OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.06.2019 - 7 A 2387/17
Fundstelle
openJur 2019, 31330
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 K 6867/17
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen jeweils ein Drittel der Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind; ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachbarrechtswidrigkeit einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für den Umbau eines ehemaligen Kaufhauses in einen großflächigen Lebensmittelmarkt und einen Drogeriemarkt sowie die Errichtung von ergänzenden Wohnnutzungen nebst Tiefgarage in L.

Der Kläger zu 1. ist Inhaber der Hälfte eines Miteigentumsanteils an dem Grundstück Gemarkung F., Flur 71, Flurstücke ..., ... und ... mit der Bezeichnung Q.-straße 31-39 in L. und Inhaber von Sondereigentum an der Wohnung Nr. 38 gemäß dem Aufteilungsplan. Der Kläger zu 2. ist Miteigentümer an dem vorgenannten Grundstück und Sondereigentümer einer Wohnung mit der Nr. 10 gemäß dem Aufteilungsplan. Der Kläger zu 3. ist ebenfalls Inhaber eines Miteigentumsanteils des vorgenannten Grundstücks und ferner Sondereigentümer der Wohnung Nr. 40 des Aufteilungsplans. Das Vorhaben der Beigeladenen soll auf Grundstücken mit der Bezeichnung W. Straße 310-316 verwirklicht werden. Die Grundstücke sind teilweise mit ein- bis dreigeschossigen Gebäuden bebaut; die Gebäude waren bis zum Frühjahr 2013 als Warenhaus unter der Bezeichnung X. sowie durch Büros genutzt worden. Die Grundstücke der Beigeladenen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... Die Grundstücke der Beigeladenen liegen in einem Gebiet zur Erhaltung und Entwicklung der Wohnnutzung (besonderes Wohngebiet). Ferner setzt der Plan südlich der W. Straße und westlich der U.-straße ein größeres Kerngebiet fest. Im festgesetzten Kerngebiet sind Wohnungen im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO allgemein zulässig. Die Planurkunde enthält eine Zeichnung im Maßstab 1:2.500.

Das Vorhabengrundstück liegt in einem Bereich, der durch das Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Beklagten vom 17.12.2013 als zentraler Versorgungsbereich "Bezirkszentrum F." festgesetzt ist. In der Umgebung des Vorhabens befinden sich verschiedene großflächige Einzelhandelsbetriebe, u. a. ein S. mit ca. 900 m² Verkaufsfläche und ein L1.SB-Warenhaus mit einer Verkaufsfläche von knapp 6.000 m², die etwa 300 m bzw. 500 m südöstlich des Vorhabengrundstücks liegen.

Das Grundstück der Kläger liegt nicht unmittelbar angrenzend zum Vorhaben.

Die im Sondereigentum des Klägers zu 2. stehende Wohnung ist zur Q.-straße ausgerichtet. Die Wohnungen der Kläger zu 1. und 3. liegen im südlichen Bereich der Gebäudeanlage und haben nach Süden in Richtung auf das Vorhabengrundstück ausgerichtete Räume und Balkone. Das Grundstück der Kläger lag zunächst ebenfalls im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... Es wird nunmehr von dem im Dezember 2002 von der Beklagten beschlossenen vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. ... erfasst. Der Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans umfasst das vorgenannte Grundstück Gemarkung F., Flur 71, Flurstücke ..., ... und ... Wegen der Einzelheiten der Festsetzungen des Plans wird auf die Planurkunde Bezug genommen.

Die Beigeladene beantragte am 7.12.2015 die Genehmigung für den Neubau eines Wohngebäudes und die Sanierung und Umnutzung eines bestehenden Gewerbegebäudes auf den Grundstücken W. Straße 310-316. Der Antrag wurde später geändert. Unter dem 17.3.2017 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung in Garagen mit mehr als 1.000 m² Nutzfläche als Tiefgarage (63 Stellplätze, Zufahrt in Hansemannstraße) in Verbindung mit Grundrissänderungen vom Untergeschoss bis zum 2. Obergeschoss im Bestand, Nutzung im Erdgeschoss zu zwei Ladenlokalen mit 1.285 und 741 m² Verkaufsfläche und Fassadenneugestaltung (W. Straße 310-316) sowie Errichtung eines straßenseitigen Wohngebäudes mit fünf Wohneinheiten über der Durchfahrt im Erdgeschoss zum überdachten Anlieferbereich in der Q.-straße auf den genannten Vorhabengrundstücken. Zum Bestandteil der Baugenehmigung machte die Beklagte unter anderem den Übersichtsplan zur Darstellung der Anlieferung in Q1.- und W. Straße (als Anlageplan zur Verkehrsuntersuchung, Stand 19.1.2017, Auflage Nr. 23), die Verkehrsuntersuchung des Büros für Stadt- und Verkehrsplanung Dr.-Ing. C. GmbH (BSV) vom 21.2.2017, und die Schallimmissionsprognose zum Betrieb der haustechnischen Anlagen und der Anlieferung, Beratungsbüro Dr. K. vom 17.3.2016. Die Baugenehmigung enthält verschiedene Nebenbestimmungen unter anderem zur Erschließung und zum Immissionsschutz. In der Nebenbestimmung Nr. 21 wird für die Anlieferung über die Q.-straße die Menge der Fahrzeuge an Werktagen auf grundsätzlich 5 Fahrzeuge pro Tag und den Zeitraum 7.00-20.00 Uhr begrenzt und auf die Abmessungen der Fahrzeuge im Verkehrsgutachten und dem Belieferungskonzept vom 16.1.2017 verwiesen. Die Baugenehmigung wurde den Klägern am 13.4.2017 zugestellt.

Am 11.5.2017 haben die Kläger Klage erhoben. Die Kläger haben zur Begründung der Klage im Wesentlichen vorgetragen: Die Baugenehmigung verstoße gegen den Schutzzweck der planungsrechtlichen Festsetzung "besonderes Wohngebiet" nach § 4a BauNVO. Die Verkaufsfläche des geplanten S.-Markts von mehr als 1.200 m² indiziere bereits aufgrund der Größe einen relativ hohen Störungsgrad. Zudem sei der Versorgungsbedarf durch andere Supermärkte in der näheren Umgebung bereits gedeckt. Die zu erwartenden Immissionswerte stellten im Hinblick auf den Schallschutz einen Verstoß gegen § 15 Abs. 1 BauNVO dar. Insbesondere sei aufgrund der Häufigkeit der durch die Q.-straße fahrenden Lastkraftwagen mit massiven Beeinträchtigungen durch Lärm und Abgase zu rechnen. Die Q.-straße sei so schmal, dass befürchtet werden müsse, die Lastkraftwagen müssten teilweise die Bürgersteige überfahren. Erschwerend komme das Rangieren der Lastkraftwagen hinzu, was den Pegel an Lärm und Gerüchen deutlich erhöhe, dies sei gutachterlich in der Schallimmissionsprognose nicht berücksichtigt worden. Verkehrsbedingt würden schon aufgrund der Größe der Lastkraftwagen Blockaden auftreten. Der ursprünglich geplante verkehrsberuhigte Bereich dieses Wohngebiets werde durch diese Belastung des Anlieferverkehrs außer Kraft gesetzt. Ihr Sondereigentum liege jedenfalls nicht in einer solchen Entfernung vom geplanten Vorhaben, dass eine erhebliche Lärmbelästigung durch den zu erwartenden PKW-Verkehr dort nicht stattfinden könne. Zudem werde durch die geplanten Lüftungsanlagen zusätzlicher Lärm produziert, der vom S-Markt ununterbrochen 24 Stunden am Tag und an sieben Tagen in der Woche zu erwarten sei.

Die Kläger haben beantragt,

die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 17.3.2017 (Az.: 63/B14/5203/2015) aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, die verkehrliche Erschließung des geplanten S.-Markts sei über die Q.-straße möglich.

Die Beigeladene hat im Wesentlichen vorgetragen: Die genehmigte Bebauung durch ihr Vorhaben verstoße nicht gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans als besonderes Wohngebiet. Mit der Ansiedlung des Markts seien keine zunehmenden Immissionen verbunden. Im Gegenteil solle die Verkaufsfläche im Verhältnis zur früheren Nutzung deutlich reduziert werden und es würden weitere Maßnahmen getroffen, um Störungen der Nachbarschaft zu vermeiden. Es liege keine unzumutbare Störung vor. Die zum Gegenstand der Genehmigung gemachte Schallimmissionsprognose beschäftige sich auch in hinreichender Weise mit der bisherigen Vorbelastung und der zu erwartenden Lärmentwicklung. Die Anlieferungsfahrten über die Q.-straße seien auf grundsätzlich 5 Fahrten pro Werktag von 7.00 Uhr bis 20:00 Uhr begrenzt. Für den Stadtverkehr in einem urbanen Innenbereich sei auch bei einer Einbahnstraße wie der Q.-straße das rückwärts gerichtete Anfahren eines Lieferbereichs unter dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer zulässig. Mit dem Rangieren der Lastkraftwagen sei kein übermäßig hohes Stocken des Verkehrs verbunden. Auch eine erneute Überprüfung der Erschließungssituation des geplanten Markts im August 2017 habe ergeben, dass die Erschließung ausreichend gesichert sei. Die in der Planungsphase durchdachten Alternativplanungen zur Anlieferung hätten sich als nicht praktikabel erwiesen. Eine Komplettversorgung der Anlieferung sowohl des geplanten S.-Markts als auch des Drogeriemarkts über die W. Straße führe zu einem erheblichen Mehraufwand für den S.-Markt und zu erhöhten Beeinträchtigungen des Drogeriemarkts. Eine doppelseitige Befahrung der Q.-straße direkt über die W. Straße zur Anlieferung scheitere an der tatsächlichen Straßensituation, insbesondere dem Fehlen von Wendemöglichkeiten für Pkw. Die engen Straßenräume machten zwar einen beidseitigen Straßenverkehr unmöglich, stellten aber keine erhöhten Anforderungen an den Anlieferverkehr des geplanten Projekts. Die Beigeladene hat u. a. eine ergänzende Verkehrsuntersuchung des Sachverständigenbüros B. vom 21.8.2017 vorgelegt, die sich u. a. zur Anlieferung mit kleineren LKW verhält.

Die Beigeladene hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Berichterstatterin des Verwaltungsgerichts hat die Örtlichkeit am 12.7.2017 besichtigt. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 5.9.2017

stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Vorhaben stehe ein Gebietsgewährleistungsanspruch entgegen.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht widerlegt sei. Es bestünden mehrere Anhaltspunkte dafür, dass Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO durch den genehmigten S.-Markt nicht vorlägen.

Ein gewichtiger Anhaltspunkt sei bereits, dass die Größe ihres Stadtgebiets und des Ortsteils F. deutlich aus dem Rahmen falle. Der Verordnungsgeber der Baunutzungsverordnung gehe davon aus, dass sich ein Einzelhandelsbetrieb mit 1.200 m² Geschossfläche in einer kleinen Gemeinde anders auswirke als ein Betrieb gleicher Größe in einer Großstadt. Je größer die Gemeinde sei, in der der Betrieb angesiedelt werden solle, desto eher sei die Annahme gerechtfertigt, dass sich die negativen städtebaulichen Folgen relativierten. Das Vorhaben liege in der größten Stadt Nordrhein-Westfalens und zugleich in der viertgrößten Stadt des Bundesgebiets. Zudem sei die Zulassung des Vorhabens auch unter dem Aspekt der Sicherung einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und zugleich der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche als günstig anzusehen. Eine abweichende städtebauliche Situation könne auch darin bestehen, dass der Betrieb in zentraler und für die Wohnbevölkerung gut erreichbarer Lage, d. h. städtebaulich integriert, errichtet werden solle. Des Weiteren sei bei § 11 Abs. 3 Satz 4, zweiter Teil des Satzes BauNVO das Warenangebot des genehmigten Betriebs in den Blick zu nehmen. Das Vorhaben entspreche dem Prototyp eines Lebensmittelgeschäfts mit ausschließlich nahversorgungsrelevantem Sortiment, das zum wohnortnahen Versorgungseinkauf mit den Waren des täglichen Bedarfs aufgesucht werde. Auch damit liege ein Anhaltspunkt für einen atypisch gelagerten Sachverhalt vor. Danach sei, anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, eine Bewertung vorzunehmen, nach der sich das Vorhaben nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nur unwesentlich auswirken könne. Weder seien Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung zu erwarten, noch Auswirkungen auf den Verkehr. Motorisierter Kundenverkehr werde im Wesentlichen nicht vom Vorhaben, sondern von den umliegenden S.-Märkten angezogen. Insbesondere gehe das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Verkehrsbewegungen durch den Kundenverkehr von falschen Voraussetzungen aus. Die Kraftfahrer könnten auch durch die T2.-straße nach Nordwesten den F1. erreichen oder durch die H.-straße die T. anfahren. Auch hinsichtlich des Anlieferverkehrs gehe das Verwaltungsgericht von falschen Annahmen aus. Rechnerisch seien werktäglich nur 2,5 Anlieferfahrten mit Lastkraftwagen in der Q.-straße zu erwarten. Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich des geplanten Markts und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche seien ebenso wenig zu befürchten. Ein Gebietsgewährleistungsanspruch der Kläger sei im Übrigen ohnehin schon deshalb ausgeschlossen, weil ihr Grundstück in einem anderen Bebauungsplangebiet, dem Gebiet des vorhabenbezogenen Plans Nr. ... liege.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene macht zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung

im Wesentlichen geltend: Das Urteil sei bereits deshalb fehlerhaft, weil entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts innerhalb eines besonderen Wohngebiets im Sinne von § 4a BauNVO ein Gebietsbewahrungsanspruch nicht bestehen könne. Unabhängig davon sei auch davon auszugehen, dass § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO keinen subjektiven Schutzanspruch vermittele. Das Verwaltungsgericht verkenne zudem, dass innerhalb besonderer Wohngebiete grundsätzlich auch großflächige Läden zulässig sein könnten. Das Vorhaben sei nicht etwa kerngebiets- oder sondergebietspflichtig. Die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sei hier aus den von der Beklagten aufgezeigten Gründen widerlegt. Ein Gebietsgewährleistungsanspruch der Kläger sei im Übrigen ohnehin schon deshalb ausgeschlossen, weil ihr Grundstück in einem anderen Bebauungsplangebiet, dem Gebiet des vorhabenbezogenen Plans Nr. ... gelegen sei.

Die Beigeladene beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie tragen im Wesentlichen vor: Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei richtig. Die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 BauNVO sei nicht widerlegt. Die von der Beigeladenen vorgelegte Stellungnahme der B. vom Oktober 2017 zur Frage einer städtebaulichen Atypik des Vorhabens sei nicht nachvollziehbar. Die Prognose des gesamten Umsatzes sei ebenso wenig nachvollziehbar wie die Annahme, dass 2/3 dieses Umsatzes aus dem fußläufigen Umfeld erwirtschaftet werden solle. Zudem bestehe in Bezug auf das angebotene Sortiment keinesfalls eine Unterversorgung im Bezirkszentrum F., was der Annahme einer städtebaulichen Atypik entgegen stehe. Soweit die Beklagte und die Beigeladene geltend machten, das ihnen, den Klägern, gehörende Grundstück liege nicht innerhalb desselben Baugebiets wie die Vorhabengrundstücke, greife dieser Einwand nicht durch. Es sei davon auszugehen, dass der Bebauungsplan, in dessen Bereich ihr Grundstück liege, bzw. der ursprüngliche Plan eine gebietsübergreifende Schutzwirkung entfalte.

Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit am 16.5.2019 besichtigt. Wegen der dabei getroffenen Feststellungen wird auf die dazu gefertigte Niederschrift Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten - auch zu dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 7 B 1226/17 und der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten - sowie der Gerichtsakten zu den Verfahren der Anfechtungsklagen bzw. vorläufigen Rechtsschutzgesuche eines anderen Klägers bzw. Antragstellers gegen die Baugenehmigung der Beigeladenen 7 A 2386/17 und 7 B 1225/17 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässigen Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen haben jeweils Erfolg.

Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.

Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 17.3.2017 verletzt keine Nachbarrechte der Kläger. Die Genehmigung ist nicht wegen einer Verletzung eines Gebietsgewährleistungsanspruchs (dazu 1.), wegen Verletzung anderweitiger sie schützender Bebauungsplanfestsetzungen (dazu 2.) oder eines Verstoßes gegen das allgemeine planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot nachbarrechtswidrig (dazu 3.).

1. Die Kläger können nicht mit Erfolg geltend machen, die Baugenehmigung sei im Hinblick auf einen Gebietsgewährleistungsanspruch nachbarrechtswidrig.

Es kann dahinstehen, ob es nicht schon an der Aktivlegitimation der Kläger fehlt und ob ein Gebietsgewährleistungsanspruch innerhalb eines besonderen Wohngebiets im Sinne von § 4a BauNVO gegeben sein kann; einem solchen Anspruch steht hier jedenfalls entgegen, dass es an einer wirksamen Festsetzung eines entsprechenden Gebiets ebenso fehlt wie an den Voraussetzungen für die Annahme eines faktischen Baugebiets im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB, in dem das Vorhaben unzulässig wäre (dazu a); ungeachtet dessen ist das Vorhaben der Beigeladenen aber ohnehin nicht als ein Vorhaben im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO zu werten, das im besonderen Wohngebiet gebietsunverträglich ist (dazu b).

a) Es kann dahinstehen, ob es nicht schon an einer Aktivlegitimation der Kläger fehlt und ob ein Gebietsgewährleistungsanspruch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110,

auch innerhalb eines besonderen Wohngebiets im Sinne von § 4a BauNVO gegeben sein kann. Dagegen sprechen etwa die von der Beigeladenen in der Berufungsbegründung aufgezeigten Gesichtspunkte. Dem geltend gemachten Anspruch steht jedenfalls entgegen, dass es an einer wirksamen Festsetzung eines Baugebiets fehlt, in dem die Vorhabengrundstücke und das Grundstück der Kläger liegen (dazu aa)), und dass auch nicht auf ein faktisches Baugebiet abgestellt werden kann (dazu bb)).

aa) Es fehlt an einer wirksamen Festsetzung eines Baugebiets, weil der Bebauungsplan Nr. ..., der 1992 bekannt gemacht worden ist, insgesamt unwirksam ist. Der Plan leidet an einem durchgreifenden Bestimmtheitsmangel (dazu aaa)); ob er auch an einem durchgreifenden Mangel der Kerngebietsfestsetzung leidet, kann offen bleiben (dazu bbb)).

aaa) Der Plan Nr. ... ist nicht hinreichend bestimmt, nach den vorliegenden Einzelfallumständen ist der Maßstab der Planzeichnung von 1:2.500 zu ungenau.

Zwar gibt es, worauf von Klägerseite in der mündlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen worden ist, keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem ein Bebauungsplan nur bei Wahrung eines bestimmten Maßstabs hinreichend bestimmt ist. Das Gebot hinreichender Bestimmtheit von Rechtsnormen ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Es gilt auch für Bebauungspläne. Dies gilt für die zeichnerischen und die textlichen Festsetzungen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.2.2014 - 7 D 102/12.NE -, juris, m. w. N.

Bei einer Planzeichnung kommt es darauf an, ob sie hinreichend lesbar ist.

Vgl. etwa: Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, 4. Aufl., Rn. 746, m. w. N.

An der hinreichenden Lesbarkeit fehlt es im vorliegenden Einzelfall indes schon im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Baugebieten und öffentlichen Verkehrsflächen. Die Linien, die die festgesetzten öffentlichen Verkehrsflächen von den festgesetzten Baugebieten abgrenzen, sind in der Planzeichnung so dargestellt, dass sie eine Breite von deutlich mehr als 1 mm überdecken. Sie erfassen damit in der Örtlichkeit einen Grundstücksstreifen von über 2,5 m Breite. Aus der Legende zur Planzeichnung ist auch nicht etwa ersichtlich, dass nach der Vorstellung des Plangebers jeweils eine bestimmte Außenkante einer solchen Linie, etwa die straßenzugewandte oder die baugebietszugewandte, für die Abgrenzung maßgeblich sein soll. Damit lässt sich aus dem Plan nicht hinreichend eindeutig ablesen, ob erhebliche Flächenanteile in der Örtlichkeit als öffentliche Verkehrsfläche oder als Baugebiete festgesetzt sein sollen.

Diese Unbestimmtheit in Bezug auf die Abgrenzung zwischen öffentlichen Verkehrsflächen und Baugebieten führt insgesamt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.

Die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen führt nach den allgemeinen Grundsätzen über die teilweise Nichtigkeit von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften (vgl. auch § 139 BGB) dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit eines Bebauungsplans, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und außerdem hinzu kommt, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte. Die Teilunwirksamkeit stellt danach eine von besonderen Umständen abhängende Ausnahme zur Gesamtunwirksamkeit dar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.5.2015 - 4 C 4.14 -, BRS 83 Nr. 8 = BauR 2015, 1620.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier von einer Gesamtunwirksamkeit auszugehen. Es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden, dass die Beklagte zumindest die als eindeutig dargestellt erkennbaren Teilbereiche der Baugebiete bzw. Verkehrsflächen entsprechend beschlossen hätte, weil eine hinreichende Abgrenzung zwischen Verkehrsflächen und Baugebieten ein wesentlicher Bestandteil der planerischen Konzeption ist.

bbb) Es spricht im Übrigen Vieles dafür, dass die Festsetzung zur allgemeinen Zulässigkeit von sonstigen Wohnungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO im Kerngebiet durch die textliche Festsetzung Nr. 3.2 mangels Rechtsgrundlage unwirksam ist. Sonstige Wohnungen im Sinne von § 7 Absatz 2 Nr. 7 BauNVO sind solche ohne die Zweckbindung nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO. Für die mit einer textlichen Festsetzung verfolgte Zielsetzung, Wohnungen in nahezu allen Kerngebieten umfangreich zu ermöglichen, dürfte es an einer Rechtsgrundlage fehlen, weil eine flächendeckende Zulassung sonstiger Wohnungen grundsätzlich die durch § 7 BauNVO gezogenen Grenzen überschreitet.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.12.2009 - 7 D 62/08.NE -, juris; OVG NRW, Urteil vom 2.12.2016 - 2 D 121/14.NE -, juris, OVG NRW, Urteil vom 10.5.2019 - 7 A 1419/17 -.

bb) Auf ein faktisches besonderes Wohngebiet oder ein sonstiges faktisches Baugebiet (reines oder allgemeines Wohngebiet oder Mischgebiet) als Anknüpfungspunkt für einen Gebietsgewährleistungsanspruch kann nicht abgestellt werden.

Vgl. zum Anspruch auf Gebietsgewährleistung in einem faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB: BVerwG, Beschluss vom 11.4.1996 - 4 B 51.96 -, BRS 58 Nr. 82.

Ein faktisches besonderes Wohngebiet kommt im Rechtssinne nicht gemäß § 34 Abs. 2 BauGB als faktisches Baugebiet in Betracht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.12.1992 - 4 B 209.92 -, DÖV 1993, 621 = juris.

Die maßgebliche nähere Umgebung der Vorhabengrundstücke und des Grundstücks der Kläger lässt sich auch nicht als ein Gebiet verstehen, das ein sonstiges Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung wäre, in dem großflächiger Einzelhandel unzulässig und die Wohnnutzungen der Kläger zulässig wäre (reines oder allgemeines Wohngebiet oder Mischgebiet).

Als prägende nähere Umgebung ist im Hinblick auf die Art der Nutzung der Bereich des Bezirkszentrums F. anzusehen. In dieser näheren Umgebung ist neben umfangreicher Wohnbebauung zumindest ein prägender großflächiger Einzelhandelsbetrieb vorhanden, das L1.-SB-Warenhaus mit knapp 6.000 m² Verkaufsfläche, das unstreitig gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO kerngebiets- bzw. sondergebietspflichtig ist. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats auf der Grundlage der vorliegenden Akten, insbesondere der von der Beigeladenen im abgeschlossenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren - 7 B 1225/17 - gleichen Rubrums vorgelegten sachverständigen Stellungnahme der B. vom Oktober 2017, S. 7 und 9 sowie den Eindrücken, die der Berichterstatter des Senats bei der Besichtigung der Örtlichkeit auch im Bereich des Bezirkszentrums gewonnen und den übrigen Senatsmitgliedern in der Beratung vermittelt hat. Danach kann die nähere Umgebung nicht als ein sonstiges Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (Wohngebiet, Mischgebiet) charakterisiert werden, in dem ein dem Vorhaben der Beigeladenen entgegen stehender Gebietsgewährleistungsanspruch bestehen könnte.

b) Ungeachtet der Unwirksamkeit des Plans ist das Vorhaben aber ohnehin nicht im besonderen Wohngebiet gebietsunverträglich; es ist nicht generell kerngebietspflichtig oder sondergebietspflichtig, weil es aus den von der Beigeladenen und der Beklagten im Berufungsverfahren aufgezeigten Gründen nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO erfüllt.

Für die Auslegung des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO geht der Senat in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von folgenden Grundsätzen aus: Nach § 11 Abs. 3 BauNVO ist für die städtebauliche Einordnung großflächiger Einzelhandelsbetriebe entscheidend, ob sie sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können. Die Auswirkungen umschreibt die Verordnung näher als schädliche Umwelteinwirkungen sowie Auswirkungen auf die infrastrukturellen Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der Betriebe, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt. Nur wenn derartige Auswirkungen zu bejahen sind, ist ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb in ein Kern- oder Sondergebiet zu verweisen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind derartige Auswirkungen in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1.200 m² überschreitet. Die Regel gilt nach Satz 4 der Vorschrift allerdings nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1.200 m² Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1.200 m² Geschossfläche nicht vorliegen. Unterhalb des genannten Werts ist die Genehmigungsbehörde darlegungspflichtig dafür, dass mit derartigen Auswirkungen zu rechnen ist, während bei Betrieben oberhalb dieser Größe der Bauantragsteller die Darlegungslast für das Fehlen solcher Auswirkungen trägt. Bei dieser Prüfung sind nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen. In der Begründung des Verordnungsgebers zu der 1986 erfolgten Ergänzung um den Satz 4 (Bundesratsdrucksache 541/86, Seite 4 und 5) wird hervorgehoben, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe bereits unterhalb der Größenordnung von 1.200 m² Geschossfläche vor allem in Ortsteilen von großen Städten, kleinen Orten oder Orten im ländlichen Raum je nach Warenangebot und Standort raumordnerische und besondere städtebauliche Auswirkungen haben könnten. Ein Einzelhandelsbetrieb mit 1.200 m² Geschossfläche in einer kleinen Gemeinde wirke sich anders aus als der Betrieb von gleicher Größe in einer Großstadt. Zugleich wird betont, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, vor allem, wenn sie wegen ihres Warenangebots (z. B. Möbelmärkte, Kraftfahrzeughandel) auf größere Flächen angewiesen sind, bei einer größeren Geschossfläche als 1.200 m² keine nachteiligen Auswirkungen haben könnten. Somit verbietet sich eine lediglich an der Verkaufsfläche und der Geschossfläche anknüpfende schematische Handhabung. Vielmehr erlaubt die differenzierte Regelung eine die verschiedenen aufgeführten Gesichtspunkte beachtende sachgerechte Handhabung. Ob die Vermutung widerlegt werden kann, hängt maßgeblich davon ab, welche Waren angeboten werden, auf welchen Einzugsbereich der Betrieb angelegt ist und in welchem Umfang zusätzlicher Verkehr hervorgerufen wird. Entscheidend ist, ob der Betrieb über den Nahbereich hinauswirkt und dadurch, dass er unter Gefährdung funktionsgerecht gewachsener städtebaulicher Strukturen weiträumig Kaufkraft abzieht, auch in weiter entfernten Wohngebieten die Gefahr heraufbeschwört, dass Geschäfte schließen, auf die insbesondere nicht motorisierte Bevölkerungsgruppen angewiesen sind. Nachteilige Wirkungen dieser Art werden noch verstärkt, wenn der Betrieb in erheblichem Umfang zusätzlichen gebietsfremden Verkehr auslöst. Je deutlicher die Regelgrenze von 1.200 m² Geschossfläche überschritten ist, mit desto größerem Gewicht kommt die Vermutungswirkung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zum Tragen. Dabei kann allerdings die jeweilige Siedlungsstruktur nicht außer Betracht bleiben. Je größer die Gemeinde oder der Ortsteil ist, in dem der Einzelhandelsbetrieb angesiedelt werden soll, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die potentiellen negativen städtebaulichen Folgen relativieren. Für den Bereich des Lebensmitteleinzelhandels ist die Arbeitsgruppe "Strukturwandel im Einzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO" zu dem Ergebnis gelangt, dass es insbesondere auf die Größe der Gemeinde/des Ortsteils, auf die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs ankommt. Bei der gebotenen Einzelfallprüfung könne es an negativen Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung und den Verkehr insbesondere dann fehlen, wenn der Non-Food-Anteil weniger als 10 v.H. der Verkaufsfläche beträgt und der Standort verbrauchernah und hinsichtlich des induzierten Verkehrsaufkommens "verträglich" sowie städtebaulich integriert ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 - 4 C 10.04 -, BRS 69 Nr. 71 = BauR 2006, 639.

In Anwendung dieser Grundsätze ist hier von einer Widerlegung der Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO auszugehen.

Soll ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb, der die Grenze von 1.200 m² überschreitet, in einem zentralen Versorgungsbereich errichtet werden, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass von dem Betrieb keine nachteiligen Auswirkungen zu erwarten sind. Denn es entspricht einem besonderen städtebaulichen Anliegen, dass Einzelhandelsbetriebe in zentralen Versorgungsbereichen errichtet werden, dies gilt insbesondere, wenn die Ansiedlung des betreffenden Einzelhandelsbetriebs zu einer Stärkung des zentralen Versorgungsbereichs beiträgt, er also der Erhaltung und Entwicklung eines zentralen Versorgungsbereichs dient.

Vgl. Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Loseblatt, § 11 BauNVO, Rn. 84 f (Bearbeitung Juli 2014) sowie OVG NRW, Urteil vom 2.12.2013 - 2 A 1510/12 -, BauR 2014, 1248 = BRS 81 Nr. 95.

Das Vorhaben befindet sich in einer integrierten Lage und innerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs. Es dient der Stärkung dieses Bereichs, etwa auch im Hinblick auf Beeinträchtigungen durch nahe, aber außerhalb des Bereichs angesiedelte Discounter wie B. am H. Weg und O. an der W1.. Aufgrund der integrierten Lage, der guten Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr bei gleichzeitig geringem Stellplatzangebot in der Tiefgarage von 24 Plätzen für S., bzw. insgesamt einschließlich Drogeriemarkt 47 Plätzen, ist mithin die Vermutungsregel des Satzes 3 hier nicht einschlägig.

Ist danach mangels Geltung der Vermutung hier im Einzelfall zu prüfen, ob mit Auswirkungen im Sinne negativer Fernwirkungen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nicht zu rechnen ist,

vgl. zum Prüfungsprogramm Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 11 BauNVO, Rn. 81,

fällt diese Prüfung hier zugunsten des Vorhabens der Beigeladenen aus.

Anderes folgt auch nicht aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts sowie der Kläger zu den Wirkungen des Kundenverkehrs und des Lieferverkehrs.

Das Verwaltungsgericht führt aus, auch das durch den Kundenverkehr des S.-Markts verursachte Verkehrsaufkommen könne im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO Auswirkungen auf den Verkehr haben. Der durch motorisierte Kunden verursachte Ziel- und Quellverkehr nehme seinen Weg zur Einfahrt der Tiefgarage mit insgesamt 47 nachgewiesenen Stellplätzen für den S.-Markt und den Drogeriemarkt im gleichen Gebäude, von der W. kommend in die Einbahnstraße I.-straße. Die Ausfahrt aus der Tiefgarage erfolge ebenfalls über die I.-straße, wobei der Verkehr anschließend rechts abbiege und lediglich auf die T2.-straße gelange, um sodann entweder über die Q.-straße oder im weiteren Verlauf über die L2.-straße wieder auf die W. zu gelangen. Bei vollständiger Auslastung der Tiefgaragenplätze für den S.-Markt soll es nach Einschätzung des Verwaltungsgerichts auch der Lebenswirklichkeit entsprechen, dass im genannten Straßengeviert erhöhter Parksuchverkehr mit den entsprechenden Rangiervorgängen anzutreffen sein werde.

Hierzu hat die Beigeladene unter Bezugnahme auf das zum Gegenstand der Genehmigung gemachte Verkehrsgutachten vom 21.2.2017 darauf hingewiesen, dass nur eine vergleichsweise geringe zusätzliche Verkehrsbelastung des genannten Straßenbereichs zu erwarten ist. Deshalb sei der zusätzliche Verkehr für die Leistungsfähigkeit der genannten Straßen unbedenklich. Dies wird durch die ergänzende Stellungnahme des Verkehrsgutachters des Büros B. vom 6.10.2017, eingereicht im abgeschlossenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, bestätigt. Des Weiteren hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass der abfließende Kundenverkehr durch die T2.-straße auch nach Nordwesten den F1. oder durch die T2.-straße die T. erreichen kann und deshalb nicht alle Kunden beim Verlassen der Tiefgarage durch die I.-straße und die T2.-straße über die Q.-straße zur W. fahren müssen.

Nachteilige verkehrliche Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO ergeben sich ebenso wenig im Hinblick auf den Lieferverkehr für das Vorhaben.

Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt: Die Anlieferung mit den nach der Genehmigung zugelassenen Lastkraftwagen sei wegen der Einbahnstraßenregelungen in dem von der W., I.-straße, T2.-straße und Q.-straße gebildeten Straßengeviert nur möglich, indem die Lieferfahrzeuge von der W. her kommend in die I.-straße einbögen, von dort rechts in die T2.-straße und rechts in die Q.-straße einführen, um anschließend rückwärts in die im Einfahrtsbereich lediglich 6 m breite Anlieferungszone auf dem Grundstück Q.-straße 9 zu rangieren. Bei diesem Verlauf des Anlieferungsverkehrs mit großen Lastkraftwagen durch lediglich etwa 5 Meter breite Straßen mit Fahrbahnverschwenkungen und an den Straßenkreuzungen engen Kurvenradien in einem innenstadtnahen Stadtviertel mit einem hohen Anteil an Wohnbevölkerung und dem daraus resultierenden hohen Parkdruck sowie den daraus folgend auftretenden Parkverstößen mit zum Teil Verkehrsbehinderungen entspreche es der Lebenswirklichkeit, dass Störungen und Verzögerungen des Anlieferverkehrs (gehäuft) auftreten könnten, zumindest aber nicht auszuschließen seien. Ebenfalls sei es mehr als wahrscheinlich, dass sich hinter den in den Anlieferungsbereich in der Q.-straße rückwärts rangierenden Lastkraftwagen anderweitiger Individualverkehr (Anwohner, Handwerker, Müllentsorgung, Parksuchverkehr) mehrmals täglich zurückstauen könne, ohne dass die anderen Verkehrsteilnehmer in den schmalen Straßen im genannten Straßengeviert die Möglichkeit hätten, einem solchen Rückstau auszuweichen bzw. diesen zu umgehen.

Daraus ergeben sich indes aus den von der Beigeladenen und der Beklagten im Berufungsverfahren aufgezeigten Gründen die befürchteten nachteiligen Verkehrsauswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nicht.

Zunächst geht das Verwaltungsgericht danach von unzutreffenden Voraussetzungen in Bezug auf die Verkehrsabläufe aus, soweit die liefernden Lastkraftwagen nicht allein auf eine Anfahrt über die I.-straße angewiesen sind, sondern auch den aufgezeigten anderen Weg über den F1. und die T2.-straße oder die H.-straße in die Q.-straße nehmen können. Der befürchtete Rückstau während der Liefervorgänge führt zu keiner anderen Beurteilung. Dies hat die Beigeladene zutreffend aufgezeigt. Nach dem Verkehrsgutachten ist lediglich mit Rangier-Vorgängen von einer Dauer von deutlich unter 2 Minuten zu rechnen. Insoweit ist angesichts der Begrenzung der Zahl dieser Vorgänge durch die Baugenehmigung auf 5 Lieferungen pro Tag eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrssituation im Bereich insbesondere der Q.-straße nicht anzunehmen. Vielmehr ist es den Verkehrsteilnehmern insoweit zuzumuten, den Abschluss des Liefervorgangs abzuwarten.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, es seien Parkverstöße zu erwarten und daraus resultierend Verzögerungen bei dem Anliegerverkehr zu befürchten. Grundlage der Genehmigung ist das zum Gegenstand der Entscheidung gemachte Verkehrsgutachten vom 21.2.2017 mit entsprechenden Vorgaben auch zu der Gestaltung der Flächen für den ruhenden Verkehr im Anlieferbereich. Danach sind den Kurvenverlauf störende Stellplätze nicht mehr vorgesehen. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Beklagte verpflichtet ist, im Rahmen der Aufgabe der Überwachung des ruhenden Verkehrs dafür Sorge zu tragen, dass in diesem besonders sensiblen Bereich keine die Lieferung hindernden Stellplätze angelegt werden und dass es nicht zu Parkverstößen kommt, die den Anlieferungsverkehr in wesentlicher Hinsicht beeinträchtigen. Hierzu ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass, sollte die Beklagte diesem Auftrag - wider Erwarten - nicht nachkommen, den Anliegern Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zur Verfügung stünden, um Ansprüche auf ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten durchzusetzen.

2. Die Baugenehmigung ist auch nicht etwa wegen Verletzung anderweitiger die Kläger schützender Bebauungsplanfestsetzungen nachbarrechtswidrig. Soweit die Kläger auch auf eine etwaige Schutzwirkung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. ... verweisen, steht einem daraus abgeleiteten Schutzanspruch im Übrigen schon entgegen, dass dieser vorhabenbezogene Plan unwirksam ist. Der Plan verfehlt die allgemeinen Bestimmtheitsanforderungen, die der Senat im rechtskräftigen Urteil vom 15.11.2017 - 7 D 55/16.NE -, juris, aufgezeigt hat. In der Planurkunde ist die räumliche Ausdehnung des Vorhabens im rückwärtigen Bereich nur durch Baugrenzen beschrieben. Solche Baugrenzen können ausgeschöpft werden, dies ist aber nicht zwingend, die Bebauung darf auch dahinter zurückbleiben. Eine genaue Festlegung des Vorhabens ergibt sich auch nicht aus einem gesonderten Vorhaben- und Erschließungsplan. Ein solcher gesonderter Plan liegt nicht vor. Der Vorhaben- und Erschließungsplan war lediglich als Bestandteil der einheitlichen Planurkunde mit beschlossen worden.

3. Es liegt auch keine Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots vor.

Vgl. zum Rücksichtnahmegebot allg. BVerwG, Beschluss vom 16.12.2008 - 4 B 68.08 -, BRS 73 Nr. 82.

Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich weder aus den geltend gemachten Einwänden zur Beeinträchtigung der Erschließungssituation (dazu a ) ) noch aus den geltend gemachten Beeinträchtigungen durch vorhabenbedingten Lärm (dazu b)).

a) Entgegen der Auffassung der Kläger führt der vorhabenbedingte Verkehr, insbesondere der Anlieferungsverkehr durch Lastkraftwagen, nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Erschließungssituation, die unter dem Aspekt des Gebots der Rücksichtnahme nachbarrechtsrelevant sein könnte.

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann ausnahmsweise auch dann zu bejahen sein, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden T1. oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert und die entstehende Gesamtbelastung infolgedessen bei Abwägung aller Belange unzumutbar ist; organisatorische Vorkehrungen zur Vermeidung von unzumutbaren Verkehrs- und Erschließungsverhältnissen sind in einer Baugenehmigung regelbar.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.5.2013 - 2 A 3009/11 -, juris.

Auf der Grundlage des maßgeblichen Inhalts der Baugenehmigung ist danach nicht davon auszugehen, dass es zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Erschließung des Grundstücks der Kläger kommen wird.

Nach dem zum Gegenstand der Baugenehmigung gemachten Verkehrsgutachten vom 21.2.2017 und dem Anlieferungskonzept vom 16.1.2017 sowie den Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung sind täglich max. 5 Anlieferungsfahrten anzunehmen. Lediglich zur Weihnachtszeit (1. bis 24.12.) sind zusätzliche Anlieferungen einzuplanen. Nach den zum Gegenstand der Genehmigung gemachten Vorgaben über die Modalitäten der Anlieferung über die Zufahrt an der Q.-straße ist davon auszugehen, dass die Anlieferung durch große Lastkraftwagen über das mit einem Handsender zu öffnende Tor zum Einfahrtsbereich ohne erhebliche Probleme stattfinden kann. Nach dem Inhalt der Genehmigung sind nur solche Lastkraftwagen für die Anlieferung zugelassen, die bestimmte Längenmaße (10,10 m), Radabstände und Radeinschlagswinkel aufweisen. Auf der Grundlage dieser Vorgaben und unter Maßgabe der zusätzlichen Annahme der Genehmigung, dass zwei öffentliche Stellplätze, die die Einfahrt erschweren könnten, wegfallen, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass es zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Erschließung des Grundstücks der Kläger kommt.

b) Es bestehen auch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das genehmigte Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, weil es zu unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen der Kläger führt.

Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich im Nachbarschaftsverhältnis gewährleisten. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich an der Frage auszurichten, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger Rücksicht hat auch derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zu nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen. Sind von einem Vorhaben Immissionen zu erwarten, ist das Kriterium der Zumutbarkeit in der Regel anhand der Grundsätze und Begriffe des Bundesimmissionsschutzgesetzes auszufüllen, weil es die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht allgemein bestimmt. Immissionen, die das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß nicht überschreiten, begründen auch unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots keine Abwehr- oder Schutzansprüche. Ob Belästigungen im Sinne des Immissionsschutzrechts erheblich sind, richtet sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4.5.2016 - 7 A 615/14 -, juris.

Aus dem Lärmgutachten vom 17.3.2016, das Bestandteil der Baugenehmigung ist, ergibt sich, dass die Immissionsrichtwerte von 40 dB(A) nachts und 60 dB(A) tags auch bei Verwirklichung durch das Vorhaben an den für die Kläger zu 1. und 3. maßgeblichen Immissionspunkten I0 6 eingehalten werden können. Anhaltspunkte dafür, dass diese Richtwerte zulasten dieser Kläger zu hoch angesetzt worden sein könnten - die Beklagte hat für die Tagzeit einen Mischgebietswert und für die Nachtzeit einen Wert für allgemeine Wohngebiete angesetzt - vermag der Senat nicht zu erkennen. In die gutachterliche Betrachtung ist zudem auch die gerügte Geräuschbelastung durch Abluftanlagen hinreichend einbezogen worden. Hinsichtlich des zur Q.-straße ausgerichteten Sondereigentums des Klägers zu 2. gilt im Ergebnis nichts anderes. Dieses Sondereigentum ist nach den örtlichen Gegebenheiten auch von den maßgeblichen Lärmeinwirkungen des Anlieferbereichs an der Q.-straße deutlich weiter entfernt als etwa der immissionspunkt I0 7 (Q.-straße 23), für den nach dem Gutachten nicht mit Überschreitungen maßgeblicher Werte zu rechnen ist. Die gegen das Lärmgutachten gerichteten Einwände greifen nicht durch. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass es zu zusätzlichen Beeinträchtigungen durch ein Rangieren der LKW kommt, das ein Ausmaß erreicht, das vom Gutachter nicht in Rechnung gestellt wurde.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Vorgaben der Nr. 7.4 TA-Lärm. Hierzu kann auf das vorliegende Verkehrsgutachten vom 21.2.2017 und das Lärmgutachten vom 17.3.2016 Bezug genommen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie § 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, im Berufungsverfahren hat sie das Rechtsmittel geführt, im ersten Rechtszug hat sie einen Antrag gestellt und sich damit einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO); deshalb entspricht es der Billigkeit, dass ihre außergerichtlichen Kosten den Klägern auferlegt werden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 VwGO; Zulassungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.