SG Aachen, Beschluss vom 28.01.2019 - S 14 AS 1103/18 ER
Fundstelle
openJur 2019, 28833
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt eine einstweilige Anordnung zur darlehensweisen Übernahme von Mietrückständen i.H.v. 1390 EUR durch den Antragsgegner.

Die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin ist kenianischer Staatsangehörigkeit, verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis und lebt in einem Haushalt mit ihren am 00.00.0000 (Sohn) und am 00.00.0000 (Tochter) geborenen Kindern. Sie hält sich seit mindestens 1997 in Deutschland auf und verfügt über eine im April 2003 erfolgreich abgeschlossene Ausbildung zur Krankenschwesterhelferin. In diesem Beruf arbeitete sie von Juni 2004 bis März 2010. Von August 2013 bis Juni 2016 absolvierte sie erfolgreich eine Umschulung zur Bürokauffrau. Von Mai 2017 bis Oktober 2017 war sie als Pflegehelferin beschäftigt. Von August 2017 bis August 2018 absolvierte sie eine Weiterbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin. Seit August 2018 besucht die Antragstellerin das Berufskolleg Q, Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung mit dem Ziel der Erlangung der Fachhochschulreife zum August 2019.

Auf Grund eines Zahlungsverzuges (i.H.v. 3.988 EUR) strengte ihr letzter Vermieter im Juni 2018 eine Räumungsklage an. Eine für die Energieversorgung dieser Wohnung offengebliebene Forderung des Energieversorgers (STAWG) i.H.v. 908,20 EUR wird nach einer initialen Zahlung der Antragstellerin von 300 EUR aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung vom 16.11.2018 ratenweise (100 EUR monatlich) aus den zum November 2018 bewilligten SGB II-Leistungen getilgt.

Zum 15.09.2018 mietete die Antragstellerin die von ihr derzeit bewohnte Zwei-Zimmer-Wohnung in Aachen an. Die Grundmiete beträgt monatlich 330 EUR. Für kalte Betriebskosten ist ein Abschlag i.H.v. 170 EUR monatlich zu zahlen.

Bis einschließlich Oktober 2018 erzielte die Antragstellerin Erwerbseinkommen als Küchenhilfe aus einer zum November 2017 aufgenommenen Tätigkeit bei der Firma A mit Hilfe dessen zzgl. Kindergeld ? und Unterhaltszahlungen (845 EUR) sie den Lebensunterhalt der Familie bestritt. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgrund wiederholter unentschuldigter Fehlzeiten ab dem 28.08.2018 zum 02.11.2017 arbeitgeberseitig außerordentlich gekündigt.

Mit Bescheid vom 27.11.2018 lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten der StädteRegion Aachen die Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) wegen Überschreitens der Altersgrenze von 30 Jahren nach § 10 Abs. 3 BAföG ab. Hiergegen hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Aachen am 21.12.2018 Klage erhoben.

Mit Schreiben vom 05.12.2018 forderte der derzeitige Vermieter der Antragstellerin diese zur Zahlung eines Mietrückstandes von 1.390 EUR auf (rückständige Miete für ½ Oktober, November und Dezember). Zugleich wurde die fristlose Kündigung ausgesprochen.

Mit Bescheid vom 06.12.2018 in Gestalt eines Änderungsbescheides vom selben Tage bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin SGB II-Leistungen für die Zeit von November 2018 bis Oktober 2019 in Höhe von insgesamt monatlich 515,10 EUR (2018) bzw. 531,98 EUR (2019). Unter Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen i.H.v. 545 EUR bzw. 322 EUR zuzüglich des Kindergeldes verblieb für die Kinder der Antragstellerin kein Leistungsanspruch. 194,00 EUR bzw. 51,33 EUR Kindergeld wurden auf den Bedarf der Antragstellerin als Einkommen angerechnet. Die Kosten der Unterkunft wurden in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, wobei monatlich 166,67 EUR (ein Drittel der tatsächlichen Kosten der Unterkunft) der Antragstellerin bewilligt wurden.

Am 20.12.2018 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner unter Vorlage des Kündigungsschreibens ihres Vermieters ein Darlehen zur Begleichung des Mietrückstandes und bot die Abtretung eines Anteils aus den Unterhaltszahlungen an. Der Antragsgegner habe dies bisher abgelehnt (vergleiche den entsprechenden Aktenvermerk des Antragsgegners vom 20.12.2018), weil die bewilligten SGB II ? Leistungen abzüglich der vereinbarten Abführung aus der Ratenzahlungsvereinbarung an den Energieversorger nicht ausreichten, um die laufende Miete vollständig direkt an den Vermieter zu zahlen. Der Mietrückstand sei entstanden, da die Umzugskosten Mitte September von der Antragstellerin selbst getragen worden seien.

Am 21.12.2018 hat die Antragstellerin um sozialgerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht.

Unter dem 03.01.2019 hat der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer Rücknahme der Leistungsbewilligung vom 06.12.2018 angehört. Die Antragstellerin habe nach § 7 Abs. 5, 6 SGB II keinen Leistungsanspruch.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, die Mietrückstände i.H.v. 1.091 EUR darlehnsweise zu übernehmen und die monatliche Miete direkt an den Vermieter zu zahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin und ihre Kinder seien nach § 7 Abs. 5, 6 Nr. 2 Buchst. b SGB- II von SGB II ? Leistungen ausgeschlossen. Da die Bewilligungsentscheidung zurückgenommen werden solle, sei die Begleichung der Miete in der Zukunft und damit die Sicherung der Unterkunft nicht gewährleistet. Deshalb scheide eine darlehnsweise Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II aus.

Das Gericht hat die Antragstellerin unter dem 09.01.2019 darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Kammer entscheidungserheblich sei, ob die konkrete Möglichkeit bestehe, eine neue, kostenangemessene Wohnung anzumieten. Es hat die Antragstellerin aufgefordert hierzu unter Glaubhaftmachung vorzutragen. Die Antragstellerin hat sich hierauf nicht mehr geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach ? und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners und die beigezogene Akte des Verwaltungsgerichts Aachen zu Az 5 K 4427/18 einschließlich der Akte des Amtes für soziale Angelegenheiten der StädteRegion Aachen (BAföG ? Amt) verwiesen.

Gründe:

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

I. Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt - im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung - das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, Rn. 5, juris m. w. N.), wenn also mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. März 2013 - L 5 AS 107/13 B ER -, Rn. 32, juris m. w. N.).Soweit eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre, ist ein schützenswertes Recht des Antragstellers nicht gegeben; der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen. Wäre eine Klage hingegen offensichtlich zulässig und begründet, ist dies im Rahmen des Anordnungsgrundes in der Weise zu beachten, dass die Anforderungen an einen Anordnungsgrund entsprechend zu lockeren sind. Zwar ist auch im einstweiligen Rechtsschutz die Sach- und Rechtslage durch die Gerichte grundsätzlich abschließend zu prüfen. Ist dies aber nicht möglich, ist - entsprechend der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts - auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breith. 2005, 803 ff. m.w.N.). Hierbei ist stets die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes zu beachten, die vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin besteht, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies sind solche Fällen, in denen die Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, a.a.O.; Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1582/02; vgl. auch Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.04.2007, L 28 B 429/07 AS ER). Im Ergebnis ist im Rahmen der Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers ein bestimmendes Kriterium. Sind existenzsichernde Leistungen als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) betroffen, so ist ein möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- und - damit einhergehend - die Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05) (Beschluss der Kammer vom 06. November 2017 ? S 14 AS 843/17 ER ?, Rn. 17 - 19, juris).

II. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag der Antragstellerin als unbegründet abzulehnen.

Ein Anordnungsanspruch für die darlehnsweise Gewährung der rückständigen Miete ist nicht glaubhaft gemacht.

Die in Betracht kommende Anspruchsgrundlage stellt § 22 Abs. 8 SGB II dar. Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können danach auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (S. 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (S. 2). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (S. 4).

Schulden im Sinne der Vorschrift und kein aktueller Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Absatz 1 S. 1 SGB II liegen ? unabhängig von deren zivilrechtliche Einordnung ? vor, wenn ein tatsächlich eingetretener Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung bisher noch nicht vom Jobcenter abgedeckt worden ist bzw. die offenstehenden Kosten aus einer Zeit vor dem Leistungsbezug resultieren (Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 22, Rn. 256 m.w.N.), wie dies vorliegend der Fall ist.

1. Voraussetzung für ein einen gebundenen Ermessensanspruch auf Übernahme dieser Schulden nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II ist u. a. das "Drohen von Wohnungslosigkeit" (resp. die Notwendigkeit der Schuldenübernahme zu dessen Abwendung). Drohende Wohnungslosigkeit, die einen Anspruch auf Übernahme von Schulden nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II auslöst, bedeutet drohenden Verlust der bewohnten, kostenangemessenen Wohnung bei fehlender Möglichkeit ebenfalls angemessenen Ersatzwohnraum zu erhalten. Es ist von dem Leistungsberechtigten zu fordern, eine an sich kostenangemessene Wohnung zu verlassen und nach einem Umzug eine neue Wohnung zu beziehen. Eine den Angemessenheitskriterien entsprechende Wohnung muss dabei konkret für den Hilfebedürftigen anmietbar sein. Dies ist einerseits nicht mit Verweis auf eine allgemein "entspannte" Wohnungslage zu verneinen, andererseits auch nicht schon deshalb festzustellen, weil der Grundsicherungsträger keinen Ersatzwohnraum anbietet oder der Hilfebedürftige (noch) über kein konkretes, kostenangemessenes Wohnungsangebot verfügt (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 ? B 14 AS 58/09 R ?, BSGE 106, 190-199, SozR 4-4200 § 22 Nr 41, Rn. 30; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Februar 2013 ? L 7 AS 506/11 ?, Rn. 51, juris; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB, 10/12, § 22 SGB II, Rn. 347 f.; Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 241; Berlit, SGb 2011, 678, 681; Nguyen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 36 SGB XII, Rn. 54).

Für die grds. Verweisbarkeit auf die Anmietung einer neuen Unterkunft spricht bereits der Wortlaut des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II, der nicht auf den drohenden Verlust der Wohnung, sondern auf das Drohnen von Wohnungslosigkeit abstellt. Die historische Auslegung stützt den Befund. Mit der zum 1. April 2006 in Kraft getretenen Änderung des § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II in den Wortlaut des heutigen § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II ist die Übernahme von Mietschulden unmittelbar im SGB II und nicht mehr (weitgehend) durch Verweis (§ 5 Abs. 2 SGB II a. F.) auf § 34 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) a. F. (heute § 36 SGB XII) geregelt worden, ohne dass das bis dahin in der Sozialhilfepraxis übliche Verfahren in der Sache geändert werden sollte (vgl. BT-Drucks 16/688 S. 14; vgl. Lang/Link, in: Eicher, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22, Rn. 100). Daher kann zur Auslegung von § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II auf Rechtsprechung zu § 34 Abs. 1 S. 2 SGB XII a. F. bzw. zu der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Vorgängervorschrift § 15 Buchst. a Abs. 1 S. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurückgegriffen werden, die dem § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II (praktisch) wortgleich waren. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 15 Buchst. a Abs. 1 S. 2 BSGH war anerkannt, dass neben dem drohenden Verlust der aktuellen Unterkunft darzulegen sei, dass eine neue, angemessene Wohnung nicht anmietbar ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Februar 1997 ? 24 B 186/97 ?, Rn. 35, juris).

Dies korrespondiert in systematischer Hinsicht mit den Selbsthilfeobliegenheiten, die Leistungsempfänger im Rahmen der Übernahme von Schulden für die Energiezufuhr treffen. Eine vergleichbare Notlage i. S. d. § 22 Abs. 8 SGB II wie der Verlust der Unterkunft mit drohender Obdachlosigkeit wird allgemein insbesondere anerkannt für den Fall, dass für eine Wohnung die Sperrung der Energiezufuhr droht (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. März 2011 - L 12 SO 49/09; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschl. vom 28. Mai 2009 - L 7 AS 546/09 B ER -; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 12. Dezember 2008 - L 7 B 384/08 AS -; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschl. vom 09. Juni 2010 - L 13 AS 147/10 B ER - zur parallelen Regelung des § 22 Abs. 5 SGB II; Beschluss der Kammer vom 22. Oktober 2014 ? S 14 AS 1004/14 ER ?, Rn. 23, sämtlich juris; Berlit, in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 22, Rn. 200). Ein Eingreifen des Grundsicherungsträgers wird jedoch erst dann "notwendig" im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II, wenn zumutbare Möglichkeiten des Leistungsempfängers ergebnislos ausgeschöpft worden sind, eine Fortsetzung der Energielieferung aus eigenem Vermögen zu erreichen (Beschluss der Kammer vom 22. Oktober 2014 ? S 14 AS 1004/14 ER ?, Rn. 26, juris). Dazu gehört neben dem Versuch einer Ratenzahlungsvereinbarung auch das erfolglose Bemühen um einen Vertragsabschluss mit einem anderen Energielieferanten, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens glaubhaft zu machen ist (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08. Oktober 2012 ? L 12 AS 1442/12 B ER ?, Rn. 20, juris m.w.N.; Beschluss der Kammer vom 22. Oktober 2014 ? S 14 AS 1004/14 ER ?, Rn. 27, juris m.w.N.).

Erforderlich ist hiernach zur Glaubhaftmachung dafür, dass konkret kostenangemessener Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung steht, daher mindestens substantiierter, durch eine eidesstattliche Versicherung oder Vorlage von Belegen glaubhaft gemachter Vortrag zu erfolglosen Bemühungen. Andernfalls würde das Tatbestandsmerkmal der drohenden Wohnungslosigkeit lediglich vermutet (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03. März 2016 ? L 29 AS 404/16 B ER ?, Rn. 26, juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juli 2015 ? L 10 AS 193/15 B ER ?, Rn. 8, juris; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Februar 2016 ? L 4 AS 345/15 B ER ?, Rn. 42, juris; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. März 2012 ? L 3 AS 28/12 B ER ?, Rn. 14, juris; SG Berlin, Beschluss vom 21. Dezember 2015 ? S 96 AS 23231/15 ER ?, Rn. 23, juris; weitergehend, allerdings bei unmittelbar bevorstehender Räumung: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2013 ? L 19 AS 1501/13 B ?, Rn. 19, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03. Dezember 2014 ? L 19 AS 1909/14 B ER ?, Rn. 17, juris; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2012 ? L 11 AS 850/12 B ER ?, Rn. 16, juris; SG Wiesbaden, Beschluss vom 05. November 2014 ? S 5 AS 834/14 ER ?, Rn. 9, juris).

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 01. August 2017 (1 BvR 1910/12 ?, juris). Das BVerfG hat entschieden, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes in Bezug auf laufende Leistungen für Kosten der Unterkunft nicht überspannt werden dürfen. Dies sei der Fall, wenn schematisch auf eine schon erhobene Räumungsklage und damit auf einen starren und späten Zeitpunkt abgestellt würde, zu dem eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Betroffenen bereits eingetreten sei. Vielmehr seien sie Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Verlust der Wohnung noch sicher abgewendet werden könne. Werde der rückständige Mietzins innerhalb von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage nachgezahlt, werde zwar die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam. Doch habe dies auf die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung keine Auswirkungen. Es könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass diese unwirksam sei. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Mietpartei im Fall der ordentlichen Kündigung durch eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit entlastet (vgl. BGH, Urteile vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04 -, juris, Rn. 20, und vom 4. Februar 2015 - VIII ZR 175/14 -, juris, Rn. 21). Maßgeblich für das Verschulden im Hinblick auf die Zahlungsunfähigkeit seien aber die Umstände des Einzelfalls (BVerfG, a.a.O., Rn. 18).

Für das Verständnis der "drohenden Wohnungslosigkeit" i. S. d. § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bzw. die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar insoweit relevant, als diese - trotz des systematischen Zusammenhanges mit § 22 Abs. 9 SGB II, nachdem das Gericht im Falle einer Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 569 Abs. 3 BGB dem Grundsicherungsträger zur Wahrnehmung der in Abs. 8 bestimmten Aufgaben Mitteilungen macht - nicht schematisch mit dem Verweis auf das Fehlen einer rechtshängigen Räumungsklage abzulehnen ist, vielmehr die Umstände des Einzelfalles unter dem Gesichtspunkt des Zweckes des § 22 Abs. 8 SGB II, Wohnungslosigkeit zu vermeiden (vgl. Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 237; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB, 10/12, § 22 SGB II, Rn. 333), zu betrachten sind. Jedoch lassen sich aus der Entscheidung ersichtlich keine Rückschlüsse darauf ziehen, dass bei drohendem Verlust der Unterkunft in Folge von Mietschulden der Verweis auf die Anmietung einer anderen Unterkunft und die Glaubhaftmachung der fehlenden Möglichkeit einer konkreten Anmietbarkeit unmöglich wäre.

Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung/ den Nachweis der fehlenden Anmietbarkeit einer kostenangemessenen neuen Unterkunft stehen allerdings notwendigerweise in Wechselbezüglichkeit zur Eilbedürftigkeit. Denn je kürzer die Handlungsfrist bis zu einem nicht mehr abzuwendenden Verlust der bisherigen Unterkunft ist, desto unwahrscheinlicher ist die Möglichkeit der rechtzeitigen Beschaffung einer Ersatzunterkunft um Obdachlosigkeit zu vermeiden (dem Ziel des § 22 Abs. 8 SGB II). Soweit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II etwa das Bedürfnis einer regelmäßig bis zu sechs Monaten erforderlichen Frist vorsieht, um unangemessene Wohnkosten etwa durch einen Umzug zu senken, erkennt das Grundsicherungsrecht an, dass die Anmietung einer kostenangemessenen Wohnung vielfach nicht ad hoc möglich sein wird.

Vorliegend hat die Antragstellerin jedoch - weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Eilverfahren ? substantiiertes dazu vorgetragen, dass eine andere Unterkunft für sie konkret nicht anmietbar wäre. Sie hat lediglich pauschal vorgetragen, dass sie keine andere bezahlbare Wohnung finde. Dies obwohl die Kammer sie mit Schreiben vom 09.01.2018 auf die Entscheidungserheblichkeit hingewiesen und ihr - bis zum Tag der Beschlussfassung, auskömmlich - Gelegenheit gegeben hat, ein Fehlen der Anmietbarkeit einer neuen, kostenangemessenen Wohnung zu substantiieren und glaubhaft zu machen. Gegen eine fehlende konkrete Anmietbarkeit einer neuen, kostenangemessenen Unterkunft spricht indes, dass der Antragstellerin nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage bezüglich ihrer letzten Wohnung - nach Aktenlage im Juli 2018 - die Anmietung einer zweifelsfrei kostenangemessenen, nämlich der aktuellen Wohnung zum September 2018 gelungen ist. Bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Unmöglichkeit der Anmietung einer neuen Wohnung ist zudem zu berücksichtigen, dass die Wirksamkeit der durch den Vermieter bislang allein ausgesprochenen fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB noch beseitigt werden kann, wenn der Vermieter innerhalb von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit einer Räumungsklage befriedigt wird bzw. sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Eine Räumungsklage ist indes noch nicht anhängig. Zwar ist zu beachten, dass der Vermieter nach der durch das Bundesverfassungsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jederzeit (hilfsweise) die ordentliche Kündigung aussprechen kann. Der zur ordentlichen Kündigung berechtigende Tatbestand der schuldhaften, nicht unerheblichen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2012 ? VIII ZR 107/12 ?, BGHZ 195, 64-73, Rn. 20) Verletzung der mietvertraglichen Pflichten nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB wäre aber ohnehin durch eine nachträgliche Zahlung nicht zu heilen (BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 ? VIII ZR 6/04 ?, Rn. 19, juris; Urteil vom 23. September 1987 - VIII ZR 265/86, WuM 1988, 125 unter II 2 a). Soweit im Rahmen des Verschuldens auch eine nachträgliche Zahlung des Mieters zu seinen Gunsten Berücksichtigung finden können soll (BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 ? VIII ZR 6/04 ?, Rn. 20, juris), wird nicht erkennbar, dass der subjektive Vorwurf durch das Einstehen des Grundsicherungsträgers in "milderem Licht" (BGH, a.a.O.; Urteil vom 10. Oktober 2012 ? VIII ZR 107/12 ?, BGHZ 195, 64-73, Rn. 20; OLG Stuttgart, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 28. August 1991 ? 8 REMiet 2/91 ?, Rn. 8, juris; OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 19. August 1992 ? 3 REMiet 1/92 ?, Rn. 24, juris) erschiene (vgl. im umgekehrten Sinne: keine Zurechnung des Verschulden des Jobcenters zum Mieter: BGH, Urteil vom 21. Oktober 2009 ? VIII ZR 64/09 ?, Rn. 27, juris).

2. Auch der Erlass einer einstweilen Anordnung aufgrund des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II scheidet aus. Zwar ist die Notwendigkeit der Schuldenübernahme zur Abwendung drohender Wohnungslosigkeit hier nicht Tatbestandsvoraussetzung. Jedoch handelt es sich lediglich um einen Ermessensanspruch. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung käme deshalb nur dann in Betracht, wenn eine so genannte Ermessensreduzierung auf Null vorläge. Denn eine einstweilige Anordnung ist nur in den Grenzen des Anordnungsanspruches möglich und kann nicht weiter reichen als eine Entscheidung in der Hauptsache (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27. Juni 2013 - L 7 AS 330/13 B ER -, Rn. 26, juris; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Januar 2012 - L 11 AS 809/11 B ER -, Rn. 17, juris; Beschluss der Kammer vom 10. Mai 2017 ? S 14 AS 323/17 ER ?, Rn. 33; vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 30a m.w.Nachw. auch für die Gegenauffassung).

Gegen eine solche Ermessensreduzierung spricht vorliegend aber bereits, dass die Antragstellerin laufende Leistungen für den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 Absatz 1 S. 1 SGB II) - deren Bezug oder Anspruchsinhaberschaft (vgl. Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 239) Anspruchsvoraussetzung nach § 22 Abs. 8 SGB II ist ? rechtswidrig erhält.

Denn nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 Alt. 1 SGB II findet § 7 Abs. 5 SGB II keine Anwendung auf Auszubildende, die aufgrund von § 2 Abs. 1 Buchst. a des BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben. Gemäß § 7 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. b SGB II ist Abs. 5 darüber hinaus nicht anzuwenden auf Auszubildende, deren Bedarf sich nach §§ 12, 13 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 oder nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 des BAföG bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat. Lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Abs. 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung.

Der Besuch der Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung ? Klasse 12 am Berufskolleg Q ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BAföG dem Grunde nach förderungsfähig. Sie ist eine Fachoberschulklasse, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt. Soweit an die Stelle einer abgeschlossenen Ausbildung eine einschlägige Berufstätigkeit im Bereich Wirtschaft und Verwaltung treten kann (siehe: https://www.pjrbk.de/bildungsangebot/bildungsangebotkategorie-1/voraussetzungen), ändert dies nichts an der Förderungsfähigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 BAföG und führt schon nicht zum Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Buchst. a BAföG (BVerwG, Urteil vom 22. März 1995 ? 11 C 30/94 ?, Rn. 14, juris). Denn ob eine Fachoberschule mit der Voraussetzung der abgeschlossenen Berufsausbildung i. S. d. BAföG vorliegt richtet sich danach, ob sich die fragliche Fachoberschulklasse nach objektiven Merkmalen von solchen Klassen unterscheidet, die Aufsteigern aus der Klassenstufe 11 zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1976 ? V C 48.75 ?, juris; BVerwG, Urteil vom 22. März 1995 ? 11 C 30/94 ?, Rn. 14, juris).

Ungeachtet dessen ist die Antragstellerin nicht (allein) nach § 2 Abs. 1 Buchst. a BAföG von BAföG-Leistungen ausgeschlossen, wie dies Voraussetzung für die Rückausnahme nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 Alt. 1 SGB II wäre. Von der Regelung sind Schüler von Berufsfachschulen und Fachschulklassen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG erfasst, die keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, da sie bei ihren Eltern wohnen oder, sofern sie außerhalb des Elternhauses wohnen, bei ihnen aber zumutbar wohnen könnten, da die Ausbildungsstätte von dort in angemessener Zeit erreichbar ist oder sie einen eigenen Haushalt führen und weder verheiratet bzw. verpartnert sind oder waren bzw. mit einem Kind zusammenleben (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 310). Die Antragstellerin führt jedoch einen eigenen Haushalt und lebt mit ihren Kindern zusammen. Sie ist vielmehr nach § 10 Abs. 3 S. 1 HS 1 BAföG von Leistungen ausgeschlossen, da sie zu Beginn der Ausbildung im August 2018 das 30. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Dass keine Ausnahme nach § 10 Abs. 3 S. 2 BAföG vorliegt, legt der Ablehnungsbescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten der StädteRegion Aachen vom 27.11.2018 zutreffend dar, ist für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II zudem nicht von Bedeutung.

Eine Ausnahme nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. b SGB II in der seit dem 01.08.2016 gültigen Fassung liegt ab dem Monat Dezember 2018 nicht (mehr) vor. Zwar bemisst sich der Bedarf der Antragstellerin nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BAföG. Nachdem das zuständige Amt für Ausbildungsförderung der StädteRegion Aachen die beantragten Leistungen nach dem BAföG mit Bescheid vom 27.11.2018 abgelehnt hat, endete die Wirkung der Rückausnahme nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. b SGB II jedoch mit Beginn des folgenden Monates. Hieran vermag das gegen den Ablehnungsbescheid geführte Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Aachen (Az 5 K 4427/18) nichts zu ändern. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes wird die Bestandskraft der Ablehnungsentscheidung nicht gefordert. Vielmehr kommt der amtlichen Ablehnungsentscheidung im Rahmen des § 7 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. b SGB II Tatbestandswirkung ab dem auf seinen Erlass folgenden Monat zu. Hierfür spricht unter systematischen Gesichtspunkten zudem, dass § 7 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. a SGB II auf den tatsächlichen Bezug von BAföG-Leistungen abstellt, nicht hingegen auf einen Anspruch, also auch in erster Linie an die faktischen Entscheidungen des für das BAföG zuständigen Amtes anknüpft (vgl. auch BT-Drs. 18/8041, S. 31; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 308 1).

Ein Anspruch der Antragstellerin auf laufende Leistungen Kosten der Unterkunft und Heizung folgt auch nicht aus § 27 Abs. 3 SGB II in der ab dem 01.08.2016 gültigen Fassung. Hiernach können unter anderem für Bedarfe für Unterkunft und Heizung Leistungen als Darlehen erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II eine besondere Härte bedeutet (S. 1). Eine besondere Härte ist auch anzunehmen, wenn Auszubildenden, deren Bedarf sich nach unter anderem § 13 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bemisst, aufgrund von § 10 Abs. 3 BAföG keine Leistungen zustehen, diese Ausbildung im Einzelfall für die Eingliederung der oder des Auszubildenden in das Erwerbsleben zwingend erforderlich ist und ohne die Erbringung von Leistungen zum Lebensunterhalt der Abbruch der Ausbildung droht; in diesem Fall sind Leistungen als Zuschuss zu erbringen (S. 2).

Für einen gebundenen Leistungsanspruch als Zuschuss nach § 27 Abs. 3 S. 2 SGB II fehlt es an der Glaubhaftmachung, dass die von der Klägerin begonnene Ausbildung im Einzelfall für die Eingliederung in das Erwerbsleben zwingend erforderlich ist (BSG, Beschluss vom 23. August 2012 ? B 4 AS 32/12 B ?, juris). Dieses Merkmal ist als unbestimmter Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite gerichtlich voll überprüfbar. Nach der Gesetzesbegründung muss die angestrebte Ausbildung "alternativlos" sein (BT-Drs. 18/8909, S. 31). Hiervon kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden. So verfügt die Antragstellerin über eine im Juli 2016 erfolgreich abgeschlossene Umschulung zur Bürokauffrau (Beginn der Ausbildung im August 2013). Zudem hat sie von August 2017 bis August 2018 an der Fachschule für Wirtschaft eine Weiterbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin absolviert. Des Weiteren verfügt die Antragstellerin über eine (im Jahr 2003) erfolgreich abgeschlossene Ausbildung zur Krankenschwesterhelferin, wobei sie in diesem Beruf von Juli 2004 bis März 2010 auch gearbeitet hat. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, weshalb eine Eingliederung in das Erwerbsleben mit diesen Ausbildungen nicht gelingen können soll, noch inwiefern die einjährige Ausbildung an der Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung (erst) die Eingliederungschancen eröffnet.

Auch ein Anspruch auf darlehensweise Ermessensleistungen nach § 27 Abs. Abs. 3 S. 1 SGB II scheidet aus. Eine besondere Härte im Sinne der Norm ist nicht zu erkennen. Die Rechtsprechung des BSG hat die Anwendung der Härtefallregelung nach § 27 Abs. 4 S. 1 SGB II in der bis zum 31.07.2016 gültigen Fassung in verschiedenen Entscheidungen konkretisiert (BSG 06.09. 2007 - B 14/7b AS 28/06 R -, Soz R 4-4200 § 7 Nr. 8 und BSG 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R -, SozR 4-4200 § 7 Nr. 9 ). Diese Rechtsprechung ist auf die Anwendung des § 27 Abs. 3 S. 1 SGB II n. F. zu übertragen (Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB, 02/17, § 27 SGB II, Rn. 48).

Die Annahme einer besonderen Härte wird höchstrichterlich an enge Voraussetzungen geknüpft. Grundsätzlich ist auch ein Abbruch der Ausbildung hinzunehmen (BSG, Urteil vom 06. September 2007 ? B 14/7b AS 28/06 R ?, SozR 4-4200 § 7 Nr 8, Rn. 25; Landessozialgericht Nordrhein ? Westfalen, Beschluss vom 26. Februar 2010 - L 20 AS -, juris 81/10 B ER). Dies gründet insbesondere in dem Zweck des § 7 Abs. 5 SGB II. Über die Leistungen nach dem SGB II soll nicht eine verkappte weitere Ebene der staatlichen Ausbildungsförderung eingeführt werden. Das differenzierte Regelungssystem des Ausbildungsförderungsrechts soll nach dem gesetzgeberischen Willen nicht unterlaufen werden. Das BSG hat drei Fallgruppen der "besonderen Härte" anerkannt (vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 ? B 4 AS 67/08 R ?, Rn. 19-21, juris; hierzu auch: Silbermann, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 27, Rn. 35). Es handelt sich um folgende Gruppen: 1. Es ist wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entstanden, der nicht durch BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und es besteht deswegen begründeter Anlass für die Annahme, dass die vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werden kann und das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht. Es muss die durch objektive Gründe belegbare Aussicht bestehen, nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen zur Prüfung erfüllt sind, dass die Ausbildung mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zu Ende gebracht wird. 2. Die bereits weit fortgeschrittene und bisher kontinuierlich betriebene Ausbildung ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Krankheit gefährdet. 3. Nur eine nach den Vorschriften des BAföG förderungsfähige Ausbildung stellt objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt dar und der Berufsabschluss kann auch nicht auf andere Weise, insbesondere durch eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erreicht werden (BSG, Beschluss vom 23. August 2012 ? B 4 AS 32/12 B ?, juris). Die letzte Fallgruppe hat nunmehr in § 27 Abs. 3 S. 2 SGB II eine besondere Regelung erhalten. Einzig bei ihr können auch ohne eine konkret und zeitnah bevorstehende Eingliederung in den Arbeitsmarkt besondere soziale und/oder persönlichkeitsbedingte Problemlagen dazu führen, dass eine Ausbildung für den Zugang zum Erwerbsleben eine so herausragende Bedeutung erlangt, dass ein Abbruch aus finanziellen Gründen unzumutbar erscheint (vgl. Silbermann, a.a.O.).

Das Vorliegen einer solchen Fallgruppe hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Dabei ist im Hinblick auf die aufgezeigten ersten beiden Fallgruppen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu verkennen, dass die Antragstellerin erst rund die Hälfte der einjährigen Ausbildung absolviert hat.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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