VG Köln, Beschluss vom 29.08.2019 - 2 M 66/19
Fundstelle
openJur 2019, 30789
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Vollstreckungsgläubigerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Dem Vollstreckungsschuldner wurde mit bestandskräftiger Ordnungsverfügung der Vollstreckungsgläubigerin vom 02. Dezember 2016 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben, bis zum 01. April 2017 die auf dem Grundstück L. , Stellplatz-Nr. 000, in P. ohne gültige Baugenehmigung ausgeübte Nutzung des dauerhaften Wohnens (Nutzungsverbot als Hauptwohnsitz) aufzugeben. Mit dieser Ordnungsverfügung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro angedroht.

Da der Vollstreckungsschuldner der Ordnungsverfügung nicht nachkam und bis heute nicht nachgekommen ist, setzte die Vollstreckungsgläubigerin folgende Zwangsgelder - nach vorangegangener ordnungsgemäßer Androhung und jeweils verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Ersatzzwangshaft - fest:

- Bescheid vom 25. April 2017, bestandskräftig (Bl. 12, Beiakte 1), 500,00 Euro

- Bescheid vom 18. August 2017, bestandskräftig (Bl. 16, Beiakte 1), 1.000,00 Euro

- Bescheid vom 20. März 2018, bestandskräftig (Bl. 20, Beiakte 1), 1.500,00 Euro

- Bescheid vom 01. August 2018, bestandskräftig (Bl. 23, Beikate 1), 1.500,00 Euro

- Bescheid vom 06. Dezember 2018, bestandskräftig (Bl. 28, Beiakte 1), 1.500,00 Euro

- Bescheid vom 07. März 2019, bestandskräftig (Bl. 32, Beiakte 1), 1.500,00 Euro

Zahlungen des Vollstreckungsschuldners erfolgten nicht. Vollstreckungsversuche der Stadtkasse der Vollstreckungsgläubigerin blieben erfolglos. Der Vollstreckungsschuldner ist erwerbslos und nach eigener Darstellung einkommenslos (Vermögensverzeichnis vom 08. Mai 2019, DR 000/00, AG C. H. ).

Die Vollstreckungsgläubigerin hat am 14. August 2019 beantragt, gemäß § 61 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) Ersatzzwangshaft anzuordnen. Der Vollstreckungsschuldner sei der Ordnungsverfügung nicht nachgekommen, habe keine Zahlungen geleistet und die festgesetzten Zwangsgelder hätten nicht beigetrieben werden können.

II.

Der Antrag der Vollstreckungsgläubigerin, gemäß § 61 VwVG NRW gegen den Vollstreckungsschuldner Ersatzzwangshaft anzuordnen, ist unbegründet.

Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW kann das Verwaltungsgericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Ersatzzwangshaft anordnen, wenn das Zwangsgeld uneinbringlich ist und wenn bei Androhung des Zwangsgeldes oder nachträglich hierauf hingewiesen worden ist.

Der Antrag ist abzulehnen, weil die Anordnung der Ersatzzwangshaft vorliegend mit dem verfassungsrechtlichen und durch § 58 VwVG NRW ausdrücklich einfachgesetzlich auf das Verwaltungsvollstreckungsrecht erstreckten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht im Einklang steht.

Legitimer Zweck der Anordnung der Ersatzzwangshaft ist die Durchsetzung der bestandskräftigen Nutzungsuntersagung zu Dauerwohnzwecken vom 02. Dezember 2016 zur Herstellung baurechtmäßiger Zustände. Die Ersatzzwangshaft ist zum Erreichen dieses Zwecks grundsätzlich auch geeignet. Sie hat die Funktion eines Beugemittels. Mit ihr soll auf den Willen des Vollstreckungsschuldners derart eingewirkt werden, dass er die zu vollstreckende Verpflichtung erfüllt,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02. April 2009 - 20 E 210/09 -, juris, Rdnr. 4.

Die Anordnung der Ersatzzwangshaft ist vorliegend jedoch nicht erforderlich, da sie nicht das mildeste gleich geeignete Mittel zur Erreichung des legitimen Zwecks darstellt. Die Ersatzzwangshaft nach § 61 VwVG NRW ist als freiheitsentziehende Maßnahme ultima ratio und kommt erst dann in Betracht, wenn zuvor die der Vollstreckungsbehörde zur Verfügung stehenden Beitreibungsmöglichkeiten effektiv ausgeschöpft worden sind. Sie stellt wegen des hohen Rangs der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) eine besonders schwerwiegende Belastung dar,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2012 - 2 E 1031/12 -, juris Rdnrn. 21,22; Beschluss vom 20. April 2012 - 13 E 64/12 -, juris Rdnr. 29; Beschluss vom 31. März 2004 - 18 E 1162/03 -, juris Rdnrn. 5, 6; Beschluss vom 20. April 1999 - 5 E 251/99 -, juris Rdnr. 6; Beschluss vom 13. Juni 1989 - 17 B 1975/86 -, NWVBl. 1990, 20; VG Köln, Beschluss vom 27. Januar 2016 - 2 M 8/16 -, juris Rdn. 4; Sadler, VwVG/VwZG, 8. Auflage 2011, § 16 Rdnr. 19; Marwinski in: Brandt/Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 4. Auflage 2018, Kapitel E III, Rdnr. 48.

Hieraus folgt die Notwendigkeit, Ersatzzwangshaft nur dann anzuordnen, wenn andere, mildere und deshalb vorrangig in Erwägung zu ziehende Mittel zur Durchsetzung der Verpflichtung sich als ungeeignet oder unzweckmäßig erweisen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02. April 2009 - 20 E 210/09 -, juris.

Ein milderes Mittel wäre im konkreten Fall jedoch die Vollstreckung der bestandskräftigen Nutzungsuntersagung zu Dauerwohnzwecken vom 02. Dezember 2016 durch die Androhung, Festsetzung und nachfolgende Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form der Zwangsräumung gemäß §§ 62, 62a VwVG NRW,

vgl. zu einer Nutzungsuntersagung zu Dauerwohnzwecken OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2012 - 2 E 1031/12 -, juris Rdnrn. 23 ff.

Nach § 62a Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW kann der Vollstreckungsschuldner, der eine unbewegliche Sache, einen Raum oder ein Schiff herauszugeben, zu überlassen oder zu räumen hat, aus dem Besitz gesetzt werden. Die Vollstreckungsgläubigerin hat dabei im Rahmen des Antrags auf Anordnung der Ersatzzwangshaft und innerhalb ihrer erforderlichen ordnungsgemäßen Ermessensbetätigung auch zu prüfen, welche anderen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung in Betracht kommen. An solchen - sich aufdrängenden - Ermessenserwägungen der Vollstreckungsgläubigerin fehlt es hier jedoch ausweislich der vorgelegten Verwaltungsvorgänge gänzlich.

Sollte die Vollstreckungsgläubigerin den Weg der Anwendung unmittelbaren Zwangs (§ 62 VwVG NRW) beschreiten, wäre dem Vollstreckungsschuldner, sofern er keinen Ersatzwohnraum nutzen kann, auch die ordnungsbehördliche Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit seitens der Gläubigerin anzubieten, worauf die Kammer vorsorglich hinweist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwert richtet sich nach dem Betrag der festgesetzten Zwangsgelder in Höhe von insgesamt 7.500,00 Euro.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.

Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster eingeht.

In Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist schriftlich zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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