OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.02.2010 - 8 A 72/08.A
Fundstelle
openJur 2019, 30232
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 K 808/07.A
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Minden wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn für die Entscheidung der Vorinstanz eine grundsätzliche, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung der Rechts geboten erscheint. Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes setzt die Formulierung einer bestimmten, noch nicht geklärten und für die Rechtsmittelentscheidung erheblichen Frage und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328 (zu § 132 VwGO).

Daran fehlt es hier.

Mit der Frage,

unter welchen Voraussetzungen ein ehemals eritreischer Staatsangehöriger seine eritreische Staatsangehörigkeit beibehalten hat und die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hat,

will die Klägerin der Sache nach geklärt wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein äthiopischer Staatsangehöriger, der aufgrund seiner Abstammung von eritreischen Vorfahren mit Inkrafttreten des eritreischen Staatsangehörigkeitsrechts kraft Gesetzes zusätzlich die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat, nach Maßgabe des äthiopischen Staatsangehörigkeitsrechts seine äthiopische Staatsangehörigkeit verliert, weil eine doppelte Staatsangehörigkeit in Äthiopien generell nicht vorgesehen ist.

Diese Frage hat sich dem Verwaltungsgericht so nicht gestellt, weil es - anders als von der Klägerin vorausgesetzt - davon ausgegangen ist, dass die Klägerin aus der insoweit maßgeblichen Sicht des äthiopischen Staates die eritreische Staatsangehörigkeit nicht erworben hat, so dass sich aus äthiopischer Sicht die Problematik einer etwaigen doppelten Staatsagehörigkeit nicht stellt. Dabei hat das Verwaltungsgericht - insoweit in Übereinstimmung mit deren Vorbringen - angenommen, dass die Klägerin ursprünglich die äthiopische Staatsangehörigkeit besessen hat. Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht geprüft, ob die Klägerin ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hat, indem sie aufgrund ihrer halberitreischen Abstammung die Staatsangehörigkeit Eritreas erworben hat. Diese Frage hat das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung der maßgeblichen Regelungen des äthiopischen Staatsangehörigkeitsrechts und der diesbezüglichen Auskunftslage, nach der die äthiopische Anwendungspraxis auch voluntative Elemente einbezieht, verneint. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht den Umstand gewürdigt, dass die Klägerin eigenen Angaben zufolge nicht am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum teilgenommen und auch keine Geldzahlungen an den eritreischen Staat erbracht hat.

Die in der Zulassungsschrift angesprochene Frage, ob Eritrea die Klägerin aufgrund des in Art. 2 Abs. 1 der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 geregelten Abstammungsprinzips als (auch) eritreische Staatsangehörige ansehen würde, war für das Verwaltungsgericht unerheblich, weil sie aus den genannten Erwägungen jedenfalls auch die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt und ihr in Äthiopien nach der im Zulassungsverfahren nicht angegriffenen Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts weder politische Verfolgung noch sonstige abschiebungsschutzrelevante Gefahren drohen.

Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht, soweit die Antragsschrift die Frage geklärt wissen will, ob äthiopische Staatsangehörige halberitreischer Abstammung - wie die Klägerin - aus Sicht des äthiopischen Staates sonstwie die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren haben. Diese Frage ist, soweit sie einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist, unter Zugrundelegung der schon vom Verwaltungsgericht zitierten Auskunftslage geklärt und bedarf auch auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnislage keiner darüber hinaus gehenden grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie lässt sich nach den vorliegenden Auskünften ohne weiteres und eindeutig beantworten.

Abkommen oder sonstige Regelungen zur Klärung der mit der Unabhängigkeit Eritreas zwischen Äthiopien und Eritrea aufkommenden staatsangehörigkeitsrechtlichen Fragen gibt es nicht. Die Teilnahme am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum, die eine Feststellung der eritreischen Staatsangehörigkeit voraussetzte und mit der Ausstellung eines eritreischen Personalausweises verbunden war, wird aber sowohl in Äthiopien als auch in Eritrea als Entscheidung für die eritreische Staatsangehörigkeit gewertet.

Vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. Juli 2003 an das VG München.

Die Situation für Äthiopier eritreischer oder gemischt äthiopischeritreischer Abstammung hat sich, nachdem es zwischen 1998 und 2001 zu zahlreichen Deportationen gekommen war, entschärft. Mit dem neuen äthiopischen Staatsbürgerschaftsgesetz von 2003 und der schon vom Verwaltungsgericht zitierten äthiopischen Direktive vom 16. Januar 2004, Ziffer 4.2, wird Personen eritreischer Abstammung, die sich nicht für die Annahme der eritreischen Staatsangehörigkeit entschieden haben, ein Anspruch auf die äthiopische Staatsangehörigkeit garantiert.

Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Eritreische Herkunft, vom 11. Mai 2009, S. 3, und Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2009, vom 11. Juni 2009, S. 17, sowie die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 16. Juni 2009, von amnesty international vom 27. Juli 2009 und des Instituts für Afrika-Studien (GIGA) vom 13. August 2009, jeweils an das VG Sigmaringen.

Ob die danach aus äthiopischer Sicht maßgeblichen Voraussetzungen für die Zuerkennung oder ggf. den erneuten Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit vorliegen, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.

2. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es gebietet nicht, dass sich das Gericht in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit ausdrücklich und in ausführlicher Breite auseinander setzt. Deshalb müssen, um eine Versagung rechtlichen Gehörs festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 (146), m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 1993 - 6 P 7.91 -, NVwZ-RR 1994, 298 f., m.w.N.

Das zeigt die Klägerin nicht auf. Das Verwaltungsgericht ist auf die - im Übrigen nach Schließung der mündlichen Verhandlung - nachgereichten Unterlagen (Kopien aus Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht) in den Entscheidungsgründen eingegangen. Einer gesonderten Erörterung der Frage, ob die Klägerin nach Maßgabe des eritreischen Staatsangehörigkeitsrechts auch als Eritreerin angesehen würde, bedurfte es nach dem Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts nicht.

Ob das Verwaltungsgericht dem Vortrag der Klägerin die richtige Bedeutung zugemessen und die richtigen Folgerungen daraus gezogen hat, ist im Übrigen keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der Tatsachen- und Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1969 - 2 BvR 320/69 -, BVerfGE 27, 248 (251), m.w.N.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.

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