LAG Köln, Beschluss vom 18.07.2019 - 6 TaBVGa 3/19
Fundstelle
openJur 2019, 31031
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 BVGa 9/19

1. Die einseitige, durch die Arbeitgeberin erfolgte Äußerung der Rechtsauffassung, der Arbeitsvertrag eines Betriebsratsmitglieds sei nichtig, ist im Eilverfahren nur dann als Einwand gegen den im Übrigen unstreitigen Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf störungsfreie Amtsausübung zu berücksichtigen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Betriebsrat im Hauptsacheverfahren unterliegt.

2. Allein wegen der Gegenseitigkeit des Arbeitsvertrages ist der Abschluss eines solchen, insbesondere die nachträgliche Befristung für die Zeit über die Regelaltersgrenze hinaus, keine Begünstigung eines Betriebsratsmitglied nach § 78 Satz 2 BetrVG, die in Verbindung mit § 134 BGB zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen könnte.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.06.2019 - 4 BvGa 9/19 - abgeändert und der Beteiligten zu 2 aufgegeben,

1. zu dulden, dass der Antragsteller über den 31.05.2019 hinaus seine Tätigkeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied im Betrieb der Region West ausübt;

2. dem Antragsteller über den 31.05.2019 hinaus Zugang zu seinem Büro am Sitz der Beteiligten zu 2 und allen anderen Betriebsstätten der Beteiligten zu 2 in der Region West zu gewähren, indem sie es unterlässt, den Dienstausweis mit der persönlichen Kennung des Antragstellers per Chip für das elektronische Zugangssystem zu sperren;

3. dem Antragsteller auch über den 31.05.2019 hinaus Zugang zu seinem Konto auf dem servergestützten EDV-System der Beteiligten zu 2 zu gewähren, indem sie sein dortiges Konto nicht sperrt;

4. dies alles jedoch nicht länger, als bis zu der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn Az: 4 Ca 1039/19 über die von der Beteiligten zu 2 behaupteten Nichtigkeit des Vertrages vom 07.02.2018 und längstens bis zum 31.03.2020.

Der hierüber hinausgehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsteller trotz der von der Arbeitgeberin behaupteten Nichtigkeit des sie verbindenden Arbeitsvertrages weiter als Betriebsrat tätig sein darf und Betriebsrat-Zugriff auf die EDV-Systeme haben soll.

Der Antragsteller ist im Februar 1951 geboren und seit April 1973 im S beschäftigt. Am 01.02.2007 ging das Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsüberganges auf die Beteiligte zu 2 über. Die Beteiligte zu 2 ist ein IT-Dienstleister, die ihre Dienste Bundesbehörden, insbesondere der Bundeswehr zur Verfügung stellt. Seit der Betriebsratswahl im Jahre 2008 war der Antragsteller bis ins Jahr 2018 Vorsitzender des Betriebsrats. Im Mai 2018 fand die vorerst letzte Betriebsratswahl statt. Auch dieses Mal ist der Antragsteller gewählt worden und seitdem stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats. Während der gesamten Zeit, also seit dem Jahre 2008, war der Antragsteller von der Arbeitsleistung freigestellt.

Nach den auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 unstreitig anwendbaren allgemeinen Anstellungsbedingungen endet das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze. Der Antragsteller erreichte diese Regelaltersgrenze zum (28.02.2016 + 3 Monate =) 31.05.2016. Im Einvernehmen mit der Beteiligten zu 2 arbeitete der Antragsteller über den 01.06.2016 hinaus weiter. Mit Vertragsurkunde vom 21.07.2016 vereinbarten die Beteiligten zu 1 und 2 die Befristung dieser Fortbeschäftigung zum 31.03.2018. Eine weitere Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wurde von den Beteiligten zu 1 und 2 mit Vertrag vom 07.02.2018 vereinbart, dieses Mal für die Zeit bis zum 31.03.2020. In den von der Arbeitgeberin nach § 99 BetrVG erstellten Betriebsratsanhörungen heißt es zur ersten Befristung: "Herr S möchte auch weiterhin für die B tätig sein. Aus betrieblicher Sicht bestehen keine Hinderungsgründe und wir würden ihm die Verlängerung der Beschäftigung gerne ermöglichen." In der Anhörung zur zweiten Befristung heißt es: "Aufgrund der persönlichen Situation von Herrn S sowie seines Wunsches auf Verlängerung und da einem weiteren Einsatz von Herrn S von Seiten des Unternehmens keine Gründe entgegenstehen, soll diese Verlängerung vorgenommen werden."

Nachdem intern Informationen bekannt geworden waren, die bei der Beklagten die Annahme nährten, dass es Compliance-Verstöße und insbesondere Unregelmäßigkeiten bei der Vergütung von Gremienmitgliedern gegeben habe, wurde von der Beteiligten zu 2 ein externes Gutachten in Auftrag gegeben (Bl. 51 d.A.). Dieses Gutachten kam mit Blick auf den Antragsteller - nach einer nicht entscheidungserheblich fehlerhaften Berechnung der Regelaltersgrenze des Antragstellers ("01.03.2016") - zu dem Ergebnis, dieser habe in der Vergangenheit zu viel Entgelt erhalten. Statt des zuletzt bezogenen Jahreszielentgelts in Höhe von 111.000,00 EUR sei unter Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung bei den vom Gutachter erkannten Vergleichsmitarbeitern von einem Jahreszielentgelt in Höhe von 105.283,75 EUR auszugehen. Nach dieser Berechnung habe der Antragsteller also ein um gut 5 % zu hoch bemessenes Entgelt erhalten. Aufgrund dieser Analyse hat die Arbeitgeberin für den nichtverfallenen Zeitraum einen Betrag in Höhe von ca. 3.000,00 EUR brutto vom Entgelt des Antragstellers einbehalten. Einbehalten hat sie auch einen Betrag in Höhe von gut 600,00 EUR für den Dienstwagen, der dem Antragsteller allerdings für den fraglichen Zeitraum nicht mehr zur Verfügung gestanden hatte. Diese Einbehalte sind zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 streitig. Weiter wird vom Gutachter die Auffassung vertreten, die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus stelle eine unzulässige Bevorzugung eines Betriebsratsmitglieds dar. Das zuletzt bis zum 31.03.2020 befristete Arbeitsverhältnis sei "umgehend zu beenden".

Mit Schreiben vom 06.05.2019, 16.05.2019 und 22.05.2019 teilte die Beteiligte zu 2 mit, sie schließe sich den Wertungen des Gutachters an. Nach ihrer Auffassung sei also zumindest das zuletzt befristet vereinbarte Arbeitsverhältnis wegen eines Verstoßes gegen das Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG nichtig. Mit dem Zugang dieser Mitteilung finde das Arbeitsverhältnis spätestens zum Ablauf des Monats, also zum 31.05.2019, sein Ende. Die Arbeitgeberin forderte den Antragsteller gleichzeitig auf, die Betriebsratstätigkeit einzustellen. Seit dem 01.06.2019 hat der Antragsteller keinen Zugang zum Betrieb mehr und keinen Zugang zu den EDV-Systemen der Arbeitgeberin und des Betriebsrats.

Die Frage der Nichtigkeit des letzten Arbeitsvertrages ist Gegenstand einer Bestandsstreitigkeit vor dem Arbeitsgericht Bonn 4 Ca 1039/19. Der Kammertermin soll im September 2018 stattfinden.

Mit dem seit dem 27.05.2019 beim Arbeitsgericht Bonn anhängigen Antrag, hat der Antragsteller eine einstweilige Regelung begehrt, die ihm die weitere Tätigkeit als Betriebsrat ermöglicht.

Der Antragsteller hat vorgetragen, der zuletzt abgeschlossene Vertrag sei nicht nichtig. Es liege kein Fall der Begünstigung vor, mithin kein Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG. Bei der Arbeitgeberin sei es nicht unüblich, dass über die Regelaltersgrenze hinaus weiter gearbeitet werde. Alleine in der Personalabteilung gebe es drei Fälle. Die einseitige Erklärung der Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis sei nichtig, könne nach seiner Auffassung nicht ausreichen, ihm die Amtsausübung unmöglich zu machen.

Der Antragsteller hat beantragt,

der Beteiligten zu 2 im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben,

1. zu dulden, dass der Antragsteller über den 31.05.2019 hinaus seine Tätigkeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied im Betrieb der Region West ausübt;

2. dem Antragsteller über den 31.05.2019 hinaus Zugang zu seinem Büro am Sitz der Beteiligten zu 2 und allen anderen Betriebsstätten der Beteiligten zu 2 in der Region West zu gewähren, indem sie es unterlässt, den Dienstausweis mit der persönlichen Kennung des Antragstellers per Chip für das elektronische Zugangssystem zu sperren;

3. dem Antragsteller auch über den 31.05.2019 hinaus Zugang zu seinem Konto auf dem servergestützten EDV-System der Beteiligten zu 2 zu gewähren, indem sie sein dortiges Konto nicht sperrt;

Die Beteiligte zu 2 hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass das Betriebsratsamt des Antragstellers gemäß § 24 Nr. 3 BetrVG wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erloschen sei. Die letzte Befristung sei entgegen dem Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG abgeschlossen worden und sei daher nichtig. Soweit der Antragsteller auf Mitarbeiter in der Personallabteilung Bezug nehme, die über die Regelaltersgrenze hinaus beschäftigt worden seien, sei dies irrelevant, da der Antragsteller nicht mit Mitarbeitern aus der Personalabteilung vergleichbar sei. Im Übrigen könne sie keinen Verfügungsgrund erkennen.

Mit Beschluss vom 26.06.2019 hat das Arbeitsgericht Bonn die Anträge zurückgewiesen. Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sei ungewiss. Genauso ungewiss sei es daher, ob das Betriebsratsamt fortbestehe. Während des Rechtsstreits über den Bestand des Arbeitsverhältnisses sei eine einstweilige Verfügung zur Ermöglichung der Fortführung des Amtes unzulässig. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Beendigung offensichtlich nicht in Betracht komme. Diese Grundsätze fänden nicht nur Anwendung bei Kündigungsschutzverfahren sondern auch bei anderen Bestandsstreitigkeiten, wie es sich aus der Entscheidung des LAG Köln vom 12.12.2001 - 8 TaBvGa 72/01 ergebe. Da noch keine erstinstanzliche Entscheidung über den Bestand des Arbeitsverhältnisses vorliege, komme eine einstweilige Verfügung nach dem Vorgesagten nicht in Betracht.

Gegen diesen im am 27.06.2019 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 04.07.2019 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig begründet.

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt er vor, die Verlängerung des Vertragsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus sei keine Begünstigung, erst recht keine unzulässige. Vielmehr bleibe er bei seinem erstinstanzlichen Vortrag, dem zufolge ihm zumindest in der Personalabteilung drei Fälle bekannt seien, bei denen die Vertragsverhältnisse über die Regelaltersgrenze hinaus fortgesetzt worden seien. Er halte an seiner Rechtsauffassung fest, dass die einseitige Erklärung des Arbeitgebers, der Arbeitsvertrag sei nichtig, nicht ausreichen könne, um ein Betriebsratsamt zu entziehen. Es brauche vielmehr eine (zumindest erstinstanzliche) Entscheidung über die Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses. Anderenfalls sei dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Das wiege mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit des Betriebsratsamtes besonders schwer.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.06.2019 - 4 BvGa 9/19 - abzuändern und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben,

1. zu dulden, dass der Antragsteller über den 31.05.2019 hinaus seine Tätigkeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied im Betrieb der Region West ausübt;

2. dem Antragsteller über den 31.05.2019 hinaus Zugang zu seinem Büro am Sitz der Beteiligten zu 2 und allen anderen Betriebsstätten der Beteiligten zu 2 in der Region West zu gewähren, indem sie es unterlässt, den Dienstausweis mit der persönlichen Kennung des Antragstellers per Chip für das elektronische Zugangssystem zu sperren;

3. dem Antragsteller auch über den 31.05.2019 hinaus Zugang zu seinem Konto auf dem servergestützten EDV-System der Beteiligten zu 2 zu gewähren, indem sie sein dortiges Konto nicht sperrt;

Die Beteiligte zu 2 beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ihr Obsiegen im Bestandsschutzverfahren sei nicht überwiegend unwahrscheinlich. Eine einstweilige Verfügung komme daher nicht in Betracht.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und ihre Anlage.

II. Die zulässige form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers, hatte in der Sache Erfolg.

Nach den Maßstäben des auch im Beschlussverfahren gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG zulässigen Verfahrens über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO hat der Antragsteller sowohl einen Verfügungsanspruch wie auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.

1. Der Antragsteller hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.

a. Als Betriebsratsmitglied hat der Antragsteller aus § 2 Abs. 1, § 36, § 37, § 78, § 80 BetrVG i.V.m. § 611 BGB und dem streitigen Arbeitsvertrag gegen die Beteiligte zu 2 Anspruch auf Erfüllung der Forderungen, die Gegenstand der Anträge zu 1 bis 3 sind. Das ist rechtlich zutreffend zwischen den Beteiligten nicht streitig, sofern ein bestehender Arbeitsvertrag angenommen wird. Den wirksamen Arbeitsvertrag unterstellt kann der Antragsteller in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied von der Arbeitgeberin also die Duldung seiner Betriebsratstätigkeit, den Zutritt zu seinem Büro sowie den Zugang zum EDV-System verlangen.

b. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass der Einwand der Arbeitgeberin, der dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegende Arbeitsvertrag sei nichtig, und das Betriebsratsamt des Antragsstellers sei daher gemäß § 24 Nr. 3 BetrVG erloschen, unbegründet ist. Dieser Einwand wäre im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung allenfalls dann zu berücksichtigen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Unterliegen des Betriebsrats im Bestandsschutzstreit - ArbG Bonn 4 Ca 1039/19 - anzunehmen wäre. Das Gegenteil ist aber der Fall.

(1) Die einseitige durch die Arbeitgeberin erfolgte Äußerung einer Rechtsauffassung über die Wirksamkeit eines Arbeitsvertrages ist nur dann als Einwand gegen den im Übrigen unstreitigen Anspruch des Betriebsratsmitglieds zu berücksichtigen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Betriebsrat im Hauptsacheverfahren unterliegt. Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich schon in rechtlicher Hinsicht von den Fällen, in denen nach Zustimmung oder nach Zustimmungsersetzung eine außerordentliche Kündigung als Gestaltungserklärung im Raume steht oder sich die Beendigung des ursprünglich bestehenden Arbeitsverhältnisses unmittelbar aus dem einvernehmlich geschlossenen Arbeitsvertrag selbst oder einer von diesem in Bezug genommenen abstraktgenerell wirkenden Betriebsordnung (vgl. LAG Köln 12.12.2001 - 8 TaBv 72/01) ergibt. Wäre die bloße Rechtsbehauptung, der Arbeitsvertrag sei von vornherein unwirksam, ausreichend, um ein Betriebsratsmitglied zu suspendieren und auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, würden zwingende gesetzliche Schutzmechanismen umgangen.

Die Rechtsbehauptung, der Vertrag sei nichtig, kommt mit Blick auf die mögliche Umgehung des gesetzlichen Schutzes der Betriebsratsarbeit einer einseitigen Suspendierung des Betriebsratsmitglieds gleich, die wegen des besagten Schutzes nur in extremen Ausnahmefällen zulässig ist (hierzu und im Folgenden mit weiteren Nachweisen: LAG Köln v. 02. 08.2005 - 1 Sa 952/05 -). Denn auch die einseitige Suspendierung ist weder eine Gestaltungserklärung, noch eine einvernehmliche Regelung, noch eine abstraktgenerelle Norm. Betriebsratsmitglieder sind nicht nur in ihrem Amt geschützt (§ 23 Abs. 1 BetrVG: Ausschluss aus dem Betriebsrat nur bei grober Pflichtverletzung). Vielmehr erfährt auch ihr Arbeitsverhältnis einen besonderen Schutz. Sie sind grundsätzlich nicht ordentlich kündbar (Ausnahme: § 15 Abs. 4, 5 KSchG), und auch die außerordentliche Kündigung ist nur unter erschwerten Voraussetzungen durchsetzbar. Die Beschäftigung von Betriebsratsmitgliedern kann nicht wie bei "normalen" Arbeitnehmern allein mit dem privatautonomen Gestaltungsmittel der außerordentlichen Kündigung - zumindest vorläufig - beendet werden, sondern ihr Arbeitsverhältnis bleibt so lange mit allen Wirkungen bestehen, bis die Gerichte für Arbeitssachen die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Kündigung nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt und der Arbeitgeber danach die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat. Damit will der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass das Arbeitsverhältnis der Betriebsratsmitglieder wegen deren exponierter Stellung und des erhöhten Risikos von Konflikten mit dem Arbeitgeber gefährdeter als das der sonstigen Mitarbeiter ist. Abgesehen von dieser individualrechtlichen Ebene ist aber auch die kollektivrechtliche betroffen. Der Gesetzgeber wollte zusätzlich die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassungsorgane sichern. Motiv der Sonderregelungen war zwar, das Betriebsratsmitglied vor "willkürlichen" außerordentlichen Kündigungen des Arbeitgebers zu schützen. Da jedoch die Grenze zwischen "willkürlichen" und "normalen" außerordentlichen Kündigungen schwer zu ziehen ist, hat der Gesetzgeber den Schutz auf alle außerordentlichen Kündigung erstreckt und angeordnet, dass dann, wenn der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung nicht zugestimmt hat, das Betriebsratsmitglied in keinem Fall ohne vorher rechtskräftig gerichtlich festgestellte Berechtigung außerordentlich entlassen werden darf. Die Regelung in § 103 BetrVG enthält damit in der Tat eine gewollte "überschiessende Tendenz". Dieser gesetzgeberische Zweck, der bei Betriebsratsmitgliedern gerade dem Fortbestand des wichtigen Kontaktes zwischen Betriebsratsmitglied und Belegschaft durch tatsächliche Beschäftigung bzw. Zugang zum Betrieb dient, würde verfehlt, wenn man dem Arbeitgeber ohne weiteres erlauben würde, in etwas anderer Form, nämlich mit dem milderen Mittel der Freistellung gerade das zu erreichen, was er mit einer außerordentlichen Kündigung erst nach rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens bewirken kann. Dass der Gesetzgeber mit § 103 BetrVG nicht nur ein gerichtliches Vorschaltverfahren für die außerordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern eingeführt hat, sondern gerade auch den Inhalt ihrer Arbeitsverhältnisse schützen wollte, zeigt das Betriebsverfassungs-Reformgesetz vom 23.07.2001 (BGBl. I S. 1852). Das Betriebsverfassungsgesetz sieht seitdem in Absatz 3 des § 103 BetrVG das gerichtliche Vorschaltverfahren auch für Versetzungen vor, die zu einem Verlust des Betriebsratsamtes führen würden. Der besondere Schutz sowohl vor der Beendigung als auch der Veränderung des Arbeitsverhältnisses von Betriebsratsmitgliedern macht deutlich, dass die Suspendierung von Betriebsratsmitgliedern nur unter erheblich erschwerten Voraussetzungen in Betracht kommt. Darin ist keine verbotene Begünstigung der Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG zu sehen. Der Gesetzgeber selbst hat mit der Spezialnorm des § 103 BetrVG den besonderen Schutz des Arbeitsverhältnisses von Betriebsratsmitgliedern geschaffen, der mit Hilfe eines im Gesetz nicht geregelten Instituts wie der Suspendierung nicht zu einem beachtlichen Teil unterlaufen werden darf. Nach allem kann der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied während des Verfahrens auf Zustimmungsersetzung nach § 103 BetrVG nur dann von der Arbeitspflicht suspendieren, wenn der Beschäftigung solche schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, die eine Verhinderung der Beschäftigung geradezu gebieten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn mit der Beschäftigung des Betriebsratsmitglieds erhebliche Gefahren für den Betrieb oder die dort tätigen Personen objektiv bestehen oder die durch konkrete Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass es zu Störungen des Betriebsfriedens oder des betrieblichen Ablaufs kommt. Grundsätzlich müssen somit Umstände hinzukommen, die über den "wichtigen Grund" für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung hinausgehen.

Werden die vorgenannten Grundsätze zur Suspendierung auf den Fall übertragen, in dem die Arbeitgeberin die Rechtsauffassung äußert, der Arbeitsvertrag, den sie mit dem Betriebsratsmitglied geschlossen habe, sei von Anfang an nichtig, so ergibt sich auch hier ein besonderes Bestandsinteresse des Gremiums und des Gremiumsmitglieds. Diesem Bestandsinteresse kann nur dann Rechnung getragen werden, wenn sich die Richtigkeit der von der Arbeitgeberin geäußerten Rechtsauffassung aufdrängt.

(2.) Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Beteiligte zu 2 im Hauptsacheverfahren über den Bestand des Arbeitsverhältnisses obsiegt. Das Gegenteil ist der Fall.

aa. Dass die weitere Ausübung der Betriebsratstätigkeit durch den Antragsteller den Betriebsfrieden stören würde, oder in einer anderen Weise ein "wichtiger Grund" dieser Betriebsratstätigkeit entgegenstehen könnte, hat die Arbeitgeberin nicht geltend gemacht.

bb. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand im vorliegenden Verfahren über den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung (der nicht notwendig dem Sach- und Streitstand des Hauptsacheverfahrens über den Bestand des Arbeitsverhältnisses entsprechen muss) ist mit einer hohen und überwiegenden Wahrscheinlichkeit von der Unrichtigkeit der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin, der Arbeitsvertrag sei nichtig, auszugehen.

Eine Begünstigung des Antragstellers, die gemäß § 134 BGB und § 78 Satz 2 BetrVG zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages vom 07.02.2018 führen könnte, ist nicht ersichtlich.

Die möglicherweise um ca. 5 % überhöhte Bemessung des Entgelts kann nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führen (das macht auch die Beteiligte zu 2 nicht geltend), sondern lediglich zu einem teilweise fehlenden Rechtsgrund. Die dennoch erfolgten Leistungen mögen ggfls. nach den Regelungen des Bereicherungsrechts abgewickelt werden.

Der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages als solcher ist keine Begünstigung. Es handelt sich um ein Austauschverhältnis, im Rahmen dessen der Vergütung auf der einen Seite die (Betriebsrats-)Arbeit auf der anderen Seite gegenübersteht. Der Arbeitnehmer erhält nicht nur Entgelt, sondern er verpflichtet sich im Gegenzug zu einer Leistung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses, die seine persönliche Lebensplanung in erheblichem Maße bestimmt und - je nach persönlicher Einstellung zum Unternehmen und zum konkreten Arbeitsplatz - einschränkt.

Durch die mit Vertrag vom 07.02.2018 geschlossene Vereinbarung der Befristung haben die Parteien eine den Antragsteller eher belastende Regelung getroffen. In der Anhörung der Beteiligten vor der erkennenden Kammer ist der Sachverhalt, der sich bereits in den schriftsätzlichen Äußerungen angedeutet hatte, unstreitig geworden, dass nämlich der Antragsteller im Einvernehmen mit der Beteiligten zu 2 über seine Regelaltersgrenze am 31.05.2016 hinaus weiter gearbeitet hat und erst am 21.07.2016 der erste befristete Vertrag über die Weiterbeschäftigung abgeschlossen worden ist. Vieles spricht dafür, dass durch die Weiterarbeit über die Altersbefristung hinaus ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu Stande gekommen ist, § 15 Abs. 5 TzBfG. Die erste Befristung war also eine nachträgliche Befristung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Mit Vereinbarung der weiteren Befristung durch Vertrag vom 07.02.2018 hat der Antragsteller auf die Überprüfung der Wirksamkeit der ersten Befristung verzichtet. Der Antragsteller hat mit der Arbeitgeberin nicht nur ein neues Vertragsverhältnis begründet, dass ihn zur (Betriebsrats-)Arbeitsleistung verpflichtet, ihn also gegenüber der Arbeitgeberin in einer Zeit zu Leistungen verpflichtet, in der er ohne weiteres ohne Leistungserbringung Sozialversicherungsrente und - hier als selbstverständlich unterstellt - Betriebsrente aus den Mitteln der Arbeitgeberin hätte beziehen können; vielmehr haben die Parteien mit der zweiten Befristung vereinbart, dass dem Antragsteller eine Rechtsposition genommen wird, nämlich die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der ersten Befristung. Wenn in der Gesamtbetrachtung die Vereinbarung nicht als neutral betrachtet wird, dann sprechen hiernach die Tatsachen überwiegend für eine Benachteiligung des Antragstellers und nicht für deren Gegenteil.

Dass von einer Begünstigung des Antragstellers nach derzeitigem Sachstand keine Rede sein kann, zeigt eine weitere unstreitige Tatsache: Unstreitig werden in der Personalabteilung der Beteiligten zu 2 mehrere Mitarbeiter jenseits der Altersgrenze beschäftigt. Der Einwand der Beteiligten zu 2, diese Mitarbeiter seien nicht vergleichbar mit dem Antragsteller, geht an der zu prüfenden Norm vorbei. Bei der Frage, ob die Begründung von Austauschverhältnissen für die Vertragsparteien günstiger oder ungünstiger sind, kommt es nicht auf die mit dem Antragsteller zu vergleichenden Arbeitnehmer an, an denen die angemessene Vergütung ermittelt wird, sondern auf die Üblichkeit im Unternehmen allgemein. Gerade die Personalabteilung als "Gesprächspartner" des Betriebsrats bietet sich hier besonders gut als Vergleichsbereich an.

Abschließend muss an die Tatsache erinnert werden, dass die Arbeitgeberin, die hier das Betriebsratsmitglied an seiner Gremiumsarbeit hindert, ihre Rechtsauffassung damit begründet, sie selbst habe rechtswidrig gehandelt, indem sie den Antragsteller mit dem Abschluss der befristeten Verträge begünstigt habe. Für diese Behauptung hätte es eines deutlichen Tatsachenvortrages bedurft, welche rechtswidrig handelnden Personen hier mit welcher Zielrichtung die Begünstigung des Antragstellers angestrebt haben sollen. Aus den Anhörungen des Betriebsrats nach § 99 BetrVG ergibt sich zu einer solchen Zielrichtung jedenfalls nichts.

2. Für den Erlass der einstweiligen Verfügung bestand auch ein Verfügungsgrund im Sinne der §§ 85 Abs. 2, 62 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO. Dass die von der erkennenden Kammer formulierte Leistungsverfügung zur zeitweiligen Befriedigung des Anspruchs des Antragstellers führt, ist unschädlich. Der Antragsteller ist dringlich auf die einstweilige Verfügung angewiesen, weil ihm dadurch, dass ihn die Beteiligte zu 2 nicht auf das Betriebsgelände lässt, nicht nur wegen des Zeitablaufs endgültiger Rechtsverlust droht, sondern auch seine Stellung als gewähltes Betriebsratsmitglied im Betrieb und - abermals gewählter stellvertretender Vorsitzender des Gremiums - nicht unerheblich erschüttert wird. Dem Antragsteller würde als Betriebsratsmitglied frühzeitiger Verlust des Ansehens als Amtsträger und des aus der Zusammenarbeit fließenden wichtigen Kontaktes mit der Belegschaft drohen. Dies reicht für den Verfügungsgrund. Höhere Anforderungen sind an ihn nicht zu stellen, da die deutlich überwiegenden Argumente für seinen Verfügungsanspruch auf Ermöglichung seiner Betriebsratsarbeit sprechen (LAG Köln v. 02. 08.2005 - 1 Sa 952/05 -).

Im Übrigen sind die Interessen der Beteiligten zu 2 dadurch gewahrt, dass die Beschwerdekammer die Wirkung der einstweiligen Verfügung - wie aus dem Tenor ersichtlich - im Hinblick auf das anhängige Hauptsacheverfahren zeitlich begrenzt hat.

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