LG Paderborn, Urteil vom 19.02.2004 - 5 KLs 36/03
Fundstelle
openJur 2019, 30224
  • Rkr:
Tenor

Der Angeklagte wird wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

(§§ 176 Abs. 1, 53 StGB).

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde am 25.10.1955 in ... als Sohn von ... und ... ... geboren.

Der Angeklagte ist der älteste von insgesamt 6 Geschwistern. Er hat einen Bruder und 4 Schwestern. Zu seinen Geschwistern hat er nur noch selten Kontakt. Seine Eltern leben in ... Mit seiner Mutter telefoniert der Angeklagte regelmäßig.

Der Angeklagte wurde im Alter von 6 Jahren in die Volksschule in ..., wo er seinerzeit mit seiner Familie wohnte, eingeschult. Ein aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters -er war Arbeiter in der Landwirtschaft- notwendiger Umzug der Familie war für den Angeklagten mit einem Schulwechsel auf die Volksschule in ... verbunden. Zuletzt besuchte der Angeklagte die Hauptschule in ... Nach der 8. Klasse wurde er, nachdem er einige Klassen wiederholt hatte, ohne Abschluss aus der Schule entlassen. Der Angeklagte erlernte danach keinen Beruf, war aber in vielen Bereichen als angelernter Arbeiter tätig.

Er arbeitete u. a. bei der Fa. ..., bei der Baufirma ..., bei einer Betonfirma sowie bei der Fa. ... Sodann musste er sich einer Operation an der Halswirbelsäule unterziehen und konnte danach lange nicht arbeiten. Seit 4 Jahren ist er bei der Zinkverarbeitungs-Fa. ... in ... tätig. Er arbeitete dort anfangs als Staplerfahrer und nunmehr am Ofen. Sein monatliches Einkommen beträgt 1.200,- bis 1.300,- €.

Der Angeklagte hat seinen Wohnsitz mehrfach gewechselt. Unter anderem wohnte er in ... und ... Als der Angeklagte seine jetzige berufliche Tätigkeit aufnahm, wohnte er in ... und fuhr von dort aus zur Arbeit nach ... Mittlerweile ist er nach ... umgezogen.

Der Angeklagte lebte mehrmals in längeren Zeiträumen mit Frau ... in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Aus dieser Beziehung sind die 3 Töchter ..., geboren am 18.04.1999, ..., geboren am 20.10.1988 sowie ..., geboren am 09.12.1983, hervorgegangen.

Der Angeklagte heiratete im Jahr 1996 Frau ..., geborene ... Die Ehe wurde vor ca. 2 ½ Jahren geschieden.

Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

II.

Der Angeklagte stand als Lebensgefährte von Frau ..., der Schwester der Mutter der Zeugin ..., mit der Familie der Zeugin in gutem und vertrauensvollem Kontakt. Teilweise beaufsichtigte der Angeklagte die Zeugin ... sowie deren kleinen Bruder ... Gelegentlich verbrachte man gemeinsam Tage auf einem Campingplatz in ... im ..., auf dem der Wohnwagen des Angeklagten gegenüber dem Wohnwagen der Familie ... abgestellt war. Insbesondere hatten auch die Cousinen ... und ... ein gutes Verhältnis zueinander.

Diese Situation nutzte der Angeklagte aus, um sich an der am 29.12.1985 geborenen Zeugin ... sexuell zu vergehen.

Im einzelen kam es zu folgenden Taten:

1. - Punkt 1 der Anklage 112 Js 1373/02 -

An einem nicht mehr zu ermittelnden Tag Ende 1993 oder im Jahre 1994 beaufsichtigte der Angeklagte die am 29.12.1985 geborene Zeugin sowie deren im Jahre 1990 geborenen Bruder ... in deren elterlicher Wohnung in der ... in ... Als ... bereits schlief, streichelte er die Zeugin, die mit einem Nachthemd und einem Slip bekleidet war, auf einem Sofa im Scheidenbereich. Anschließend veranlasste er das Mädchen, sich über eine Sessellehne zu beugen. Er zog sich einen Waschlappen über den Penis und manipulierte mit dem Penis im Scheidenbereich des Mädchens.

2. - Punkt 2 der Anklage 112 Js 1373/02 -

An einem ebenfalls nicht mehr zu ermittelnden Tag in der Zeit von April 1995 bis Anfang 1997 streichelte er die Zeugin ... in seinem Wohnwagen, der auf einem Campingplatz in ... im ... abgestellt war, zunächst an der Scheide. Anschließend legte er sich auf das mit einem Nachthemd und einem Slip bekleidete Mädchen und manipulierte mit seinem Penis im Scheidenbereich des Mädchens.

III.

Der dargestellte Sachverhalt beruht auf der nach Maßgabe des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten Beweisaufnahme.

Die Feststellungen gründen sich auf den Angaben des Angeklagten, soweit ihnen gefolgt werden konnte, den Aussagen der Zeuginnen ..., ... und ... sowie das Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. ... und den übrigen im Hauptverhandlungsprotokoll genannten Beweismitteln.

Der Angeklagte hat seinen Lebenslauf geschildert, bestreitet jedoch die Taten. Er hat eingeräumt, im Jahr 1993 bzw. 1994 auf die Kinder ... und ... ausfgepasst zu haben, als deren Eltern im Rahmen ihrer Mitgliedschaft des Funkervereins "..." ausgegangen seien. Auch sei es richtig, dass er vom 20.07.1994 bis zum 17.02.1997 einen Standplatz auf dem Campingplatz in ... im ... gehabt habe und dass sein Wohnwagen gegenüber demjenigen der Eltern der Zeugin ... gestanden habe.

Er habe jedoch die Zeugin ... nie "angefasst".

Diese Einlassung wird durch die Aussagen der Zeuginnen ..., ... und ... im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt.

Die Zeugin ... hat die Taten -so wie festgestellt- geschildert.

Sie hat -insoweit übereinstimmend mit den Angaben des Angeklagten- erklärt, dass dieser öfters in der elterlichen Wohnung in der ... in ... auf sie und ihren jüngeren Bruder ... aufgepasst und auch bei ihnen übernachtet habe, wenn ihre Eltern ausgegangen seien.

An einem Abend habe sie mit dem Angeklagten zusammen auf dem Dreiersofa im Wohnzimmer gesessen. Der jüngere Bruder ... habe schon im Bett gelegen und geschlafen. Im Fernsehen hätten sie "Wrestling" gesehen. Der Angeklagte habe dann angefangen, sie am Bein anzufassen und sie auch im Genitalbereich berührt. Schließlich habe er sie bäuchlings über eine Sessellehne gelegt und ihr das Nachthemd hochgezogen. Sie könne sich nicht mehr daran erinnern, gehe aber davon aus, dass sie unter dem Nachthemd einen Slip getragen habe, weil sie dies als kleines Mädchen üblicherweise getan habe. Der Angeklagte sei dann ins Bad gegangen und mit einem Waschlappen in der Hand wiedergekommen. Dann habe er sich hinter sie gestellt und sie habe gespürt, wie er von hinten mit seinem Glied, über das er zuvor den Waschlappen gezogen habe, zwischen ihren Beinen ihren Scheidenbereich berührt habe. Er habe dabei Bewegungen gemacht und geschnauft. Ob er in sie eingedrungen sei, könne sie nicht sagen. Es habe ihr aber weh getan und sei unangenahm gewesen. Sie habe zwar nicht gesehen, was der Angeklagte hinter ihr gemacht habe. Sie habe aber genau die raue Oberfläche des Waschlappens gespürt. Auch sei sie sich sicher, dass das Druckgefühl im Unterleibsbereich durch das Glied des Angeklagten hervorgerufen worden sei. Denn es habe sich anders als z. B. eine Hand angefühlt. Für einen Finger sei es zu dick gewesen.

Der Angeklagte habe zu ihr gesagt: "Du darfst das keinem sagen, sonst darf ich nicht mehr auf dich aufpassen."

Weiter hat die Zeugin ... bekundet, dass sie einmal mit ... und dem Angeklagten zusammen in dessen Wohnwagen auf dem Campingplatz in ... im ... übernachtet habe. In dem Wohnwagen hätten sich 2 getrennte Betten befunden. In einem habe sie zusammen mit Sabrina und in dem anderen habe der Angeklagte schlafen sollen. Der Angeklagte habe sich zwischen sie -bekleidet mit Nachthemd und Slip- und ... gelegt und letztere aufgefordert: "Blas´ mir einen!" ... habe sich aber geweigert. Dann habe er sich ihr -der Zeugin ...- zugewandt, sie zunächst im Scheidenbereich angefasst und sich dann auf sie gelegt. Sie wisse nicht, ob er ihr den Slip ausgezogen habe oder ob er in sie eingedrungen sei. Sie könne sich aber daran erinnern, dass der Penis des Angeklagten an ihren Scheidenbereich gedrückt habe.

Die Zeugin ... hat darüber hinaus ausgesagt, sie habe zunächst nicht einordnen können, was der Angeklagte mit ihr gemacht habe. Daher habe sie zuerst auch keinem davon erzählt und nicht mehr darüber nachgedacht. Erst als in der 6. oder 7. Klasse sexueller Missbrauch im Schulunterricht thematisiert worden sei, sei "alles wieder hochgekommen". Ihr sei klar geworden, was ihr widerfahren sei. Sie sei aus dem Klassenzimmer gerannt und habe geweint. Als sie danach zusammen mit ihrer Oma, der Zeugin ..., im Fernsehen eine Sendung mit dem Thema Vergewaltigung gesehen habe, habe sie sich ihr anvertraut, sie aber darum gebeten, es für sich zu behalten. Ihren Eltern habe sie nichts erzählt, weil sie gewusst habe, dass diese sich sehr aufregen würden und weil sie Angst vor der Reaktion ihres Vaters gegenüber dem Angeklagten gehabt habe.

In den letzten Jahren sei der Kontakt ihrer Familie mit ihrer Tante ... und deren Töchtern sehr schlecht gewesen. Sie habe daher genau wie ihre Eltern und ihre Großmutter nicht gewusst, dass ihre Cousine ... wegen des Verdachts, dass der Angeklagte sie missbraucht habe, schon lange in einem Heim lebe. Dies habe ihre Mutter erst auf der Geburtstagsfeier ihres Vaters am 23.07.2002 von ihrer Schwester erfahren. Aufgrund eines Hinweises ihrer Großmutter habe sich ihre Mutter dann an sie gewandt. Daraufhin habe sie sich auch ihrer Mutter mitgeteilt und sie seien gemeinsam zur Polizei gegangen.

Die Kammer sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Aussage zu zweifeln.

Die Sachverständige Dipl.-Psych. ... hat ein psychologisches Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin ... erstattet.

Sie hat ihrem Gutachten die Verfahrensakten und die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung der Zeugin ... zugrunde gelegt, die sei am 25.06.2003 in der elterlichen Wohnung der Zeugin durchgeführt hat. Im Rahmen dieser Untersuchung hat sie mit Hilfe anerkannter Methoden und Verfahren zur Erhebung eines individuellen Vergleichsstandards relevante Persönlichkeits- und Leistungsaspekte (biografische Analyse / Persönlichkeitsstruktur; intellektuelles Leistungsvermögen; Phantasieproduktivität; sexuelle Kenntnisse und Erfahrungen; Kontrolle der aktuellen Beeinflussbarkeit) erfasst und zudem Vater und Mutter der Zeugin ... sowie deren Großmutter, die Zeugin ..., informatorisch angehört.

Nachdem sie zudem die Zeugin ... noch zusätzlich in der Hauptverhandlung beobachten konnte, hat sie aufgrund der damit vollständig ermittelten Befund- und Anknüpfungstatsachen festgestellt, dass der "Erlebnishypothese", die besage, dass die Aussage auf realen Erfahrungen beruhe, als Erklärungsmöglichkeit für die vorliegende Aussage der Zeugin ... der vergleichsweise höchste Wahrscheinlichkeitsgrad zukomme.

Die Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, warum die für diesen spezifischen Fall relevanten Unwahrheitshypothesen, nämlich die "Hypothese der mangelnden Aussagetüchtigkeit", die "Hypothese der intentionalen Falschaussage", die "Projektionshypothese" und die "Suggestionshypothese", als Erklärungsmöglichkeiten für das Zustandekommen einer möglichen nicht erlebnisbegründeten Aussage der Zeugen ausgeschlossen werden können.

Sie hat nach Untersuchung des intellektuellen Leistungsvermögens der Zeugin festgestellt, dass die Aussagetüchtigkeit der Zeugin ... so ausgeprägt sei, dass sie in der Lage sei, Vorgänge wahrzunehmen, zu speichern und auch zu reproduzieren, wobei allerdings an die Detailliertheit der Ausführungen und insbesondere an die zeitlichen Zuordnungsmöglichkeiten keine hohen Erwartungen gestellt werden könnten.

Weiter hat die Sachverständige ausgeführt, die Hypothese der intentionalen Falschaussage lasse sich zurückweisen, da die Aussage unter inhaltlichen Aspekten Qualitätsmerkmale enthalte, die die Fähigkeiten zur Konstruktion bei dieser Zeugin überfordert hätten. Es handele sich um eine Zeugin, die konkretanschaulich denke und in ihrem Vorgehen eher zurückhaltendvorsichtig als bestimmt aussagend einzustufen sei. Die Fähigkeit der Zeugin, umfassend stimmige Geschichten zu erfinden, sei ebenso wie ihre Kombinationsfähigkeit und ihr Überblicksvermögen begrenzt.

Dass sie dennoch, insbesondere das Kerngeschehen betreffend, eine umfassende Anzahl von Details ohne Widersprüche in den Aussagen, die die Zeugin bei der Kriminalpolizei am 21.08.2002 und am 17.10.2002 gemacht habe, in den Angaben in der psychologischen Exploration am 25.06.2003 und in ihren Bekundungen in der Hauptverhandlung wiederhole und auch in Feindetails Übereinstimmung erziele, spreche für eine Erlebnisgebundenheit der Aussage.

Unsichere Angaben habe die Zeugin über den Bekleidungszustand gemacht. So habe die Zeugin z. B. im Aussagevergleich den fraglichen Vorfall auf dem Sessel betreffend angegeben, sie wisse nicht mehr, ob sie einen Slip getragen habe. Unsicher würden im aussageübergreifenden Vergleich auch ihre Angaben über den angeblichen Einführungsmodus bleiben; d. h. sie spreche Versuche an, spreche aber letztlich von dem von ihr selbst empfundenen Druckgefühl. Unsicher blieben im Aussagevergleich auch die Zeitangaben der Zeugin. Sie spreche beispielsweise davon, es habe begonnen, als sie 6 oder 7 Jahre alt gewesen sei. Sie benenne aber gleichbleibend als Geschehensort die ..., wo die Familie erst ab Dezember 1993 gewohnt habe.

Abweichend habe die Zeugin in der psychologischen Exploration sowie in der Hauptverhandlung im Vergleich zur polizeilichen Vernehmung das Geschehen im Wohnwagen angegeben: Sie wisse, dass der Angeklagte ... angefasst habe, aber nicht genau, wo. In der polizeilichen Vernehmung habe sie hingegen von Berührungen an der Brust und am Geschlechtsteil gesprochen. Abweichend bleibe auch ihre Aussage, der Angeklagte habe sich auf sie gelegt - in der polizeilichen Anhörung habe sie angegeben: "Ich weiß nicht, ob ich auf ihm liegen sollte, er auf mir...".

Diese Unsicherheiten und Abweichungen ließen sich jedoch plausibel erklären:

Für die meisten Zeugen sei es nach gedächtnispsychologischen Erkenntnissen schwierig, sich an genaue Daten zu erinnern. Hierbei handele es sich nicht um Aussagewillkür, sondern um ein erkennbares Unvermögen. Hinzu komme als Schwierigkeit, dass die Zeugin ... über angebliche Ereignisse berichtet habe, die weit zurücklägen und sich ereignet haben sollen, als sei mental noch nicht in der Lage gewesen sein dürfe, sie überhaupt zu begreifen.

Insoweit könnten auch einzelne Ablauffolgen oder Situationsaspekte verwechselt oder zeitweise unvollständig/ungenau dargestellt werden, wodurch z. B. Abweichungen in den Angaben dazu, in welcher Position genau etwas geschehen sein soll und/oder wie der jeweilige Bekleidungszustand gewesen sein soll, zustande kommen könnten. Unsicherheiten dieser Art seien -aussagepsychologisch nachweislich- regelmäßig in erlebnisgebundenen Aussagen zu finden. Von daher sei diesem Verlauf der Aussagekomplexe durchaus eine Erlebnisbasis zuzusprechen.

Unter gedächtnispsychologischem Aspekt sei es das entscheidende Kriterium, dass die subjektiv relevanten Details sinngemäß übereinstimmend dargestellt werden könnten, wobei Präzisierungen, Ergänzungen, Akzentverschiebungen etc. zu Erinnerungsbildern über lange zurückliegende Vorfälle typischerweise dazugehörten (während deckungsgleiche Aussagen eher den Verdacht eines auswendig gelernten Konstruktes nahe legen müssten).

Zudem habe die Zeugin die fraglichen Vorfälle angemessen detailliert geschildert. Sie habe den Sachverhalt anschaulich, ohne Brüche und Ablaufunstimmigkeiten darstellen können und in Verbindung mit Erklärungen und Hinweisen den Ablauf lückenlos verdeutlichen können, wobei das Merkmal der Homogenität, d. h. der inneren Widerspruchsfreiheit, gewahrt geblieben sei. Hinsichtlich ihrer gestalterischen Fähigkeiten sei sie damit überfordert gewesen, wenn sie einen entsprechenden Aussageumfang nur aus ihrer Phantasie heraus habe gestalten und die Details entsprechend aufeinander habe abstimmen wollen.

Darüber hinaus zeige die inhaltliche Gestaltung die fehlende Tendenz der Zeugin auf, sich -insbesondere zum heutigen Zeitpunkt- mit einer Aussage dieser Art gezielt einen Vorteil zu verschaffen. Dem Sexualbereich stehe sie zurückhaltend gegenüber; es handele sich nicht um eine Thematik, mit der sie sich gerne in den Vordergrund rücken würde.

Anhaltspunkte für unsachgemäße Rachemotive hätten sich ebenfalls nicht ergeben. Die Zeugin habe berichtet, sie habe den Angeklagten früher nett gefunden, ihn aber lange nicht gesehen und nichts mehr von ihm gehört. Sie habe deutlich gemacht, dass weder zwischem dem Angeklagten und ihr noch zwischen dem Angeklagten und ihren Eltern etwas Negatives vorgefallen sei, was sie bewogen haben könne, den Angeklagten bewusst mit falschen Anschuldigungen belasten zu wollen. Sie spreche auch heute noch neutral über den Angeklagten.

Die Aussage enthalte ferner raumzeitliche Verknüpfungen. Die hier zur Frage stehenden sexuellen Handlungen würden nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit konkreten, individuellen Merkmalen geschildert, die eindeutig auf bestimmte unverwechselbare Situationen -z. B. der dem Wohnwagen der Eltern gegenüber stehende kleinere Wohnwagen des Angeklagten, wobei ... eine handlungsrelevante Rolle spiele- verweisen würden. Die Zeugin ... habe ihre diesbezüglichen Ablaufschilderungen auch dann noch aufrechterhalten, als ihr sowohl von der Kriminalpolizei als auch in der Hauptverhandlung vorgehalten worden sei, dass Sabrina ihre Angaben in Abrede gestellt habe. Diese Bekundungen seien deshalb als Indikator für den Realitätsgehalt ihrer Aussage zu werten, weil Detailangaben dieser Art mit Bezug zu Drittpersonen in einer absichtlichen Falschaussage eher unwahrscheinlich seien, da ein lügender Zeuge wahrscheinlich vermeiden würde, zusätzliche Personen in seine Lüge einzuführen.

Als Spezifizierung im Sinne eines Realkennzeichens könne auch die Wiedergabe von Gesprächen gelten. Die Zeugin habe beschrieben, der Beschuldigte habe, als er sie am Körper und an der Scheide berührt habe, von Kitzeln gesprochen und sie gefragt, ob ihr das gefalle. Auch habe er sie dazu angehalten, anderen nichts davon zu berichten, weil er ansonsten nicht weiter auf sie aufpassen dürfe. Diese Angaben würden auch auf verbaler Ebene so genannte unverstandene Aussageteile erfüllen, weil -bezogen auf die Kognitionsebene eines 8-jährigen Kindes- Kitzeln dem Spielerischen zuzuordnen sei und ein Nichtmehrkommen-Dürfen die affektive Situation -sie habe den Angeklagten nett gefunden- anspreche. Auf der heutigen Bewusstseinsebene spreche die Zeugin ihr Unverständnis über die Angaben aus. Aufgezeigt sei hier demnach ein Perspektivenwechsel, den die Zeugin mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne eigenes Erleben einer Aussage nicht willkürlich habe geben können, da derartige Schilderungen hohe kognitive Anforderungen an einen intentional falschaussagenden Zeugen stellen würden.

Zudem berichte die Zeugin davon, der Angeklagte habe "geschnauft", als er sein Geschlechtsteil an ihre Scheide gedrückt habe. Dabei habe die Zeugin eine Lautäußerung beschrieben, die sie selbst früher nicht mit dem fraglichen Geschehensablauf in einen Sinnzusammenhang habe bringen können und dies auch in der jetzigen Wiedergabe nicht getan habe.

Zudem berichte die Zeugin über körperliche Empfindungen (Spüren eines Drucks) im Zusammenhang mit den fraglichen Geschehnissen. Diesem Merkmal komme diagnostische Valenz zu, da es sich um sensorische Empfindungen handele, die nicht auf Wahrnehmungen beruhten.

Schließlich habe die Zeugin auch durch ihr Eingeständnis von Erinnerungslücken ein ehrliches Bemühen gezeigt, während bei bewusst falsch aussagenden Zeugen davon auszugehen sei, dass Hinweise auf etwaige Aussagemängel vermieden würden.

Auch die Aussageentstehungslage stelle sich als sachlich dar.

Nachdem sie begriffen habe, was ihr widerfahren sei, habe die Zeugin ... sich ihrer Großmutter anvertraut und sie um Verschwiegenheit gebeten. Dies zeige, dass sie sich zur eigenen Entlastung und nicht, um den Angeklagten zu belasten, mitgeteilt habe. Es sei deutlich geworden, dass es in den letzten Jahren zwischen den Cousinen ... und ... keine Kontakte und keinen Informationsaustausch gegeben habe. Erst nach dem Familientreffen anlässlich des Geburtstags des Großvaters mütterlicherseits und der angeblich geäußerten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben von ... habe die Zeugin nach eigenen Angaben und den Angaben ihrer Familie -ausgelöst durch die Mitteilung der Großmutter väterlicherseits an die Schwiegertochter- sich (auch ... wegen) dazu bewogen gesehen, eine Aussage zu machen und sich den Eltern mitzuteilen.

Somit habe sich deutlich abgezeichnet, dass die Zeugin nicht von sich aus, wie es falschbelastende Zeugen in der Regel täten, eine Möglichkeit gesucht habe, die belastende Aussage anzubringen.

Die Projektionshypothese sei ebenfalls zurückzuweisen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin sich auf mögliche Fremdinhalte beziehen könne. Auch sei ihr die Gestaltungskraft abzusprechen, Einzelheiten, die sie gegebenenfalls in einem anderen Kontext erlebt oder gehört haben könne, gezielt fälschlich in einen anderen Zusammenhang zu übertragen und mit individuell ausgeprägten Gegebenheiten zu verbinden.

Gegen die Suggestionshypothese spreche, dass die Zeugin zu keiner Zeit einer erwartungsgeleiteten und/oder suggestiven Befragungssituation ausgesetzt gewesen sei, die den Aussageinhalt beeinflusst oder verändert habe könne, vielmehr zeichne sich durchgehend die eigene Erlebnisperspektive ab.

Die Kammer folgt dem überzeugenden Gutachten der forensich erfahrenen Sachverständigen.

Frau Dipl.-Psych. ... hat der Erlebnishypothese unter verständiger Darlegung der aussagepsychologischen Vorgaben den vergleichsweise höchsten Wahrscheinlichkeitsgrad zukommen lassen, was auch nach dem persönlichen Eindruck, den die Kammer in der Hauptverhandlung von der Zeugin ... gewonnen hat, zutreffend ist.

Die Sachverständige hat dargelegt, welche Möglichkeiten als Erklärungen für eine unterstellt unwahre Aussage der Zeugin ... in Betracht kommen konnten und ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Unwahrheitshypothese auszuschließen sei.

Es fehlt damit jeder Anhaltspunkt, das Gutachten in Zweifel zu ziehen.

Zudem stimmen die Angaben der Zeugin ... zur Aussageentstehungsgeschichte mit denjenigen der Zeuginnen ... und ... überein.

Die Zeugin ... hat bekundet, ihre damals ca. 12 Jahre alte Enkelin habe zu ihr gesagt: "Ich bin auch schon vergewaltigt worden", als sie zusammen eine Sendung über das Thema Vergewaltigung gesehen hätten. Sie habe sie daraufhin getröstet und ihr versprochen, es für sich zu behalten und der Zeugin ... erst einen Hinweis gegeben, als diese ihr von dem anderweitigen Missbrauchsverdacht zum Nachteil der ... erzählt habe.

Die Zeugin ... hat ausgesagt, zu ihrer Schwester ... einen schlechten Kontakt zu haben. Am 23.07.2002 habe sie im Rahmen der Geburtstagsfeier ihres Vaters von ihrer Schwester erfahren, dass ... im Heim lebe, weil sie angegeben habe, der Angeklagte habe sie sexuell missbraucht. Dies habe sie ihrer Schwiegermutter, der Zeugin ... erzählt, die sie an die Zeugin ... verwiesen habe. ... habe ihr dann anvertraut, dass der Angeklagte sie sexuell missbraucht habe. Sie habe nicht nach Einzelheiten gefragt, weil ... geweint habe und offensichtlich nicht darüber habe sprechen wollen. Schließlich seien sie dann am 28.07.2002 zur Polizei gegangen.

Auch an der Richtigkeit der Aussagen der Zeuginnen Anne Rose und ... besteht kein Zweifel. Ihre Schilderungen waren detailreich, plausibel und in sich sowie im Vergleich zueinander widerspruchsfrei.

Die Zeugin ... hat zudem ausgesagt, sie habe nicht glauben können, dass der Angeklagte, seine Tochter ... missbraucht haben soll. Daher habe sie der Zeugin ... davon erzählt, die dann zu ihr gesagt habe: "Dann frage ´mal deine Tochter". Dadurch wird deutlich, dass die Zeugin die anderweitigen Vorwürfe kritisch hinterfragt und keine voreiligen Schlüsse zulasten des Angeklagten gezogen hat.

Im Ergebnis ist die Kammer demnach davon überzeugt, dass sich die Taten in der festgestellten Weise abgespielt haben.

IV.

Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 2 Fällen schuldig gemacht, §§ 176 Abs. 1, 53 StGB.

V.

Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren zu ahnden.

Für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 176 Abs. 1 StGB ist kein Raum. Ein minder schwerer Fall ist nur dann anzunehmen, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem solchen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Das ist hier nicht der Fall.

Der Angeklagte hat für seine Taten das Vertrauensverhältnis genutzt, das aufgrund der quasifamiliären Bindung und der Rolle als Aufsichtsperson zu der Zeugin ... bestand. Seine Handlungen waren dabei keineswegs nur unerheblich oder vergleichsweise harmlos. Er hat das mit einem Slip und einem Nachthemd bekleidete Kind aus eigenen sexuellen Motiven im Scheidenbereich gestreichelt und sodann sogar sein Glied an die Scheide des Mädchens gedrückt. Insgesamt stellt das Verhalten des Angeklagten damit geradezu typische Fälle sexueller Missbrauchshandlungen dar, die ihren nach Art, Umfang und Begehungsweise durchschnittlichen Charakter auch nicht dadurch verlieren, dass der Angeklagte keine physische Gewalt ausgeübt hat. Seinen Taten liegt damit weder eine im Vergleich zum Durchschnittsfall geringe Schuld noch ein geringeres Unrecht zugrunde, zumal der Angeklagte für seine Taten auch voll verantwortlich war.

Bei der konkreten Strafzumessung wirkt sich zugunsten des Angeklagten aus, dass er nicht vorbestraft ist und dass seit den Taten bereits ein langer Zeitraum vergangen ist.

Bei Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erschien der Kammer für die beiden Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine Freiheitsstrafe von jeweils 2 Jahren tat- und schuldangemessen.

Aus den genannten Einzelstrafen war - da die einzelnen Taten in Tatmehrheit begangen worden sind - nach den §§ 53, 54 StGB eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden. Unter zusammenfassender Würdigung der einzelnen Taten sowie nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer unter besonderer Berücksichtigung der für den Angeklagten sprechenden Umstände die Gesamtfreiheitsstrafe unter Erhöhung einer der verwirkten Einzelstrafen von 2 Jahren, die damit zur Einsatzstrafe wird, auf insgesamt

2 Jahre und 10 Monate

festgesetzt. Diese Dauer erscheint erforderlich, aber auch ausreichend, um dem Angeklagten das Unrecht seiner Tat vor Augen zu führen und ihn von weiteren Straftaten abzuhalten.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 465 Abs. 1 StPO.

... ...

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