VerfGH für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.08.2019 - VerfGH 30/19.VB-1
Fundstelle
openJur 2019, 30847
  • Rkr:

1. Die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen ein Landesgesetz erhobenen Individualverfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Regelung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist.

2. Eine die Jahresfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG neu auslösende Gesetzesänderung liegt nur dann vor, wenn sich das materielle Gewicht der angefochtenen gesetzlichen Regelung geändert hat.

3. Die an das Inkrafttreten des Gesetzes anknüpfende Ausschlussfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG gilt regelmäßig auch dann, wenn der Beschwerdeführer erst nach Ablauf dieser Frist erstmals selbst betroffen ist und deshalb mangels Beschwer nicht schon innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten des Gesetzes eine zulässige unmittelbare Gesetzesverfassungsbeschwerde erheben konnte.

4. Dies führt jedenfalls dann nicht zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, wenn ein die gesetzliche Regelung anwendender Vollzugsakt ergeht und dem Beschwerdeführer so die Möglichkeit offensteht, die behauptete Verfassungswidrigkeit des Gesetzes inzident im fachgerichtlichen Rechtsweg und erforderlichenfalls mit der Urteilsverfassungsbeschwerde einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich unmittelbar gegen § 23 Abs. 3 des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz - KiBiz) - Viertes Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes - SGB VIII.

1. Diese Vorschrift regelt die Beitragsfreiheit der Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege vor der Einschulung. Dabei unterscheidet der Landesgesetzgeber mit sog. Stichtag-Kindern und Kann-Kindern zwei Fallgestaltungen. Wird das Kind, für das diese Angebote in Anspruch genommen werden, am 1. August des Folgejahres schulpflichtig, besteht Beitragsfreiheit für das (gesamte) Kindergartenjahr, das der Einschulung vorausgeht (§ 23 Abs. 3 Satz 1 KiBiz). Abweichend davon besteht bei sog. Kann-Kindern, die ab dem Schuljahr 2012 / 2013 vorzeitig in die Schule aufgenommen werden, die Beitragsfreiheit erst ab dem 1. Dezember für maximal zwölf Monate (§ 23 Abs. 3 Satz 2 KiBiz).

2. Die Beschwerdeführer sind Eltern von drei Kindern. Ihre Tochter K besucht eine Offene Ganztagsschule. Ihre Tochter S wurde am 1. August 2019 vorzeitig eingeschult.

Vor diesem Hintergrund änderte das Amt für Kinder, Jugendliche und Familien der Stadt Münster mit Bescheid vom 23. Mai 2019 die Festsetzung des Elternbeitrags für den Zeitraum Dezember 2018 bis einschließlich Mai 2019 von ursprünglich jeweils 425,- EUR auf jeweils 0,- EUR ab. Zur Erläuterung teilte die Stadt Münster mit E-Mail vom 11. Juni 2019 mit, dass aufgrund § 23 Abs. 3 KiBiz bei vorzeitig eingeschulten Kindern Beitragsfreiheit erst am dem 1. Dezember bestehe und deshalb der Beitrag für die Monate August bis November nicht neu berechnet werde.

Hiergegen legten die Beschwerdeführer unter dem 17. Juni 2019 Widerspruch ein.

3. Mit ihrer parallel erhobenen, am 21. Juni 2019 eingegangenen, Individualverfassungsbeschwerde rügen sie einen Verstoß des § 23 Abs. 3 KiBiz gegen den Gleichheitssatz aus Art. 4 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950 (GV. NRW. S. 127), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. April 2019 (GV. NRW. S. 202 - LV) in Verbindung mit Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404 - GG).

Die Unterscheidung zwischen Kindern, die am 1. August des Folgejahres schulpflichtig werden, und vorzeitig eingeschulten Kindern sei willkürlich und nicht begründet. Verwaltungsökonomische Gründe könnten die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Die Entscheidung für eine vorzeitige Einschulung zum Wohle des Kindes aus entwicklungspädagogischer und psychologischer Sicht dürfe nicht durch ökonomische Gründe negativ beeinflusst werden. Von der Ungleichbehandlung würden sie unmittelbar betroffen. Ihre Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die gesetzliche Regelung hätten sie fristgerecht erhoben.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdeführer sind von der hier angefochtenen gesetzlichen Vorschrift des § 23 Abs. 3 KiBiz nicht unmittelbar betroffen (1.). Zudem haben sie die Verfassungsbeschwerde nicht innerhalb der Jahresfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG erhoben (2.).

1. Nach Art. 75 Nr. 5a LV in Verbindung mit § 12 Nr. 9, § 53 Abs. 1 VerfGHG kann jeder mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben, soweit nicht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird.

a) Gegenstand der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof kann damit auch ein Landesgesetz sein (vgl. LT-Drs. 17/2122, S. 25).

Zur Kommunalverfassungsbeschwerde gegen Landesrecht gemäß Art. 75 Nr. 5b LV in Verbindung mit § 12 Nr. 8, § 52 Abs. 1 VerfGHG hat der Verfassungsgerichtshof bereits entschieden, dass die erforderliche Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers nur dann gegeben ist, wenn er durch die angegriffene Regelung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 9. Juli 2019 - VerfGH 37/14 -, juris, Rn. 34, 36, und vom 9. Juni 1997 - VerfGH 20/95 u. a. -, NWVBl. 1997, 333 = juris, Rn. 49).

Nichts anderes gilt für unmittelbar gegen Landesgesetze erhobene Individualverfassungsbeschwerden gemäß Art. 75 Nr. 5a LV in Verbindung mit § 53 Abs. 1 VerfGHG.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur unmittelbaren Gesetzesverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Verbindung mit § 13 Nr. 8a, § 90 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfG, Urteile vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 u. a. -, BVerfGE 146, 71 = juris, Rn. 108, und vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u. a. -, BVerfGE 125, 260 = juris, Rn. 177, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u. a. -, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 79 ff.).

Ein Beschwerdeführer ist dann von einem Gesetz unmittelbar betroffen, wenn das mit der Verfassungsbeschwerde angefochtene Gesetz in seine Rechte eingreift, ohne dass zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis ein besonderer, selbstständig gerichtlich angreifbarer Vollziehungsakt erforderlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die angegriffene Vorschrift kraft Gesetzes eine zeitlich und inhaltlich genau bestimmte Verpflichtung begründet, die bereits bei Erlass des Gesetzes spürbare Rechtsfolgen mit sich bringt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 -, BVerfGE 110, 370 = juris, Rn. 64, m. w. N.; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 23. April 2019 - 1 BvR 2314/18 -, juris, Rn. 6, vom 8. Oktober 2018 - 1 BvR 1658/18 -, juris, Rn. 6).

Erfordert das Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen staatlichen Praxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollzugsakt, muss der Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 u. a. -, BVerfGE 146, 71 = juris, Rn. 110). Die Unmittelbarkeit der Betroffenheit fehlt auch, wenn das Gesetz nicht eo ipso, sondern erst in Verbindung mit einer weiteren Norm auf den Rechtskreis des Betroffenen einwirkt oder die Betroffenheit vom Ergehen einer solchen Norm abhängt (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 10. Dezember 2002 - VerfGH 10/01 -, NWVBl. 2003, 93 = juris, Rn. 18 zur Kommunalverfassungsbeschwerde).

b) Gemessen daran sind die Beschwerdeführer von der gesetzlichen Regelung des § 23 Abs. 3 KiBiz nicht unmittelbar betroffen. Diese Vorschrift wirkt nicht unmittelbar auf ihren Rechtskreis ein, sondern setzt eine weitere Grundentscheidung über die Erhebung von Elternbeiträgen auf kommunaler Ebene voraus.

Es steht schon nicht unmittelbar auf Grundlage des Kinderbildungsgesetzes fest, dass Eltern sog. Kann-Kinder überhaupt zu Elternbeiträgen herangezogen und damit von der Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 KiBiz über die Elternbeitragsfreiheit betroffen werden. § 23 Abs. 1 Satz 1 KiBiz enthält, insoweit die Ermächtigung des § 90 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs - Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), zuletzt geändert durch Art. 6 des Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetz vom 4. August 2019 (BGBl. I S. 1131 - SGB VIII) wiederholend, lediglich eine Befugnis der Jugendämter, für die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege Teilnahme- oder Kostenbeiträge (Elternbeiträge) nach § 90 Abs. 1 SGB VIII festzusetzen. Die rechtsgestaltende und damit auf den Rechtskreis der Betroffenen einwirkende Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe Elternbeiträge tatsächlich entstehen, unterliegt der kommunalen Regelungskompetenz (vgl. Göppert/Leßmann, Kinderbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 2012, § 23 Anm. 2; Werkmeister, Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen oder von Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen, 2017, S. 352 f.).

Dementsprechend kommt auch die hier streitgegenständliche Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 KiBiz erst zur Anwendung, wenn auf kommunaler Ebene die Entscheidung getroffen wurde, überhaupt Elternbeiträge zu erheben.

Hinzu tritt, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 2 KiBiz eine weitergehende Beitragsfreiheit nicht ausschließen wollte. Stattdessen ging er davon aus, dass den Jugendämtern, denen grundsätzlich die Elternbeitragsgestaltung und -erhebung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung obliegt, es freisteht, bei den sogenannten Kann-Kindern für die ersten vier Monate des letzten Kindergartenjahres vor der Einschulung auf die Elternbeitragserhebung zu verzichten (vgl. LT-Drs. 16/5293, S. 101).

2. Abgesehen davon haben die Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde nicht innerhalb der Jahresfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG erhoben.

a) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde gemäß § 55 Abs. 3 VerfGHG nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlass des Hoheitsaktes erhoben und begründet werden. Diese Frist haben die Beschwerdeführer nicht gewahrt. Die gesetzliche Regelung des § 23 Abs. 3 KiBiz in ihrer derzeit gültigen Fassung ist mehr als ein Jahr vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde in Kraft getreten.

Die Vorschrift des § 23 Abs. 3 KiBiz über die Beitragsfreiheit wurde durch Art. 1 Nr. 15 Buchst. b, Art. 3 Abs. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes - Erstes KiBiz-Änderungsgesetz - vom 25. Juli 2011 (GV. NRW. S. 385) mit Wirkung vom 1. August 2011 eingefügt. Am 1. August 2014 trat aufgrund Artikel 1 Nr. 26 Buchst. b, Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und weiterer Gesetze vom 17. Juni 2014 (GV. NRW. S. 336) die bis heute gültige Fassung des § 23 Abs. 3 KiBiz in Kraft.

b) Nachfolgende Änderungen des Kinderbildungsgesetzes haben den Beginn der Jahresfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG in Bezug auf § 23 Abs. 3 KiBiz nicht erneut ausgelöst.

aa) Für Kommunalverfassungsbeschwerden gegen Landesrecht hat der Verfassungsgerichtshof zu § 52 Abs. 2 VerfGHG bereits entschieden, dass eine die Frist neu auslösende Gesetzesänderung nur dann vorliegt, wenn sich das Gewicht der gesetzlichen Regelung geändert hat (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 13. August 1996 - VerfGH 23/94 -, NWVBl. 1996, 426 = juris, Rn. 16).

Nichts anderes gilt im Rahmen des § 55 Abs. 3 VerfGHG.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 93 Abs. 3 BVerfGG, den der Landesgesetzgeber zum Vorbild für § 55 Abs. 3 VerfGHG genommen hat (vgl. LT-Drs. 17/2122, S. 26). Danach wird die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nur für das geänderte Gesetz neu ausgelöst. Voraussetzung dafür ist, dass dessen materielles Gewicht verändert wurde (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Januar 1994 - 1 BvR 7/94 -, NJW 1994, 2525 = juris, Rn. 2, und vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777/85 u. a. -, BVerfGE 79, 1 = juris, Rn. 43).

Die Ausschlussfrist beginnt bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine unverändert gebliebene Norm mithin nicht deshalb neu, weil der Gesetzgeber die Bestimmung gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen desselben Gesetzes erneut in seinen Willen aufgenommen hat. Bleibt die angegriffene Norm inhaltlich unverändert oder wird sie rein redaktionell angepasst, setzt kein neuer Fristlauf ein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Februar 2017 - 1 BvR 2875/16 -, NVwZ-RR 2017, 433 = juris, Rn. 6 f., m. w. N.). Dies gilt auch dann, wenn ein bereits bestehendes Gesetz unverändert neu bekannt gemacht, nur berichtigt, lediglich in der Paragraphenzählung neu gefasst, mit kleinen Änderungen an andere Vorschriften angepasst oder sonst wie in einer so unbedeutenden Weise geändert wird, dass keine neue Beschwer entsteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 2000 - 1 BvR 630/93 -, NJW 2001, 3402 = juris, Rn. 19, m. w. N.). Demgegenüber wird die Frist durch ein Änderungsgesetz erneut in Lauf gesetzt, wenn es rechtlich stärker belastende Wirkungen als bisher verursacht und deshalb einen neuen Inhalt gewonnen hat. Gleiches gilt, wenn der Gesetzgeber den Anwendungsbereich einer Norm erweitert oder er sie eindeutiger als bisher bestimmt, etwa um in einem Auslegungsstreit eine Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerfG, Beschluss 22. Februar 2017 - 1 BvR 2875/16 -, NVwZ-RR 2017, 433 = juris, Rn. 7, vom 29. November 2000 - 1 BvR 630/93 -, NJW 2001, 3402 = juris, Rn. 19, jeweils m. w. N.). Eine fristauslösende Änderung kann auch darin begründet sein, dass die Vorschrift durch die Änderung anderer Vorschriften derart in ein neues gesetzliches Umfeld eingebettet wird, dass auch von der Anwendung der älteren Vorschrift neue belastende Wirkungen ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, BVerfGK 18, 328 = juris, Rn. 29).

bb) Nach diesen Grundsätzen lösten spätere Änderungen des Kinderbildungsgesetzes die Jahresfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG nicht neu aus.

Im Anschluss an die Neufassung des § 23 Abs. 3 KiBiz durch das Gesetz zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und weiterer Gesetze vom 17. Juni 2014 wurde das Kinderbildungsgesetz viermal geändert. Davon wurde allein das Gesetz für einen qualitativ sicheren Übergang zu einem reformierten Kinderbildungsgesetz vom 26. Februar 2019 (GV. NRW. S. 151) innerhalb eines Jahres vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde erlassen.

Dieses hatte lediglich die Änderung der Vorschriften über die Berechnungsgrundlage für die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen (§ 19 KiBiz und Anlage zu § 19 KiBiz), Rücklagen (§ 20a KiBiz), Landeszuschüsse (§§ 21a, 21b, 21f KiBiz und Anlage zu § 21f KiBiz), das Verwaltungsverfahren und Durchführungsvorschriften (§ 26 KiBiz) sowie der Aufhebungs- und Übergangsvorschriften (§ 27 KiBiz) zum Gegenstand. Der § 23 Abs. 3 KiBiz wurde weder in seinem Wortlaut verändert noch wurde ihm sonst ein neuer materieller Gehalt verliehen.

c) Ein anderer Fristlauf gilt auch dann nicht, falls die Beschwerdeführer erstmalig durch die vorzeitige Einschulung ihrer Tochter S von der unterschiedlichen Regelung der Elternbeitragsfreiheit in § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 KiBiz betroffen sein sollten und sie deshalb mangels Beschwer nicht schon innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten dieses Gesetzes eine zulässige Verfassungsbeschwerde erheben konnten.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 55 Abs. 3 VerfGHG ist der Fristbeginn an den Zeitpunkt des Inkrafttretens des angefochtenen Gesetzes geknüpft. Der Zeitpunkt der erstmaligen Beschwer des jeweiligen Beschwerdeführers ist nicht maßgeblich.

Dies führt regelmäßig und auch hier nicht zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes.

aa) Ein Verstoß gegen die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 4 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geht damit nicht einher. Der Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umfasst nicht die gesetzgebende Gewalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. November 1996 - 1 BvR 1862/96 -, NJW 1997, 650 = juris, Rn. 9, m. w. N.).

bb) Ein unbegrenztes Recht des Einzelnen, ein ihn beschwerendes Landesgesetz unmittelbar einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen, ergibt sich auch weder aus dem Grundgesetz noch aus der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen.

Zum Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass verfassungsrechtliche Vorgaben für die Kontrolle der gesetzgebenden Gewalt nur in Art. 93 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 94 Abs. 2 GG sowie in Art. 100 GG enthalten sind. In Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ist die bereits vorher bestehende einfachrechtliche Regelung des § 90 Abs. 1 BVerfGG in die Verfassung aufgenommen worden. Wie § 90 Abs. 1 BVerfGG gewährt die genannte Verfassungsnorm den Schutz der Verfassungsbeschwerde auch gegen Akte der gesetzgebenden Gewalt. Damit ist jedoch nicht durchgehend eine unbefristete und unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsnormen garantiert. Der einfache Gesetzgeber kann nach Art. 94 Abs. 2 GG das Verfahren der Verfassungsbeschwerde regeln und dabei deren Zulässigkeit grundsätzlich auch von der Einhaltung einer Einlegungsfrist abhängig machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. November 1996 - 1 BvR 1862/96 -, NJW 1997, 650 = juris, Rn. 9 f., m. w. N.).

Auch wenn die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen eine dem Art. 94 Abs. 2 GG entsprechende Regelung nicht enthält, folgt aus ihr nichts anderes.

Gemäß dem durch Art. 1 und 2 des Gesetzes zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. April 2019 (GV. NRW. S. 202) mit Wirkung vom 24. April 2019 eingefügten Art. 75 Nr. 5a LV entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in dieser Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Dadurch wurde die bereits seit dem 1. Januar 2019 einfachgesetzlich nach Maßgabe des § 12 Nr. 8 in Verbindung mit §§ 53 ff. VerfGHG gewährleistete Individualverfassungsbeschwerde in der Landesverfassung verankert. Mit Art. 75 Nr. 5a LV ist dem Landesgesetzgeber die Entscheidung für die Beibehaltung der Individualverfassungsbeschwerde vorgegeben und ihm deren nähere Ausgestaltung durch einfaches Gesetz übertragen und gerade nicht verwehrt (vgl. Heusch, in: Heusch/Schönenbroicher, Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2010, Art. 75 Rn. 17 zu Art. 75 LV a. F.).

Auch der Verzicht auf die Einfügung einer an Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelehnten Befugnis des Landesgesetzgebers, die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung machen, ein besonderes Annahmeverfahren und ein vereinfachtes Verfahren vorsehen (vgl. dazu LT-Drs. 17/3005, S. 4), war nicht Ausdruck einer beabsichtigten (nachträglichen) Beschränkung der kurz zuvor ausgeübten Ausgestaltungsbefugnis des Landesgesetzgebers. Bezweckt war nur, der Überfrachtung der Landesverfassung mit einer Regelung vorzubeugen, die allein der Rechtsklarheit dienen sollte, und für deren Einfügung keine sachliche Notwendigkeit gesehen wurde (vgl. LT-Drs. 17/5126).

cc) Ob die Ausschlussfrist des § 55 Abs. 3 VerfGHG durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen könnte, soweit sie dazu führen würde, dass ein Beschwerdeführer im Falle einer erst nach Ablauf der Jahresfrist eingetretenen eigenen Beschwer keine Möglichkeit mehr hätte, die behauptete Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes im Rechtsweg und erforderlichenfalls mit der Verfassungsbeschwerde einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 1998 - 2 BvR 2126/96 -, NVwZ-RR 1999, 281 = juris, Rn. 17, und vom 21. November 1996 - 1 BvR 1862/96 -, NJW 1997, 650 = juris, Rn. 11), kann hier dahinstehen.

(a) Eine solche Rechtsschutzlücke besteht jedenfalls dann nicht, wenn ein die gesetzliche Regelung anwendender Vollzugsakt ergeht, gegen den dem Beschwerdeführer der fachgerichtliche Rechtsweg offensteht. Er hat dann die Möglichkeit, die inzidente verfassungsrechtliche Kontrolle des Gesetzes durch ein Fachgericht und nach Erschöpfung des Rechtswegs im Wege einer Urteilsverfassungsbeschwerde herbeizuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. November 1996 - 1 BvR 1862/96 -, NJW 1997, 650 = juris, Rn. 11; Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Februar 2019, § 93 Rn. 80; Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 93 Rn. 107 f.; Peters, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 93 Rn. 137; krit. Grünewald, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, Stand Juni 2019, § 93 Rn. 86).

Ob der nach Erschöpfung des Rechtswegs eröffnete verfassungsgerichtliche Rechtsschutz in Gestalt der Urteilsverfassungsbeschwerde durch den Verfassungsgerichtshof gewährleistet wird oder, weil der Beschwerdeführer die letztinstanzliche Entscheidung eines obersten Bundesgerichts angreift, durch das Bundesverfassungsgericht, ist unerheblich. Die Kontrollbefugnis des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich auch auf Akte des Landesgesetzgebers (vgl. nur BVerfG, 17. Dezember 1975 - 1 BvR 428/69 -, BVerfGE 41, 65 = juris, Rn. 57). Jedenfalls soweit - wie hier - der Schutz der im Grundgesetz festgelegten Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte in Rede steht, die gemäß Art. 4 Abs. 1 LV Bestandteil der Landesverfassung und unmittelbar geltendes Landesrecht sind, bleibt deshalb der verfassungsrechtliche Rechtsschutz im Wege der Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht im hier maßgeblichen Zusammenhang nicht hinter der von Art. 75 Nr. 5a LV in Verbindung mit § 12 Nr. 8, §§ 53 ff. VerfGHG dem Verfassungsgerichtshof übertragenen Kontrolle von Akten des Landesgesetzgebers zurück.

(b) Gemessen daran droht ein womöglich verfassungsrechtlich bedenklicher Rechtsschutzverlust hier nicht. Auf Grundlage des § 23 Abs. 3 KiBiz ist in Gestalt des Bescheides der Stadt Münster vom 23. Mai 2019 über die Veränderung in der Festsetzung eines Elternbeitrages ein Vollzugsakt ergangen. Gegen diesen steht der Rechtsweg im Sinne des § 54 VerfGHG bzw. Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG offen. Die Beschwerdeführer haben die Möglichkeit, mit ihrem bereits erhobenen Widerspruch und gegebenenfalls nachfolgend im Klagewege gegenüber den Fachgerichten sowie daran anschließend im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht die Verletzung ihrer Grundrechte durch die unterschiedliche Regelung der Elternbeitragsfreiheit in § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 KiBiz zu rügen.

3. Ihre Auslagen sind den Beschwerdeführern nicht zu erstatten. § 63 Abs. 4 VerfGHG sieht eine Auslagenerstattung nur für den hier nicht vorliegenden Fall eines Obsiegens des Beschwerdeführers vor.

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