Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 09.08.2018 - 4 W 18/18
Fundstelle
openJur 2019, 39930
  • Rkr:
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 17.05.2018, Az. 1 O 361/16, abgeändert. Das Verfahren wird im Hinblick auf den am 29.08.2017 gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG im Klageregister bekanntgemachten und dem Oberlandesgericht Köln zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterbescheids vorgelegten Beschluss des Landgerichts Essen vom 15.03.2018, Az. 17 O 347/16, gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt.

Der Kläger wird gemäß § 8 Abs. 3 KapMuG darüber unterrichtet, dass die anteiligen Kosten des Musterverfahrens zu den Kosten des Rechtsstreits gehören; dies gilt nicht, wenn die Klage innerhalb von einem Monat ab Zustellung dieses Aussetzungsbeschlusses zurückgenommen wird.

Dem Oberlandesgericht Köln wird nach § 8 Abs. 4 KapMuG ein Abdruck dieses Beschlusses übermittelt mit dem Hinweis, dass der in Höhe von 7.813,79 € geltend gemachte Zahlungsanspruch nebst Feststellungsanträgen, die der Kläger mit einem Wert von weiteren 1.000 € beziffert, von den Feststellungszielen des dort geführten Musterverfahrens betroffen ist.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 2.000 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen die beklagte Bank wegen behaupteter Falschberatung im Zusammenhang mit seiner am 23.03.2007 gezeichneten Beteiligung an einem Schiffsfonds - dem L... S... II (vgl. Anlage K2, Bl. 105 d.A.) - geltend. Die Anbieterin der Vermögensanlage ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.

Mit Schriftsatz vom 11.04.2018 hat der Kläger unter Hinweis auf den Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen vom 15.03.2018 - 17 O 347/16 (vgl. Ablichtung, Bl. 642 ff. d.A.), der im gerichtlichen Teil des Bundesanzeigers am 29.08.2017 veröffentlicht worden ist, beantragt, den Rechtsstreit gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen. Hinsichtlich des Einwandes der Beklagten, dass es im vorliegenden Rechtsstreit auf die mit dem Vorlagebeschluss dem Oberlandesgericht Köln zur Prüfung zugeleiteten Feststellungsziele schon deshalb nicht ankomme, weil der Kläger den betreffenden Emissionsprospekt nach seinen Angaben nicht vor Unterzeichnung der Beitrittserklärung erhalten habe, hat sich der Kläger, der primär behauptet, durch eine anhand des Emissionsprospektes vorbereitete Mitarbeiterin der Beklagten beraten worden zu sein, das widerstreitende Vorbringen der Beklagten hilfsweise zu eigen gemacht. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23.04.2018 beantragt, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen und das Verfahren fortzuführen, da es insbesondere schon an einer möglichen Kausalität der in dem Vorlagebeschluss bezeichneten Prospektinhalte für die Anlageentscheidung des Klägers fehle und etwaige Schadensersatzansprüche jedenfalls verjährt seien (Bl. 653 ff. d.A.). Mit Beschluss vom 17.05.2018 hat das Landgericht Potsdam den Aussetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen (Bl. 672 ff. d.A.). Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem klägerischen Vortrag könne nicht festgestellt werden, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von den im Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen niedergelegten Feststellungszielen abhänge. Der Kläger trage gerade vor, den Prospekt von der Beklagten nicht erhalten zu haben. Die stattdessen behauptete Prospektorientierung der mündlichen Beratung habe er nicht hinreichend substantiiert, so dass nicht erkennbar sei, wie ihm die im Rahmen des Kapitalanlagemusterverfahrens als fehlerhaft gerügten Prospektangaben entscheidungserheblich zur Kenntnis gelangt sein könnten. Soweit er sich hilfsweise den Vortrag der Beklagten zu eigen gemacht habe, den Prospekt rechtzeitig vor Zeichnung der Anlage erhalten zu haben, sei dies unbeachtlich, weil er damit gegen die ihm gemäß § 138 Abs. 1 ZPO obliegende Wahrheitspflicht verstoßen habe.

Gegen den ihm gemäß Empfangsbekenntnis seiner Prozessbevollmächtigten am 24.05.2018 zugestellten Beschluss (vgl. Bl. 678 d.A.) hat der Kläger mit am 07.06.2018 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 17.05.2018 aufzuheben und das Verfahren nach § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen. Für die Begründung der Beschwerde wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 07.06.2018 und vom 18.07.2018 verwiesen (Bl. 684 ff. und Bl. 741 ff. d.A.).

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Ziffer I. des angefochtenen Beschlusses (Bl. 672 ff. d.A.) sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 252 ZPO (vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 15. Aufl., § 252 Rn. 1; BT-Drucks. 17/8799, S. 21).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Der für die Beschwerde zuständige Senat ist zugleich Prozessgericht im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und damit selbst zur Entscheidung über die Aussetzung berufen, denn anders als bei einem Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof, bei dem eine Aussetzung nicht geboten wäre (BGH, Urteil vom 15.07.2014 - XI ZR 100/13, juris Rn. 12), gilt § 8 KapMuG auch bei Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG München, Beschluss vom 16.01.2018 - 3 U 2181/17, juris Rn. 27).

b) Das Verfahren ist im Hinblick auf den im Tenor bezeichneten Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen (vgl. Ablichtung, Bl. 642 ff. d.A.), der im gerichtlichen Teil des Bundesanzeigers am 29.08.2017 veröffentlicht ist, nach § 8 KapMuG auszusetzen. Es liegt ein einschlägiger im Klageregister bekanntgemachter Vorlagebeschluss vor, der den hier streitgegenständlichen Fonds, den hier streitgegenständlichen Emissionsprospekt sowie hier streitgegenständliche Prospektfehler betrifft. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt auch hinreichend wahrscheinlich von dessen Feststellungszielen ab.

aa) Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist für die Aussetzung des Verfahrens allein entscheidend, ob die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von den im Musterverfahren geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. Als vorgreiflich sind danach die im Vorlagebeschluss aufgeführten Feststellungsziele nicht nur dann anzusehen, wenn nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts feststeht, dass die Entscheidung über den Rechtsstreit nicht ohne die Beurteilung wenigstens eines der Feststellungsziele erfolgen kann. Vielmehr ist die Aussetzung bereits dann geboten, wenn die Erheblichkeit der Feststellungsziele für die Entscheidung möglich und mithin nicht bereits auf Grundlage des Parteivorbringens ausgeschlossen erscheint (OLG München, Beschlüsse vom 16.01.2018 - 3 U 2181/17, juris Rn. 26 und vom 27.08.2013 - 19 U 5140/12, juris Rn. 6 ff.;OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.01.2014 - 23 W 120/13, juris Rn. 7 f.).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil die streitgegenständlichen Ansprüche in Bezug auf den von der Streithelferin erstellten Verkaufsprospekt "L... S... II" in der Fassung vom 05.02.2007 (vgl. Anlage K1, Bl. 18 ff. d.A.) auf die im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen gestützt werden, die den Feststellungszielen des Vorlagebeschlusses zugrunde liegen. Dies trifft hier entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht nur dann zu, wenn der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger die hilfsweise übernommene Behauptung der Beklagten nicht widerlegen kann, dass der Prospekt bereits vor der Zeichnung des Fonds ausgehändigt wurde; denn vom Kläger ausreichend vorgetragen ist auch, dass die Beratung von einer Mitarbeiterin der Beklagten auf der Grundlage des Prospekts - und insoweit in einer mit den Feststellungszielen des Musterverfahrens korrelierenden Weise - vorbereitet und durchgeführt wurde.

(1) Dem Vortrag des Klägers zufolge sollen sich die angeblichen Fehler der Kapitalmarktinformationen jedenfalls auf seine Anlageentscheidung ausgewirkt haben, weil sie der Empfehlung der Anlageberaterin zu Grunde lagen. Damit sind die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen im Streitfall hinreichend erfüllt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts und der Beklagten ist für die Aussetzung keine vollständige Schlüssigkeitsprüfung erforderlich und geboten in dem Sinne, dass die Entscheidung zwingend von den Feststellungszielen abhängen muss (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.01.2014 - 23 W 120/13, juris Rn. 8; OLG München, Beschluss vom 27.08.2013 - 19 U 5140/12, juris Rn. 13). Gemäß der Gesetzesbegründung ist vielmehr "die Abhängigkeit [...] abstrakt zu beurteilen; deshalb genügt es, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungszielen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abhängen kann. Es ist nicht erforderlich, dass die Entscheidung nach Klärung sämtlicher übriger Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen nur noch von den Feststellungszielen abhängt" (BT-Drucks. 17/8799, S. 20). Insbesondere ist daher die Auffassung, das Vorbringen des Anspruchstellers müsse bereits im Rahmen der Prüfung der Aussetzungsreife eine prinzipielle Entscheidung über den möglichen Erfolg oder Nichterfolg der Klage erlauben, nicht zutreffend (vgl. OLG München, Beschluss vom 16.01.2018 - 3 U 2181/17, juris Rn. 26). Ein derart eng gefasster Schlüssigkeitsbegriff wird den Besonderheiten des Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nicht gerecht, denn in diesem können nicht nur Tatsachen-, sondern auch Rechtsfragen gegenständlich sein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 KapMuG). Sind aber teilweise auch erst im Musterverfahren die rechtlichen Maßstäbe für die zur Feststellung gestellten Prospektfehler zu klären, kann die im Rahmen eines Aussetzungsbegehrens anzustellende Schlüssigkeitsprüfung der Aussetzung nur insofern entgegenstehen, als auch bei unterstellter Bejahung aller Feststellungsziele und Unterstellung aller dazu behaupteten Tatsachen ein Anspruch unter keinen Umständen bestehen kann.

So liegt der Fall hier jedoch nicht. Insbesondere kann die Ursächlichkeit der im Vorlagebeschluss aufgeführten möglichen Prospektfehler für die Anlageentscheidung des Klägers nicht bereits deshalb verneint werden, weil dieser Prospekt dem Kläger nach seinem Hauptvorbringen nicht vor der Zeichnung der Anlage überreicht worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht es vielmehr der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (Beschlüsse vom 19.02.2009 - III ZR 168/08, juris Rn. 5 und vom 31.01.2008 - III ZR 119/07, juris Rn. 2; Urteile vom 13.12.2012 - III ZR 70/12, juris Rn. 11, vom 08.02.2010 - II ZR 42/08, juris Rn. 23 und vom 03.12.2007 - II ZR 21/06, juris Rn. 16; vgl. auch bereits Urteil vom 09.02.2006 - III ZR 20/05, juris Rn. 22 mwN). Wird der Prospekt nicht vor der Zeichnung übergeben, erfolgt die Vermittlung aber auf Grundlage des Prospekts, können sich fehlerhafte Prospektangaben in das Beratungsgespräch hinein fortsetzen und genauso wirken, wie wenn dem Anleger der Prospekt rechtzeitig übergeben worden wäre und er überhaupt kein Gespräch mit dem Anlageberater geführt, sondern sich allein aus dem Prospekt informiert hätte (BGH, Urteile vom 03.11.2015 - II ZR 270/14, juris Rn. 14 und vom 03.12.2007 - II ZR 21/06, juris Rn. 17 f.).So wie die Richtigkeit oder Vollständigkeit eines Prospekts nicht allein anhand der wiedergegebenen Einzeltatsachen, sondern nach dem Gesamtbild zu beurteilen ist, das er von den Verhältnissen des Unternehmens vermittelt (vgl. BGH, Urteil vom 14.06.2007 - III ZR 300/05, juris Rn. 8), kommt es auch bei einer nach dem Gesamtbild zu beurteilenden Fehlerhaftigkeit des Prospekts nicht darauf an, dass sich der Anleger bei seiner Anlageentscheidung auf ganz bestimmte Passagen in dem Prospekt bezieht. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann ein Prospektfehler demnach auch dann ursächlich für die Anlageentscheidung sein, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Anlagegesellschaft von den Anlagevermittlern als maßgebliche Arbeitsgrundlage für ihre Beratungsgespräche benutzt wird; es kommt dann auch nicht darauf an, ob der Prospekt dem Anlageinteressenten übergeben worden ist oder - was nicht anders zu behandeln wäre - ob er den Prospekt hinsichtlich der risikorelevanten Hinweise in allen Einzelheiten zur Kenntnis genommen hat (vgl. BGH, Urteile vom 17.04.2018 - II ZR 265/16, juris Rn. 26, vom 16.03.2017 - III ZR 489/16, juris Rn. 32, vom 12.2012 - III ZR 70/12, juris Rn. 11, vom 06.11.2008 - III ZR 290/07, juris Rn. 18 und vom 03.12.2007 - II ZR 21/06, juris Rn. 16 f.). Insoweit kann die Kausalitätsvermutung zwar vom Anlagevermittler widerlegt werden, was vor allem in Betracht zu ziehen ist, wenn der Prospekt bei der Beratung nicht selbst konkret verwendet worden ist (BGH, Urteil vom 23.07.2009 - III ZR 306/07, juris Rn. 7). Die Klärung dieser Frage ist aber gegebenenfalls einer Beweisaufnahme vorbehalten.

(2) Vor diesem Hintergrund genügt es für die ausreichende Prospektorientierung der Beratung, dass diese nach dem Vortrag des Klägers auf der Basis des Verkaufsprospekts erfolgt ist (siehe Klageschrift, S. 6 ff.; Bl. 6 ff. d.A. und Schriftsatz vom 05.02.2018, S. 4; Bl. 597 d.A.), so dass etwaige Fehler des Prospekts in den Inhalt des Gesprächs eingeflossen und für die Anlageentscheidung ursächlich geworden sein können (vgl. BGH, Urteile vom17.04.2018 - II ZR 265/16, juris Rn. 26, vom 06.03.2012 - VI ZR 70/10, juris Rn. 28 und vom 13.12.2012 - III ZR 70/12, juris Rn. 11). Der Kläger hat zudem auf einzelne Passagen des Prospekts hingewiesen (vgl. BGH, Urteil vom 17.04.2018 - II ZR 265/16, aaO), so etwa auf die dort angeblich unrealistische Marktdarstellung für Containerschiffe (Klageschrift S. 7; Bl. 7 d.A.), womit die in dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen zu Nr. 1. a) formulierte Feststellungsfrage korrespondiert ("... dass die zu erwartende Neutonnage und die Nachfrage sowie die Marktaussichten für Containerschiffe im Verkaufsprospekt falsch und/oder irreführend dargestellt wird und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt ..."; vgl. Ablichtung, Bl. 644 d.A.). Ferner hat er einen fehlenden Hinweis zum seinerzeit bevorstehenden Ausbau des Panamakanals geltend gemacht (Klageschrift, S. 9; Bl. 9 d.A.), womit die in dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen zu Nr. 1. j) formulierte Feststellungsfrage korrespondiert ("... dass der Verkaufsprospekt keinen Hinweis auf die Erweiterung des Panamakanals enthält und demnach nicht über den Wegfallenden Wettbewerbsvorteil der Panama-Schiffe aufgeklärt wird ..."; vgl. Ablichtung, Bl. 644 d.A.). Insofern liegt der Streitfall auch jedenfalls anders, als in der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24.10.2017 - 8 W 478/17 (vgl. Anlage B30, Bl. 660 ff. d.A.), wo es ausweislich der Beschlussbegründung an einem entsprechenden Klagevortrag gerade fehlte (aaO, S. 6; Bl. 665 d.A.).

(3) Mit diesem Vortrag behauptet der Kläger auch nicht bereits, durch mündliche Angaben der Mitarbeiterin der Beklagten arglistig getäuscht worden zu sein, was einen konkreten, dem Beweis zugänglichen Vortrag zu den täuschenden Angaben über das Anlageobjekt zur Voraussetzung hätte (BGH, Urteil vom 19.09.2006 - XI ZR 204/04, BGHZ 169, 109 Rn. 24); denn der arglistig Getäuschte ist für sämtliche Voraussetzungen der Täuschung und damit für einen dadurch erregten Irrtum darlegungs- und beweisbelastet (BGH, Urteil vom 13.05.1957 - II ZR 56/56, NJW 1957, 988 und Beschluss vom 08.12.2011 - IV ZR 5/10, juris Rn. 12), was substantiierte Angaben dazu verlangt, dass die maßgeblichen Prospektpassagen im Gespräch mit dem Vermittler tatsächlich erörtert worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 23.04.2013 - XI ZR 405/11, juris Rn. 27; OLG Köln, Urteil vom 1. Oktober 2010 - 13 U 119/06, juris Rn. 25 f.). Der Kläger behauptet demgegenüber primär ein Informationsverschulden der Beklagten durch das pflichtwidrige Unterlassen einer vollständigen Risikoaufklärung wegen der Verwendung einer fehlerhaften Kapitalmarktinformation als maßgeblicher Beratungsgrundlage ihrer Mitarbeiterin(vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2009 - XI ZR 337/08, juris Rn. 15 ff.). Doch selbst wenn der Kläger die geltend gemachten Ansprüche teilweise auch auf eine arglistige Täuschung stützen würde, und dies zur Folge hätte, dass seinem Vortrag insoweit keine in dem Musterverfahren festzustellenden Tatsachen oder Rechtsfragen korrelierten, führte dies ebenso wenig wie der Umstand, dass der Kläger auch vermeintlich fehlerhafte Passagen aus dem Prospekt anführt, die nicht Gegenstand des Musterverfahrens sind, hier dazu, dass das Klageziel insgesamt aus dem Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz herausfiele (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25.02.2016 - III ZB 74/15, juris Rn. 12 und vom 05.11.2015 - III ZB 69/14, juris Rn. 24).

cc) Auf die in der angefochtenen Entscheidung vom Landgericht erörterte Frage, ob der Kläger sich entgegen seiner eigenen Überzeugung hilfsweise den ihm günstigen Vortrag der Beklagten, wonach ihm der Verkaufsprospekt rechtzeitig vor Zeichnung der Anlage überlassen worden ist, ohne Verstoß gegen die ihm gemäß § 138 Abs. 1 ZPO obliegende Wahrheitspflicht zu Eigen machen kann (vgl. BGH, Urteile vom 19.06.1995 - II ZR 255/93, juris Rn. 29 und vom 10.01.1985 - III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; MünchKommBGB/Fritsche, 5. Aufl., § 138 Rn. 12 mwN), kommt es für die Aussetzungsentscheidung nach allem nicht an.

b) Es ist im Streitfall auf Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens und der bisherigen Feststellungen des Landgerichts schließlich nicht konkret ersichtlich, dass die Sache bereits ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele des Musterverfahrens abweisungsreif wäre, so dass dessen Ausgang für die Entscheidung keine erheblichen Erkenntnisse mehr erwarten ließe und es den Prozessparteien deshalb nicht mehr zuzumuten wäre, seinen Ausgang abzuwarten. Insbesondere fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der Feststellungsziele hier nicht schon deshalb, weil den vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen auf Grundlage der bisher vom Landgericht getroffenen Feststellungen die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegensteht (vgl. § 214 Abs. 1 BGB).

aa) Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist für eine Aussetzung erforderlich, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn die Sache ohne weitere Beweiserhebungen und ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele eines Musterverfahrens entscheidungsreif ist. Grund dafür ist, dass durch das Musterverfahren in solchen Fällen keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich werden können, und es den Prozessparteien deswegen auch nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Musterverfahrens abzuwarten (BGH, Beschlüsse vom 25.02.2016 - III ZB 74/15, juris Rn. 14 f., vom 28.01.2016 - III ZB 88/15, juris Rn. 14 und vom 02.12.2014 - XI ZB 17/13, juris Rn. 13 f.).

bb) Der vorliegende Rechtsstreit ist indes nicht ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele des Musterverfahrens entscheidungsreif. Zum einen sind etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers wegen der von ihm am 23.03.2007 gezeichneten Beteiligung (vgl. Anlage K2, Bl. 105 d.A.) mit Rücksicht auf die der Beklagten gemäß Postzustellungsurkunde am 05.01.2017 zugestellte Klage (vgl. Bl. 119 d.A.) nicht bereits wegen Ablaufs der kenntnisunabhängigen zehnjährigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB insgesamt verjährt. Zum anderen ist auf der Grundlage des bisherigen Parteivorbringens nicht davon auszugehen, dass ein Ablauf der kenntnisabhängigen dreijährigen Regelverjährung (§§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), die für die in Betracht kommenden Pflichtverletzungsvorwürfe jeweils gesondert zu prüfen ist (siehe nur BGH, Urteile vom 16.07.2015 - III ZR 238/14, juris Rn. 15 und vom 18.06.2015 - III ZR 198/14, juris Rn. 14), die Durchsetzbarkeit des Anspruchsbegehrens hinderte. Eine Kenntniserlangung oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den im Musterverfahren zu prüfenden Prospektfehlern steht jedenfalls nicht bereits für einen Zeitpunkt fest, der unter verjährungsrechtlichem Gesichtspunkt der rechtzeitigen Hemmungswirkung der Klageerhebung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB entgegenstünde. Das gilt umso mehr, als sich der Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen hinsichtlich der dort zu Nr. 5 und Nr. 6 formulierten Feststellungsziele selbst zu insoweit relevanten verjährungsrechtlichen Fragen verhält (vgl. Ablichtung, Bl. 645 d.A.).

c) Die Zulässigkeit und die Sachdienlichkeit des Musterverfahrens sind hier nicht zu prüfen. Sowohl das Prozessgericht des Musterverfahrens als auch der Senat im Beschwerdeverfahren sind an den Vorlagebeschluss gebunden, denn dieser ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG unanfechtbar und mithin auch einer Überprüfung im Verfahren nach § 8 KapMuG entzogen.

3.Einer Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bedarf es nicht, weil diese Kosten solche des Rechtsstreits sind, die von der dort unterliegenden Partei zu tragen sein werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16.06.2009 - XI ZB 33/08, juris, Rn. 19 und vom 12.12.2005 - II ZB 30/04, juris Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.01.2014 - 23 W 120/13, juris Rn. 9).

4. Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts hat sich der Senat am geschätzten Interesse der Beklagten an der Verhinderung der Aussetzung orientiert und dies mit 1/5 des Wertes der Klageanträge bemessen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 10.12.2012 - 5 W 422/12, juris Rn. 11; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 23 W 120/13, juris Rn. 10).

5. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung; sie steht zudem hinsichtlich der maßgeblichen Rechtsfragen in Einklang mit der zitierten Rechtsprechung anderer Obergerichte (siehe auch OLG Naumburg, Beschluss vom 12.07.2018 - 5 W 47/18 (vgl. Anlage BF9, Bl. 748 f. d.A.), dem ebenfalls der Vorlagebeschluss des Landgerichts Essen sowie ein auch im Übrigen vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt).