SG Münster, Urteil vom 04.02.2014 - S 14 R 341/11
Fundstelle
openJur 2019, 29043
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. L 8 R 335/14
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.368.580,50 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Beitragsnachforderungsbescheid nichtig oder zumindest im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) aufzuheben ist.

Die Klägerin betreibt Schlachthöfe im Zuständigkeitsbereich der Beklagten und darüber hinaus.

Im Rahmen von Ermittlungen, die sich zunächst gegen einen rumänischen Unternehmer und dessen Fa. S. C. E. SRL (U., Rumänien) - im Folgenden E. ?richteten, nahmen Steuerfahndung und Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) Ermittlungen gegen beide Vorstandsmitglieder, die Leiterin der Rechtsabteilung sowie gegen die Betriebsleiter von vier Schlachthöfen der Klägerin wegen des Verdachts des Einschleusens von Ausländern, zumindest zunächst auch wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und des Betruges bzw. des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt auf. Das Gericht hat die Akten der Staatsanwaltschaft Bielefeld Az. beigezogen, von diesem Verfahren wurden Ermittlungsverfahren gegen die o. g. sieben Personen abgetrennt. Die Akten lassen zumindest zwei Gesprächstermine erkennen, an denen Mitarbeiter der Steuerfahndung und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Anwälte der Klägerin und andere Personen, ggfs. Vorstandsmitglieder der Klägerin oder Mitarbeiter ihrer Rechtsabteilung, teilnahmen. In dem Vermerk des Staatsanwalts T. (StA B.) vom 20.01.2006 über ein Gespräch vom Vortag heißt es (Bl. 1900f. Bd. X Akten StA B.): Gegenstand des Gesprächs war zum einen, dass nach den Feststellungen im Vorliegenden Verfahren beim Einsatz rumänischer Werkvertragsarbeitnehmer der Fa. S. C. E. SRL (U., Rumänien) durch die Beschuldigten E. und C. auf den Schlachthöfen der X. e. G. in M. und Q. bei sämtlichen genehmigten und dort durchgeführten Verträgen (ab 2000) die Voraussetzungen einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung iSv. §§ 16 AÜG vor dem Hintergrund erfüllt waren, dass der rumänische Betrieb der S. C. E. SRL eigens auf Veranlassung der X. e. G. aufgebaut und die rumänischen Arbeiter eigens für den Einsatz in Deutschland durch die Leiter der Schlachthöfe Q. und M. ausgewählt und auf ihre Veranlassung durch die S. C. E. SRL eingestellt worden war bzw. waren. Eine Strafbarkeit von Verantwortlichen der X. e. G. nach § 15a AÜG bzw. der hiesigen Beschuldigten nach § 15 AÜG ist hingegen nicht gegeben, da die rumänischen Arbeiter über Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse verfügten. Dieser Sachverhalt werde, so die Rechtsbeistände der X. e. G. akzeptiert mit der Folge, dass nach § 10 AÜG Arbeitsverhältnisse zwischen der X. e. G. und den rumänischen Arbeitnehmern als zustande gekommen gelten. Die rumänischen Arbeiter waren mithin zur deutschen Sozialversicherung anzumelden gewesen. Unter Vermittlungen von Hr. T. haben insoweit bereits Gespräche zwischen der Deutschen Rentenversicherung, der Berufsgenossenschaft und der X. e. G. stattgefunden, in denen die X. e. G. sich bereit erklärt hat, rund 2,4 Mio EUR Sozialversicherungsbeiträge einschl. Säumniszuschläge und rund 54.000 EUR Berufsgenossenschaftsbeiträge nachzuentrichten. Diese Absicht wurde gestern bekräftigt.

Bei dem erwähnten T. handelt es sich um einen Beamten der Steuerfahndung.

In der Folge erteilte die Beklagte den hier zur Überprüfung gestellten bzw. als nichtig angegangenen Bescheid vom 30.01.2006, der die eingangs genannte Nachforderungssumme einschließlich von Säumniszuschlägen ausweist. Gegen diesen Bescheid wurde durch die Klägerin kein Widerspruch eingelegt, die Zahlungen erfolgten nach dem Vorbringen der Beklagten (Schriftsatz vom 20.09.2011) in der 12. KW des Jahres 2006, also in der Zeit vom 20.-26.03.2006. Außerdem erfolgten Zahlungen an die Steuerbehörden.

Weiter versandte die Staatsanwaltschaft B. an die Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter der Klägerin mit Auflagen versehen Einstellungsvorschläge, datierend vom 27.04.2006. Die Einstellung der Verfahren erfolgte nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft B. zwischen dem 16.05. und dem 29.06.2006. Die Akten der Staatsanwaltschaft sind nach derselben Mitteilung vom 31.01.2013 im Juni 2012 nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden.

Nach vorbereitetem Schriftverkehr, Ankündigung und Antrag auf Akteneinsicht beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 16.12.2009 die Überprüfung des Bescheides vom 30.01.2006 nach § 44 SGB X. Die Beklagte lehnte dies ab mit Bescheid vom 14.05.2010. Im Widerspruchsverfahren wurde seitens der Klägerin keine Begründung vorgelegt, der Widerspruchsbescheid datiert vom 22.03.2011.

Hiergegen richtet sich die am 21.04.2011 erhobene Klage. Das Gericht hat mit Beschluss vom 02.08.2011 die Einzugsstelle beigeladen.

Die Klägerin lässt vorbringen, sie habe sich während des Ermittlungsverfahrens von Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Finanzkontrolle Schwarzarbeit in einer "Notstandsituation" befunden. Es sei nicht sicher geworden, ob ihre Vorstände in Untersuchungshaft genommen würden, sie habe um ihren guten Ruf in der Kundschaft bangen müssen, da Lebensmittel sensible Produkte seien. Außerdem habe sie sich in laufenden Verhandlungen über einem Großkredit für die zukünftige Unternehmensfinanzierung befunden; diese Verhandlungen hätten nicht durch ausufernde strafrechtliche Ermittlungsverfahren gestört werden dürfen. Daher hätten ihre leitenden Mitarbeiter und ihre Verteidiger bewusst darauf verzichtet, viele der Vorhaltungen der Staatsanwaltschaft und der Ermittler zu entkräften. Einerseits seien sie dazu mangels Akteneinsicht nicht in der Lage gewesen; andererseits hätte dies das "Ausufern" der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bedeutet und so die "geräuschlose" Beendigung der Ermittlungen verhindert. Nur aus diesem Grund hätten die leitenden Mitarbeiter der Klägerin in die Einstellung gem. § 153a StPO eingewilligt. Auf Nachfrage des Gerichts stellt die Klägerin ausdrücklich in Abrede, dass ihre Vorstände oder Mitarbeiter zugegeben, akzeptiert und damit gewusst hätten, was tatbestandlich relevant sei für den zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 30.01.2006. Sodann lässt sie umfangreich zu den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Haftung aus § 10 AÜG vortragen

Weiter greift sie den Bescheid vom 30.01.2006 als nichtig nach § 40 Abs. 1 SGB X an, mit der Begründung, die Beklagte sei an entscheidender Stelle der Begründung des Bescheides von einer tatsächlichen Verständigung mit der Finanzverwaltung ausgegangen, diese habe es aber nicht gegeben. Sie rügt, vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden zu sein, sie habe auf ihr Anhörungsrecht auch nicht verzichtet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2010, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2011 zur verurteilen, die Nichtigkeit des Bescheides vom 30.01.2006 festzustellen,

hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2010, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2011 zur verurteilen, den Bescheid vom 30.01.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich darauf, die Klägerin habe gegenüber der Staatsanwaltschaft und anderen offiziellen Stellen zugegeben, akzeptiert und damit gewusst, dass der Tatbestand der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in Zusammenhang mit den von der E. entliehenen Arbeitnehmer bestanden habe und dies einen sozialversicherungsrechtlichen Gesamtschaden in Höhe von ca. 2,4 Mio EUR ausgemacht habe. In ihrem Schriftsatz vom 16.12.2011 räumt die Beklagte ausdrücklich eine fehlerhafte Begründung des Bescheides vom 30.01.2006 insoweit ein, als dort von einer tatsächlichen Verständigung mit der Finanzverwaltung ausgegangen worden sei, bewertet diesen Fehler aber als nicht schwerwiegend und nicht offensichtlich im Sinne des § 40 Abs. 1 SGB X. Auch die Beklagte trägt umfangreich zu den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Haftung der Klägerin vor.

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beigeladene

hat keinen Antrag gestellt.

Das Gericht hat die Akten des Ausgangsverfahrens gegen E. u. a. (Az.: StA B.) beigezogen, hinsichtlich der Akten betreffend die Verfahren der Vorstände und Mitarbeiter der Klägerin ist dies nicht gelungen. Über die Beteiligten hat das Gericht in Kopie einen Teil der Einstellungsangbote sowie der Verfügungen über die vorläufige und sodann endgültige Einstellung von Verfahren erhalten. Die Beklagte hat dem Gericht weiter neben dem zitiertem Vermerk des Staatsanwalts T. vom 20.01.2006 auch den über den weiteren Verfahrensverlauf Auskunft gebenden Vermerk des Zollinspektors O. vom 01.06.2010 vorgelegt, aus dem die Zahlungen an die Steuerbehörden ersichtlich sind.

Außerdem hat das Gericht in Kopie die Akten des zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossenen Verfahrens S 0 U 000/11 SG Mainz (E./.BG ) beigezogen. Mit den Beteiligten ist im Termin erörtert worden, dass das Verfahren E .../.Beklagte weiter bei dem Sozialgericht Münster unter Az. S 0R 000/11 anhängig ist.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten einschließlich der beigezogenen Ermittlungsakten und der Akten des SG Mainz, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, einen grundsätzlich möglichen Feststellungsantrag nach § 55 Abs. 1 Ziffer 4 SGG hat die Klägerin nicht gestellt.

Die Klage ist nicht begründet.

Das Sozialgericht geht davon aus, dass der Bescheid vom 30.01.2006 bestandskräftig geworden ist, obwohl die primär haftende Fa. E. den gegen sie ergangenen Bescheid angefochten hat. Andernfalls wären die von der Klägerin geltend gemachten Voraussetzungen des § 44 SGB X tatbestandlich nicht gegeben und der Antrag nach § 44 SGB X nicht statthaft. Die Klage wäre, soweit sie auf diese Anspruchsgrundlage gestützt wird, schon deshalb unbegründet und könnte wegen fehlender Durchführung eines Widerspruchsverfahrens auch nicht in eine direkte Klage gegen den Bescheid vom 30.01.2006 umgedeutet werden.

Ein Rücknahmeanspruch der Klägerin aus § 44 SGB X ist schon wegen unzulässiger Rechtsausübung nicht gegeben. Die Klägerin kann nach Treu und Glauben nicht verlangen, einen mit einer Einstellung nach § 153a StPO inhaltlich verknüpften Beitragsnachforderungsbescheid aufzuheben, ohne zuvor die Wirkung der Einstellungsverfügung beseitigt und den durch sie erlangten Vorteil preisgegeben zu haben. Darin, dass der Grundsatz von Treu und Glauben, wie er in § 242 BGB kodifiziert ist, auch im Sozialrecht Anwendung findet, folgt das Gericht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.09.2006, SozR 4-2600 § 118 Nr 4 Rn 66ff.; auch KassKomm-Steinwedel, SGB X § 44 Rn 8). Wenn die Klägerin den Bestand des Bescheides vom 30.01.2006 angreift, verkennt sie, dass dieser im konkreten Fall seine eigentliche Grundlage im Vorgehen der Staatsanwaltschaft nach § 153a StPO hat.

§ 153a Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 StPO sieht ausdrücklich Auflagen zur Wiedergutmachung des Schadens vor, wie sie hier durch die Nachzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen erfolgt ist. Konkrete, schon recht weitgehende Überlegungen dazu haben in den Gesprächen über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens ? letztlich in der sodann auch verwirklichten Form - eine wesentliche Rolle gespielt, wie der zitierte staatsanwaltliche Vermerk vom 20.01.2006 belegt. Der weitere Ablauf nach den Gesprächen am 19.01.2006 lässt erkennen, dass bereits elf Tage später die Beklagte den jetzt angegangenen Bescheid erlassen hat, was es erlaubt, auf einen nicht nur zeitlichen Zusammenhang rückzuschließen. Der Bescheid vom 30.01.2006 war bereits bestandskräftig (wohl im März 2006) und die angeforderten Nachzahlungen waren bereits erbracht (nach Mitteilung der Beklagten in der 12. KW des Jahres 2006), als die Staatsanwaltschaft ihre Einstellungsangebote versandte (datierend vom 27.04.2006), erst recht als die Verfügungen über die vorläufige und sodann über die endgültige Einstellung des Verfahrens ergingen. Zur sicheren Überzeugung des Gerichts bedeutet dies, dass die sonst zu fordernde Wiedergutmachung hier lediglich zeitlich vorverlagert worden ist und nur deshalb als Einstellungsauflage entbehrlich war. Denn gerade im Hinblick auf den spezifischen Tatvorwurf und den entstandenen Schaden konnte nicht erwartet werden, dass die Staatsanwaltschaft auf eine Wiedergutmachung verzichten würde. Unter solchen Umständen kann die Klägerin keine Überprüfung nach § 44 SGB X verlangen, die im Rahmen anzustellender Ermittlungen klären müsste, ob bei Erlass des Bescheides vom 30.01.2006 das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, wozu sie umfangreich hat vortragen lassen.

Es besteht kein Anhalt dafür und wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht, dass Steuerfahndung, FKS und/oder Staatsanwaltschaft die der Einstellung nach § 153a StPO vorangehende Einigung erpresst hätten, wie dies z. B. zum Gegenstand mehrerer Entscheidungen des BFH gemacht worden ist (Urteile vom 23.10.1996 und vom 28.10.1998, Az. I R 63/95 u. Az. X R 93/95; Beschluss vom 21.03.1995, Az. I B 142/94). Dagegen spricht schon, dass die Interessen der Klägerin ausweislich des Vermerks vom 20.01.2006 nicht nur durch einen Mitarbeiter ihrer Rechtsabteilung, sondern auch durch drei Rechtsanwälte einer international ausgerichteten Kanzlei und einen spezialisierten Hochschullehrer des Rechts wahrgenommen wurden. Das Gericht sieht deshalb auch keinen Anlass, dem Wahrheitsgehalt der Behauptung über eine wirtschaftliche Zwangslage ? nach dem Vorbringen der Klägerin "Notstandssituation" - nachzugehen. Nachdem eine Einigung erzielt worden ist und da die Staatsanwaltschaft die Verfahren nach § 153a StPO endgültig eingestellt hat, ist es nach Auffassung der erkennenden Kammer auch ohne wesentliche Bedeutung, ob eine strafgerichtliche Verurteilung zur Zeit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens wahrscheinlich und ob die Schuld gering war. Im Übrigen kann die Kammer schon die einzelfallbezogene alltägliche strafprozessuale Praxis in der Bewertung dieser Begriffe nicht ausreichend nachvollziehen. Offenbleiben kann auch, ob im konkreten Fall die Schuld nur deshalb - ggfs. noch - als gering angesehen werden konnte, weil weitergehende Ermittlungen nicht mehr angestellt wurden oder nur mit großem Aufwand hätten angestellt werden können.

An diesem so zustande gekommenen Ergebnis muss sich die Klägerin nach Treu und Glauben festhalten lassen, wofür auch schon spricht, dass nach dem inzwischen eingetretenen Zeitablauf eine inhaltliche Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des im Bescheid behandelten Anspruchs nach §§ 10 Abs. 3 AÜG, 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV praktisch nicht mehr möglich ist, was auch der Klägerin bewusst sein muss. Es würde gegen Treu und Glauben verstoßen, die Vorteile dieser Lage ? Freiheit von Strafverfolgung gegen leitende Mitarbeiter ? erlangt zu haben, die Nachteile ? Nachzahlung von Beiträgen ? aber zu beseitigen. Die Klägerin wäre deshalb allenfalls darauf zu verweisen, diese parallel zum Bescheid vom 30.01.2006 geschaffene Grundlage anzugehen, also die Einstellung des Verfahrens anzufechten. Die Beurteilung, ob eine solche Möglichkeit besteht, obwohl sie in der Strafprozessordnung nicht kodifiziert ist, liegt außerhalb der Zuständigkeit des Sozialgerichts.

Letztlich zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt der von der Beklagten zitierte Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 08.12.2010, Az. L 1 B 1/08 KR-PKH, veröffentlich in Juris. Unabhängig davon, dass die Mitarbeiter der Klägerin keine Geständnisse abgelegt, sondern lediglich "bewusst darauf verzichtet" haben, Vorhaltungen der Staatsanwaltschaft und der Ermittler zu entkräften, um zu einer Einstellung des Verfahrens zu gelangen, gilt auch hier, dass die Klägerin sich die so entstandene Rechtslage, die im Weiteren auch durch den Verzicht auf Rechtsmittel und die aktive Zahlung entstanden ist, entgegen halten lassen muss. Mit dem Sächsischen LSG geht die erkennende Kammer davon aus, dass die Klägerin, wenn sie den Bescheid vom 31.01.2006 angreifen will, nunmehr ihrerseits in allen Einzelheiten darlegen und geeignete Beweisangebote unterbreiten muss, die erwarten lassen, dass der Beweis ohne unzumutbaren Verwaltungsaufwand geführt werden kann, dass die nicht entkräfteten Vorhaltungen ganz oder in wesentlichen Teilen doch unzutreffend sind. Das Sozialgericht vermag jedenfalls nicht zu erkennen, wie dies angesichts des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs noch möglich wäre. Das umfangreiche Vorbringen der Klägerin zielt lediglich darauf, die tatsächlich teilweise nicht sehr umfangreich gestalteten Ausführungen in den Bescheiden der Beklagten anzugreifen, mit praktikablem Verwaltungsaufwand zu handhabende Beweismittel sind aber nicht benannt worden.

Das erkennende Gericht sieht entgegen dem Vorbringen der Klägerin den Bescheid vom 30.01.2006 keineswegs als nichtig nach § 40 Abs. 1 SGB X an. Das Gericht schließt nicht aus, dass der Bescheid vom 30.01.2006 Mängel aufweist, diese sind aber nicht besonders schwerwiegend und auch nicht zudem offensichtlich. Besonders schwerwiegend sind solche in erster Linie materiellen Fehler eines Verwaltungsaktes, die mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar sein können, weil sie tragenden Verfassungsprinzipien oder den der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen widersprechen (Steinwedel a.a.O. § 40 Rn 13). Offensichtlich (oder nach dem früheren Wortlaut offenkundig) ist ein Fehler erst dann, wenn ein verständiger Durchschnittsadressat ohne weiteres zu dem Schluss kommen muss, dass der Verwaltungsakt unmöglich rechtens sein kann (Steinwedel a.a.O. Rn 16 m. w. N.).

Die geltend gemachten Berechnungsfehler (zuletzt Schriftsatz vom 03.02.2014) sind schon deshalb nicht offensichtlich, weil zu ihrer Feststellung umfangreich Akteninhalt miteinander verglichen werden müsste. Das Gericht nimmt dazu die Meinung der Beklagten zur Kenntnis (bereits Schriftsatz vom 22.03.2011), dass dadurch die Berechnungsgrundlage, nämlich der Gesamt-Bruttoentgeltbetrag, unverändert bleibe, es sieht aber zu einer weitergehenden Prüfung keinen Anlass, weil ein angeblicher Fehler, der ohne weitere Prüfung nicht festgestellt werden kann, jedenfalls nicht offensichtlich i. S. d. § 40 Abs. 1 SGB X ist.

Zwar macht die Klägerin grundsätzlich richtig einen Begründungsfehler geltend, der darin besteht, dass die Beklagte im Bescheid vom 30.01.2006 auf Seite 3 oben im Rahmen der Berechnung der Beiträge ausführt, nach einer tatsächlichen Verständigung mit der Finanzverwaltung sei Einvernehmen darüber erzielt worden, dass keine umfassenden Aufzeichnungen über geleistete Stunden und Zahlungen an die jeweiligen Arbeitgeber geführt wurden. Dies bezieht sich allerdings nur auf die Berechtigung zur Schätzung nach § 28f Abs. 2 S. 3 SGB IV, berührt also die grundsätzliche Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen nicht und stellt deshalb nach der Bewertung durch das Gericht und entgegen der in der mündlichen Verhandlung noch einmal vorgetragenen Meinung der Mitarbeiter der Rechtsabteilung der Klägerin keinen zentralen Punkt der Begründung dar. Die Beklagte macht also zu Recht geltend, dass dieser von ihr zugestandene Fehler nicht schwerwiegend ist. Dies gilt erst recht, weil es sich offensichtlich in erster Linie um eine grobe Verkürzung des Sachverhalts unter Anführung der ? wahrscheinlich schon vorverhandelten, letztlich aber noch nicht wirksam erzielten - sog. tatsächlichen Verständigung handelt, die erst zwei Tage später zustande gekommen ist. Grundsätzlich konnte die Beklagte tatsächlich davon ausgehen, dass im Rahmen der Ermittlungen von Steuerfahndung und Finanzkontrolle Schwarzarbeit keine ausreichenden Aufzeichnungen über die an Schlachthofarbeiter gezahlten Entgelte aufgefunden worden waren und auch nicht von den Mitarbeitern der Klägerin aus eigenem Antrieb vorgelegt worden sind. Insofern durfte die Beklagte für den angegangenen Bescheid zugrundelegen, dass keine ausreichenden Aufzeichnungen zur Verfügung standen, was wiederum zur Rechtsfolge aus § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV führen kann. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass der geltend gemachte Begründungsfehler damit keineswegs schon als mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar und insbesondere tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen widersprechend angesehen werden könnte.

Andere Gründe, die für eine Nichtigkeit nach § 40 Abs. 1 SGB X, also für besonders schwerwiegende und offenkundige Mängel sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere würde eine unterlassene Anhörung keinen so schwerwiegenden Mangel darstellen, dass deshalb der Bescheid vom 30.01.2006 nichtig wäre (Siefert in v.Wulffen/Schütze, SGB X, § 24 Rn 38 m. N. a. d. Rspr. d. BSG). Das Sozialgericht geht aber davon aus, dass eine Anhörung durchaus stattgefunden hat. Die nach § 24 Abs. 1 SGB X allein geforderte Gelegenheit zur Anhörung verlangt kein gesondertes Verfahren innerhalb des Verwaltungsverfahrens, eine bestimmte Form oder ein förmliches Verfahren ist nicht für die Anhörung, sondern nur für deren Nachholung vorgesehen (Siefert, a.a.O. Rn 14, ebenf. m. N. a. d. Rspr. d. BSG). Dass eine Anhörung vorgenommen worden ist, entnimmt das Gericht dem staatsanwaltlichen Vermerk vom 20.01.2006. Dieser erwähnt - und belegt auf diese Weise ? stattgefundene Gespräche von Mitarbeitern und Anwälten der Klägerin mit der Rentenversicherung und der Berufsgenossenschaft, in denen auch über eine Nachforderung, sogar in der sodann durch den angegangenen Bescheid festgesetzten Höhe, gesprochen worden ist. Wenn die Klägerin bei dieser Gelegenheit eigene Vorstellungen nicht durchsetzen konnte, wie dies in der mündlichen Verhandlung wohl eingebracht werden sollte, mag dies vielleicht an den von ihr selbst als recht ungünstig beschriebenen Gesamtumständen gelegen haben. Ein möglicherweise als unbefriedigend angesehenes Ergebnis stellt den Charakter eines Gespräches als Anhörung aber nicht in Frage, eine Anhörung muss auch nicht als Verhandlung mit dem Ziel einer Einigung geführt werden. Dem im Bescheid enthaltenen fehlerhaften oder zumindest recht missverständlichen Passus über einen Verzicht auf eine Anhörung kommt in diesem Rahmen keinerlei Bedeutung zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG, 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 73 Abs. 2, 52 Abs. 3 GKG. Hier gilt die Rechtsmittelbelehrung 2, im Übrigen gilt die Rechtsmittelbelehrung 1.

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