LAG Hamm, Beschluss vom 07.08.2019 - 5 Ta 253/19
Fundstelle
openJur 2019, 30883
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 Ca 777/19

Erfolgt eine Beiordnung der Prozessbevollmächtigten im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches auch für den Mehrvergleich, so umfassen die der Prozessbevollmächtigten zu erstattenden Gebühren sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelösten Gebühren.

Hierzu gehören auch die Differenzverfahrensgebühr sowie die Differenzterminsgebühr, soweit die Voraussetzungen für deren Entstehen im Übrigen gegeben sind.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 21.06.2019 gegen den Prozesskostenhilfe-Bewilligungsbeschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 21.05.2019 - 6 Ca 777/19 - wird der Beschluss abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu formuliert:

Der Klägerin wird mit Wirkung vom 04.03.2019 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwältin S bewilligt mit Ausnahme der Zwangsvollstreckung unter Einschluss der Differenzgebühren für den Vergleichsmehrwert aus dem gerichtlichen Vergleich vom 18.03.2019.

Die Beiordnung erfolgt mit der Maßgabe, dass die Klägerin derzeit keinen eigenen Beitrag aus ihrem Einkommen zu leisten hat.

Gründe

I. Die Klägerin hatte unter dem 01.03.2019 eine Kündigungsschutzklage erhoben und bereits hier die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten auch für den Fall eines Mehrvergleiches über nicht anhängige Streitgegenstände unter Erstreckung der Beiordnung auch auf die Differenzverfahrensgebühr, die Terminsgebühr sowie die Einigungsgebühr.

Am 18.03.2019 schlossen die Parteien einen Vergleich, der neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die konkrete Abrechnung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sowie nachwirkende Verpflichtungen der Klägerin und einen Zeugniserteilungsanspruch regelte.

Für das Verfahren wurde ein Streitwert von 6.900,00 € mitgeteilt, der Streitwert für den Vergleich mit 62.300,00 €.

Mit Schreiben vom 03.04.2019 wies das Arbeitsgericht darauf hin, dass beabsichtigt sei, für das Verfahren und den Vergleich Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wobei hierdurch nur die Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert abgedeckt werde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben (Bl. 22/22R PKH-Akte) Bezug genommen.

Nachdem eine Stellungnahme nicht einging, erging unter dem 21.05.2019 der entsprechende Beschluss. Gegen diesen am 22.05.2019 zugestellten Beschluss wurde mit dem am 21.06.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2018 (BGH, Beschluss vom 17.01.2018, XII ZB 248/16, juris) vertritt die Klägerin die Auffassung, die Beiordnung im Rahmen eines Mehrvergleiches müsse für alle Gebührentatbestände erfolgen.

II. Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 11a Abs. 1, 78 ArbGG und §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff ZPO an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache begründet.

1. Die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten für den geschlossenen Mehrvergleich ist ohne Einschränkungen auf einzelne Gebührentatbestände vorzunehmen. Einer ausdrücklichen Tenorierung hierzu bedarf es im Beschluss nicht. Aus der Beiordnung der Prozessbevollmächtigten auch für den Mehrvergleich ergibt sich bereits, dass dieser hierfür alle aus der Prozesshandlung erwachsenden Gebührentatbestände zustehen.

a) Die Rechtsfrage, ob sich bei einer Einbeziehung bisher nicht anhängiger Streitgegenstände in einen Vergleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Mehrvergleich lediglich auf die entstehende Einigungsgebühr beziehe oder die Bewilligung damit für alle anfallenden Gebühren bis zur Höhe der Differenzverfahrens- und Differenzterminsgebühr erfolgt (wegen des rechtlichen Streitstandes in der Rechtsprechung siehe nur ausführlich BGH, Beschluss vom 17.01.2018, XII ZB 248/16, BeckRS 2018, 1191 Rz. 13 - 15) wurde unterschiedlich entschieden.

Durch den Beschluss vom 17.01.2018 (wie vor) hat der BGH nunmehr die Rechtsauffassung bestätigt, wonach der unbemittelte Verfahrensbeteiligte einen Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren hat, sei es im Wege der Auslegung des Beschlusses oder durch ausdrückliche Beschlussfassung.

Hierzu hat er ausgeführt:

Diese durch Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit wäre nicht gewahrt, wenn trotz der Erweiterung der bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs die dem beigeordneten Rechtsanwalt durch die Vornahme dieser Verfahrenshandlung nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes erwachsenden Gebühren teilweise nicht von der Staatskasse getragen würden und im Übrigen die Vergütungspflicht des bedürftigen Beteiligten bestehen bliebe. Anders als ein begüterter Verfahrensbeteiligter könnte der bedürftige Beteiligte in diesem Fall von der Möglichkeit, das anhängige Verfahren durch den Abschluss eines Mehrvergleichs zu beenden, nur dann Gebrauch machen, wenn er trotz seiner im Bewilligungsverfahren festgestellten Bedürftigkeit wirtschaftlich in der Lage wäre, die zusätzlich anfallenden Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Sollte er die hierfür erforderlichen Mittel nicht aufbringen können, bliebe ihm nur die Möglichkeit, bezüglich der nicht anhängigen Gegenstände ein gesondertes Verfahren zu betreiben und dort erneut um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe anzutragen. Dem bedürftigen Beteiligten würde dadurch gegenüber einem begüterten Beteiligten die - oft zweckmäßige - umfassende Regelung von streitigen Rechtsverhältnissen erheblich erschwert. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen tragfähigen sachlichen Grund.

Nach § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders. Der Begriff des Rechtszugs ist kostenrechtlich zu verstehen und bezeichnet jeden Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht. Nach §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1 RVG umfasst der gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts daher grundsätzlich sämtliche anwaltliche Gebühren, die aufgrund der Tätigkeit, die der beigeordnete Rechtsanwalt in dem von der Bewilligungsentscheidung erfassten Verfahrensabschnitt ausübt, anfallen. Eine auf bestimmte Gebührentatbestände beschränkte Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts sieht das Gesetz weder in den §§ 76 ff. FamFG noch in den §§ 114 ff. ZPO vor.

Da die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert erschöpft, sondern sich auch auf die Differenzverfahrens- und -terminsgebühr erstreckt, widerspräche eine Beschränkung der Verfahrenskostenhilfe auf die Einigungsgebühr nicht nur dem Grundsatz des § 45 Abs. 1 RVG, wonach der beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse erhält. Es bliebe auch unberücksichtigt, dass die zuletzt genannten Differenzgebühren in einem engen Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs stehen. Die Verfahrensgebühr ist sogar unlösbar mit der Entstehung der Einigungsgebühr verbunden und der unbemittelte Verfahrensbeteiligte darf darauf vertrauen, aufgrund der für den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligten Verfahrenskostenhilfe von sämtlichen Gebührenansprüchen freigestellt zu werden, die seinem beigeordneten Rechtsanwalt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den oben zitierten Beschluss (a.a.O., Rz. 18 - 20) Bezug genommen.

b) Die Kammer schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

Die Einigung innerhalb eines bereits anhängigen streitigen Verfahrens erfordert häufig die Miterledigung diverser, teilweise auch gar nicht unbedingt streitiger Gegenstände, um beide Parteien tatsächlich zu einer Einigung zu bewegen, die ansonsten nicht zustande käme, da eine Partei ohne eine vollumfängliche Regelung nicht bereit wäre, eine entsprechende Vereinbarung überhaupt zu treffen. Dieses könnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe fraglich machen, da eine einzelne Klageerhebung ggf. nicht für alle Ansprüche notwendig wäre. Die Mitregelung dieser Gegenstände bleibt aber Teil der insgesamt nur durch gegenseitiges Nachgeben zustande gekommenen Regelung, so dass aus der fehlenden Möglichkeit der Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht im Klagefall kein durchgreifendes Argument für eine Nichtbewilligung von Gebühren resultiert.

Eine mutwillige Erhöhung von Streitwerten ist durch eine solche Regelung nicht eröffnet, da der Inhalt des Vergleichstextes durch das Gericht mitbestimmt wird.

c) Einer gesonderten Antragstellung der Partei bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht, da sich bereits aus der Beiordnung auch im Rahmen des Mehrvergleiches die unter a) ausgeführte Rechtsfolge ergibt (siehe hierzu LAG Hamm, Beschluss vom 03.08.2018, - 8 Ta 653/17 -, juris).

2. Aus diesen Gründen war dem Antrag der Klägerin vollinhaltlich stattzugeben. Da auch die für Kostenangelegenheiten zuständige Kammer diese Rechtsauffassung teilt (LAG Hamm, Beschluss vom 03.08.2018, - 8 Ta 653/17 -, juris) und die ebenfalls mit Prozesskostenhilfeangelegenheiten befasste 14. Kammer angezeigt hat, dass dies ebenfalls der Fall ist, bestand keine Veranlassung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

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