VG Minden, Urteil vom 28.06.2019 - 4 K 2827/17.A
Fundstelle
openJur 2019, 30496
  • Rkr:
Tenor

Die Klage auf Fortsetzung des Verfahrens wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des fortgesetzten Rechtsstreits.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der nach seinen berichtigenden Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht am 8. April, sondern am 19. August 1982 in T. , Pakistan, geborene Kläger trägt vor, etwa Mitte April 2015 aus seinem Heimatland aus- und am 17. Oktober 2015 auf dem Landweg nach Deutschland eingereist zu sein. Am 2. November 2015 meldete er sich als Asylsuchender. Am 22. August 2016 wurde sein Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) offiziell registriert.

Mit Bescheid vom 14., zugestellt am 16. März 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung sowohl der Flüchtlingseigenschaft als auch subsidiären Schutzes ab. Ferner stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen und forderte den Kläger zur Ausreise auf. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Am 24. März 2017 hat der Kläger Klage erhoben. In der Klageschrift gab er an, weitere Ausführungen zur Begründung der Klage und zur Begründung der Klage dienende Tatsachen und Beweismittel würden "ggf." in Kürze nachgereicht.

Nachdem sich der Kläger bis Oktober 2018 nicht mehr zum Verfahren gemeldet hatte, ließ das Gericht über das sog. "Meldeportal Behörden" prüfen, ob er noch unter der bei Klageerhebung angegebenen Adresse gemeldet war. Die Prüfung am 30. Oktober 2018 ergab, dass keine Person zu der Suche gefunden wurde. Daraufhin forderte das Gericht den Kläger über seinen damaligen Prozessbevollmächtigten auf, das Verfahren innerhalb eines Monats nach Zustellung der Aufforderung dadurch zu betreiben, dass er eine aktuelle ladungsfähige Anschrift mitteilte. Diese Aufforderung vom 31. Oktober 2018 wurde dem Prozessbevollmächtigten am 5. November 2018 zugestellt.

Als bis zum 5. Dezember 2018, einem Mittwoch, keine Reaktion erfolgt war, stellt das Gericht das Verfahren mit Beschluss vom 6. Dezember 2018 ein. Die Klage gelte nach § 81 Satz 1 AsylG als zurückgenommen.

Am 12. Februar 2019 hat der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten. Da er immer und weiterhin unter der angegebenen Adresse wohnhaft (gewesen) sei, habe es keine Notwendigkeit für eine Betreibensaufforderung gegeben.

Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2019 hat der Kläger Kopien pakistanischer Unterlagen vorgelegt, unter anderem solche, die Stempel der Polizeistation C. in T. und die Daten 24.05.2013, 15.05.2018 und 14.08.2014 tragen. Nach den beigefügten Übersetzungen handelt es sich dabei um sog. Erstinformationsberichte (FIR).

Der Kläger beantragt,

das Verfahren fortzusetzen

und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 14. März 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des dazu vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Der Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens ist unbegründet. Der Einstellungsbeschluss vom 6. Dezember 2018 ist zu Recht ergangen, weil die Klage nach § 81 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) als zurückgenommen gilt.

Entsteht über das Vorliegen der Voraussetzung der gesetzlichen Rücknahmefiktion nach § 81 Satz 1 AsylG Streit, hat das Gericht das Verfahren fortzusetzen und über die Frage der Beendigung des Verfahrens durch Urteil zu entscheiden, wenn ein Beteiligter dies verlangt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2019 - 2 BvR 12/19 -, juris, Rdn. 16 f. mit zahlreichen Nachweisen; siehe auch Marx, Kommentar zum Asylgesetz, 9. Aufl. 2017, § 81 Rdn. 28, m.w.N.

§ 81 Satz 1 AsylG sieht - in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise -

vgl. nur BVerfG, Urteil vom 7. August 1984 - 2 BvR 187/84, juris, Orientierungssatz 1

die Verfahrenserledigung kraft Gesetzes wegen unterstellten Wegfalls des Rechtschutzinteresses vor.

Vgl. auch VG Kassel, Urteil vom 21. November 2016 - 3 K 1285/16.KS.A -, juris, Rdn. 35 mit Verweis auf Neundorf, in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 2016, § 81 AsylG Rdn. 4.

Mit Rücksicht auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG - kann nur eine rechtmäßige bzw. zulässigerweise ergangene Betreibensaufforderung diese Rücknahmefiktion auslösen. Dies verlangt, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung bestimmte, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestanden haben. Hinreichend konkrete Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses können sich etwa aus dem fallbezogenen Verhalten des jeweiligen Klägers, aber auch daraus ergeben, dass er prozessuale Mitwirkungspflichten verletzt hat. Stets muss sich daraus aber der Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, also auf ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens ableiten lassen. Nicht geboten ist insoweit ein sicherer, über begründete Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses hinausgehender Schluss.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. März 2019 - 6 A 155/18 - , juris, Rdn. 7 und 9 (zu § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO) mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

Gemessen daran, ist die gerichtliche Aufforderung an den Kläger, das Verfahren durch Mitteilung einer (aktuellen) ladungsfähigen Anschrift zu betreiben, zu Recht ergangen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Betreibensaufforderung waren gegeben. Nachdem das Gericht aufgrund des Ergebnisses der Suche über das Meldeportal davon ausgehen musste, dass der Kläger die ihm zugewiesene Unterkunft verlassen hatte, bestanden begründete Zweifel daran, dass der Kläger weiterhin ein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung hatte. Es lagen

- unabhängig von der Richtigkeit der zugrunde liegenden Auskunft - hinreichende sachliche Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzintereses vor.

Formale Mängel der Betreibensaufforderung sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Der Kläger wurde insbesondere nach § 81 Satz 3 AsylG darauf hingewiesen, dass die Klage im Fall der nicht fristgerechten Erledigung der Verfügung gemäß § 81 Satz 1 AsylG als zurückgenommen gelte. Auch auf die Kostenfolge des § 81 Satz 2 AsylG wurde hingewiesen.

Das Verhalten - in Form eines Unterlassens, nämlich des Nichtbetreibens des Verfahrens - des vormaligen Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger zuzurechnen. Ob hier von einem Verschulden des damaligen Bevollmächtigten auszugehen ist, nachdem dieser sich per Mail an den Kläger gewandt und diesen um Mitteilung seiner aktuellen Adresse gebeten hat - der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, diese Mail nicht erhalten zu haben -, bedarf keiner Entscheidung. Selbst ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten wäre dem Kläger nach § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -, der über den Verweis des § 173 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auch im Asylprozess gilt,

vgl. VG Minden, Beschluss vom 7. November 2016 - 10 L 1597/16.A -, juris, Rdn. 34,

zuzurechnen. Auch in verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren ist die Zurechnung des Verschuldens eine Prozessbevollmächtigten mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz - GG - vereinbar.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris, Rdn. 48 ff., und Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 -, juris, Rdn. 7 ff.; kritisch zur Zurechnung des Anwaltsverschuldens Schütz, ZAR 2001, 125 ff.

Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass dem Kläger wegen des Versäumens der Monatsfrist für das Betreiben des Verfahrens auch nicht - von Amts wegen, ein entsprechender Antrag wurde nicht gestellt - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war. Bei der Betreibensfrist des § 81 Satz 1 AsylG handelt es sich um eine Ausschlussfrist, eine "uneigentliche gesetzliche Frist",

vgl. VG Gera, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 K 20639/93.GE -, n.v., nachgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. November 1995 - 3 ZO 429/95 -, juris,

also eine Zeitspanne, deren Ende einen äußersten Zeitpunkt festlegt, nach dem auch bei fehlendem Verschulden eine Parteihandlung endgültig nicht mehr oder nur noch unter ganz besonderen Voraussetzungen vorgenommen werden kann. Eine Wiedereinsetzung kommt, wie bei § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn ein Fall höherer Gewalt im Sinne von §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO vorliegt.

Vgl. zu § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO OVG NRW, Beschluss vom 27. März 2019

- 6 A 155/18 -, juris, Rdn. 21 m.w.N.

Dafür gibt es hier keinerlei Anhaltspunkte.

Mangels Anspruchs auf Fortsetzung des Verfahrens kommt auch ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zu einer Entscheidung in der Sache nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

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