OLG Köln, Urteil vom 15.03.2019 - 6 U 216/18
Fundstelle
openJur 2019, 27838
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 16 O 27/18
Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 06.11.2018 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn (16 O 27/18) insoweit teilweise abgeändert, als die am 02.07.2018 erlassene einstweilige Verfügung bezüglich des Unterlassungsgebot zu lit. b) bestätigt worden ist; das Unterlassungsgebot unter lit. b) der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Bonn vom 02.07.2018 (16 O 27/18) wird aufgehoben und der entsprechende Unterlassungsantrag vom 26.06.2018 zu Ziff. 1 b) wird zurückgewiesen.

Auf den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22.02.2019 gestellten Hilfsantrag wird der Antragsgegnerin aufgegeben,

es ab sofort bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern der Antragsgegnerin, zu unterlassen, im Wettbewerb geschäftlich handelnd

gegenüber der Antragstellerin für einen Kunden der Antragstellerin die Kündigung eines zwischen dem Kunden und der Antragstellerin bestehenden Strom- und/oder Gaslieferungsvertrages im Rahmen des A- bzw. B Gas- Wechselprozesses zu erklären, wenn der Kunde für eine solche Mitteilung keinen Auftrag zumindest in Textform erteilt hat und die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin keine zusätzliche Erklärung zu der Kündigung abgibt.

Insoweit wird die Berufung der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Antragstellerin zu 1/3 und die Antragsgegnerin zu 2/3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten sind Wettbewerber auf dem Markt für Strom- und Gaslieferungen an Haushalte. Eine Kundin der Antragstellerin, Frau C, erhielt am 29.05.2018 von einem Vertriebspartner der Antragsgegnerin einen Anruf, dessen konkreter Verlauf zwischen den Beteiligten streitig ist. Nachfolgend übermittelte die Antragsgegnerin der Antragstellerin über entsprechende Schnittstellen am 31.05.2018 und 01.06.2018 Kündigungen der Anschlüsse der Kundin C betreffend zweier Stromzähler und eines Gaszählers. Am 02.06.2018 erhielt Frau C zwei auf den 01.06.2018 datierende Auftragsbestätigungen der Antragsgegnerin betreffend die beiden Stromzähler.

Die Antragstellerin hat darin ein unter mehreren Gesichtspunkten wettbewerbswidriges Verhalten der Antragsgegnerin gesehen. Sie hat die Antragsgegnerin nach erfolgloser Abmahnung im vorliegenden Eilverfahren auf Unterlassung in Anspruch genommen und u.a. gemeint, dass ein etwaig von Frau C im Telefonat vom 29.05.2018 erteilter Kündigungsauftrag wegen Verstoßes gegen § 312h BGB ohnehin formunwirksam sei.

Mit Beschluss vom 02.07.2018 hat das Landgericht - soweit im vorliegenden Berufungsverfahren noch von Interesse - der Antragsgegnerin unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel einstweilen untersagt, gegenüber der Antragstellerin für einen Kunden der Antragstellerin die Kündigung eines zwischen dem Kunden und der Antragstellerin bestehenden Strom- und/oder Gaslieferungsvertrages zu erklären, wenn der Kunde für eine solche Mitteilung keinen Auftrag zumindest in Textform erteilt hat.

Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch hat die Antragsgegnerin eingewandt, dass § 312h BGB auf Energieversorgerwechsel keine Anwendung finde, weil er durch die Wechselvorschriften der Bundesnetzagentur überlagert sei. Außerdem solle § 312h BGB zum Zwecke der Verbesserung des Verbraucherschutzes nicht obligatorisch angewandt werden, da die Vorschrift den Verbraucher nicht vor der Zwangssituation schütze, die nach einer wirksamen Kündigung des Altvertrages durch den Widerruf des Neuvertrages entstehen könne.

Mit Urteil vom 06.11.2016, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, § 540 Abs. 1 ZPO, hat das Landgericht die Beschlussverfügung bestätigt. Der Antragstellerin stehe bezüglich der Mitteilung der Kündigungserklärung ohne Auftrag in Textform ein Unterlassungsanspruch aus § 5 UWG i.V.m. § 312h BGB zu.

Mit ihrer Berufung rügt die Antragsgegnerin die Verletzung materiellen Rechts. Ein Verstoß gegen § 5 UWG setze eine Täuschung oder Irreführung voraus, die vom Landgericht nicht dargelegt sei. Es sei auch kein anderer Unlauterkeitstatbestand erfüllt, weder der einer gezielten Mitbewerberbehinderung nach § 4 Nr. 4 UWG noch der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG i.V.m. § 412h BGB. Sie habe § 312h BGB nicht verletzt, der im Übrigen keine Marktverhaltensregelung sei und auch keine Grundlage im Unionsrecht habe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Bonn vom 02.07.2018, bestätigt durch das Verfügungsurteil vom 06.11.2018 (Az.: 16 O 27/18) aufzuheben, soweit es das Untersagungsverbot zu Ziff. b) der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Bonn betrifft, und den auf Erlass des Untersagungsverbotes zu Ziff. b) gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

mit der Maßgabe, dass der Verfügungsantrag zu 1 b) hilfsweise in folgender Form gestellt wird:

"gegenüber der Antragstellerin für einen Kunden der Antragstellerin die Kündigung eines zwischen dem Kunden und der Antragstellerin bestehenden Strom- und/oder Gaslieferungsvertrages im Rahmen des A- bzw. B Gas- Wechselprozesses zu erklären, wenn der Kunde für eine solche Mitteilung keinen Auftrag zumindest in Textform erteilt hat und die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin keine zusätzliche Erklärung zu der Kündigung abgibt."

Die Antragstellerin verteidigt das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung. Die Übermittlung der Kündigungserklärung eines Kunden im A-Lieferantenwechselprozess stelle eine Irreführung dar, wenn keine formwirksame Vollmacht erteilt worden sei. Aus Ziff. 6 der A-Regeln ergebe sich, dass die Existenz der Vollmacht vertraglich zugesichert werde. Auch an einer unlauteren Behinderung bestehe bei der Erklärung einer wegen Formunwirksamkeit nichtigen Kündigung kein ernsthafter Zweifel. Auf einen Unterlassungsanspruch nach § 3a UWG habe sie ihren Verfügungsantrag nicht gestützt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

auch den Hilfsantrag zurückzuweisen.

Weder das BGB noch die A- bzw. B Gas-Regeln verpflichteten den Neulieferanten, gegenüber dem Altlieferanten eine Erklärung dahingehend abzugeben, dass die Vollmacht vom Kunden in Textform erteilt worden sei. Praktische Folge einer solchen Hinweispflicht wäre im Übrigen, dass die dem § 20a EnWG und der A immanenten Ziele einer Beschleunigung des Energieversorgerwechsels zugunsten des wechselwilligen Kunden ad absurdum geführt würden. Es müsse ureigene Entscheidung des Verbrauchers bleiben, ob er sich auf seine mündlich erteilte Vollmacht gegenüber dem Altlieferanten berufen und an einem Versorgungswechsel festhalten wolle, oder ob er von § 312h BGB dann Gebrauch machen wolle, wenn er sich von der angezeigten Kündigung des Altversorgungsvertrages wieder lösen und seinen Altvertrag aufrecht erhalten wolle. Im Übrigen sei der Hilfsantrag zu unbestimmt und als Klageänderung gemäß § 263 ZPO unzulässig.

II.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist insoweit begründet, als dem Begehren der Antragstellerin lediglich im Umfang des im Berufungsverfahren formulierten Hilfsantrages stattzugeben ist. Dass der Hilfsantrag keine Vorgaben für den Inhalt der zusätzlichen Erklärung zur Kündigung im Rahmen des A- / B Gas- Wechselprozesses vorgibt, macht ihn nicht unbestimmt. Die in der Erhebung des Hilfsantrages liegende Klageänderung ist gemäß § 533 ZPO zulässig. Sie ist sachdienlich und auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

Grundlage für den Unterlassungsanspruch ist § 8 Abs. 1 UWG. Danach kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, von jedem Mitbewerber, § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassen in Anspruch genommen werden. Dass die Beteiligten Mitbewerber sind, steht außer Streit. Geschäftliche Handlung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist hier die Erklärung der Kündigung im Namen der Kundin C. Die Kündigungserklärung erfolgt zwecks Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses mit der Kundin und damit zur Förderung des eigenen Absatzes der Antragsgegnerin. Unzulässig ist eine solche Handlung, wenn sie unlauter ist, § 3 Abs. 1 UWG. Die Verwirklichung eines Unlauterkeitstatbestandes ist - nur - für den Hilfsantrag feststellbar.

1. Mit ihrem Hauptbegehren hat die Antragstellerin keinen Erfolg.

a) Streitgegenstand ist der Ausspruch einer Kündigung namens und in Vollmacht eines Kunden allein unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Textform.

Der Antrag ist nicht darauf gerichtet, der Antragsgegnerin eine Kündigung im Namen des Kunden zu untersagen, ohne dass überhaupt ein Kündigungsauftrag erteilt wurde. Es geht vorliegend nicht um ein sog. Slaming, d.h. die Umstellung des Anschlusses auf einen Neuanbieter, ohne dass der Verbraucher einen Auftrag für einen Neuvertrag erteilt und die Kündigung des Altvertrages veranlasst hat, wobei ein solches Einwirken auf einen fremden Kundenkreis regelmäßig als gezielte Behinderung des Mitbewerbers oder wegen Irreführung oder wegen unzumutbarer Belästigung des Verbrauchers wettbewerbswidrig ist (s. Junker in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, juris-PK-BGB, 8. Aufl., § 312h Rn. 5, 6; Koch in: Ullmann, jurisPK-UWG, § 7 Rn. 139; LG Hamburg WRP 2008, 841, juris-Tz. 51). Dagegen gehört das Ausspannen von Kunden ohne ein unangemessenes Einwirken auf diese zum Wesen des Wettbewerbs. Ob die Kundin bzw. Eheleute C die Antragsgegnerin mündlich mit der Vertragskündigung gegenüber der Antragstellerin beauftragt haben oder nicht, hat das Landgericht ausdrücklich offengelassen. Für die Richtigkeit der Sachdarstellung der Antragstellerin spricht keine größere Wahrscheinlichkeit als für die Richtigkeit der Darstellung der Antragsgegnerin.

b) Ausgehend vom Klageantrag, der das "Prüfprogramm" vorgibt, ist in erster Linie der Unlauterkeitstatbestand des § 3a UWG / Rechtsbruch zu betrachten. Dem verallgemeinernden Klageantrag könnte in seiner abstrakten Form allenfalls über § 3a UWG i.V.m. § 312h BGB stattgegeben werden, auf dessen Regelungsgehalt er eindeutig abzielt. Die Antragsgegnerin hat in der Berufungserwiderung allerdings ausdrücklich erklärt, dass sie ihr Unterlassungsbegehren nicht auf den Rechtsbruchtatbestand stütze. Tatsächlich kann eine Verletzung der Formvorschrift des § 312h BGB nicht zur Verwirklichung des § 3a UWG führen, wonach unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen spürbar zu beeinträchtigen. § 312h BGB ist eine reine Formvorschrift zum Schutz der Verbraucher im Rahmen eines Anbieterwechsels. Sie betrifft ihrem Wortlaut nach ausschließlich die Wirksamkeit der Kündigung des Altvertrages und schützt den Verbraucher dadurch, dass eine Kündigung des Altvertrages ohne Wahrung der Textform gemäß § 125 BGB nichtig ist. Einen darüber hinausgehenden Regelungsgehalt gibt es nicht. Nach Sinn und Zweck der Norm, so wie er im Gesetzgebungsverfahren niedergelegt ist (BT-Dr. 16/10734, Seite 12), gibt § 312h BGB weder den Verbrauchern noch den Anbietern ein bestimmtes Marktverhalten vor.

c) Auf §§ 5, 5a UWG kann die Antragstellerin ihr hauptsächliches Unterlassungsbegehren nicht stützen, weil der abstrakt formulierte Antrag nicht irreführende Handlungsformen mit umfasst. Eine Irreführung der Antragstellerin wäre z.B. dann ausgeschlossen, wenn die Kündigungserklärung mit dem Hinweis verbunden wäre, dass das Textformerfordernis des § 312h BGB für die Vollmacht nicht gewahrt ist.

2. Der im Berufungsverfahren im Verhandlungstermin vor dem Senat gestellte Hilfsantrag ist dagegen begründet. Der Antragstellerin steht ein entsprechender Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 5a UWG zu. Aus der von der Antragsgegnerin im Namen der Kundin ausgesprochenen Kündigung ergibt sich zwar weder ausdrücklich noch stillschweigend die Behauptung, der Kündigungsauftrag genüge der Textform, und bloßes Schweigen stellt keine Angabe nach § 5 UWG dar (Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 5 Rn. 1.46), die Kündigungserklärung ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Verschweigens wesentlicher Umstände, § 5a Abs. 1 UWG, irreführend. Die Antragsgegnerin hat gegen ihre aus Ziff. 6 der A-Regeln und Ziff. 6 der B Gas abzuleitende Informationspflicht gegenüber der Antragstellerin verstoßen. Beide Beteiligte haben sich als Energieversorger den Geschäftsprozessen der A und B Gas unterworfen, d.h. die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auf dieser Grundlage mit der Kündigung "die Existenz der Vollmacht" zugesichert. Damit ist aus Sicht der Antragstellerin die Existenz einer der Formvorschrift des § 312h BGB genügenden, wirksamen Vollmacht gemeint.

Ziff. 6 der A- und B Gas-Regeln lauten jeweils:

"Zur Ermöglichung eines größtmöglichen automatisierten Verfahrens ist im Regelfall auf den Versand von Vollmachten zu verzichten und die Existenz der Vollmachten vertraglich zuzusichern. In begründeten Einzelfällen kann eine Übermittlung der Vollmachtsurkunde gefordert werden. Hierzu genügt in der Regel die Übersendung einer Kopie der Vollmachtsurkunde im Rahmen eines elektronischen Dokuments. Im Fall der Anforderung einer Vollmacht bzw. Erklärung hat der Anfordernde den betreffenden Geschäftsprozess gleichwohl fristgerecht weiter abzuarbeiten. Der Prozesslauf darf erst dann abbrechen, wenn der Bevollmächtigte die angeforderte Vollmacht bzw. Erklärung nicht unverzüglich nach der begründeten Anforderung übermittelt."

a) Die A- und B Gas-Regeln führen zunächst entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht dazu, dass § 312h BGB "überlagert" wird und/oder die aus dem BGB folgenden Rechte der Beteiligten wie u.a. das Zurückweisungsrecht des Altanbieters nach § 174 BGB in irgendeiner Form eingeschränkt werden. § 312h BGB kann als Schutzvorschrift zu Gunsten des Verbrauchers durch vertragliche Vereinbarungen der Lieferanten untereinander nicht überlagert werden, und § 174 BGB ist - unabhängig von der Frage, ob es sich dabei überhaupt um disponibles Recht handelt - durch Ziff. 6 A- und B Gas-Regeln nicht abbedungen.

b) Der Wortlaut von Ziff. 6 der A- und B Gas-Regeln lässt offen, ob nur die Existenz der Vollmacht als solche zugesichert wird (auch ein wegen Formunwirksamkeit nichtiges Rechtsgeschäft ist "existent", vgl. Palandt-Ellenberger, BGB 78. Aufl., § 125 Rn. 13, 22 f.) oder zugleich deren Formwirksamkeit. Für letzteres spricht indes, dass im Einzelfall die Übersendung einer Kopie "der Vollmachtsurkunde" gefordert werden kann.

Außerdem ist der Wechselprozess nach den A- und B Gas- Regeln in tatsächlicher Hinsicht darauf ausgelegt, dass eine (form-)wirksame Vollmacht existiert. Mit der Kündigung im Namen des Kunden wird das automatisierte Massenverfahren in Gang gesetzt und - wenn der Prozesslauf nicht im Einzelfall nach begründeter Aufforderung mangels unverzüglicher Vorlage der Vollmacht abgebrochen wird - innerhalb der durch § 20a Abs. 2 EnWG vorgegebenen Frist von drei Wochen vollzogen, d.h. der Vertrag mit dem Altanbieter faktisch beendet. Damit besteht ohne die Existenz einer formwirksamen Vollmacht für den Verbraucher das Risiko eines faktisch vertragslosen Zustandes. Rechtlich wird dieser Zustand zwar durch § 312h BGB verhindert, die tatsächliche Umsetzung des Anbieterwechsels im automatisierten Verfahren kann dann aber für den Verbraucher gleichwohl mit einem erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten verbunden sein. Dieser erhebliche tatsächliche Nachteil überwiegt die Nachteile, die dem Verbraucher dann entstehen können, wenn der Neuanbieter die Existenz einer formwirksamen Vollmacht zusichern muss. Jene in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2019 im Anschluss an die von der Antragsgegnerin herangezogene Entscheidung des LG Kassel (Urteil vom 22.10.2018, 11 O 1385/18) umfassend erörterten Nachteile liegen insbesondere im Fehlen der Möglichkeit einer rückwirkenden Genehmigung entsprechend § 177 Abs. 1 BGB (sofern die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Kündigung nicht beanstandet wird, § 180 Satz 2 BGB; s. hierzu Junker in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, juris-PK-BGB, 8. Aufl., § 312h Rn. 42 ff.) sowie der Gefahr einer Bindung des Verbrauchers an zwei Verträge (vgl. insoweit BGH GRUR 2018, 317 - Portierungsauftrag, juris-Tz. 29) und sind weitgehend theoretischer Natur. Hinzu kommt, dass kein Versorgungsanbieter verpflichtet ist, im Interesse des Kunden als Vertreter ohne Vertretungsmacht zu handeln, zumal bei der Kündigung eine Vertretung ohne Vertretungsmacht ohnehin im Ansatz unzulässig ist, § 180 Satz 1 BGB. Der Verbraucher hat insoweit auch kein schützenswertes Interesse an der mündlichen Erteilung einer unwirksamen Kündigungsvollmacht, auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit einer rückwirkenden Genehmigung, sofern die Kündigung nicht beanstandet wird, § 180 Satz 2 BGB. § 312h BGB ist schließlich auch nicht als eine im Belieben des Verbrauchers stehende Vorschrift ausgestaltet, die dem an einem Energieanbieterwechsel interessierten Kunden ein ureigenes Entscheidungsrecht darüber einräumt, sich wahlweise auf eine mündlich erteilte Vollmacht gegenüber dem Altlieferanten zu berufen und an dem Versorgungswechsel festzuhalten oder aber von § 312h BGB Gebrauch zu machen und sich von der Kündigung des Altversorgungsvertrages wieder zu lösen.

Insgesamt ist festzuhalten, dass Ziff. 6 der A- und B Gas-Regeln mit dem Regelungssystem des § 312h BGB zwar nicht uneingeschränkt in Einklang steht, eine an den Formvorgaben des § 312gh BGB orientierte Auslegung den tatsächlichen Bedürfnissen und Interessen aller Beteiligten jedoch hinreichend gerecht wird, ohne dabei den Verbraucher schlechter zu stellen, als er nach den Vorgaben des BGB steht. In Ziff. 6 der A- und B Gas-Regeln hätte die (klare) Formulierung "Existenz der formwirksamen Vollmacht" gewählt werden können, ohne Verbraucherrechte unzulässig zu beschneiden.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist praktische Folge der Hinweispflicht nicht, dass die dem § 20a EnWG und der A / B Gas immanenten Ziele einer Beschleunigung des Energieversorgerwechsels zugunsten des wechselwilligen Kunden ad absurdum geführt werden. § 312h BGB sieht zum Schutz der Verbraucher vor bestimmten unseriösen Geschäftspraktiken beim Anbieterwechsel - gerade im Hinblick auf die Gefahren bei der Telefonwerbung (s. BT-Dr. 16/10734, Seite 12) - das Textformerfordernis vor, das in aller Regel ohne nennenswerten Zeitverlust gewahrt werden kann, z.B. durch Erteilung einer Kündigungsvollmacht per eMail oder Fax (s. Ellenberger in: Palandt, BGB, 78. Aufl., § 126b Rn. 3). Selbst die Beschaffung einer Vollmachtsurkunde per Post dauert nur wenige Tage. Eine ernsthafte Verzögerung bzw. Verhinderung des Wechselprozesses zu Lasten eines wechselwilligen Kunden ist mit der Wahrung des Textformerfordernisses auch im automatisierten Kündigungsprozess nicht verbunden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren:

bis 21.02.2019: 16.667,00 € (1/3 von 50.000,00 €),

danach: 33.334,00 € (2 x 16.667,00 €), § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG.