OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.04.2019 - 5 B 543/19
Fundstelle
openJur 2019, 27826
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 L 904/19
Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. April 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird - unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung - für beide Rechtszüge auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,

den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den von der Antragstellerin beim Antragsgegner eingereichten Hörfunk-Wahlwerbespot auf den zugeteilten Sendeplätzen auszustrahlen,

zu Recht abgelehnt. Er ist unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen des zugrunde liegenden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Geht es wie hier nicht um eine nur vorläufige Maßnahme, sondern um eine endgültige Entscheidung, die die Hauptsache vorwegnimmt, ist dies im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist und das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. September 2017 - 15 B 778/17 -, juris Rn. 40, vom 6. Februar 2017 - 15 B 832/15 -, juris Rn. 4, und vom 19. September 2014 - 5 B 226/14 -, juris Rn. 5 f., mit weiteren Nachweisen.

Dies zugrunde gelegt hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht mit der eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

Bei der angesichts der Kürze der für die Beschwerdeentscheidung verbleibenden Zeit allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich nicht, dass der Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch aus § 5 Abs. 1 PartG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG auf Ausstrahlung des Wahlwerbespots im Hörfunkprogramm des Antragsgegners zusteht.

Räumt eine Rundfunkanstalt (hier nach § 8 Abs. 2 WDR-Gesetz) politischen Parteien Sendezeiten für Wahlwerbung ein, so kann sie die Ausstrahlung der Werbespots davon abhängig machen, dass die Sendezeit in rechtlich zulässiger Form genutzt wird. Insbesondere hindern weder Art. 21 Abs. 2 noch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG die Intendanten, im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung für die Rundfunkanstalten Wahlspots der politischen Parteien daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen allgemeine Strafgesetze verstoßen. Zur Zurückweisung eines Wahlwerbespots wegen Verstoßes gegen allgemeine Strafgesetze sind sie allerdings nur dann befugt, wenn der Verstoß evident ist und nicht leicht wiegt (vgl. auch § 8 Abs. 4 Satz 2 WDR-Gesetz). In Zweifelsfällen sind zugunsten der politischen Parteien die vorgelegten Wahlwerbesendungen zur Ausstrahlung freizugeben. Die Pflicht des Intendanten zu großzügiger Handhabung des ihm zustehenden Prüfungsrechts lässt eine spätere rechtliche Würdigung der Sachverhalte durch die Strafgerichte unberührt.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25. April 1985 - 2 BvR 617/84 -, BVerfGE 69, 257 = juris Rn. 33, und vom 14. Februar 1978 - 2 BvR 523/75 -, BVerfGE 47, 198 = juris Rn. 102 ff.

Der von der Antragstellerin bei dem Antragsgegner eingereichte Hörfunk-Wahlwerbespot mit dem Inhalt

"Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden Deutsche fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner. Migration tötet.

Jetzt gilt es zu handeln und Schutzzonen für unsere Sicherheit zu schaffen.

Denn diese Sicherheit ist in Gefahr. Viele Städte und Stadtteile sind zu No-Go-Areas für uns Deutsche geworden. Das wollen wir nicht hinnehmen.

Sagt G. G1. , NPD-Parteivorsitzender.

Weil der Staat wegsieht oder nicht mehr in der Lage ist zu handeln, hat die NPD mit ihrer "Schutzzonen-Kampagne" selbst die Initiative ergriffen. Wir reden nicht nur, wir sind da, wo der Bürger uns braucht.

Schutzzonen sind Orte, an denen sich Deutsche sicher fühlen sollen.

Doch nicht nur bei uns auf den Straßen, auch in der Politik muss etwas geschehen. Der NPD-Europaabgeordnete V. W. setzt sich seit Jahren für die Sicherung der europäischen Außengrenzen ein.

Die Einwanderungspolitik der EU stürzt Deutschland und Europa ins Chaos. Ich vertrete seit fünf Jahren Deutsche Interessen in Europa und gedenke dies auch künftig zu tun, damit Europa und Deutschland wieder sichere Schutzzonen werden.

Zur Europawahl gibt es keine Prozenthürde. Jede Stimme für V. W. zählt.

Migration tötet - wir retten Leben. NPD wählen.",

verstößt aller Voraussicht nach evident und schwerwiegend gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Er erfüllt in objektiver Hinsicht den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Danach wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Die Antragstellerin greift durch den Wahlwerbespot die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Ausländer, insbesondere solcher, die im Zuge der Migrationsbewegungen seit dem Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind, an; dieser Teil der Bevölkerung wird von ihr böswillig verächtlich gemacht. Ein böswilliges Verächtlichmachen liegt vor, wenn die Betroffenen aus verwerflichen Beweggründen durch Äußerungen als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hingestellt werden.

Vgl. Sternberg-Lieben/Schittenheim, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 130 Rn. 5d, m.w.N.

Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist dabei für die Deutung des objektiven Sinngehalts einer Äußerung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vom Standpunkt eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums auszugehen. Hierbei darf der Meinungsäußerung keine Bedeutung beigelegt werden, die sie objektiv nicht hat. Im Fall der Mehrdeutigkeit darf nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, bis andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden können. Hierbei ist der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit auch auf der Ebene der Auslegung Rechnung zu tragen. Die Wahrung dieser wertsetzenden Bedeutung erfordert es grundsätzlich, dass eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsgut stattfindet. Die Meinungsfreiheit muss jedoch stets zurücktreten, wenn die Äußerung einer Meinung die Menschenwürde eines anderen antastet. Da aber nicht nur einzelne, sondern sämtliche Grundrechte Konkretisierungen der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt. Die Gerichte haben diesen die Belange der Meinungsfreiheit verdrängenden Effekt bei der Normauslegung insbesondere von Straftatbeständen zu beachten.

Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Februar 2010 - 1 BvR 369/04 -, juris, Rn. 28 ff., m.w.N.

Mit dem Begriff der Menschenwürde ist der soziale Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Angriffe auf die Menschenwürde können in Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und damit in allen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. März 2003 - 1 BvR 426/02 -, BVerfGE 107, 275 = juris Rn. 26, und vom 19. Dezember 1951 - 1 BvR 220/51 -, BVerfGE 1, 97 = juris Rn. 32.

Dies zugrunde gelegt macht der Hörfunk-Wahlwerbespot der Antragstellerin den Bevölkerungsteil der seit 2015 eingereisten Migranten böswillig verächtlich, indem er davon spricht, dass seit "der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung Deutsche fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner" würden. Dass hieraus folgend nicht lediglich Straftaten - insbesondere Körperverletzungsdelikte mit Messern - begehende Migranten als potentielle Gefahr für die von der Antragstellerin als gefährdete Gruppe definierte deutsche Bevölkerung zu betrachten sein sollen, folgt bereits aus dem darauf folgenden insoweit unbeschränkten Satz "Migration tötet", der wegen seiner Kürze und der nachfolgenden Pause besonders hervorgehoben ist und auch am Ende erneut wiederholt wird. Entgegen dem Beschwerdevorbringen kommt dabei der Unterscheidung zu der Aussage "Migranten töten" in diesem Kontext keine maßgebliche Bedeutung zu. Vielmehr drängt sich dem unvoreingenommenen Betrachter die Schlussfolgerung auf, dass die seit dem Jahr 2015 eingereisten Personen in ihrer Gesamtheit eine direkte Gefahr für Deutsche seien.

Vgl. insoweit zu dem vergleichbaren Begriff "Bombenleger" BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017- 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20 = juris, Rn. 736.

Maßgeblich ist dabei auch, dass im weiteren Verlauf des Wahlwerbespots viele Städte und Stadtteile zu "No-Go-Areas" erklärt werden, in denen die Gruppe der Deutschen nicht sicher sei. Die von der Beschwerde vorgenommene Beschränkung der Aussage des Wahlwerbespots ausschließlich auf eine letztlich kleine Anzahl von straffälligen Personen findet hier gerade keinen Wiederhall. Im Gegenteil werden die weiter thematisierten Schutzzonen nicht als potentielle Lösung für alle übrigen Bevölkerungsteile angepriesen. Vielmehr sollen als Schutzzone solche Orte verstanden werden, an denen Deutsche sich sicher fühlen sollen. Auch insoweit baut der Wahlwerbespot einen eindeutigen Gegensatz zwischen der zu schützenden Gruppe der Deutschen und der Gruppe der die Gefahr verursachenden, gleichzeitig des Schutzes nicht würdigen Gruppe der Migranten auf, der - anders als von der Beschwerde vorgebracht - nicht als auf eine kleine Teil-Gruppe begrenzt zu verstehen ist. Dies wird zusätzlich erneut unterstrichen durch den Schlusssatz "Migration tötet - wir retten Leben." Auch dies zeigt das dem Wahlwerbespot in eindeutiger Form zugrundeliegende Gruppenbild und ist bei der Gesamtwürdigung des anzunehmenden Verständnisses zu berücksichtigen.

Vgl. zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Ausschlusses bestimmter Gruppen aus der "Volksgemeinschaft" im Übrigen auch BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, BVerfGE 144, 20 = juris, Rn. 844.

Die in dem Wahlwerbespot zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung ist weiter auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Eine solche Eignung liegt vor, wenn die Äußerung die latent vorhandene Gewaltbereitschaft gegenüber Teilen der Bevölkerung vertiefen kann. Der Werbespot ist geeignet, die Gewaltbereitschaft zu stärken und die Gewaltschwelle herabzusetzen. Dem maßgeblichen Durchschnittsbeobachter drängt sich bereits bei der Aussage, "(w)eil der Staat wegsieht oder nicht mehr in der Lage ist zu handeln, hat die NPD mit ihrer "Schutzzonen-Kampagne" selbst die Initiative ergriffen. Wir reden nicht nur, wir sind da, wo der Bürger uns braucht", zwangsläufig das Verständnis auf, allen nicht in die "Schutzzonen-Kampagne" einbezogenen Personen sei jedenfalls das Recht auf körperliche Unversehrtheit abzusprechen. Gewalt und das eigenmächtige Vorgehen gegen Teile der Bevölkerung werden insoweit als legitimes Mittel propagiert. Dieses Verständnis wird verstärkt durch die eingangs des Spots zu hörenden Geräusche einer Waffe, die geladen wird, und eines Schusses.

An der Erfüllung auch des subjektiven Tatbestandes des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB bestehen schließlich keine Zweifel.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG. Angesichts der von der Antragstellerin erstrebten Vorwegnahme der Hauptsache war der volle Auffangstreitwert anzusetzen (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013). Insoweit war der Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern.