VG Minden, Beschluss vom 30.08.2019 - 10 L 370/19.A
Fundstelle
openJur 2019, 30857
  • Rkr:

1. Die Regelung in § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG steht nicht mit Unionsrecht in Einklang.

2. Ob sich die Abweisung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet aufgrund einer anderen als der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge herangezogenen Rechtsgrundlage aufrecht erhalten lässt, hat das Gericht auf Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen eigenständig zu prüfen, solange die Heranziehung anderer als der im angefochtenen Bescheid genannten Normen und Tatsachen nicht zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheids führen oder den Betroffenen in seiner Rechtsverteidigung unzumutbar beeinträchtigen würde.

Tenor

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 10 K 1126/19. A wird abgelehnt. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der für die Abschiebung des Antragstellers zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die unter Ziffer 5 Satz 1 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2019 verfügte Ausreisefrist von einer Woche mit Bekanntgabe dieses Beschlusses zu laufen beginnt.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller.

Gründe

Der zulässige, insbesondere innerhalb der einwöchigen Antragsfrist (§§ 74 Abs. 1 Halbsatz 2, 36 Abs. 3 Sätze 1 und 10 AsylG) gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 10 K 1126/19.A anzuordnen,

ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I. Soweit sich der Antrag auf die in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung bezieht, ist er mit Ausnahme der aus dem Tenor ersichtlichen Anordnung unbegründet.

Es bestehen vorliegend keine Gründe, die es rechtfertigen, der Klage gegen die Abschiebungsandrohung entgegen der gesetzlichen Grundentscheidung (§§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG) aufschiebende Wirkung zu verleihen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag - wie hier - als offensichtlich unbegründet ablehnt, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass dieser einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, NVwZ 1996, 678 (juris Rn. 99).

"Angegriffen" i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Abschiebungsandrohung. Gegenstand dieses Verfahrens ist allein die Frage, ob die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) erlassene Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -,BVerfGE 94, 166 (juris Rn. 93).

Dies setzt voraus, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§§ 29a Abs. 1, 30 AsylG) vorliegen, dass der Abschiebung des Asylbewerbers in den in der Abschiebungsandrohung benannten Staat keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG entgegenstehen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), dass der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG) und dass die Abschiebungsandrohung auch sonst nicht zu beanstanden ist. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Abschiebungsandrohung den Anforderungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348, S. 98; sog Rückführungsrichtlinie) gerecht wird; im Anwendungsbereich dieser Richtlinie (Art. 2 und Art. 3 Nr. 3) ist die Abschiebungsandrohung die Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Abs. 4 RL 2008/115/EG.

Vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 21/17 -, juris Rn. 18; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 -, juris Rn. 10; Wittkopp, ZAR 2018, 325, 326.

Gemessen daran bestehen - mit Ausnahme der unter Ziffer 5 Satz 1 verfügten Ausreisefrist - keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 20. März 2019 unter Ziffer 5 enthaltenen Abschiebungsandrohung, mit der dem Antragsteller für den Fall, dass er die einwöchige Ausreisefrist nicht einhält, die Abschiebung nach Algerien angedroht wird. Sowohl das hinter der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet stehende Regelungskonzept des Gesetzgebers als auch die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens in Asylsachen stehen mit Unionsrecht in Einklang (1.). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt (2.) Auf Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich der Antragsteller ebenfalls nicht mit Erfolg berufen (3.). Die Abschiebungsandrohung ist - bis auf die unter Ziffer 5 Satz 1 des angefochtenen Bescheids verfügte Ausreisefrist - nicht zu beanstanden (4.). Die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist lässt die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen unberührt und führt nur zum Erlass der aus dem Tenor ersichtlichen Anordnung, nicht aber zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Klage (5.). Der Verstoß des Bundesamts gegen die ihm nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs obliegenden Informationspflichten führt ebenfalls nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (6.).

1. Das hinter der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet stehende Regelungskonzept des Gesetzgebers, nach dem ein Antragsteller, dessen Asylantrag vom Bundesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens abgeschoben werden kann, steht sowohl mit der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60; sog Verfahrensrichtlinie)

- vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 19 bis 22-,

als auch mit der Richtlinie 2008/115/EG

- vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 23 bis 44 mit ausführlicher Begründung -,

in Einklang. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des in §§ 36 Abs. 3 AsylG, 80 Abs. 5 VwGO vorgesehenen Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtschutzes hält einer Überprüfung am Maßstab des Unionsrechts ebenfalls stand. Dies gilt sowohl hinsichtlich der vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Anforderungen an die Wirksamkeit eines gegen eine Rückkehrentscheidung (im nationalen Recht: die Abschiebungsandrohung) einzulegenden Rechtsbehelfs

- vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 (Gnandi) -, NVwZ 2018, 1625, Rn. 56, 58 und 61f. -,

die durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG gewährleistet ist

- vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 45 bis 52 mit ausführlicher Begründung -,

als auch für die Ausgestaltung des Verfahrens im Übrigen.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 53 bis 83 mit ausführlicher Begründung.

2. Nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) hat das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das Bundesamt konnte die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet zwar nicht auf § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG stützen [a)]. Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet ist jedoch § 30 Abs. 1 AsylG [b)] sowohl in Bezug auf den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft [c)], als auch die Anerkennung als Asylberechtigten [d)] und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus [e)]. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 26 AsylG [f)].

a) Das Bundesamt durfte nicht § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG als Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet heranziehen. Nach dieser Vorschrift ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a AsylG als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der den Asylantrag des Vaters des Antragstellers ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 13. Februar 2016 ist seit dem 22. Juni 2016 bestandskräftig. Eine von der Mutter des Antragstellers gegen den sie betreffenden ablehnenden Bescheid des Bundesamtes erhobene Klage hat das erkennende Gericht mit Urteil vom 28. März 2017 (Az.: 10 K 886/16.A) rechtskräftig abgewiesen. Der Asylantrag des am 00.00.0000 geborenen Antragstellers, für den keine eigenen Asylgründe geltend gemacht werden, galt indes erst mit Eingang des Schreibens des Kreises N. -M. vom 31. Januar 2019 als am 07. Februar 2019 gestellt (vgl. § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylG). Die Vorschrift des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG steht jedoch nicht mit der Richtlinie 2013/32/EU in Einklang.

Nach Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU können die Mitgliedstaaten im Falle von unbegründeten Anträgen, bei denen einer der in Artikel 31 Absatz 8 RL 2013/32/EU aufgeführten Umstände gegeben ist, einen Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Dabei ist die in Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU erfolgte Aufzählung abschließend, weil Art. 5 RL 2013/32/EU bei Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes lediglich die Einführung und die Beibehaltung günstigerer Bestimmungen vorsieht.

Vgl. VG Minden, Kammerbeschluss vom 04. Juli 2016 - 10 L 898/16.A -, Asylmagazin 2016, 321 (juris Rn. 25 ff.); VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 5 L 3947/15.A -, juris Rn. 20 ff.

Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU enthält in seiner enumerativen Aufzählung indes keine rechtliche Grundlage, auf die sich eine nationale Vorschrift wie § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG stützen ließe.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 04. Juli 2019 - 6 L 715/19.A -, juris Rn. 8 ff. m. w. N.

Aufgrund der Unvereinbarkeit mit Unionrecht ist § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG nicht anzuwenden.

Vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - C-462.99 - juris Rn. 40; EuGH, Urteil vom 09. März 1978 - C-106/77 -, juris Rn. 21-24.

b) Die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes ist jedoch jedenfalls im Ergebnis zutreffend und damit nicht ernstlich zweifelhaft im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Das Gericht gelangt auf Grund des ihm bekannten Sachverhalts zu der Überzeugung, dass der Asylantrag des Antragstellers in der Sache nach § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet ist, das Bundesamt den Asylantrag also jedenfalls nach dieser Vorschrift als offensichtlich unbegründet hätte ablehnen können.

Ob sich die Abweisung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet aufgrund einer anderen als der vom Bundesamt herangezogenen Rechtsgrundlage aufrecht erhalten lässt, hat das Gericht auf Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen eigenständig zu prüfen, solange die Heranziehung anderer als der im angefochtenen Bescheid genannten Normen und Tatsachen nicht zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheids führen oder den Betroffenen in seiner Rechtsverteidigung unzumutbar beeinträchtigen würde.

Vgl. VG Minden, Kammerbeschluss vom 04. Juli 2016 - 10 L 898/16.A -, Asylmagazin 2016, 321 (juris Rn. 36 ff.) m. w. N.

§ 30 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass ein Asylantrag offensichtlich unbegründet ist, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes - also der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) - offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist der Fall, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) vernünftigerweise kein Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung, d.h. nach dem Stand der Rechtsprechung und der Lehre, sich die Abweisung des Antrags geradezu aufdrängt.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 02. Mai 1984 - 2 BvR 1413/83 -, BVerfGE 67, 43 (juris Rn. 27), sowie vom 21. Juli 2000 - 2 BvR 1429/98 -, NVwZ 2000, Beilage Nr. 12, 145 (juris Rn. 3); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 30 Rn. 13 m. w. N.

Allerdings ist § 30 Abs. 1 AsylG dann, wenn der Asylantrag - wie hier - nach dem 20. Juli 2015 gestellt wurde, jedenfalls soweit es um die mit dem angefochtenen Bescheid angestrebte Beendigung des Verbleibs eines Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland vor rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens geht, unionsrechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter gestützt auf diese Norm nur dann als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden dürfen, wenn die Voraussetzungen des Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. a) bis g sowie lit. i) und j) RL 2013/32/EU vorliegen.

Vgl. VG Minden, Kammerbeschluss vom 04. Juli 2016 - 10 L 898/16.A -, Asylmagazin 2016, 321 (juris Rn. 25 ff.) mit ausführlicher Begründung.

Gemäß Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. a) RL 2013/32/EU kann ein Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind.

c) Der Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist offensichtlich unbegründet. Eigene, individuelle Verfolgungsgründe werden für den Antragsteller von seinen vertretungsberechtigten Eltern nicht geltend gemacht. Soweit der Antragsteller sich im Gerichtsverfahren mit Schriftsatz vom 26. August 2019 auf die Gründe für den Asylantrag seiner Mutter bezogen hat, sind diese für die Prüfung der Frage, ob der Antragsteller als Flüchtling anzuerkennen ist, nicht von Belang.

aa) Bei der von der Mutter des Antragstellers geltend gemachten Bedrohung durch ihre Brüder handelt es sich schon deshalb nicht um Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, weil die kriminellen Handlungen ihrer Brüder nicht an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 3b Abs. 1 AsylG abschließend aufgezählten Verfolgungsgründe anknüpfen. Insbesondere drohen ihr und dem Antragsteller die geltend gemachten Verfolgungsmaßnahmen nicht als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.

bb) Darüber hinaus sind sie auf Schutz durch die algerischen Behörden zu verweisen. Gemäß § 3c Nr. 3 AsylG kann Verfolgung auch von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehen, sofern der Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen, nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass kein Staat der Welt - bekanntlich auch nicht die Bundesrepublik Deutschland - einen lückenlosen Schutz vor Kriminalität oder sonstigen Übergriffen durch private Dritte bieten kann. Entscheidend kann im vorliegenden Zusammenhang allein sein, dass der betreffende Staat bereit und in der Lage ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im Großen und Ganzen Schutz zu gewähren.

Vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Oktober 2005 - A 12 S 603/05 -, juris Rn. 29.

Dass dies in Algerien in Bezug auf etwaige Übergriffe der hier in Rede stehenden Art nicht der Fall wäre, kann auf Basis der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.

cc) Im Übrigen müssen sich der Antragsteller und seine Mutter auf internen Schutz (§ 3e AsylG) verweisen lassen. Angesichts ihres Vortrags kann von ihnen vernünftigerweise erwartet werden, nicht an den ehemaligen Wohnort seiner Mutter (P. ) zurückzukehren, sondern sich irgendwo anders in Algerien, insbesondere in einer anderen Großstadt wie z.B. Algier (ca. 2,3 Mio Einwohner), Constantine (ca. 448.000 Einwohner), Annaba (ca. 342.000 Einwohner) oder Bilda (ca. 331.000 Einwohner)

- vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Algerien (abgerufen am 25. März 2019) -,

niederzulassen. Es ist weder nachvollziehbar dargelegt noch anderweitig ersichtlich, wie etwaige Verfolger sie dort angesichts dessen, dass Algerien über ca. 40 Mio Einwohner verfügt

- vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Algerien (abgerufen am 25. März 2019) -,

finden könnte, zumal die Mutter des Antragsteller zwischenzeitlich mehrere Jahre im Ausland verbracht hat. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in einem Untertauchen in einer der größeren Städte Algeriens ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien, 25. Juni 2019, Stand: Mai 2019, S. 17.

Dass etwaige Verfolger über sieben Jahre nach der Ausreise der Mutter des Antragstellers aus Algerien im Mai 2012 überall in Algerien nach ihnen Ausschau halten, ist nicht ansatzweise plausibel dargelegt.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass das wirtschaftliche Existenzminium des Antragstellers in Algerien gesichert sein wird. Insofern ist er auf die Versorgung durch seine Eltern zu verweisen. Diesbezüglich ist auch davon auszugehen, dass der minderjährige Antragsteller zusammen mit seinen Eltern nach Algerien zurückkehren wird. Für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 04. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 15 bis 19.

Den Eltern des Antragstellers wird es in Algerien gelingen, durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige zu erwirtschaften. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können.

Vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 01. Februar 2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590 (juris Rn. 11); OVG NRW, Urteil vom 17. November 2008 - 11 A 4395/04.A -, juris Rn. 47.

Es ist nicht feststellbar, dass die Eltern des Antragstellers eine diesen Anforderungen genügende Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, in Algerien nicht vorfinden bzw. nicht nutzen können wird. Insbesondere warum dem Vater des Antragstellers der Aufbau einer entsprechenden wirtschaftlichen Existenz nicht erneut gelingen sollte, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Anzeichen einer Erwerbsunfähigkeit sind nicht ersichtlich, so dass es ihnen zumindest durch Gelegenheitsarbeiten in Algerien gelingen wird, ihr wirtschaftliches Existenzminimum zu sichern.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den eingereichten Unterlagen zum Gesundheitszustand der Mutter des Antragstellers, namentlich dem Bericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie Dr. T. vom 04. April 2017 und dem "Gutachten in der Familiensache Jugendamt Q. X. gegen C. u.a. Az. 33 F 70/17" des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. C1. vom 27. Juli 2018. Die vorgelegten Unterlagen sind bereits nicht aktuell - sie stammen aus April 2017 und Juli 2018, d.h. sie sind über ein bzw. zwei Jahre alt und geben daher den aktuellen Gesundheitszustand der Mutter des Antragstellers nicht wieder. Es lässt sich aus ihnen jedoch auch ungeachtet ihres Alters nichts entnehmen, wonach die Mutter des Antragstellers nicht in der Lage wäre sich in Algerien um den Antragsteller zu kümmern. Bei ihr war im Bericht vom April 2017 im Anschluss an einen Zwischenfall mit den Kindern ihrer Schwester eine akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie sowie eine drogeninduzierte bzw. cannabisindizierte Psychose diagnostiziert worden. Laut dem Gutachten von Dr. C1. zeigte die Mutter des Antragstellers bereits Ende Juli 2018 nicht länger die im Entlassungsbericht aufgezählten Symptome, sondern befand sich - wie es bei der bei ihr gestellten Diagnose auch zu erwarten sei - in einem ausgeglichenen psychiatrischen Zustand. Schwere Stresssituationen und der Konsum von Drogen seien zwar zu vermeiden, da nicht auszuschließen sei, dass diese eine ähnliche Krankheitsepisoden auslösen könnten. Es sei jedoch aktuell davon auszugehen, dass die diagnostizierte Störung ausgeheilt sei, eine regelmäßige therapeutische oder medikamentöse Behandlung sei nicht erforderlich. Eine psychiatrische Vorstellung in großen Abständen, zum Beispiel alle zwei bis vier Monate zur Kontrolle, sei jedoch sinnvoll. Letzteres wäre zur Überzeugung des Gerichts für die Mutter des Antragstellers aber auch in Algerien möglich. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln wird die medizinische Grundversorgung in Algerien mit einem für die Bürger weitgehend kostenlosen Gesundheitssystem auf niedrigem Niveau sichergestellt. Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es in den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien, 25. Juni 2019, Stand: Mai 2019, S. 20.

Dem ganzen steht auch nicht entgegen, dass der Vater des Antragstellers laut dessen Vortrag zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten verurteilt wurde. Nach Auskunft der Ausländerbehörde des Kreises N. -M. , hat der Vater die letzte gegen ihn verhängte Haftstrafe von drei Monaten am 05. April 2019 abgesessen und ist aktuell in Q. X. gemeldet. Es besteht für das Gericht daher kein Anlass zur Annahme, der Vater des Antragstellers würde nicht gemeinsam mit seiner Familie nach Algerien zurückkehren.

Außerdem ist es dem Antragsteller und seiner Familie zumutbar, sich an ihre Verwandten zu wenden. Den Angaben der Mutter des Antragstellers zufolge leben in Algerien noch ihr Vater und ihre Mutter, die nicht gegen die Heirat gewesen sind und von denen mithin nicht ersichtlich ist, dass sie nicht bereit und/oder in der Lage sein sollten, den Antragsteller und seine Familie entgegen der üblichen Gepflogenheiten in der Kultur, aus der sie stammen finanziell (auch an einem anderen Ort als P. ) zu unterstützen. Gleiches gilt für ihre in Deutschland lebende Schwester, mit der sie angibt in Kontakt zu stehen.

Darüber hinaus können der Antragsteller und seine Familie im Falle ihrer freiwilligen Rückkehr nach Algerien über das Government Assisted Repatriation Programme (GARP) eine Starthilfe von 1.000,- € erlangen.

Vgl. BMI/BAMF/IOM, REAG/GARP-Programm 2019, S. 10 (abgerufen am 9. April 2019 unter http://files.returningfromgermany .de/files/20190118_Leitlinien_REAGGARP.PDF).

Dies entspricht etwa 134.000,- algerischen Dinar und damit etwa dem Siebenfachem des gesetzlichen monatlichen Mindesteinkommens in Algerien. Dieses beläuft sich seit 2012 auf 18.000 Dinar (etwa 130 Euro).

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien, 25. Juni 2019, Stand: Mai 2019, S. 8.

Ist demzufolge eine dem Antragsteller in Algerien drohende Verfolgung noch nicht einmal ansatzweise dargelegt, drängt sich die Abweisung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise geradezu auf.

d) Die Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu. Denn die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist. Dementsprechend liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter ebenfalls offensichtlich nicht vor. Auf die Ausführungen unter c) wird verwiesen.

e) Auch subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) kann der Antragsteller offensichtlich nicht beanspruchen. Anhaltspunkte dafür, dass ihm im Falle seiner Rückkehr nach Algerien landesweit ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG droht, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Auch insoweit muss er sich auf internen Schutz (§§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e Abs. 1 AsylG) verweisen lassen, so dass der Antragsteller nur Umstände vorgebracht hat, die für seinen Antrag auf subsidiären Schutz nicht von Belang sind. Auf die Ausführungen unter c) wird verwiesen.

f) Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) die Voraussetzungen des § 26 AsylG vorliegen würden. Weder ist ein Elternteil des Antragstellers unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt, noch ist einem von ihnen unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt oder subsidiärer Schutz gewährt worden (vgl. § 26 Abs. 2 und Abs. 5 AsylG).

Nichts anderes ergibt sich aus der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, die Ablehnung eines Asylantrags eines minderjährigen Asylantragstellers als offensichtlich unbegründet komme nur dann in Betracht, wenn auch ein Anspruch auf Familienasyl und internationalen Schutz für Familienangehörige offensichtlich ausscheidet. Insofern soll, soweit ein minderjähriger Asylantragsteller - wie hier - sein Verfolgungsschicksal von dem seiner Eltern ableitet, eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet erst - aber auch immer dann - möglich sein, wenn der Asylantrag der stammberechtigten Eltern vom Bundesamt überprüft und ebenfalls qualifiziert als offensichtlich unbegründet oder zwar als "einfach" unbegründet, aber bestandskräftig abgelehnt worden ist.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 04. Juli 2019 - 6 L 715/19.A -, juris Rn. 19-22 m. w. N.

Das ist hier aber - wie bereits aufgezeigt - mit den die Eltern des Antragstellers betreffenden rechtskräftigen Bescheiden der Fall.

3. Auf Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich der Antragsteller ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Es ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht ersichtlich, dass ihm in Algerien landesweit

- vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 1 C 3.11 -, BVerwGE 142, 179 (juris Rn. 34), sowie Beschluss vom 15. September 2006 - 1 B 116.06 -, juris Rn. 4 -

Eingriffe in die durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198) geschützten Rechte oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen. Insbesondere ist das Gericht davon überzeugt, dass es dem Antragsteller bzw. seinen Eltern im Falle ihrer Rückkehr nach Algerien - wie bereits dargelegt - gelingen wird, dort ihr Existenzminimum zu sichern.

4. Die Abschiebungsandrohung ist - mit Ausnahme der einwöchigen Ausreisefrist, die ausweislich Ziffer 5 Satz 1 des angefochtenen Bescheids mit dessen Bekanntgabe zu laufen beginnt (c) - ebenfalls rechtmäßig. Der Antragsteller hält sich illegal im Bundesgebiet auf (a). Die Abschiebungsandrohung durfte mit der Ablehnung des Asylantrags verbunden werden (b).

a) Der Antragsteller hält sich illegal im Bundesgebiet auf. Dies ist gemäß Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsandrohung, bei der es sich - wie bereits dargelegt - um eine Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG handelt. Gemäß Art. 3 Nr. 2 RL 2008/115/EG hält sich ein Drittstaatsangehöriger dann illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auf, wenn er nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllt. Letztere Voraussetzung liegt aus Sicht des Unionsrechts vor: Unionsrechtlich ist der Aufenthalt des Antragstellers seit der Ablehnung seines Asylantrags i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG illegal. Dem steht nicht entgegen, dass dem Antragsteller bis zur Entscheidung über den vorliegenden Antrag gemäß § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG und in Übereinstimmung mit Art. 46 Abs. 8 RL 2013/32/EU ein Bleiberecht im Bundesgebiet zusteht.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 107 ff. i.V.m. Rn 46 ff. mit ausführlicher Begründung.

b) Die Abschiebungsandrohung durfte nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG mit der Ablehnung des Asylantrags verbunden werden. Die hierfür vom Gerichtshof der Europäischen Union in Auslegung des Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115 EG aufgestellte Voraussetzung, dass der Rechtsbehelf gegen die Rückkehrentscheidung seine volle Wirksamkeit entfaltet, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und für den Fall, dass er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind

- vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 (Gnandi) -, NVwZ 2018, 1625, Rn. 61 ff. -,

ist nach nationalem Recht gewährleistet.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 118 bis 131 mit ausführlicher Begründung.

c) Die dem Antragsteller gesetzte Ausreisefrist von einer Woche ist angesichts dessen, dass sie ausweislich Ziffer 5 Satz 1 des angefochtenen Bescheids mit dessen Bekanntgabe zu laufen beginnt, rechtswidrig. Dies steht weder mit Unionsrecht noch mit dem unionsrechtskonform ausgelegten nationalen Recht in Einklang.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 137 bis 156 mit ausführlicher Begründung.

5. Die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist lässt die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung jedoch unberührt

- vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 158 -

und führt nur zum Erlass der aus dem Tenor ersichtlichen Anordnung, nicht aber zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Klage. Denn die vom Bundesamt verfügte Ausreisefrist wird sich mit der Bekanntgabe des vorliegenden Beschlusses an die Beteiligten erledigen und durch eine neue unionsrechtskonforme Ausreisefrist ersetzt. Dies folgt aus § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG, die gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Asylverfahren Anwendung finden.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 167 f. mit Begründung.

Entfaltet die vom Bundesamt - rechtswidrig - verfügte Ausreisefrist keine Rechtswirkungen mehr und tritt an ihre Stelle eine unionsrechtskonforme Ausreisefrist, besteht keine Notwendigkeit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Jedoch ist der Erlass der aus dem Tenor ersichtlichen Anordnung erforderlich, um zu gewährleisten, dass das Bundesamt und die die Abschiebung des Antragstellers durchführende Ausländerbehörde dem Antragsteller nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens die erforderliche Frist zur freiwilligen Ausreise einräumen. Der Antrag für den Erlass dieser auf § 123 Abs. 1 VwGO basierenden Anordnung ist bei verständiger Würdigung des Schutzbegehrens des Antragstellers in dem von seiner Prozessbevollmächtigten formulierten Antrag mitenthalten.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris Rn. 161 ff.

6. Der Verstoß des Bundesamts gegen die ihm nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs obliegenden Informationspflichten führt ebenfalls nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers.

a) Nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil vom 19. Juni 2018 obliegen dem Bundesamt Informationspflichten, wenn es die Rückkehrentscheidung - wie hier - mit der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz verbindet. Danach sind die betroffenen Personen über die Aussetzung aller Wirkungen der Rückkehrentscheidung bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs bzw. bei fristgerechter Einlegung bis zur Entscheidung über diesen und die hieraus resultierenden Folgen (keine Abschiebung, keine Verlassenspflicht, kein Anlauf der Ausreisefrist, keine Abschiebungshaft, Fortgeltung der Rechte nach der Richtlinie 2013/33/EU, Zulässigkeit des Vorbringens neuer Umstände im gerichtlichen Verfahren) zu informieren.

Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni - C-181/16 (Gnandi) -, NVwZ 2018, 1625, Rn. 65; Wittkopp, ZAR 2018, 325, 329.

Diesen Informationspflichten ist das Bundesamt nicht gerecht geworden. Es lässt sich dem vom Bundesamt übersandten Verwaltungsvorgang kein Hinweis dafür entnehmen, dass das Bundesamt den Antragsteller entsprechend informiert hat.

b) Der Verstoß des Bundesamts gegen die ihm obliegenden Informationspflichten begründet jedoch im Hauptsacheverfahren keinen Anspruch des Antragstellers auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung und führt deshalb auch nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.

Ein Verstoß gegen unionsrechtliche Informationspflichten führt nur dann zur Rechtswidrigkeit und Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung, wenn aufgrund der speziellen tatsächlichen und rechtlichen Umstände des konkreten Falls feststeht, dass der Verfahrensfehler demjenigen, der sich auf ihn beruft, tatsächlich die Möglichkeit genommen hat, sich in solchem Maße besser zu verteidigen, dass dieses Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

Vgl. EuGH Urteil vom 10. September 2013 - C-383/13 PPU (M.G.) -, BayVBl. 2014, 140, Rn. 39 bis 44 zur Verletzung des rechtlichen Gehörs vor der Verlängerung von Abschiebungshaft.

Bei Anlegung dieses Maßstabs lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller dadurch, dass das Bundesamt den ihm obliegenden Informationspflichten nicht nachgekommen ist, im vorliegenden Verfahren nennenswert in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt, das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint und ihm unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Algerien angedroht. Es ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass und inwieweit der Verstoß des Bundesamts gegen die ihm obliegenden Informationspflichten dem rechtsanwaltlich vertretenen Antragsteller die Möglichkeit genommen hat, weitere Argumente gegen die Ablehnung seines Asylantrags, die Verneinung von Abschiebungsverboten und seine Abschiebung nach Algerien vorzubringen, die das Bundesamt dazu veranlasst hätten, eine andere Entscheidung zu treffen. Dies gilt insbesondere auch bezüglich des Vorbringens von nachträglich eingetretenen Umständen. Dass Gericht ist davon überzeugt, dass die Beachtlichkeit derartiger Umstände, die sich ohne weiteres aus § 77 Abs. 1 AsylG ergibt, seiner Prozessbevollmächtigten bekannt ist.

Soweit das Bundesamt es unterlassen hat, den Antragsteller darauf hinzuweisen, dass er nicht abgeschoben werden darf, bevor über seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entschieden worden ist, ist darauf zu verweisen, dass weder das Bundesamt noch die für die Durchführung der Abschiebung des Antragstellers zuständige Ausländerbehörde einen Versuch unternommen haben, ihn entgegen der ausdrücklichen Anordnung in § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG vor diesem Zeitpunkt abzuschieben.

Der Verstoß gegen Informationspflichten in puncto Inhaftierung und Fortgeltung der Rechte nach der Richtlinie 2013/33/EU kann sich schon deshalb nicht auf die Verteidigungsmöglichkeiten des Antragstellers im vorliegenden Verfahren ausgewirkt haben, weil das Bundesamt weder über seine Inhaftierung noch über die Fortgeltung derartiger Rechte entschieden hat.

Soweit das Bundesamt es unterlassen hat, den Antragsteller darauf hinzuweisen, dass die Ausreisefrist erst nach Erlass einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren zu laufen beginnen darf, ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass der Antragsteller dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt wurde. Das Gericht trägt der vorstehend unter 5. dargelegten Rechtslage von Amts wegen durch den Erlass der aus dem Tenor ersichtlichen Anordnung Rechnung.

II. Soweit sich der Antrag schließlich auf die in Ziffer 6 des angefochtenen Bescheids verfügte Anordnung eines auf 30 Monate befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots auszulegende

- vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 -, Rn. 42; Fricke, jurisPR-BVerwG 25/2018 Anm. 4 -

Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht, ist er ebenfalls unbegründet.

Die auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützte Ermessensentscheidung erweist sich als rechtmäßig. Das Bundesamt hat auch insoweit erkannt, dass ihm Ermessen eingeräumt ist. Zudem hat es die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§§ 114 Satz 1 VwGO, 40 VwVfG).

Gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AufenthG).

Das durch § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen soll gewährleisten, dass die Länge der Frist unter Beachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls bestimmt wird. Primär ist für die Länge der Frist das öffentliche Interesse an der Abwehr von Gefahren maßgebend, die durch die Einreise von Personen in das Bundesgebiet hervorgerufen werden, die nicht im Besitz eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis sind und sich auch nicht auf einer Abschiebung entgegenstehende Gründe berufen können. Allerdings muss sich die zunächst nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermittelte Frist zusätzlich an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (insbesondere Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG) sowie Unionsrecht (insbesondere Art. 7 GrCh) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (insbesondere deren Art. 8) messen lassen. Sie ist daher ggf. auf einer zweiten Prüfungsstufe zu verkürzen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 - 1 C 13.12 -, InfAuslR 2013, 334 (juris Rn. 33); Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 11 AufenthG Rn. 31.

Da die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AufenthG nicht vorliegen, hält sich die Befristung mit 30 Monaten in Übereinstimmung mit der Dienstanweisung des Bundesamts zum Asylverfahren, Abschnitt Einreise- und Aufenthaltsverbot, Ziffer 4.2, in der Mitte des durch § 11 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Halbsatz 1 AufenthG eröffneten Ermessensspielraums von fünf Jahren. Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt mit dieser Fristbemessung das Gefahrenabwehrinteresse für einen Normalfall ohne "gefahrerhöhende" Umstände (vgl. Ziffer 4.2.1 des Abschnitts Einreise- und Aufenthaltsverbots der Dienstanweisung Asylrecht) falsch gewichtet hat, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Gesichtspunkte, die eine Verkürzung der festgesetzten Frist rechtfertigen, hat der Antragsteller weder vorgetragen noch sind sie anderweitig ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83b AsylG.

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