SG Aachen, Urteil vom 03.09.2019 - S 12 VU 17/16
Fundstelle
openJur 2019, 31058
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der am 00.00.0000 geborene Kläger stellte am 12.05.2014 einen Antrag auf Versorgung nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz ? StrafRehaG). Dem Antrag beigefügt war ein Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (2 Ws [Reha] 7/13). In diesem war festgestellt, dass der Kläger aufgrund eines Beschlusses des Rates des Kreises Fürstenwalde ? Jugendhilfeausschuss ? vom 00.00.1978 über die Anordnung von Heimerziehung in einem Jugendwerkhof im Zeitraum vom 30.08.1978 bis zum 16.04.1980 im Jugendwerkhof der ehemaligen "Deutschen Demokratischen Republik" (DDR) "Freital" untergebracht worden war. Das Brandenburgische Oberlandesgericht kam in seiner Entscheidung zu der Einschätzung, dass die Einweisung des damals knapp 16-jährigen Klägers sachfremden Zwecken und teilweise politischer Verfolgung gedient habe. Dies ergebe sich schon aus dem benannten Unterbringungsbeschluss, in dem es geheißen habe, die Unterbringung erfolge, damit der Kläger erkenne "dass seine politische Einstellung gegenüber unserem Staat und der Gesellschaft grundlegend falsch ist und (er) lernt, sich mit unserer Gesellschaft zu identifizieren". Dies und auch entsprechenden Berichte der damaligen Klassenlehrerin machten deutlich, dass die Heimerziehung weniger erzieherisch sondern vielmehr politisch motiviert gewesen sei. Der Beschluss des Rates des Kreises Fürstenwalde ? Referat Jugendhilfe ? vom 00.00.1978 wurde, soweit er den Kläger betrifft für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. Es wurde festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 30.08.1978 bis zum 16.04.1980 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.

Der Beklagte holte sodann Arztberichte des B. Krankenhauses L. aus den Jahren 2011, 2012, Befundberichte der behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. X. sowie Arztberichte der Frau X. ab 2004 ein und wertete diese, sowie Reha-Entlassungsberichte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte über Aufenthalte des Klägers im April bis Juni 2001 und April und Mai 2004, aus. Im Anschluss holte der Beklagte ein psychiatrisches Gutachten der Frau Dr. M. ein, die zu der Einschätzung kam, aufgrund einer beim Kläger bestehenden komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung sei ein GdS von 50 in Ansatz zu bringen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie U. hielt dieses Gutachten für nicht überzeugend und schlug vor, unter Berücksichtigung einer posttraumatischen psychovegetativen Störung einen GdS von 30 beim Kläger festzustellen.

Mit Bescheid vom 18.01.2016 stellte der Beklagte daraufhin fest, dass die beim Kläger vorliegende posttraumatische psychovegetative Störung durch schädigenden Einwirkungen im Sinne des § 21 StrRehaG hervorgerufen worden ist und der GdS ab dem 01.05.2014 mit 30 festgestellt wird.

Hiergegen legte der Kläger am 25.01.2016 Widerspruch ein, der nach erneuter Stellungnahme durch Herrn U. mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2016 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Am 11.11.2016 hat der Kläger Klage erhoben.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. X. , des Internisten, Hämatologen und internistischen Onkologen Dr. I. sowie eines Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ? Sozialmedizin ? C., nebst ergänzender Stellungnahme der Gutachterin zu Einwänden des Klägers. Darüber hinaus hat es beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Ermittlungen angestellt und die Akten betreffend das Rehabilitierungsverfahren des Klägers beim Landgericht Frankfurt/Oder (41 BRH 32/11) sowie die Rentenakten des Klägers bei der Deutschen Rentenversicherung Bund beigezogen. Schließlich hat das Gericht Ermittlungen hinsichtlich einer etwaigen Strahlenbelastung am Standort des ehemaligen Jugendwerkhofs in Freital bei der Großen Kreisstadt Freital, dem Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen sowie des Bundesamtes für Strahlenschutz angestellt und ein strahlenbiologisches Gutachten des Prof. Dr. N. eingeholt, welches dieser gegenüber dem Gericht am 27.05.2019 erstattet hat.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, er halte das Gutachten der Frau C., anders als dasjenige des Prof. Dr. N., nicht für überzeugend. Es spiegele die beim ihm vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die auf seinen schrecklichen Erfahrungen während des zwangsweisen Aufenthalts im Jugendwerkhof beruhten nicht zutreffend wider.

Er hat beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2016 zu verurteilen, bei ihm einen GdS von mindestens 50 ab Antragstellung festzustellen, mit der Folge, dass etwaige Leistungen auch ab diesem Zeitraum in höherem Maße zu berücksichtigen sind.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seine im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Stellungnahmen sowie auf die Ausführungen der gerichtlich bestellten Gutachter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Landgerichts Frankfurt/Oder und der Deutschen Rentenversicherung Bund Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig. Die Anträge des Klägers sind allein nach § 21 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG) und nicht (auch) nach dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz - HHG) zu überprüfen.

Nach § 23 Abs. 1 StrRehaG wird, wenn Ansprüche aus § 21 StrRehaG mit Ansprüchen aus § 1 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG) oder aus anderen Gesetzen zusammentreffen, die - wie § 4 Abs. 1 HHG bei einer gesundheitlichen Schädigung infolge Gewahrsams - eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, die Versorgung unter Berücksichtigung des durch die gesamten Schädigungsfolgen bedingten Grades der Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG gewährt (Landessozialgericht ? LSG ? Baden-Württemberg, Urteil vom 26.02.2015 - L 6 VU 4119/14= juris Rn. 34). Eine Ausnahme hiervon besteht nur dann, wenn ein Geschädigter eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG bereits vor dem Inkrafttreten des StrRehaG am 4. November 1992 beantragt und erhalten hat. In diesem Fall kann der Geschädigte nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 StrRehaG auch Ansprüche nach diesem Gesetz geltend machen, da die Durchführung eines weiteren Verfahrens nach dem StrRehaG nicht mehr zugemutet werden soll (BT-Drucks. 12/1608 S. 24). Dies beschränkt sich jedoch - unter Anrechnung der Leistungen nach dem HHG - auf Ansprüche nach den §§ 17 bis 19 StrRehaG. Ansprüche auf Beschädigtenversorgung nach dem BVG werden dagegen in diesen Fällen nach § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG nur nachrangig nach den entsprechenden Ansprüchen nach dem HHG gewährt (vgl. zu allem LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.02.2012 ? L 6 VU 6118/09 = juris Rn. 32; LSG Baden-Württemberg Urteil vom und 26.02.2015 - L 6 VU 4119/14 = juris Rn. 32). Dem Kläger wurde jedoch ? soweit ersichtlich ? nie eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG erteilt.

Für diese Ansprüche ist nach § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 4 und 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

II. Die Klage ist aber nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind zwar nach Auffassung der Kammer im Ergebnis rechtswidrig, der Kläger ist indes durch sie nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, da der Beklagte zu Unrecht einen zu hohen GdS beim Kläger festgestellt hat. Die Herabsetzung des GdS im Rahmen einer durch den Klä-ger erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (sog. Verböserung ? reformatio in peius) scheidet aber nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen aus. Es kommt vor diesem Hintergrund jedoch keinesfalls die begehrte Feststellung eines höheren GdS in Betracht.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalten Betroffene, die infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Grundsätzlich bedürfen die drei Elemente des Tatbestandes (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises (vgl. BSG Beschluss vom 12.05.2016 ? B 9 V 11/16 B = juris Rn. 9; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 21 StrRehaG Rn. 5).

Es müssen mithin die Tatbestandsmerkmale, die den geltend gemachten Ansprüchen zu Grunde liegen ? eine in Folge der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung erlittene gesundheitliche Schädigung (Erstschaden) und die gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung ? nach den im sozialgerichtlichen Verfahren an die richterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen voll bewiesen sein. Das Gericht muss sich daher die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG. 2. Aufl. 2014, § 103 Rn. 4 m.w.N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R = juris Rn. 21). Eine Tatsache ist damit dann bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.).

Für die Kausalität selbst hingegen ? und zwar sowohl für die sog. "haftungsbegründende", also die Ursächlichkeit zwischen der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung und der gesundheitlichen (Erst-)Schädigung, als auch die sog. "haftungsausfüllende" Kausalität, d.h. die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als ursächliche Folge einer Schädigung ? genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG demgegenüber die Wahrscheinlichkeit im Sinne der Theorie von der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 9 VS 2/98 R = juris; Landessozialgericht ? LSG - Baden-Württemberg Urteil vom 23.06.2016 - L 6 VH 4633/14 = juris m.w.N.).

Eine Bedingung ist danach dann wesentlich ? und damit im Entschädigungsrecht beachtlich - wenn sie neben anderen Bedingungen für den Eintritt der Rechtsfolge annähernd gleichwertig ist und innerhalb der Grenze liegt, die durch den Schutzzweck der Rechtsnorm gezogen wird (so Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz, 7. Aufl., Stand: August 2018, § 1-58, m.w.N.; Gelhausen, in: Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, Kommentar zum OEG, 5. Aufl. 2010, Anhang I Rn. 24 ff.). Es genügt insoweit die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, d.h. es muss nach der geltenden medizinischwissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang sprechen (siehe zum Ganzen BSG Urteil vom 16.12.2014 ? B 9 V 3/13 R = juris Rn. 14; BSG Urteil vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R = juris Rn. 16; BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R= juris Rn. 14 ff m.w.N; BSG Urteil vom 15.12.2016 ? B 9 V 3/15 R = juris Rn. 27, st. Rspr.; Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz, Kommentar, Stand: August 2018, § 1-61; Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 81 SVG Rn. 129).

Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt. Dies hat auch in der der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze) seinen Niederschlag gefunden, vgl. etwa Teil C Ziffer 3 lit. a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze.

Dabei ist insbesondere bei seelischen Beeinträchtigungen, anders als bei körperlichen Beschwerden, in der Regel ? wie auch im vorliegenden Fall ? besonders problematisch, den rechtlich nach den jeweiligen Entschädigungsgesetzen entscheidenden Vorgang - also das die Entschädigungspflicht auslösende Ereignis - als die wesentliche medizinische Ursache festzustellen. Es verbleibt ? worauf das Bundessozialgericht in einschlägigen Fällen zu Recht hinweist ? stets die Frage, ob nicht andere wesentlich mitwirkende Bedingungen, etwa eine bereits vorbestehende Anlage von Krankheitswert, für die Ausbildung einer seelischen Dauererkrankung vorhanden sind (BSG Urteil vom 12.06.2003, B 9 VG 1/02 R = juris).

Der Kläger hat, dies steht für die Kammer fest, in der Zeit vom 30.08.1978 bis zum 16.04.1980 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlittenen. Insoweit kommt nach Auffassung der Kammer den Feststellungen nach § 12 StrRehaG in dem rechtskräftigen Beschluss Brandenburgischen Oberlandesgerichts im Verfahren 2 Ws (Reha) 7/13 Tatbestandswirkung zu (so zu Recht auch Rademacker in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 21 StrRehaG Rn. 5 m.w.N.).

Darüber hinaus steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der durchgeführten medizinischen Ermittlungen fest, dass beim Kläger im Wesentlichen eine strukturelle Störung der Persönlichkeit- und Reifungsentwicklung im Sinne einer Borderline-Persönlichkeitsstörung nach ICD 10 F 60.3 mit histrionischem Kern vorliegt. Diese ist gekennzeichnet durch eine schwerwiegende Beeinträchtigung wesentlicher für ein erwachsenes Leben tragfähiger Ich-Funktionen: Kritische Reflexionsfähigkeit, Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit, Affekttoleranz, Angsttoleranz mit der Ausbildung einer sog. "Pan-Angst" vor allem und jedem, jeder Situation, Angst vor körperlicher Erkrankung, Infektionen, Bedrohungen.

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer dabei insbesondere aufgrund des im Klageverfahren eingeholten Gutachtens der Frau C. fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen einer erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen, die unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Insbesondere setzt sich die Gutachterin für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend mit den zahlreichen Befund- und Arztberichten sowie Gutachten und den hierin gestellten mannigfaltigen Diagnosen auseinander. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Die Feststellung des Klägers, er gehe davon aus, dass das gerichtlich eingeholte Gutachten der Frau Dr. C. seine Beschwerden und Einschränkungen nicht hinreichend widerspiegele ist für die Kammer zwar menschlich verständlich, im Ergebnis aber nicht durchgreifend. Der Kläger ? die steht für die Kammer fest ? unterscheidet hier nicht (hinreichend) zwischen den zweifellos bei ihm bestehenden (schwerwiegenden) Erkrankungen und Beeinträchtigungen, die auch von der Gutachterin eindrücklich beschrieben werden und der hiervon streng zu trennenden Frage der für die Feststellung eines GdS erforderlichen Kausalität.

Es bestehen aufgrund der Darlegungen der Gutachterin, die nach Einschätzung der Kammer sich sehr ausführlich und ausgewogen mit der Aktenlage und den geschilderten Beschwerden auseinandergesetzt hat, keine Zweifel daran , dass - und unter Berücksichtigung des insoweit vertretenen wissenschaftlichen Meinungsbildes hinsichtlich der Ätiologie und Pathogenese der oben genannten Gesundheitsstörungen, davon auszugehen ist, dass es bei den beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich ist, dass diese ursächlich im Sinne einer Verschlimmerung oder Entstehung auf schädigende Ereignisse im Zusammenhang mit § 21 Abs. 1 StrRehaG ? konkret dem Erlebnisses des Klägers im "Jugendwerkhof Freital" stehen.

So beschreibt Frau C. nachvollziehbar, dass beim Kläger eine alternative Kausalität von überragendem Gewicht im Vergleich zur rechtsstaatswidrigen Inhaftierung, wie sich aus den Akten des Rehabilitierungsverfahrens vor dem Landgericht Frankfurt/Oder entnehmen lässt, für die Hervorrufung der beim Kläger bestehenden Persönlichkeitsstörung bestand.

Der Kläger beschrieb, wie sich aus den verschiedensten Arztberichten, die einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten betreffen, ergibt, massive traumatisierende Umstände in der frühen biographischen Entwicklung, lange Zeit vor der Einwirkung des hier in Rede stehenden schädigenden Tatbestandes (Wesensgrundlage), die ? wie die Gutachterin überzeugend darlegt - auch bereits früh entsprechende VerhaItensauffälligkeiten (Vorschaden) sowie eine bis heute vorhandene "Nervosität", geringe Frustrationstoleranz, geringe Konfliktfähigkeit, ausgeprägte Selbstzentriertheit, regressive Tendenzen und Aufmerksamkeit suchendes Verhalten hervorgerufen haben. Bei dieser Feststellung hat die Gutachterin auch mit berücksichtigt, dass aus heutiger Sicht die Unterlagen aus der ehemaligen DDR einer kritischen Prüfung zu unterziehen sind.

Von besonderer Bedeutung sind nach dem Gutachten der Frau C. in diesem Zusammengang eine erhebliche Bindungs- und Beziehungsstörung, die Verwahrlosung als Kind und die Vernachlässigung seiner kindlichen Bedürfnisse durch die psychisch erkrankte Mutter und das schockartige Miterleben der Folgen ihrer Suizidversuche, derer zwei insbesondere zu benennen sind: Erstens hat die Mutter im Alter von etwa 12 Jahren des Klägers sich vom Balkon gestürzt. Sie erlitt mehrere Knochenbrüche und bekam dann einen sog. "Gasbrand", infolge dessen ein Bein amputiert werden musste. Zweitens war sie über den Verlust und den komplizierten Heilungsverlauf offenbar selbst so traumatisiert, dass sie sich im Krankenhaus anzündete. Der Kläger hat alles dies als Kind miterlebt und nach den Feststellungen der Gutachterin C. war im Rahmen der Untersuchung unzweifelhaft eindrücklich, dass der Kläger nachhaltig beeindruckt ist von diesem Miterleben der Selbstzerstörung seiner Mutter und, dass er durch eine quasi selbstlose Hingabe und aufopferungsvolle Bereitschaft, seine Mutter zu stützen, als parentifiziertes Kind alles getan hat, um seiner Mutter zu helfen; so sei er jeden Tag bei seiner Mutter im Krankenhaus gewesen, was für das Kind nachvollziehbar, eine erhebliche Belastung war, die von ihm (notgedrungen) gestemmt wurde.

Nach den eigenen Angaben des Klägers war es diesem nicht möglich, "aus Angst" zur Beerdigung seiner Mutter fahren zu können. Auch dies macht deutlich, wie sehr der Klä-ger durch das Erleben im Zusammenleben mit seiner Mutter geprägt ist. Das Miterleben der psychischen Erkrankung seiner Mutter und deren Folgen sind ? wie die Gutachterin überzeugend dargelegt hat ? Umstände, die nach dem herrschenden Stand der wissenschaftlichen Lehrmeinung unstreitig geeignet sind, auch ganz jenseits schädigender Tatbestände, wie hier der hier in Rede stehende 1 ½jährige, rechtswidrige Zwangsaufenthalt im sog. "Jugendwerkhof", eine schwerwiegende psychische Gesundheitsstörung hervorzurufen.

Soweit der Kläger nun ? nicht zuletzt auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung ? die früher unabhängig voneinander beschriebenen Ängste bereits in jungen Jahren und die Beeinträchtigungen durch das Erlebte in der Kindheit relativiert, überzeugt dies weder die Gutachterin noch die Kammer.

Dem stehen nämlich durchweg die beigezogenen Krankhausunterlagen und Rehabilitationsberichte entgegen. So weist der Entlassungsbericht aus der Tagesklinik in H., in der der Kläger sich im März 1994 für mehrere Monate befand, aus, dass er damals angegeben hatte, er leide seit seinem 6. Lebensjahr unter "enormen Ängsten". Diese bestanden also schon 1968 und nicht erst nach 1980, dem Zeitpunkt der Entlassung aus der rechtsstaatswidrigen Unterbringung. Sodann hat er nach den entsprechenden Angaben in einem Bericht über eine Heilmaßnahme in O. in der Zeit vom 25.04. bis 06.06.2001 seinerzeit angegeben, dass er "seit 30 Jahren", unter Ängsten leidet, also ebenfalls deutlich vor Einwirkung des hier relevanten schädigenden Tatbestands. Schließlich hat der Kläger in den früheren Kliniken angegeben, dass er ab 1969 auch psychisch oder psychiatrisch mitbehandelt worden sei.

Es ist für die Kammer schon nicht nachvollziehbar, dass die Ärzte seinerzeit dies aufgenommen haben sollten, wenn es damals nicht so vom Kläger berichtet worden ist. Dar-über hinaus ? und hierauf verweist die Gutachterin C. überzeugend hin ? passen diese Angaben auch zu den vom Kläger ihr gegenüber angegeben Krisen. So ist auffällig, dass die die rechtsstaatswidrige Unterbringung mit Beginn der Behandlungsbedürftigkeit des Klägers ab Anfang der neunziger Jahre überhaupt keine Rolle spielte und das, obwohl der Kläger stetig Umgang mit Psychiatern und Psychotherapeuten hatte. Vor allem in den 1990er Jahren, als der Kläger sukzessive dekompensierte - in diesem Zusammenhang verweist die Gutachterin auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem langsamen Sterben der Mutter ? spielte die Unterbringung keine Rolle, sie fand keine Erwähnung in den Berichten. Mithin trat die Behandlungsbedürftigkeit des Klägers zu Beginn der 1990er Jahre in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Sterben der Mutter und demgegen-über deutlichem Abstand zu der Entlassung aus dem Jugendwerkhof ein.

In diesem Zusammenhang weiter auffällig ist, auch hierauf weist die Gutachterin zutreffend hin, dass in dem Zeitraum 1980 (Entlassung aus dem Jugendwerkhof) bis Sommer 1993 quasi keine Schädigungsfolgen aktenkundig dokumentiert sind, und zwar weder im Sozialversicherungsausweis der ehemaligen DDR, dessen Angaben, worauf bereits hingewiesen worden ist, zweifellos besonders kritisch zu hinterfragen sind, noch in den Rentenakten.

Die Kammer teilt vor diesem Hintergrund die Auffassung der Gutachterin, dass ein (zeitnaher) Primärschaden nicht dokumentiert ist. Die Gutachterin verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auch darauf, dass im Nachgang zu den Erlebnissen des Klägers im sog. "Jugendwerkhof" auch in der Biographie und Selbstbeschreibung des Klägers keine Reaktionen zu finden sind, die auf einen entsprechenden hierauf resultierenden Schaden hindeuten würden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf seine Arbeitsbiographie als auch auf sein übrigen Verhalten gegenüber dem damaligen (Unrechts-)Staat.

Die Gutachterin führt zusammenfassend aus: "Zur Zeit der in Frage stehenden schädigenden Vorgänge war schon ein pathologisches psychisches Geschehen vorhanden. Selbstverständlich kann man aus heutiger Sicht Niederlegungen von Behörden aus der ehemaligen DDR nicht kritiklos folgen. In Zusammenschau aller Unterlagen, die hier jetzt vorliegen, einschließlich der Angaben des Klägers zu seiner primären Biographie / Soziographie ist davon klar auszugehen, dass es erheblich belastende traumatisierende Lebensumstände gegeben hat eines zum damaligen Zeitpunkt höchst vulnerablen Jungen, der überhaupt keine sichere Bindung hatte zu einem "elterlichen Objekt" und schon vor der Einwirkung des schädigenden Vorgangs entsprechende psychopathologische Auffälligkeiten zeigte."

Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an. Die Gutachterin kommt mithin ? auch unter Berücksichtigung der vom Kläger im Übrigen beschriebenen Vita nach der Unterbringung im Jugendwerkhof ? überzeugend zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende wesentliche Gesundheitsstörung im Sinne einer strukturelle Störung der Persönlichkeit- und Reifungsentwicklung nach dem herrschenden Stand der wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht durch die rechtsstaatswidrige Unterbringung kausal im oben genannten Sinne hervorgerufen wurde. Die Feststellung eines GdS kommt vor diesem Hintergrund an sich nicht in Betracht.

Soweit Frau Dr. M. in ihrem Gutachten die zu der Einschätzung kam, beim Kläger liege als Schädigungsfolge eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und eine anhaltenden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung vor, ist dies mit dem Beschwerdebild des Klägers nicht in Einklang zu bringen. Es werden in dem Gutachten auch keine spezifischen schädigungsabhängige Symptome benannt. Diese lagen, wie das Gutachten von Frau C. überzeugend zeigt, auch nicht vor.

Nun verkennt freilich auch die Kammer nicht, dass bei dem Kläger eine nicht unerhebliche psychische Beeinträchtigung vorliegt, die zweifellos mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten nach sich zieht, mit der Folge, dass der ? hier freilich nicht in Rede stehende ? Grad der Behinderung (GdB) des Klägers sicherlich höher als 30 zu bewerten ist. Kausale Schädigungsfolgen, die einen Grad der Schädigungsfolge (GdS), von mehr als 30 bedingen würden sind aber nicht gegeben.

Selbst wenn man nämlich, vor dem Hintergrund, dass es aktuell nicht mehr möglich erscheint, alle Lebensumstände des Klägers, die zu seiner Entwicklung beigetragen haben, z.B. auch ein aktenkundig angegebenes partnerschaftliches Konfliktverhältnis auch für zurückliegende Jahre, aufzuklären und prozentual genau anzugeben, welche Mitursache (noch) zu welchen konkreten Beeinträchtigungen geführt hat, mit dem Beklagten davon ausgehen wollte, dass auch die Erlebnisse im Rahmen der rechtsstaatswidrigen Unterbringung des Klägers im Jugendwerkhof, zumindest einen Teil der bei diesem vorhandenen psychischen Beeinträchtigungen (mit-)verursacht haben, so bildet dieser Aspekt jedenfalls keinesfalls den wesentlichen Grund, der die Feststellung eines höheren GdS als bislang rechtfertigen würde.

Auch weitere beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörungen sind nicht als Schädigungsfolgen anzusehen. Dies gilt insbesondere auch für die insoweit von Dr. I. in Spiel gebrachte komplexe Immunstörung mit IgM-Mangel. Dies steht für die Kammer aufgrund des strahlenbiologischen Gutachtens der Prof. Dr. N. fest.

Zunächst ist hierbei freilich zu berücksichtigen, dass Art, Umfang und Dosis einer Strahlenbelastung des Klägers während seiner Zeit im Jugendwerkhof ? trotz entsprechender Bemühungen des Gerichts - nicht mehr konkret und mit letzter Gewissheit zu bestimmen sind. Es konnten aber durch die Stellungnahmen des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen sowie des Bundesamtes für Strahlenschutz gewisse Rückschlüsse gezogen werden. Das Landesamt teilte mit, ihm wären Aussagen ehemaliger Insassen des Jugendwerkhofs bekannt, wonach auf dem Fußweg zum Stahlwerk Freital sich die "Zwangsarbeiter" häufig auf den Anlagen der ehemaligen Uranerzaufbereitung aufgehalten hätten. Auf diesen Anlagen hätten auch häufig Freizeitaktivitäten stattgefunden. Darüber hinaus sei im Wohntrakt des Jugendwerkhofs aufgrund der dort verbauten Schlacke und anderer radioaktiv kontaminierter Baumaterialien zu erhöhten Radonexpositionen gekommen. Eine nachträgliche Überprüfung dieser Aussagen sei aber nicht (mehr) möglich.

Aus dem Schreiben des Bundesamtes für Strahlenschutz ergibt sich, dass die SAG/SDAG Wismut zwischen 1947 und 1989 im Raum Freital Kohle abgebaut hat, um daraus chemisch Uran abzutrennen; die anfallenden Schlämme wurden in industriellen Absetzanlagen ("Schlammteichen 1) abgelagert und nicht ausreichend uranhaltiges Gestein und Nebengestein wurde aufgehaldet. Der Jugendwerkhof befand sich neben einer solchen Halde aus kohlehaltigem Nebengestein aus dem Betriebszeitraum 1872-1960. Das Haldengelände umfasste ca. 12 Hektar und bestand aus Erdreich und Gestein mit erhöhten Gehalten an natürlicher Radioaktivität, die aus der Uran- Zerfallsreihe stammt. Die Messwerte der gamma-Ortsdosisleistung bei unmittelbarem Aufenthalt auf der Halde lagen maximal etwa beim Zehnfachen (1.600 nSv/h) des umgebenden natürlichen und unbeeinflussten Untergrundes (150 nSv/h) und waren im Mittel um etwa das Vierfache erhöht (630 nSv/h). Bereits nach 20 bis 30 m Abstand von der Halde maß man wieder die geologisch bedingten Untergrundwerte. Die Messwerte, die zwar erst 1995 erhoben worden sind, seien für den gesamten Zeitraum nach Produktionsende 1960 repräsentativ, da aufgrund der Langlebigkeit der vorhandenen natürlichen Radionuklide keine relevanten Veränderungen durch den radioaktiven Zerfall auftreten.

Beim Kläger kann unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse von Folgendem ausgegangen werden.

Der Kläger verbrachte die Zeit vom 30.08.1978 bis zum 16.04.1980 im Jugendwerkhof Freital, also insgesamt 595 Tage bzw. 14.280 Stunden. Wenn er sich die ganze Zeit 20 bis 30 m von der Halde entfernt aufgehalten hätte (also auf dem unbelasteten Untergrund), hätte er gemäß der Angabe des BfS eine Dosis von 2,1 mSv externe Strahlenexposition erhalten (14.280 h *150 nSv/h: 1,000.000+ = 2,1 mSv). Hätte er sich die ganze Zeit auf der Halde in dem durchschnittlich belasteten Bereich (mit 630 nSv/h) aufgehalten, hätte seine Dosis 9.0 mSv betragen und im maximal belasteten Bereich (mit 1.600 nSv/h) 22,8 mSv. Die Kammer geht mit dem Gutachter davon aus, dass es unrealistisch ist, anzunehmen, der Kläger habe sich durchgängig auf der Halde aufgehalten. Geht man davon aus, dass der Aufenthalt täglich 5 Stunden auf der Halde in dem durchschnittlich belasteten Bereich befunden hat, dann hätte er zusätzlich zu den 2,1 mSv, die dem natürlichen Untergrund entsprechen, eine Dosis von etwa 1,5 mSv erhalten und bei einem fünfstündigen täglichen Aufenthalt im maximal belasteten Bereich der Halde eine zusätzliche Dosis von knapp 5 mSv. Hierbei handelt sich nach den Feststellungen des Gutachters, der insoweit auf die Klassifikation der UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) Bezug nimmt, um insgesamt sehr niedrigen Strahlendosen (vgl. dazu UNSCEAR Report 2012 Sources, effects and risks of ionizing radiation, Annex A: Attributing health effects to ionizing radiation exposure and inferring risks, abrufbar unter: https://www.unscear.org/docs/publications/2012/UNSCEAR 2012 Annex-A.pdf). Diese Strahlendosen haben, wie der Gutachter nachvollziehbar darlegt, nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entweder gar keine Effekte auf das Immunsystem oder es wird in einigen Untersuchungen sogar eine Stimulation der Immunabwehr beschrieben. Konkret für den Fall von Immunglobulinen haben Studien gezeigt, dass ionisierende Strahlung eher zur Zunahme der IgM-Konzentration führt. Der Kläger leidet aber unter einem IgM-Mangel. Eine Kausalität der Erkrankung des Klägers mit dem Zwangsaufenthalt im Jugendwerkhof lässt sich hier mithin nicht feststellen. Soweit von einigen Mitinsassen des Jugendwerkhofs auf eine erhöhte Radon-Belastung in den Wohngebäuden verwiesen wurde, ohne dass diese Behauptung aktuell noch zu prü-fen wäre, weil die entsprechenden Gebäude nicht mehr vorhanden sind, ist ebenfalls mit dem Gutachter Prof. Dr. N. davon auszugehen, dass eine Kausalität nicht gegeben ist. Wenngleich definitiv nachgewiesen ist, dass Radon nach höheren Expositionen Lungenkrebs auslösen kann, finden sich keine Studien, die eine Auslösung von Entzündungsprozessen durch Radon belegen. Es wird vielmehr ? freilich nicht ganz unumstritten, davon ausgegangen, dass Radon in geringen Dosen entzündlichen Prozessen durchaus gerade entgegenwirkt. Auch insoweit passt das Krankheitsbild des Klägers nicht zu den Erkenntnissen einer Radon-Exposition.

Nach alledem kommt eine Berücksichtigung der Immunerkrankung als Schädigungsfolge ebenfalls nicht in Betracht.

Die vom Kläger begehrte Feststellung eines GdS von mehr als 30 nach § 21 StrRehaG i.V.m. § 30 Abs. 1, Abs. 2 BVG kommt nach alledem nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

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