicht angegriffenen - Feststellungen der gerichtlich gehörten Sachverständigen Dr. N. und Prof. Dr. C. Konkurrierende Ursachen, wie etwa extremes Übergewicht, wirbelsäulenbelastende Sportarten o.ä. sind bei dem Kläger nicht ersichtlich. Da es im Weiteren an einer Begleitspondylose fehlt, kann nicht von der Konstellation B1 ausgegangen werden. Nach den Konsensempfehlungen ist eine Begleitspondylose definiert als eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) oder in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalles aufgetreten ist. Die von Prof. Dr. C. bemerkten Spondylosen in den Segmenten L4/L5 und an der Deckplatte des 2. Lendenwirbelkörpers betreffen die bereits geschädigten Segmente. Eine Begleitspondylose hat entsprechend zutreffend Dr. N. ausgeschlossen. Insgesamt liegt damit ein wahrscheinlich ursächlicher Zusammenhang nach der Konstellation B1 nicht vor, weswegen die Konstellation B2 zu prüfen ist.

Bei dem Kläger ist jedoch keines der der Zusatzkriterien dieser Konstellation gegeben. Die Zusatzkriterien 1 und 3 der Befundkonstellation B2 haben sich im Falle des Klägers nicht erweisen lassen. Der Senat folgt insoweit den auf den Feststellungen von Dr. N. gründenden Ausführungen des Sozialgerichts, was das besondere Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen anbelangt, zudem den Feststellungen der Präventionsdienste, wonach die Bandscheibendruckkräfte eindeutig unterhalb von 6 kN gelegen haben. Zu der Befundkonstellation B2, 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt ("Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben") ist mit Blick auf die von Dr. N. bemerkte Chondrose Grad II im Segment L1/L2, die auch Prof. Dr. C. bestätigt hat, jedoch noch klarstellend und ergänzend darauf hinzuweisen, dass für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Beschäftigungsaufgabe maßgeblich sind. Dr. N. hat den Kläger unter Erhebung eines auch röntgenologischen Befundes am 27. Januar 2011 untersucht, Prof. Dr. C. am 12. November 2015. In den bildgebenden Befunden der Jahre 2004 bis 2008 (u. a. CT vom 15. Juni 2004, MRT vom 21. Juni 2005) und auch noch dem Arztbrief von Dr. D. vom 19. Februar 2008 finden sich keine Hinweise auf Bandscheibenschäden oder -veränderungen auch im Segment L1/L2. Insoweit geht der Senat davon aus, dass diese sich erst zeitlich nach Beendigung der lendenwirbelsäulenbelastenden Tätigkeit entwickelt haben und als Folge nicht zu berücksichtigen sind. Auf die in Rechtsprechung und Literatur streitige Frage, ob dieses Zusatzkriterium den Befall von zwei oder drei Bandscheibensegmenten voraussetzt, kommt es daher an dieser Stelle nicht an (siehe aber hierzu die Senatsentscheidung auch vom 23. Januar 2017 - L 9 U 61/15)

Auch das Zusatzkriterium besonders intensive Belastung mit Erreichen des Richtwertes in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation B2, 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) liegt bei dem Kläger nicht vor. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Präventionsdienstes, von deren Richtigkeit auch der Senat ausgeht, ist im Falle des Klägers eine Belastung in Höhe von maximal 16,5 MNh in einem Zeitraum von 10 Jahren, vorliegend sogar nur in 8,1 Jahren, nachgewiesen. Eine besonders intensive Belastung im Sinne der Konsensempfehlungen liegt damit nicht vor, weil der Orientierungswert für Männer nach dem MDD in Höhe von 25 MNh nicht erreicht ist.

Nicht maßgeblich ist hierbei der nach der Rechtsprechung des BSG modifizierte hälftige MDD-Dosiswert von 12,5 MNh. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen ist insoweit eindeutig (so auch LSG Berlin-Brandenburg vom 6. Mai 2010 - L 3 U 19/06; Bayerisches LSG vom 31. Januar 2013 - L 17 U 244/06; auch LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 29. Januar 2014 - L 5 U 3/08, jedoch ohne nähere Begründung). Nicht zu folgen vermochte der Senat der gegenteiligen Auffassung des LSG Sachsen (zur dortig gefestigten ständigen Rechtsprechung siehe Urteile vom 22. April 2010 - L 2 U 109/07, vom 23. September 2010 - L 2 U 198/07; vom 16. Dezember 2010 - L 2 U 114/06, vom 10. April 2013 - L 6 U 211/09 und vom 29. Januar 2014 - L 6 U 111/11). U. a. gestützt auf eine in einem Verfahren (L 2 U 198/07) bei Prof. Dr. Bolm-Audorff - einem Mitverfasser der Konsensempfehlungen - eingeholte Stellungnahme gehen die dortigen Senate davon aus, dass angesichts der vom BSG (Urteile vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R - und vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R) vorgenommenen Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh auf 12,5 MNh der nur hälftige Wert auch bei diesem Zusatzkriterium anzusetzen sei. Die Verfasser der Konsensempfehlungen hätten, anders als bei der Befundkonstellation B2, 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium ("besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen"), gerade keinen festen Wert in die Befundkonstellation B2, 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium, sondern bewusst den jeweils maßgeblichen "Richtwert", aufgenommen. Zudem beziehe sich der 2. Spiegelstrich der Befundkonstellation B2 nicht auf das MDD, um auch bei einer Überschreitung des Richtwerts der Lebensdosis nach anderen Modellen die Konstellation bejahen zu können.

Diese Argumentation überzeugt nicht. Grundlage des Konsenses der von der interdisziplinären Arbeitsgruppe verabschiedeten und 2005 veröffentlichen Konsensempfehlungen war das nicht modifizierte MDD mit Richtwerten für die Gesamtbelastungsdosis im Sinne der BK Nr. 2108 für Frauen in Höhe von 17 MNh und für Männer in Höhe von 25 MNh. Nur auf die Richtwerte - andere gab es nicht - konnte sich entsprechend die Formulierung im 2. Spiegelstrich der Befundkonstellation B2 beziehen (Westermann, jurisPR-SozR 7/2016 Anm. 3). Für eine Halbierung des "Richtwertes" ist jedenfalls bis dato auch kein sachlicher Grund ersichtlich. Eines solchen bedürfte es jedoch angesichts der Erwägungen, die das BSG in seinen o.a. Entscheidungen zur Halbierung des im MDD vorgeschlagenen Richt- oder auch Orientierungswertes veranlasst hat. Entscheidend ist hier zunächst herauszustellen, dass die Halbierung nicht den vorliegend maßgeblichen Bereich der arbeitsmedizinischen, sondern den der arbeitstechnischen Voraussetzungen betraf. Letztere beinhalten als Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen, zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung. Nur den unteren Grenzwert des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, der ein Ausschlusskriterium darstellt, bei dessen Unterschreitung ein Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung zu verneinen ist und weitere einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr notwendig sind, hat das BSG halbiert. Keine Aussage hat das BSG demgegenüber dazu getroffen, ob der Orientierungswert auch bezogen auf die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen einer Korrektur bedarf. Hierzu bestand bisher auch kein Anlass, da es bei den arbeitsmedizinischen Anerkennungsvoraussetzungen für eine BK um gänzlich anderes geht. Nämlich zum einen um das Vorliegen der in dem jeweiligen BK-Tatbestand vorausgesetzten Krankheitsbildes, zum anderen um das Vorliegen eines Schadensbildes, das mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, "Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht", in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann <Hrsg.>, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" <BK 2108>, Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Auf ausschließlich letzteres bezieht sich das Zusatzkriterium der besonders intensiven Belastung in der Konstellation B2. Bei dem dort erforderten Richtwert handelt es sich um ein Element zur Beurteilung des arbeitsmedizinischen Ursachenzusammenhanges.

Da aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen angesichts der bereits erwähnten multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK Nr. 2108 geschlossen werden kann, müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 Rm. w. N.). Diese sind in den Konsensempfehlungen niedergelegt. Ein Herabsetzen des Orientierungswertes von 25 MNh auch bei dem Zusatzkriterium der besonders intensiven Belastung ohne valide wissenschaftliche Begründung birgt insoweit die Gefahr der Aushöhlung des Zusatzkriteriums und damit des arbeitsmedizinisch verlangten Kausalitätserfordernisses. Überspitzt formuliert würde dadurch für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 die Feststellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen und das Vorhandensein einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS im Grunde schon ausreichen. Genau dies übersieht das LSG Sachsen, wenn es mit Prof. Dr. Bolm-Audorff davon ausgeht, dass die Konsensempfehlungen keine Regelung beinhalten, nach der der maßgebliche Zehn-Jahres-Zeitraum in einem bestimmten Abschnitt des Erwerbslebens liegen muss und als Folge jeder Zehn-Jahres-Zeitraum, in dem der Richtwert für die Lebensdosis - also bei Männern 12,5 MNh - überschritten wird, maßgeblich sei. Betrachtet man den aktuellen medizinischen Wissensstand, wird die Frage, ob die vom BSG vorgenommene Halbierung der als Orientierungswert verstandenen Lebensdosis auf 12,5 MNh auch auf die Interpretation der Zusatzkriterien zu beziehen ist, kontrovers diskutiert (vgl. einerseits Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S. 135, 138, andererseits Grosser in: Grosser u.a., BK 2108, S. 83, 102). Hierauf hat auch das BSG in seiner jüngsten Entscheidung zu dieser Streitfrage vom 23. April 2015 (Az.: B 2 U 10/14 R) hingewiesen und die Entscheidung des LSG Sachsen vom 29. Januar 2014 (Az.: L 6 U 111/11) ohne eine Bestätigung in der Sache vorzunehmen nur unter Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte dafür, dass der Wert von 12,5 MNh nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Erfahrungssätze entsprechen könne, bestätigt. Es sei weder dem Vorbringen der Revision zu entnehmen noch sonst ersichtlich, dass der vom Landessozialgericht zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem zweiten Zusatzkriterium der Konstellation B2 offensichtlich falsch sei oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen werde. Ist die Bestimmung des "Richtwertes" des 2. Zusatzkriteriums der Befundkonstellation B2, 2. Spiegelstrich, demnach offen, sprechen zur Überzeugung des Senats die besseren Argumente dafür, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem sich eine Mehrheit mit der Materie befasster Fachwissenschaftler im Sinne eines Konsenses auf Basis einer auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Begründung für ein Absenken des Richtwertes als Relevanzgrenze ausspricht, den Richtwert bei 25 MNh zu belassen (so im Ergebnis auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. November 2016 - L 15 U 331/12). Dies nicht zuletzt auch aus pragmatischen Erwägungen heraus unter dem Aspekt, dass eine Herabsetzung des Beurteilungsrichtwertes bei dem Zusatzkriterium der besonders intensiven Belastung im Rahmen der Gesamtabwägung zwangsläufig zu erhöhten Anforderungen an die Begründbarkeit eines Ursachenzusammenhanges anhand der übrigen Kriterien führen muss. Andernfalls wäre der Kausalitätszusammenhang entbehrlich (s. o.).

Somit ist hier allein die Konstellation B3 einschlägig. Liegt eine Konstellation vor, für die unter den Autoren der Konsensempfehlungen kein Konsens erzielt werden konnte, bedarf es einer individuellen Beurteilung und Würdigung des Einzelfalls (BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R). Hier vermag der Senat unter Berücksichtigung der letztlich nur bezogen auf das Segment L 4/5 deutlichen und im Übrigen nur grenzwertigen Veränderungen im Bereich der unteren LWS keine Umstände erkennen, welche die Annahme eines Kausalzusammenhangs gleichwohl rechtfertigen würden. Allgemein anerkannte epidemiologische Untersuchungen, die nachweisen würden, dass bei der Konstellation B3 ein besonderes Risiko bei beruflich Exponierten im Vergleich zur übrigen Bevölkerung besteht, sind dem Senat nicht bekannt.

Nicht zu folgen ist der Auffassung von Prof. Dr. C., der im Falle des Klägers von einer Konstellation B7 ausgeht. Diese setzt die Konstellation B1, jedoch mit einem Bandscheibenschaden an der HWS, der gleich stark ausgeprägt ist wie der an der LWS voraus. Für diese Konstellation gilt der Ursachenzusammenhang als wahrscheinlich. Da bei dem Kläger keine Begleitspondylose nachgewiesen ist, die die Konstellation B1 verlangt (s.o.), scheidet ungeachtet der Frage der Ausprägungsintensität der Bandscheibenschäden an HWS und LWS diese Konstellation aus.

Ebenfalls nicht erfüllt sind die Voraussetzungen der BK Nr. 2110. Dieser BK unterfallen bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Für diese Berufskrankheit fehlt es bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen. Der Kläger hat keine gefährdenden Tätigkeiten im Sinne dieser BK ausgeübt. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen der Präventionsdienste, denen der Kläger auch nicht entgegen getreten ist. Danach waren die von dem Kläger während seiner beruflichen Tätigkeiten genutzten Fahrzeuge (Lastkraftwagen im Stadt-, Nah- und Fernverkehr) innerhalb der Lenkzeit nicht geeignet, die erforderlichen Beschleunigungswerte von aw(8)w(8)>=0,63 m/s2 zu ergeben. Eine Gesamtbelastungsdosis infolge von Ganzkörperschwingungen, die im Sitzen auf die LWS einwirken, war entsprechend nicht ermittelbar.

Die Berufung war nach alledem insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG folgt der Entscheidung zur Hauptsache.

Die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 160 Abs. 2 SGG.