OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.06.2019 - 15 B 771/19
Fundstelle
openJur 2019, 29106
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 L 706/19
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners mit dem sinngemäßen Antrag,

den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Eilantrag des Antragstellers gegen die "Bestätigungsverfügung mit beschränkenden Auflagen" vom 14. Juni 2019 abzulehnen,

hat keinen Erfolg.

Dabei geht der Senat davon aus, dass die "Änderungsverfügung mit beschränkenden Auflagen" vom 16. Juni 2019 die Verfügung vom 14. Juni 2019 nicht ersetzt, sondern gleichsam vorsorglich bzw. unter der auflösenden Bedingung eines Erfolgs des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren ergangen ist, um der stattgebenden Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts vom 15. Juni 2019 Rechnung zu tragen. Das Verwaltungsgericht hatte dem Antragsgegner aufgegeben, dem Antragsteller die Durchführung der Dauerversammlung "S. S1. L. " auf dem Gelände des "F. mit T. "-Festivals Am I. C. in W. bis zum 16. Juni 2019, 14 Uhr, zu bestätigen.

In der Sache führen die vom Antragsgegner erhobenen Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht zu einem anderen Ergebnis der im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung.

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17, vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 9 und 13, vom 26. April 2001 - 1 BvQ 8/01 -, juris Rn. 11 f., vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, juris Rn. 32 ff., vom 1. Dezember 1992 - 1 BvR 88/91, 1 BvR 576/91 -, juris Rn. 52, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris Rn. 80 - Brokdorf; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris Rn. 6, vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris Rn. 10, vom 29. Dezember 2016 - 15 B 1500/16 -, juris Rn. 17, vom 7. Oktober 2016 - 15 B 1154/16 -, juris Rn. 8, vom 29. Juli 2016 - 15 B 875/16 -, juris Rn. 6, und vom 21. Oktober 2015 - 15 B 1201/15 -, juris Rn. 10.

Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 30, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris Rn. 79 - Brokdorf; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris Rn. 8, vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris Rn. 12, vom 29. Dezember 2016 - 15 B 1500/16 -, juris Rn. 19, vom 7. Oktober 2016 - 15 B 1154/16 -, juris Rn. 10, vom 29. Juli 2016 - 15 B 875/16 -, juris Rn. 8, und vom 21. Oktober 2015 - 15 B 1201/15 -, juris Rn. 12.

Geht es - wie streitgegenständlich - um die versammlungsbehördliche Verlegung der Versammlung von dem angemeldeten an einen anderen Ort, ist zu berücksichtigen, dass von dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nach Art. 8 Abs. 1 GG prinzipiell auch die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung umfasst ist. Die Behörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsorts Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Ist dies der Fall, kann der Veranstalter die Bedenken durch eine Modifikation des geplanten Ablaufs ausräumen oder aber es kommen versammlungsrechtliche Auflagen in Betracht, um eine praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen. Art. 8 Abs. 1 GG und dem aus ihm abgeleiteten Grundsatz versammlungsfreundlichen Verhaltens der Versammlungsbehörde entspricht es, dass auch bei Auflagen das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters im Rahmen des Möglichen respektiert wird. Ferner ist von Bedeutung, ob durch die Auflage die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden kann, ohne den durch das Zusammenspiel von Motto und geplantem Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung - ein Anliegen ggf. auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen am Wirksamsten zur Geltung zu bringen - erheblich zu verändern.

Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 - 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 9, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 64, Beschlüsse vom 2. Dezember 2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris Rn. 23 ff., vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 38, vom 4. Januar 2002 - 1 BvQ 1/02 -, juris Rn. 3, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris Rn. 61 - Brokdorf; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Oktober 2018 - 15 B 1361/18 -, juris Rn. 12, vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris Rn. 10, vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris Rn. 14, vom 29. Dezember 2016 - 15 B 1500/16 -, juris Rn. 21 ff., und vom 24. Oktober 2015 - 15 B 1226/15 -, juris Rn. 10 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 22. April 2016 - 11 ME 82/16 -, juris Rn. 22 ff.

Gemessen an diesen Maßstäben stellt der Antragsgegner die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts mit seinem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage. Mit der Beschwerde macht der Antragsgegner geltend, es bestünden Gefahren für die Versammlungsteilnehmer, weil das in Rede stehende Demonstrationscamp, das der Antragsgegner vorsorglich als Versammlung im Sinne von Art. 8Abs. 1 GG qualifiziert,

vgl. zur Reichweite des Versammlungsrechts insoweit auch BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 1 BvR 1387/17 -, juris Rn. 22; Hamb. OVG, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 Bs 148/17 -, juris Rn. 43,

mangels eines tragfähigen Sicherheits-, Rettungsdienst- und Brandschutzkonzepts nicht gefahrlos ausgerichtet werden könne. Weiterhin trägt der Antragsgegner vor, es seien Gefahren durch die Versammlung zu befürchten, weil diese zu Nutzungseinschränkungen der Außensportanlagen auf dem Gelände für Vereine und die Bevölkerung führe. Mit beiden Rügen wird indes nicht dargetan, dass eine Gefahrenlage im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG gegeben ist, die eine Verlegung der Versammlung von dem Gelände des "F. mit T. "-Festivals zum landwirtschaftlich genutzten Grundstück an der Straße N. rechtfertigt.

Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich schon nicht, dass das Demonstrationscamp eine unmittelbare Gefahr für die Versammlungsteilnehmer mit sich bringt. Dieses beschreibt eher eine abstrakte Gefahrenlage, stellt aber keinen ausreichend konkreten Bezug zur der geplanten Versammlung her. Darüber hinaus macht die Beschwerde nicht plausibel, dass es auf der Grundlage des Versammlungsrechts nicht möglich sei, hinreichende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Für das Gegenteil spricht die vom Antragsgegner angesichts des stattgebenden Eilbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 15. Juni 2019 erlassene Änderungsverfügung. Auch wenn diese - wie ausgeführt - als mit Blick auf das Beschwerdeverfahren und dessen Ausgang vorsorglich zu verstehen ist, enthält sie ein zur Gefahrenabwehr taugliches Auflagenprogramm. Dieses schließt insbesondere die Vorsorge vor Waldbrandgefahren im nahegelegenen Waldgebiet und die Freihaltung von Rettungswegen ein. Entsprechendes gilt für das versammlungsbedingt zu erwartende Verkehrsaufkommen, das - soweit erforderlich - durch geeignete verkehrsregelnde Anordnungen zu bewältigen ist.

Dass sich aufgrund des Demonstrationscamps Nutzungskonflikte hinsichtlich der Außensportanlagen wie dem Volleyballfeld und der Skateanlage ergeben, denen nur durch eine Verlegung der Versammlung begegnet werden kann, legt der Antragsgegner ebenfalls nicht dar. Wie die Änderungsverfügung vom 16. Juni 2019 zeigt, können im Einzelnen bezeichnete Sportanlagen von der Versammlungsfläche ausgenommen werden. Wenn die Nutzer dieser Anlagen während der Dauer des Camps vom 19. Juni 2019 bis zum 24. Juni 2019 mit diesem und dessen Anliegen konfrontiert werden und gegebenenfalls weitere Einschränkungen erfahren, ist dies im Lichte von Art. 8 Abs. 1 GG hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).