Hessischer VGH, vom 05.04.2017 - 8 C 459/17.N; 8 B 458/17.N
Fundstelle
openJur 2019, 31965
  • Rkr:

1. Fraktionen der Gemeindevertretung haben keinen originären Leistungsanspruch auf Gewährung finanzieller Zuwendungen zur Geschäftsführung, aber für den Fall, dass Zuwendungen von der Gemeinde gewährt werden, einen derivativen Leistungsanspruch auf eine dem allgemeinen Gleichheitssatz genügende Teilhabe.

2. Der Ausschluss von Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen von Zuwendungen, die die Gemeinde Fraktionen zur Geschäftsführung grundsätzlich gewährt, verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz.

Tenor

§ 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung der Antragsgegnerin in der Fassung der am 27. Januar 2017 beschlossenen 7. Satzung zur Änderung der Entschädigungssatzung der Stadt Büdingen ist unwirksam.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich gegen eine Satzungsänderung, mit der Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen von finanziellen Zuwendungen zur Fraktionsgeschäftsführung ausgenommen werden.

Antragstellerin zu 1) ist die NPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin. Die Antragsteller zu 2) bis 5) sind Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin und zugleich die Mitglieder der Antragstellerin zu 1).

§ 5 der Entschädigungssatzung der Antragsgegnerin lautet:

"§ 5

Fraktionen

(1) Stadtverordnete und ehrenamtliche Stadträte erhalten für die Teilnahme an Fraktionssitzungen Ersatz des Verdienstausfalles und der Fahrtkosten sowie die Aufwandsentschädigung gem. §§ 1, 2 und 3 Abs. 1.

(2) Die Zahl der nach Abs. 1 ersatzpflichtigen Fraktionssitzungen wird auf 20 pro Jahr begrenzt.

(3) Für den bei ihrer Arbeit entstehenden Aufwand erhalten die Fraktionen eine jährliche Zahlung, die sich aus einem Sockelbetrag von 150,-- € sowie einem weiteren Betrag von 40,-- €/Mitglied zusammensetzt. Über die Verwendung dieser Gelder ist jährlich Rechnung zu legen, die zulässigen Ausgaben sind entsprechend den "Richtlinien für die Bestimmungsgemäße Verwendung von Fraktionszuwendungen" beschränkt. Gelder, deren ordnungsgemäße Verwendung nicht nachgewiesen wird, sind zurückzuzahlen."

In ihrer Sitzung am 27. Januar 2017 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin folgende Änderung der Entschädigungssatzung:

"Art. I

§ 5 Abs. 3 der Entschädigungssatzung wird um folgenden Text ergänzt:

Ausgenommen davon sind Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen.

Art. II Die übrigen Vorschriften der Entschädigungssatzung bleiben unberührt.

Art. III

Die Satzung tritt zum 1. Februar 2017 in Kraft."

Zur Begründung wurde auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - Bezug genommen. Danach sei die NPD eine verfassungsfeindliche Partei. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz gebiete es nicht, Gleiches mit Ungleichem willkürlich gleich zu behandeln. Da die NPD wesentliche Elemente unseres Staates nicht trage, sondern vielmehr an deren Beseitigung arbeite, sei eine Gleichstellung mit Parteien, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stünden, willkürlich. Dies gelte auch bei der Gewährung finanzieller Zuwendungen zur Fraktionsgeschäftsführung nach § 36a Abs. 4 HGO.

Am 31. Januar 2017 wurde die geänderte Entschädigungssatzung auf der Homepage der Antragsgegnerin bekannt gemacht.

Am 1. Februar 2017 haben die Antragsteller einen Normenkontrollantrag beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof gestellt.

Die Antragsteller machen geltend, § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung sei sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Der Antragsgegnerin fehle die Verbandskompetenz für eine derartige Regelung. Darüber hinaus sei die Satzungsänderung verfahrensfehlerhaft beschlossen worden. Materiell verstoße § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung gegen Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, 21 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG i. V. m. §§ 35 Abs. 1, 36a HGO. Alleiniger Zweck der Satzungsänderung sei es gewesen, die Antragstellerin zu 1) zukünftig von der Gewährung von Fraktionszuschüssen auszuschließen. Infolge der beschlossenen Änderung habe die Antragsgegnerin die Zahlungen an die Antragstellerin zu 1) auch tatsächlich eingestellt. Dadurch werde der allgemeine Gleichheitssatz verletzt. Außerdem tangiere dieses Verhalten den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und damit die Gleichheit der Gemeindevertreter (Stadtverordneten). Mittelbar liege darin zugleich ein Eingriff in die Chancengleichheit der politischen Parteien. Daher würden durch die Satzungsänderung auch die Antragsteller zu 2) bis 5) in ihren Rechten verletzt, weil durch eine Ungleichbehandlung der Fraktionen auch die ihr angehörenden Mitglieder in ihren Mitwirkungsmöglichkeiten beschnitten würden.

Die Antragsteller beantragen,

§ 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung der Stadt Büdingen in der Fassung der am 27. Januar 2017 beschlossenen 7. Satzung zur Änderung der Entschädigungssatzung der Stadt Büdingen (Beschlussvorlage SVV Nr. II/052/2017) für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie macht geltend, der Normenkontrollantrag der Antragsteller zu 2) bis 5) sei bereits unzulässig. Denn den Antragstellern zu 2) bis 5) fehle die Antragsbefugnis. Ein Anspruch auf Zuwendungen an die Fraktion nach § 36a Abs. 4 HGO könne nur von dieser selbst, nicht aber von einzelnen Fraktionsangehörigen geltend gemacht werden. Darüber hinaus sei der Normenkontrollantrag unbegründet. Die Änderung der Entschädigungssatzung sei formell ordnungsgemäß beschlossen worden und materiell nicht zu beanstanden. Nach § 36a Abs. 4 Satz 1 HGO hätten die Fraktionen lediglich einen Anspruch auf eine sachgerechte und ermessensfehlerfreie Beteiligung an den zur Unterstützung der Fraktionsarbeit bereitgestellten Mittel. Nach dieser Vorschrift stehe es im Ermessen der Gemeinde, ob sie Fraktionszuschüsse gewähre. Entscheide sie sich dafür, so habe sie diese nach sachgemäßen Kriterien zu verteilen. Da eine Parteienfinanzierung durch die Zuwendung von Geldern an die Fraktionen unzulässig sei, seien potentielle Nachteile durch ein wie auch immer gestaltetes Zuwendungssystem für die hinter der Fraktion stehende Partei ohne Belang. Sie - die Antragsgegnerin - differenziere bei der Zuwendung der Fraktionszuschüsse zwischen erkennbar verfassungsfeindlichen Parteien/Vereinigungen und nicht erkennbar verfassungsfeindlichen Parteien/Vereinigungen. Die dadurch bedingte Ungleichbehandlung beruhe auf sachlichen Kriterien und sei gerechtfertigt. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - ergebe sich, dass die Privilegierung der Parteien nicht erst mit dem Verbotsausspruch durch das Bundesverfassungsgericht ende. Vielmehr sei es dem nationalen Gesetzgeber überlassen, hinsichtlich der Kürzung staatlicher Zuwendungen abgestufte Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen. Da die Fraktionsfinanzierung weder als Element der Abgeordnetenentschädigung noch als verdeckte Parteienfinanzierung zu begreifen sei, bedürfe es weder einer Gesetzes- noch einer Verfassungsänderung, um verfassungsfeindliche Fraktionen von staatlichen Zuwendungen auszuschließen. Könne der Gesetzgeber - wie vom Bundesverfassungsgericht ausgeführt - eine Rechtsgrundlage für Sanktionen unterhalb eines Parteienverbots schaffen, so müsse dies auch einer Gemeinde als örtlichem Satzungsgeber im Rahmen ihrer Kompetenzen unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben des § 36a Abs. 4 Satz 1 HGO möglich sein. Es stehe im Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wenn eine Partei mangels Gefährlichkeit nicht verboten werden könne, dann jedoch aus öffentlichen Geldern so lange alimentiert werden müsse, bis sie so durchsetzungsfähig erscheine, dass sie verboten werden könne.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg. § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2003 in der Fassung der Änderung der Entschädigungssatzung vom 27. Januar 2017 - im Folgenden: Entschädigungssatzung - ist unwirksam.

1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.

a) Der Antrag ist statthaft. Der auf der gesetzlichen Grundlage des § 36a Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 5 HGO erlassene § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung ist eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Vorschrift, deren Gültigkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 15 HessAGVwGO von dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof überprüft werden kann.

b) Die Antragsteller sind nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Nach dieser Vorschrift kann den Antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Für die Antragsbefugnis wird hiernach von einem Antragsteller die konkrete und substantiierte Darlegung der Möglichkeit verlangt, dass die angegriffene Norm an einem für ihre Rechtsgültigkeit beachtlichen Fehler leidet und der Antragsteller dadurch in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt wird bzw. verletzt werden wird.

Die Antragstellerin zu 1) ist antragsbefugt. Denn sie wird unmittelbar durch die streitgegenständliche Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung von Fraktionszuwendungen ausgeschlossen und dadurch möglicherweise in einem aus einem Gleichheitssatz herzuleitenden Teilhaberecht verletzt.

Neben der Antragstellerin zu 1) sind auch die Antragsteller zu 2) bis 5) als Stadtverordnete (Gemeindevertreter) antragsbefugt. Werden bestimmte Fraktionen von Fraktionszuwendungen für ihre Geschäftsführung ausgenommen, während andere Fraktionen diese Zuwendungen weiter erhalten, so ist nicht auszuschließen, dass dies nachteilige Auswirkungen auf die Wahrnehmung des freien Mandats der Stadtverordneten in den von dem Ausschluss betroffenen Fraktionen hat, und diese Stadtverordneten dadurch in ihrem durch formale Gleichheit charakterisierten freien Mandat beeinträchtigt werden.

c) Der Antrag ist zu Recht gegen die Antragsgegnerin gerichtet, denn nach § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist der Antrag gegen die Körperschaft zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat.

d) Der am 1. Februar 2017 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof gestellte Normenkontrollantrag wahrt auch die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Denn § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung ist gemäß § 5a der Verordnung über öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinden und Landkreise vom 12. Oktober 1977 (GVBl. I S. 409), geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 2011 (GVBl. I S. 786, 803) in zulässiger Weise auf der Internetseite der Gemeinde bekannt gemacht worden.

2. Der Normenkontrollantrag ist begründet.

§ 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung der Antragsgegnerin ist unwirksam. Der von der Antragsgegnerin durch Satzungsänderung vorgenommene Ausschluss von Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen von den in der Entschädigungssatzung vorgesehenen Fraktionszuwendungen ist von § 36a Abs. 4 Satz 1 HGO als einfachgesetzlicher Grundlage für finanzielle Zuwendungen an Fraktionen zur Fraktionsgeschäftsführung nicht gedeckt. Denn dieser Ausschluss verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Nach § 36a Abs. 4 Satz 1 HGO kann die Gemeinde den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt zu den sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren. Diese Mittel sind in einer besonderen Anlage zum Haushaltsplan darzustellen, § 36a Abs. 4 Satz 2 HGO. Gemäß § 36a Abs. 4 Satz 3 HGO ist über ihre Verwendung ein Nachweis in einfacher Form zu führen.

Fraktionen haben danach zwar keinen originären Leistungsanspruch auf Gewährung finanzieller Zuwendungen zur Fraktionsgeschäftsführung, aber für den Fall, dass - wie hier - Zuwendungen von der Gemeinde gewährt werden, einen abgeleiteten (derivativen) Leistungsanspruch auf eine dem allgemeinen Gleichheitssatz genügende Teilhabe (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2012 - BVerwG 8 C 22.11 - BVerwGE 143, 240 [241 ff.]).

b) Der von der Antragsgegnerin als Satzungsgeberin vorgenommene Ausschluss von Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen von Fraktionszuwendungen wird den Anforderungen, die Art. 3 Abs. 1 GG an eine zulässige Ungleichbehandlung stellt, nicht gerecht.

aa) Der Ausschluss von Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen stellt eine Ungleichbehandlung entsprechender Fraktionen gegenüber den vom Ausschluss nach § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung nicht betroffenen Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung (Gemeindevertretung) der Antragsgegnerin dar.

bb) Diese Ungleichbehandlung von in der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin vertretenen Fraktionen ist sachlich nicht gerechtfertigt.

Die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte (Sachverhaltsgruppen oder Personengruppen) - hier von Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin - setzt zunächst voraus, dass mit der Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgt wird. Darüber hinaus darf das Differenzierungskriterium, an das die zur Zielerreichung vorgenommene Ungleichbehandlung anknüpft, nicht unzulässig sein. Schließlich erfordert die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ein angemessenes Verhältnis zwischen Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium, d. h. die Gründe für die Differenzierung müssen von solchem Gewicht sein, dass das Interesse der von den nachteiligen Folgen der Ungleichbehandlung Betroffenen hinter diesen Gründen zurückzustehen hat.

Hieran gemessen ist die Ungleichbehandlung, die im Ausschluss von Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen von Fraktionszuwendungen liegt, nicht zu rechtfertigen.

Ziel der von der Antragsgegnerin durch die Satzungsänderung bewirkten Ungleichbehandlung ist es, Parteien und Vereinigungen, deren politisches Konzept erkennbar auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet ist ("erkennbar verfassungsfeindlich"), nicht durch finanzielle Zuwendungen der Stadt (Gemeinde), die Teil des von diesen Gruppierungen bekämpften Staates ist, zu begünstigen. Dieses für sich genommen nicht zu beanstandende Ziel sucht die Antragsgegnerin dadurch zu erreichen, dass Fraktionen, die diese Gruppierungen in ihrer Stadtverordnetenversammlung repräsentieren, von den Zuwendungen ausgeschlossen werden, die die Antragsgegnerin prinzipiell Fraktionen ihrer Stadtverordnetenversammlung zur Fraktionsgeschäftsführung gewährt.

Das im Hinblick auf dieses sonach legitime Ziel von der Antragsgegnerin gewählte Differenzierungskriterium "aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen" ist indes unzulässig. Die Ungleichbehandlung knüpft zielgerichtet an eine erkennbare Verfassungsfeindlichkeit von Parteien bzw. Vereinigungen (Wählergruppen im Sinne des § 10 des Hessischen Kommunalwahlgesetzes [KWG]) an und setzt sich damit in Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach u. a. niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden darf. Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG wird nach geltender Verfassungslage und einfachgesetzlichem Recht auch nicht durch die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie wegen einer erkennbaren Verfassungsfeindlichkeit einer politischen Anschauung ohne weiteres aufgehoben. Eine verfassungsrechtlich zulässige Durchbrechung des Diskriminierungsverbots wegen politischer Anschauungen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu Lasten einer Partei bzw. Vereinigung ist erst dann gegeben, wenn die erkennbare Verfassungsfeindlichkeit zu einem Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG bzw. einem Vereinigungsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG geführt hat (vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 70 [Bearbeitungsstand: Mai 2015]; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 3 Rn. 412).

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - (NVwZ-Beilage S. 46) hat im Hinblick auf die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei an diesem Befund nichts geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr klargestellt, dass Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ausschließlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit als Rechtsfolge vorsieht (vgl. BVerfG, a. a. O., S. 64 [Rn. 526, 625]). Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht und dem damit einhergehenden Verbot der Partei ist auch deren erkennbare Verfassungsfeindlichkeit (weiterhin) kein zulässiges Differenzierungskriterium, das unter Durchbrechung des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.

Unabhängig davon, dass bis zu einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer "erkennbar verfassungsfeindlichen" Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 GG bzw. einem durch die zuständige Verwaltungsbehörde ausgesprochenen Verbot einer "erkennbar verfassungsfeindlichen" Vereinigung (Wählergruppe) nach Art. 9 Abs. 2 GG das von der Antragsgegnerin gewählte Diskriminierungskriterium zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Widerspruch steht und damit unzulässig ist, fehlt es auch an einem angemessenen Verhältnis zwischen Differenzierungsziel und -kriterium. Ein Ausschluss von Fraktionen von finanziellen Zuwendungen zur Fraktionsgeschäftsführung, der an die Zugehörigkeit von Stadtverordneten zu erkennbar verfassungsfeindlichen Parteien/Vereinigungen anknüpft, begründet Nachteile für die vom Ausschluss betroffenen Fraktionen und die in ihr zusammen geschlossenen Stadtverordneten, die außer Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen, "erkennbar verfassungsfeindliche" Parteien/Vereinigungen nicht durch finanzielle Zuwendungen der Stadt als Teil des von ihnen bekämpften Staates zu unterstützen.

Die Ausschlussregelung ist bereits nicht geeignet, das Ziel der Antragsgegnerin zu fördern, "erkennbar verfassungsfeindliche Parteien/Vereinigungen" nunmehr von einer finanziellen Zuwendung der Stadt abzuschneiden, die ihnen bislang zukam. Denn der durch Satzungsänderung herbeigeführte (Zuwendungs-)Ausschluss betrifft sowohl nach seinem Adressaten als auch nach seiner tatsächlichen Wirkung die dem staatlichen Bereich zuzurechnenden Fraktionen und nicht die dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnenden Parteien und Wählergruppen. Auch wenn die Fraktionen Bindeglieder zwischen den Parteien/Vereinigungen im gesellschaftlichen Bereich und der Stadtverordnetenversammlung im staatlichen Bereich sind, so sind sie doch rechtlich Gliederungen der Vertretungskörperschaft. Fraktionen sind Gruppen von - durch Wahlen unmittelbar demokratisch legitimierten - Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft mit gemeinsamen politischen Grundanschauungen, die sich für die Dauer einer Wahlperiode zusammengeschlossen haben, um ihre Vorstellungen und Aktivitäten zu koordinieren und diesen so zu größerer Wirksamkeit zu verhelfen. Das Recht eines gewählten Stadtverordneten, sich mit anderen gewählten Stadtverordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen (vgl. § 36a Abs. 1 Satz 1 HGO) ist Ausdruck des freien Mandats der Stadtverordneten (vgl. § 35 Abs. 1 HGO) als organschaftliche Mitwirkungsbefugnis. Die in Rede stehenden Fraktionszuschüsse sind demgemäß zweckgebundene Zuwendungen. Sie dienen ausschließlich dazu, den sich aus der Fraktionstätigkeit ergebenden Finanzierungsbedarf für die Fraktionsgeschäftsführung, d. h. für die Bündelung und Koordinierung der Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung und in Ausschüssen, ganz oder teilweise zu decken. Für eine Finanzierung oder sonstige Unterstützung der "hinter" den Fraktionen stehenden Parteien oder Wählervereinigungen im gesellschaftlichen Bereich haben sie auch vor der Satzungsänderung gerade nicht zur Verfügung gestanden.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die von der Antragsgegnerin getroffene Ausschlussregelung im Hinblick auf ihre Auswirkungen notwendig auch als unangemessen dar.

Vom Ausschluss als Ungleichbehandlung nachteilig betroffen sind Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung als Personenmehrheiten, die sich aus durch Wahl unmittelbar demokratisch legitimierten Stadtverordneten zusammensetzen. Die Fraktionen werden durch einen Ausschluss von Finanzmitteln zur Fraktionsgeschäftsführung, die an die politische Anschauung ihrer Mitglieder anknüpft, in ihrem Recht auf Gleichbehandlung beeinträchtigt. Dieses durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Gleichheitsrecht der Fraktionen fußt auf dem strengeren Grundsatz der formalen Gleichheit der gewählten Stadtverordneten, in dem sich wiederum der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG fortsetzt, der für die Wahl und den Wahlvorgang gilt. Die Stadtverordneten als Mitglieder der von einem Ausschluss betroffenen Fraktionen werden durch diesen demgemäß mittelbar in ihrem durch formale Gleichheit charakterisierten freien Mandat beeinträchtigt. Das in der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie wurzelnde Ziel, "erkennbar verfassungsfeindliche Parteien und Vereinigungen" nicht durch finanzielle Zuwendungen des von ihnen bekämpften Staates zu begünstigen, das den gesellschaftlichen Bereich im Auge hat, kann diese Beeinträchtigung von Gleichheitssätzen, die den Binnenbereich der Stadtverordnetenversammlung und den Status der in sie gewählten Stadtverordneten charakterisieren, nicht legitimieren. Dies folgt zum einen daraus, dass der Gesichtspunkt der politischen Anschauung der in einer Fraktion der Stadtverordnetenversammlung zusammengeschlossenen Stadtverordneten, der in deren Partei- oder Vereinigungszugehörigkeit zum Ausdruck kommt, für eine Zuteilung von Fraktionszuwendungen kein sachgerechtes Merkmal ist. Denn anders als Kriterien, die sich an dem tatsächlichen oder dem erwartbaren Bedarf für die Geschäftsführung einer Fraktion orientieren, ist dieser Gesichtspunkt für die Bestimmung des durch die Fraktionszuwendungen nach deren Zweckbestimmung ganz oder teilweise zu deckenden Bedarfs ohne jede Bedeutung. Zum anderen gilt auch in diesem Zusammenhang, dass selbst eine "erkennbar verfassungsfeindliche" politische Auffassung von gewählten Stadtverordneten Konsequenzen für deren Mandatsausübung erst nach dem Verbot der Partei oder Wählergruppe haben darf, der sie angehören. § 35 Abs. 1 Satz 1 KWG bestimmt, dass Vertreter, die der Partei oder Wählergruppe zur Zeit der Antragstellung oder der Verkündung der Entscheidung angehört haben, ihren Sitz verlieren, wenn eine Partei durch das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 21 GG für verfassungswidrig erklärt oder eine Wählergruppe rechtskräftig verboten wird.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Streitwertbeschluss:Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Für die Antragstellerin und für die Antragsteller war mangels genügender Anhaltspunkte zur Bestimmung der jeweiligen Bedeutung der Sache der Auffangstreitwert von 5.000,00 € zu wählen. Die Bestimmung des Streitwertes erfolgt durch Addition der fünf Werte (vgl. Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2012/2013, abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14). Die Bedeutung der Sache für die Antragsteller wird nicht allein durch den der Antragstellerin zu 1) entstehenden wirtschaftlichen Nachteil für die laufende Wahlperiode (insgesamt 1.317,50 €) bestimmt, sondern auch durch das objektive Interesse der Antragsteller, die Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen von Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung zu klären, soweit sich diese "aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen" zusammensetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Beschluss:

Das unter dem Aktenzeichen 8 B 458/17.N geführte Verfahren wird eingestellt.

Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen

Der Streitwert wird auf 310,00 € festgesetzt.

Gründe:

Nachdem die Beteiligten das Normenkontrollverfahren in der mündlichen Verhandlung am 5. April 2017 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

Über die Kosten des Verfahrens ist gem. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Danach werden die Kosten den Antragstellern auferlegt. Denn deren Antrag hätte voraussichtlich keinen Erfolg gehabt.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Auch wenn der Normenkontrollantrag in der Hauptsache erfolgreich ist, hätte eine einstweilige Anordnung nicht ergehen können. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der (weitere) Vollzug des § 5 Abs. 3 Satz 4 der Entschädigungssatzung vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu Nachteilen geführt hätte, die so gewichtig sind, dass eine Aussetzung des Vollzugs der Regelung notwendig gewesen wäre. Der der Antragstellerin zu 1) nach der Entschädigungssatzung zustehende Betrag beläuft sich auf 310,00 € jährlich. Es ist für das Gericht nicht erkennbar, dass die Antragsteller nicht in der Lage gewesen wären, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ohne diese Zuwendung ihre Aufgaben in der Stadtverordnetenversammlung ordnungsgemäß wahrzunehmen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO entspr., § 158 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).