VG Münster, Anerkenntnisurteil vom 23.07.2019 - 11 K 3969/16.A
Fundstelle
openJur 2019, 31223
  • Rkr:

1. Alleinstehende kinderlose Frauen eritreischer Staatsangehörigkeit im wehrdienstpflichtigen Alter werden im Falle der Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zum militärischen Teil des Nationaldiensts eingezogen.

2. Es ist davon auszugehen, dass es in Eritrea im militärischen Teil des Nationaldiensts verbreitet zur Anwendung sexueller Gewalt gegen Frauen kommt.

3. Es besteht daher die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass Frauen im militärischen Teil des Nationaldiensts Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgungshandlungen i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 6 AsylG werden.

Tenor

Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung ihres Bescheids vom 00.00.0000 (Az.: 00000000) verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.

Das Gericht konnte in der Sache mündlich verhandeln und entscheiden, obwohl für die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, da bei der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).

II.

Die zulässige Klage ist begründet.

Soweit er vorliegend streitgegenständlich ist, ist der Bescheid der Beklagten vom 00.00.0000 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Sofern eine Person die Staatsangehörigkeiten mehrerer Staaten besitzt, kann die Flüchtlingseigenschaft nur zuerkannt werden, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug auf sämtliche dieser Staaten vorliegen.

Vgl. etwa VG Saarlouis, Urteil vom 16. Mai 2018 - 6 K 1623/16 -, juris, Rn. 25 f., m.w.N.

Die Voraussetzungen des § 3 AsylG liegen in Bezug auf die Klägerin vor. Die Klägerin besitzt ausschließlich die eritreische Staatsangehörigkeit (dazu im Einzelnen unter 1.). In F. droht ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgungsgefahr im Sinne von § 3 AsylG (dazu im Einzelnen unter 2.).

1.

Die Klägerin besitzt ausschließlich die eritreische Staatsangehörigkeit.

Die Frage der Staatsangehörigkeit einer Person bestimmt sich in erster Linie nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der betreffenden Staaten. Sofern eine Person über amtliche Ausweispapiere verfügt, aus denen ihre Staatsangehörigkeit ersichtlich ist, ist allerdings regelmäßig ohne weitergehende materiell rechtliche Prüfung davon auszugehen, dass die Person die auf den Ausweispapieren angegebene Staatsangehörigkeit besitzt (dazu im Einzelnen unter a.). Vor diesem Hintergrund ist vorliegend davon auszugehen, dass die Klägerin ausschließlich eritreische Staatsangehörige ist (dazu im Einzelnen unter b.).

a.

Die Frage der Staatsangehörigkeit einer Person bestimmt sich in erster Linie nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der betreffenden Staaten (dazu im Einzelnen unter aa.). Sofern eine Person über amtliche Ausweispapiere verfügt, aus denen ihre Staatsangehörigkeit ersichtlich ist, ist allerdings regelmäßig ohne weitergehende materiell rechtliche Prüfung davon auszugehen, dass die Person die auf den Ausweispapieren angegebene Staatsangehörigkeit besitzt (dazu im Einzelnen unter bb.).

aa.

Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich in erster Linie nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, denn Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt.

Vgl. zu der Problematik der Bestimmung der Staatsangehörigkeit ausführlich VG Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 - 9 K 3488/13.A -, juris, Rn. 26 ff.

Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht, soweit es ihm nicht bereits bekannt ist, von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat es grundsätzlich nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, zu betrachten.

Vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 - 10 C 2.12 -, juris, Rn. 14 f.; VG Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 - 9 K 3488/13.A -, juris, Rn. 30 ff.; jeweils m.w.N.

Voraussetzung der Verpflichtung des Gerichts, über die ausländischen Rechtsnormen als solche hinaus auch deren Umsetzung in der Rechtspraxis des jeweiligen Staates zu berücksichtigen, muss jedoch sein, dass die ausländische Rechtspraxis eine zumindest vertretbare Konkretisierung bzw. Auslegung der jeweiligen Rechtsnormen vornimmt. Eine Rechtspraxis, die im eindeutigen Widerspruch zu den gültigen Rechtsnormen des jeweiligen Staates stünde, wäre für das Gericht als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit dahingegen gerade nicht verbindlich. Außerhalb des geltenden Rechts liegende Umstände können nämlich keinen Einfluss haben auf die sich nach objektiven normativen Regelungen richtende Staatsangehörigkeit einer Person. Im Falle eines evidenten Widerspruchs der staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtspraxis zu den staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtsnormen in dem jeweiligen ausländischen Staat sind für das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit daher nur die Rechtsnormen maßgeblich.

Vgl. VG Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 - 9 K 3488/13.A -, juris, Rn. 36 f., m.w.N.

Die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage ergibt sich in B. aus Art. 33 der Verfassung vom 21. August 1995, dem früheren StAG B. 1930, das durch Art. 25 des nachfolgenden StAG B. 2003 aufgehoben wurde, und dem erwähnten Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003, das nach seinem Artikel 27 am selben Tag in Kraft trat.

Zitierung nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, B. , Stand: 1. November 2004, S.15 ff.

In F. ergibt sich die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage aus der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992, die nach ihrem Art. 13 am Tag ihrer Veröffentlichung (6. April 1992) in Kraft treten sollte bzw. am 24. Mai 1993, dem Tag der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas, in Kraft trat.

Zitierung nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, F. , Stand: 23. August 2004, S. 8 ff.

bb.

Sofern eine Person über amtliche Ausweispapiere verfügt, aus denen ihre Staatsangehörigkeit ersichtlich ist, ist allerdings regelmäßig ohne weitergehende materiell rechtliche Prüfung davon auszugehen, dass die Person die in den Ausweispapieren angegebene Staatsangehörigkeit besitzt. Gleiches gilt, wenn die Person zumindest schlüssig und glaubhaft vortragen kann, in der Vergangenheit entsprechende Ausweispapiere besessen zu haben.

Sofern ein Staat Identitätspapiere ausstellt, mit denen er den betreffenden Personen bescheinigt, dass sie die Staatsangehörigkeit dieses Staats besitzen, ist im Regelfall davon auszugehen, dass die staatlichen Behörden des betreffenden Staats die materiellrechtlichen Erteilungsvoraussetzungen hinreichend geprüft haben und die Identitätspapiere daher inhaltlich richtig sind. Es bedarf aus diesem Grund im Regelfall keiner inhaltlichen Prüfung, ob im Rahmen der Ausstellung der Identitätspapiere das jeweilige nationale Staatsangehörigkeitsrecht von den ausstellenden Behörden richtig angewandt worden ist und die in tatsächlicher Hinsicht erforderlichen Nachweise erbracht worden sind.

Zwar begründen ausländische Identitätspapiere als ausländische öffentliche Urkunden gemäß §§ 415, 438 ZPO i.V.m. § 98 VwGO keinen vollen Beweis für die inhaltliche Richtigkeit der dokumentierten Tatsache, sondern lediglich vollen Beweis hinsichtlich der Durchführung des beurkundeten Vorgangs.

Solange aber keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Behörden des betreffenden Staats regelmäßig die gesetzlichen Grundlagen missachten, den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend prüfen oder aus sonstigen Gründen Falschbeurkunden vornehmen, besteht keine Notwendigkeit, die inhaltliche Richtigkeit des von ausländischen Behörden ausgestellten Identitätspapiers zu überprüfen.

b.

Vor diesem Hintergrund ist vorliegend davon auszugehen, dass die Klägerin ausschließlich die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt

Die Klägerin hat mit Geburt zwar die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben (dazu im Einzelnen unter aa.). Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie in der Folgezeit die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt und die äthiopische Staatsangehörigkeit zugleich verloren hat (dazu im Einzelnen unter bb.).

aa.

Die Klägerin hat mit ihrer Geburt am 00.00.0000 zunächst die äthiopische Staatsangehörigkeit erlangt. Dies ergibt sich aus Art. 1 des zu dieser Zeit geltenden StAG B. 1930. Nach dieser Vorschrift ist äthiopischer Staatsangehöriger, wer als Kind eines äthiopischen Vaters oder einer äthiopischen Mutter in B. oder außerhalb geboren wird. Das Gericht geht aufgrund der Angaben der Klägerin davon aus, dass ihre Eltern am 00.00.0000 äthiopische Staatsangehörige waren. Zwar gibt die Klägerin an, ihre Familie sei eritreischer Abstammung. Jedoch ist der eritreische Staat völkerrechtlich erst seit der international anerkannten Erklärung der Unabhängigkeit am 24. Mai 1993 existent und war vorher lediglich ein unselbstständiger Bestandteil des äthiopischen Staats, sodass die dort lebenden Personen bis zum 24. Mai 1993 im Regelfall die äthiopische Staatsangehörigkeit besaßen.

bb.

In der Folgezeit hat die Klägerin jedoch die eritreische Staatsangehörigkeit erworben (dazu im Einzelnen unter aaa.) und ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren (dazu im Einzelnen unter bbb.).

aaa.

Die Klägerin zu 1) hat in der Folgezeit nach den Vorschriften der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992 mit deren In-Kraft-Treten am 24. Mai 1993 die eritreische Staatsangehörigkeit erworben.

Dabei bedarf es im vorliegenden Fall keiner materiellrechtlichen Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 2 Abs. 1, gemäß Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 oder gemäß Art. 4 der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992 erfüllt sind.

Aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihr von den eritreischen Behörden eine eritreische Identitätskarte ausgestellt worden ist (dazu im Einzelnen unter aaaa.). Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die eritreischen Behörden bei der Ausstellung der Identitätskarte die materiellrechtlichen Vorgaben der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992 missachten, ist vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen von einem Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit durch die Klägerin auszugehen (dazu im Einzelnen unter bbbb.).

aaaa.

Aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihr von den eritreischen Behörden eine eritreische Identitätskarte ausgestellt worden ist.

Die Klägerin konnte die ihr im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen zu der Beantragung und Verlust der Identitätskarte in überzeugender Weise beantworten. So konnte sie beispielsweise auf Nachfrage spontan nähere Umstände in zeitlicher und örtlicher Hinsicht sowohl hinsichtlich der Beantragung als auch hinsichtlich des Verlusts der Identitätskarte benennen.

bbbb.

Es ist daher vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen von einem Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit durch die Klägerin auszugehen, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die eritreischen Behörden bei der Ausstellung der Identitätskarte die materiellrechtlichen Vorgaben der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992 missachten.

Die eritreischen Behörden überprüfen im Rahmen der Antragstellung die Staatsangehörigkeit der Eltern des Antragstellers durch Vorlage von deren Identitätskarten. Sofern die Identitätskarten der Eltern nicht vorgelegt werden können, muss die Identität und insbesondere die Abstammung des Antragstellers durch drei Zeugen, die älter als 40 Jahre sind, nachgewiesen werden. Zudem muss der Antragsteller ein Formular ausfüllen, in dem er unter anderem die Personalien der Eltern und Großeltern angeben muss.

Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus F. : Verwaltung, Identitätsdokumente und Zivilstandswesen, 5. Februar 2014, S. 13 f.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der eritreische Staat im Rahmen der Ausstellung der Identitätskarte die in Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 der Eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992 genannten Abstammungsvoraussetzungen in dem gebotenen Umfang prüft.

bbb.

Die Klägerin hat zudem ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren.

Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin ihre äthiopische Staatsangehörigkeit gem. Art. 11 lit. a) StAG B. 1930 verloren hat. Nach dieser Vorschrift verliert ein äthiopischer Staatsangehöriger seine Staatsangehörigkeit, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt.

Die Klägerin hat mit Erklärung der eritreischen Unabhängigkeit am 23. Mai 1993 die eritreische Staatsangehörigkeit erlangt (s.o.).

Für den Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach § 11 lit. a) StAG B. 1930 ist darüber hinaus ein zusätzliches voluntatives Element erforderlich.

Vgl. zu diesem Erfordernis im Einzelnen VG Münster, Urteil vom 5. März 2019 - 11 K 3094/16.A -, juris, Rn. 63 ff., m.w.N.

Während des Geltungszeitraums des StAG B. 1930 war die Klägerin zwar minderjährig. Ihre eigene Identitätskarte hat sie erst im Alter von 18 Jahren und damit während des Geltungszeitraums des StAG B. 2003 beantragt. Für die Annahme des voluntativen Elements ist es jedoch als hinreichend anzusehen, wenn sich die Eltern des Minderjährigen aktiv zu der eritreischen Staatsangehörigkeit bekennen und beginnen, Rechte hieraus auszuüben. Dies haben die Eltern der Klägerin im vorliegenden Fall getan, indem sie sich eritreische Identitätskarten haben ausstellen lassen und sich hiermit zu ihrer eritreischen Staatsangehörigkeit bekannt haben. Bei lebensnaher Betrachtung ist davon auszugehen, dass die sich die Eltern in diesem Fall auch im Namen ihrer Kinder zu der eritreischen Staatsangehörigkeit bekennen. Dies gilt umso mehr als Kinder in F. bis zum 18. Lebensjahr die Identitätskarten der Eltern regelmäßig mitbenutzen.

Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus F. : Verwaltung, Identitätsdokumente und Zivilstandswesen, 5. Februar 2014, S. 13.

2.

Der Klägerin droht in F. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgungsgefahr im Sinne von § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Es besteht eine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.

Eine begründete Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) liegt vor, wenn dem Ausländer die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Insoweit ist für den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entscheidend, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des um Flüchtlingsschutz nachsuchenden Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint, weil nach den Gesamtumständen des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung besteht.

Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach F. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zum militärischen Teil des Nationaldiensts (dazu im Einzelnen unter a.). Im militärischen Teil des Nationaldiensts drohen ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 6 AsylG (dazu im Einzelnen unter b.). Diese Verfolgungshandlungen drohen in Anknüpfung an das Verfolgungsmerkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (dazu im Einzelnen unter c.). Die drohende Verfolgung geht von einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG aus, ohne dass interne Schutzmöglichkeiten i.S.v. § 3e AsylG vorliegen (dazu im Einzelnen unter d.). Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus den vorstehenden Gründen steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin im Falle der Rückkehr nach F. in erster Linie befürchtet, verhaftet zu werden und die Angst vor der Einziehung zum Nationaldienst eine untergeordnete Rolle spielt (dazu im Einzelnen unter e.).

a.

Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach F. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zum militärischen Teil des Nationaldiensts.

Die gesetzlichen Grundlagen für die Einziehung zum Nationaldienst finden sich in der eritreischen Proklamation Nr. 82/1995 (Proclamation of National Service), wobei die tatsächliche Vorgehensweise der eritreischen Behörden von den gesetzlichen Grundlagen teilweise abweicht (dazu im Einzelnen unter aa.).

Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen und deren Umsetzung durch die eritreischen Behörden ist davon auszugehen, dass der Klägerin im Falle der Rückkehr nach F. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum militärischen Teil des Nationaldiensts droht (dazu im Einzelnen unter bb.).

aa.

Die gesetzlichen Grundlagen für die Einziehung zum Nationaldienst finden sich in der eritreischen Proklamation Nr. 82/1995 (Proclamation of National Service).

Abrufbar in englischer Sprache unter http://www.refworld.org/docid/3dd8d3af4.html.

Danach untergliedert sich der Nationaldienst in einen aktiven Teil ("active national service", vgl. Art. 8 ff. der Proklamation Nr. 82/1995) und einen Reservistendienst ("reserve military service", vgl. Art. 23 ff. der Proklamation Nr. 82/1995). Der insgesamt 18-monatige aktive Teil des Nationaldienstes besteht dabei gemäß Art. 8 der Proklamation Nr. 82/1995 aus einer sechs Monate dauernden militärischen Ausbildung und einem sich daran anschließenden zwölfmonatigen Dienst im Militär (militärischer Teil des Nationaldiensts) oder in Entwicklungsarbeiten (ziviler Teil des Nationaldiensts).

In der Realität ist die Dienstpflicht nicht auf 18 Monate beschränkt; vielmehr werden die Rekruten regelmäßig für unbestimmte Zeit zum Nationaldienst herangezogen. Eine für unbestimmte Dauer geltende Dienstpflicht ist gemäß Art. 21 der Proklamation Nr. 82/1995 von Gesetzes wegen nur für den Fall der Mobilisierung oder des Krieges vorgesehen. Die für unbestimmte Dauer erfolgende Mobilisierung wurde jedenfalls in der Vergangenheit seitens der eritreischen Regierung mit dem "Kein Krieg, kein Frieden" - Zustand im Verhältnis zu B. begründet.

Vgl. z.B. Schweizerische Flüchtlingshilfe, F. : Nationaldienst, 30. Juni 2017, S. 5 f.; Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus F. : Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016); EASO, Länderfokus F. , Mai 2015, S. 40.

Auch nach dem Friedensschluss mit B. im Juli 2018 ist jedoch eine Begrenzung der Dauer der Dienstpflicht auf die gesetzlich vorgesehen 18 Monate weiterhin nicht absehbar.

Vgl. Amnesty International, F. : Repression without borders, Juni 2019, S. 7 f.

Gemäß Art. 6 der Proklamation Nr. 82/1995 sind grundsätzlich alle eritreischen Bürgerinnen und Bürger im Alter zwischen 18 und 50 Jahren verpflichtet, den Nationaldienst zu erbringen. Die Pflicht zur Ableistung des aktiven Teils des Nationaldiensts besteht gemäß Art. 8 der Proklamation Nr. 82/1995 für alle eritreischen Bürgerinnen und Bürger im Alter zwischen 18 und 40 Jahren. Gemäß Art. 9 der Proklamation Nr. 82/1995 sind alle eritreischen Bürgerinnen und Bürger im Alter zwischen 18 und 40 Jahren verpflichtet, an der sechsmonatigen militärischen Ausbildung teilzunehmen.

Obwohl dies gesetzlich nicht vorgesehen ist, werden verheiratete Frauen, Frauen mit Kindern, Schwangere sowie muslimische Frauen aus ruralen Gegenden in der Regel vom militärischen Teil des Nationaldienstes ausgenommen.

Vgl. z.B. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in F. , 22. März 2019 (Stand: Februar 2019), S. 15; UKHO, Country Policy and Information Note, F. : National service and illegal exit, Juli 2018, S. 17 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, F. : Nationaldienst, 30. Juni 2017, S. 11 f.; EASO, Länderfokus F. , Mai 2015, S. 33 f.; Amnesty International, Just deserters: Why indefinite national service in F. has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 28; Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, Oktober 2014, S. 10 f.; Schweizerische Eidgenossenschaft, National Service and State Structures in F. , Präsentation von Dr. D. Bozzini, 16. Februar 2012, S. 8 f.; vgl. insgesamt auch OVG Hamburg, Urteil vom 21. September 2018 - 4 Bf 186/18.A -, juris, Rn. 46 ff.

Diese ungeschriebene Regel gilt jedoch nicht ausnahmslos. Es wird auch über Fälle berichtet, in denen Frauen trotz Heirat oder Schwangerschaft zum Nationaldienst herangezogen worden sind.

Vgl. z.B. Amnesty International, Just deserters: Why indefinite national service in F. has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 28; Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, Oktober 2014, S. 10.

Teilweise wird darauf hingewiesen, dass Frauen ab dem Alter von 27 Jahren - abweichend von den gesetzlichen Regelungen - generell die Möglichkeit haben sollen, sich vom Nationaldienst freistellen zu lassen.

Vgl. z.B. Schweizerische Eidgenossenschaft, National Service and State Structures in F. , Präsentation von Dr. D. Bozzini, 16. Februar 2012, S. 9.; vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in F. , 22. März 2019 (Stand: Februar 2019), S. 15, wonach sowohl Erkenntnisse bestehen, denen zufolge die Dienstpflicht bei Frauen bis zum 27. Lebensjahr besteht, als auch solche, denen zufolge Frauen bis zum 47. Lebensjahr zum Nationaldienst eingezogen werden können.

bb.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass der 26-jährigen kinderlosen Klägerin im Falle der Rückkehr nach F. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum militärischen Teil des Nationaldiensts droht.

Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin vor ihrer Ausreise aus F. im K. 0000 geheiratet hat und sich in der Folgezeit nicht hat scheiden lassen, sodass sie damit - formal betrachtet - weiterhin verheiratet ist. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft vorgetragen, ihren Mann seit dessen Ausreise aus F. nicht mehr gesehen zu haben. Im K. 0000 habe sie erfahren, dass er eine neue Frau habe. Daraufhin habe sie sich von ihm getrennt. Sie habe keinen Kontakt mehr zu ihm und habe lediglich über Bekannte erfahren, dass er sich nunmehr wohl auch in Deutschland aufhalte. In ihren Papieren werde ihr Zivilstand stets mit "getrennt lebend" angegeben.

Bei dieser Sachlage besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin in F. zum militärischen Teil des Nationaldiensts herangezogen wird. Es ist insofern davon auszugehen, dass der Hinweis auf eine nur formal bestehende Ehe die eritreischen Behörden nicht an der Rekrutierung der Klägerin hindert, wenn sich der Ehemann nicht mehr in F. aufhält und zudem kein Kontakt mehr zu ihm besteht. In diesem Fall fehlt es offensichtlich an einer gelebten Ehe und somit aus Sicht der eritreischen Behörden an jeglichem Grund dafür, die Klägerin abweichend von den gesetzlichen Regelungen von der Ableistung des militärischen Teils des Nationaldiensts freizustellen.

Auch das Alter der Klägerin steht einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Einziehung der Klägerin zum militärischen Teil des Nationaldiensts nicht entgegen.

Hierfür spricht zum einen, dass in der Proklamation Nr. 82/1995 eine Altersgrenze - auch für Frauen - erst ab einem Alter von 40 Jahren vorgesehen ist (vgl. Art. 8 der Proklamation Nr. 82/1995). Soweit teilweise berichtet wird, dass sich Frauen hiervon abweichend ab dem Alter von 27 Jahren von dem Nationaldienst freistellen lassen können,

vgl. z.B. Schweizerische Eidgenossenschaft, National Service and State Structures in F. , Präsentation von Dr. D. Bozzini, 16. Februar 2012, S. 9,

so kann dies - ungeachtet der Frage, ob dies inhaltlich zutreffend ist - der Klägerin jedenfalls deshalb nicht entgegengehalten werden, weil diese im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) erst 00 Jahre alt ist (Geburtsdatum: 00.00.0000).

Davon, dass faktisch alleinlebende kinderlose Frauen vor Abschluss des 00. Lebensjahres eine verlässliche und belastbare Möglichkeit haben, vom militärischen Teil des Nationaldiensts freigestellt zu werden, kann nicht ausgegangen werden. Soweit vereinzelt - wiederum abweichend von anderen Quellen - berichtet wird, die Altersgrenze für die Freistellung von Frauen liege zwischen 25 und 27 Jahren,

vgl. LandInfo, Report F. : National Service, Mai 2016, S. 18,

so wird dies unmittelbar damit begründet, dass Frauen in F. in diesem Alter sehr häufig heiraten und bzw. oder schwanger werden. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass allein lebende, kinderlose Frauen im Alter der Klägerin eine zuverlässige Chance haben, abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen der Proklamation Nr. 82/1995 vom militärischen Teil des Nationaldiensts freigestellt zu werden, sodass davon auszugehen ist, dass ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum Nationaldienst droht.

b.

Im militärischen Teil des Nationaldiensts drohen der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 6 AsylG.

Als Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG sowohl solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), als auch solche Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt, eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1 AsylG darstellen. Gleiches gilt gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 6 Alt. 1 AsylG für Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen.

Im Rahmen des militärischen Teils des Nationaldiensts kommt es verbreitet zur Anwendung von sexueller Gewalt gegen Frauen (dazu im Einzelnen unter aa.). Zwar mag es zutreffen, dass die diese sexuellen Gewaltanwendungen weder systematisch noch regelmäßig erfolgen (dazu im Einzelnen unter bb.). Die sexuelle Gewalt gegen Frauen ist jedoch in einem solchen Maß verbreitet, dass die Klägerin im Falle ihrer Einberufung zum Militärdienst mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer sexueller Gewalt werden würde (dazu im Einzelnen unter cc.).

aa.

Vielfältige Erkenntnisse belegen, dass es im militärischen Teil des Nationaldiensts verbreitet zu sexueller Gewalt gegen Frauen in unterschiedlicher Form kommt.

Vgl. z.B. UKHO, Country Policy and Information Note, F. : National Service and illegal exit, Version 5.0, Juli 2018, S. 25 ff.; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 13. Februar 2018 zu F. : Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, S. 3; SFH, F. : Nationaldienst, 30. Juni 2017, S. 12 f.; EASO, Länderfokus F. , Mai 2015, S. 39; vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in F. , 22. März 2019 (Stand: Februar 2019), S. 15.

Dabei sind einige Erkenntnisquellen in besonderem Maße aufschlussreich, da sie sich der Thematik sehr ausführlich widmen und auf der Grundlage einer Befragung zahlreicher ehemaliger Verpflichteter detaillierte Einblicke in die Situation der Frauen im militärischen Teil des Nationaldiensts gewähren.

So geben nach dem Ergebnis einer Studie des britischen Wissenschaftlers Gaim Kibreab etwa 88 % der insgesamt 190 befragten ehemaligen Verpflichteten an, dass es im militärischen Teil des Nationaldiensts in erheblichem Umfang zu Vergewaltigungen und sonstigen sexuellen Misshandlungen von Frauen durch militärische Vorgesetzte und sonstige Militärangehörige kommt. Dabei werde den betroffenen Frauen mit Strafen gedroht, falls sie versuchten, sich den Übergriffen zu entziehen.

Vgl. insoweit ausführlich Kibreab, Sexual Violence in the Eritrean National Service, 2017, S. 8 ff.

Auch aus den detaillierten Berichten der Untersuchungskommission (Commission of Inquiry) des UN-Menschenrechtsrats ergibt sich, dass es im militärischen Ausbildungszentrum in T2. sowie in der Armee in massivem Umfang zu Vergewaltigungen und Misshandlungen von Frauen kommt. Aussagen ehemaliger Verpflichteter zufolge soll die Misshandlung von Frauen in T2. "normal" gewesen sein.

Vgl. insoweit sehr ausführlich UN Human Rights Council (HRC), Detailed findings of the findings of the commission of inquiry on human rights in F. , 8. Juni 2016, S. 74 ff. (Nr. 301 ff.); HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in F. , 5. Juni 2015, S. 379 ff. (Nr. 1312 ff.).

bb.

Ausweislich der Auskünfte des Auswärtigen Amtes erfolgt die Anwendung der sexuellen Gewalt gegen Frauen weder regelmäßig noch systematisch.

So hat das Auswärtige Amt in einer Auskunft vom 27. Juli 2018 die Frage, ob Dienstleistende im Nationaldienst (Männer und Frauen) regelmäßig Opfer von sexueller Gewalt werden, verneint und darauf hingewiesen, dass es hierfür, entgegen den vorgenannten Berichten der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats keinerlei Anhaltspunkte gebe. Diese Frage sei von EU-Botschaftern in einem Bericht aus dem K. 2016 ausdrücklich verneint worden.

Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht vom 27. Juli 2018 (Az.:508-516.80/50859), Antwort auf Frage 5.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. Oktober 2018 hat das Auswärtige Amt weitergehend ausgeführt, dass die Leiter der europäischen Auslandsvertretungen in F. die betreffenden Aussagen des Berichts der UN-Untersuchungskommission anders bewerten und dabei zu dem Schluss kämen, dass die Behauptung einer allgemeinen und systematischen sexuellen Gewalt gegen Frauen im Militärdienst nicht begründet sei.

Vgl. Auswärtiges Amt, Ergänzende Auskunft vom 15. Oktober 2018 (Az.:508-516.80/50859), Ergänzende Stellungnahme zu Frage 5.

Diese Aussagen stehen dabei nicht in Widerspruch zu den Ergebnissen der Untersuchungskommission des UN-Menschrechtsrats und den Ergebnissen der Untersuchung des Professors Kibreab sowie zu den zahlreichen sonstigen Erkenntnisquellen, die das verbreitete Vorkommen sexueller Gewalt gegen Frauen im militärischen Teil des Nationaldiensts belegen.

Das Gericht versteht die Auskünfte des Auswärtigen Amtes dabei dahingehend, dass zwar nicht bestritten werden soll, dass es im Militärdienst verbreitet zur Anwendung von sexueller Gewalt gegen Frauen kommt. Allerdings sei davon auszugehen, dass die Anwendung sexueller Gewalt weder regelmäßig noch in systematischer Art und Weise erfolgt.

cc.

Bei dieser Sachlage besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin im Falle ihrer Einberufung zum Militärdienst Opfer sexueller Gewalt werden würde.

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist dann gegeben, wenn aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des um Flüchtlingsschutz nachsuchenden Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint, weil nach den Gesamtumständen des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung besteht.

Dabei ist in die Betrachtung auch die Schwere des zu befürchtenden Eingriffs einzustellen, wobei aber in jedem Fall erforderlich ist, dass die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können.

Vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris, Rn. 38.

Auch bei einem Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung gegeben, wenn aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen eine Rückkehr unzumutbar ist. Die bloß theoretische Möglichkeit einer Verfolgung ist hingegen nicht ausreichend.

Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 86. Aktualisierung Juni 2014, § 3 AsylG Rn. 8.

Gemessen daran steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Klägerin im Falle der Rückkehr nach F. und ihrer Einziehung zum Militärdienst mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Anwendung sexueller Gewalt droht, ohne dass eine genaue Quantifizierung möglich ist. Auch wenn es nach Auskunft des Auswärtigen Amtes im eritreischen Militärdienst nicht zu einer regelmäßigen und systematischen Anwendung von sexueller Gewalt gegen Frauen kommt, ist auf der Grundlage der Erkenntnislage davon auszugehen, dass die Anwendung sexualisierter Gewalt sehr weitgehend verbreitet ist. Es besteht daher die reale Möglichkeit, dass die Klägerin im Falle ihrer Einziehung zum Militärdienst Opfer sexualisierter Gewalt wird, sodass ihr eine Rückkehr - gerade vor dem Hintergrund, dass mit dem Recht der sexuellen Selbstbestimmung die Verletzung eines besonders sensiblen Rechtsguts droht - nicht zugemutet werden kann.

So im Ergebnis auch VG Schwerin, Urteil vom 5. April 2019 - 15 A 3569/17 As SN -, juris, Rn. 43 ff., m.w.N.; VG Hamburg, Urteil vom 13. Februar 2019 - 19 A 984/18 -, juris, Rn. 54 ff., m.w.N.; VG Arnsberg, Urteil vom 27. Juni 2018 - 12 K 3982/16.A -, juris, Rn. 39 ff.; vgl. auch OVG Hamburg, Urteil vom 21. September 2018 - 4 Bf 186/18.A -, juris, Rn. 46.

c.

Diese Verfolgungshandlungen drohen der Klägerin auch in Anknüpfung an das Verfolgungsmerkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Vgl. VG Schwerin, Urteil vom 5. April 2019 - 15 A 3569/17 As SN - juris, Rn. 28 f., m.w.N.; VG Arnsberg, Urteil vom 27. Juni 2018 - 12 K 3982/16. A -, juris, Rn. 58 ff.; vgl. auch Hofmann, in: Möller, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 3b AsylG, Rn. 13 ff.

Eine Gruppe gilt nach § 3b Absatz 1 Nr. 4 AsylG insbesondere dann als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zudem muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft, vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG a.E.

Die Gruppe der Frauen im Nationaldienst stellt demnach eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne der Vorschrift dar.

Die Verfolgungshandlungen drohen den Frauen gerade auch "wegen" dieser Zugehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe.

Erforderlich ist insofern, dass die Maßnahme den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale treffen soll. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Flüchtlingsmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen und nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, juris, Rn. 44; VG Arnsberg, Urteil vom 27. Juni 2018 - 12 K 3982/16. A -, juris, Rn. 63 ff.

Gemessen daran erfolgt die drohende Verfolgung vorliegend gerade in Anknüpfung an die Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe. Die sexuelle Gewalt im eritreischen Nationaldienst richtet sich weit überwiegend - wenn nicht gar ausschließlich - gegen Frauen. Dabei wird zum einen die besondere Schutzlosigkeit der betroffenen Frauen ausgenutzt. Hinzu kommt, dass eine effektive strafrechtliche Verfolgung der Täter nicht gegeben ist.

Vgl. z.B. Schnellrecherche der SFH Länderanalyse vom 13. Februar 2018 zu F. : Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, S. 6, m.w.N.

Zudem fürchten sich die betroffenen Frauen in F. aus Gründen der Scham und aus Angst vor Stigmatisierung regelmäßig davor, von der sexuellen Gewalt zu berichten. So werden junge Frauen sowie deren Familien, die vergewaltigt worden sind, häufig als makelbehaftet angesehen und in der Gesellschaft ausgegrenzt.

Vgl. z.B. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in F. , 5. Juni 2015, S. 385 f. (Nr. 1325 f.).

d.

Die drohende Verfolgung geht von Akteuren im Sinne des § 3c AsylG aus, ohne dass interne Schutzmöglichkeiten i.S.v. § 3e AsylG vorliegen.

Vgl. auch VG Arnsberg, Urteil vom 27. Juni 2018 - 12 K 3982/16. A -, juris, Rn. 80 ff.

Soweit die sexuelle Gewalt durch Befehlshaber und militärische Vorgesetzte erfolgt, kann sie dem eritreischen Staat unmittelbar zugerechnet werden (vgl. § 3c Nr. 1 AsylG).

Der Staat muss sich nämlich grundsätzlich die Handlungen derjenigen Personen zurechnen lassen, derer er sich zur Herrschaftsausübung bedient.

Vgl. nur Kluth/Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, 22. Edition, Stand: 1. November 2018, § 3c AsylG, Rn. 2.

Dies ist bei den Befehlshabern und militärischen Vorgesetzen der Fall. Insbesondere können die Taten aufgrund ihrer Häufigkeit auch nicht als vereinzelte Amtswalterexzesse angesehen werden.

Soweit die Gewalthandlungen von sonstigen Mitgliedern der Armee begangen werden, gehen sie von Akteuren i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG aus. Nach dieser Vorschrift kann die Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in § 3c Nr. 1 und Nr. 2 AsylG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Bei den sonstigen Armeemitgliedern handelt es sich um nichtstaatliche Akteure im Sinne dieser Vorschrift. Dabei ist davon auszugehen, dass weder der eritreische Staat, noch sonstige Parteien oder Organisationen in der Lage sind, effektiven Schutz i.S.v. § 3d Abs. 2 AsylG zu gewähren. Gemäß § 3d) Abs. 2 Satz 1 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Gemäß § 3d) Abs. 2 Satz 2 AsylG ist ein solcher Schutz generell gewährleistet, wenn die in § 3d) Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise indem sie wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, erlassen.

Den Opfern der sexuellen Gewalt wird kein effektiver Schutz durch den eritreischen Staat gewährt.

Erkenntnissen der UN-Untersuchungskommission zufolge wird das Ausmaß an sexueller Gewalt seitens der zuständigen staatlichen Stellen vollständig geleugnet.

Vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in F. , 5. Juni 2015, S. 189 (Nr. 716); vgl. auch Schnellrecherche der SFH Länderanalyse vom 13. Februar 2018 zu F. : Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, S. 5.

Eine effektive Schutzgewährung durch die staatlichen Stellen findet nicht statt. Zahlreiche betroffene Frauen sehen bereits aufgrund der damit verbundenen sozialen Ächtung von einer Anzeige ab. Diejenigen Frauen, die sich für eine Anzeige entscheiden, müssen den Erkenntnissen der UN-Untersuchungskommission zufolge weitere Bestrafungen befürchten, sodass es für die betroffenen Frauen extrem schwer sei, eine effektive Verfolgung der Tat durchzusetzen. Der Umstand, dass eine Verfolgung der Täter nicht stattfinde, führe dazu, dass die Anwendung sexueller Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft als normal angesehen werde.

Vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in F. , 5. Juni 2015, S. 188 ff. (Nr. 714 ff.).

Landesinterne Schutzalternativen i.S.v. § 3e AsylG bestehen nicht, da der Klägerin die Einziehung zum Militärdienst in ganz F. droht.

e.

Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus den vorstehenden Gründen steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin zur Begründung ihres Begehrens vorträgt, in erster Linie Angst vor einer Verhaftung im Falle der Rückkehr nach F. zu haben. Aus ihren im Rahmen der mündlichen Verhandlung getätigten Äußerungen ergibt sich, dass sie - jedenfalls auch - Angst vor der Einziehung zum Nationaldienst hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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