LG Bonn, Urteil vom 26.10.2018 - 2 O 20/18
Fundstelle
openJur 2019, 27817
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 49.820,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 49.746,55 € seit dem 02.10.2016 und aus 74,-€ seit dem 13.12.2017 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen Schäden aus der Körperverletzung des Kindes T vom ... in V, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche auf die Klägerin übergegangen sind.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungskosten, Betreuungskosten und Fahrtkosten für das Enkelkind des Beklagten T, geboren am ..., geltend. Der Junge war bzw. ist bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert.

Die Klägerin erbrachte Leistungen wegen einer Verletzung, die der Junge am ... erlitt.

T, der zum damaligen Zeitpunkt mit seiner Mutter an der Anschrift S# in V lebte, hielt sich an diesem Tag im Haus seiner Großeltern auf. Es war geplant, zu grillen. Der Beklagte verfügte über einen Holzkohlegrill.

Der Beklagte beschäftigte sich mit dem damals vierjährigen Kind im Garten, die Ehefrau des Beklagten war im Haus beschäftigt.

Der Beklagte zündete die Grillkohle mittels einer brennbaren Flüssigkeit an, sodann arbeiteten der Beklagte und der Junge im Garten. Die Plastikflasche mit dem Grillanzünder ließ er auf dem Gartentisch, der in der Sonne stand, stehen.

T fragte den Beklagten wiederholt, wann das Grillfleisch fertig sei.

Der Beklagte begab sich schließlich zum Grill, er wollte das Durchglühen der Kohle beschleunigen. Es ist in der mündlichen Verhandlung streitig geworden, ob die Kohle heiß, aber zum Grillen noch nicht hinreichend durchglüht war, oder ob sie erkaltet war.

Der Beklagte nahm die Plastikflasche und wollte weitere Flüssigkeit auf die Kohle spritzen. Der Sicherheitsverschluss der Flasche löste sich, er flog aus der Flasche, Inhalt spritzte heraus und auf die Kohle. Es kam zu einem explosionsartigen Aufflammen. T stand neben dem Beklagten am Grill. Die Stichflamme erfasste ihn am Kopf und im Oberkörperbereich.

Der Beklagte holte ein nasses Handtuch, wickelte es um den Kopf. Nachdem seine Ehefrau herbei geeilt war, holte man die Mutter des Kindes, die den Rettungsdienst verständigte. Der Junge wurde sodann mit Rettungswagen und -hubschrauber in die Kinderklinik nach Y gebracht.

Bei dem Beklagten stellte die hinzu gerufene Polizei einen Atemalkoholgehalt von 0,82 mg/l fest.

T erlitt Verbrennungen zweiten Grades an Thorax, Gesicht, Ohren, Hals, Oberarmen und erstgradige Verbrennungen an den Handgelenken.

Es wurden mehrere Hauttransplantationen vorgenommen, er wurde bis zum ... stationär behandelt, es folgten ambulante Behandlungen, darunter am ...-... und ... in der sog. Verbrennungssprechstunde der Kinderklinik.

Ein gegen den Beklagten eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StGB eingestellt. Dies wurde wie folgt begründet:

"Einstellung

mangels Strafantrages

kein besonderes öffentliches Interesse

Trotz der wohl erheblichen Verletzungen des Kindes. Es handelt sich eher um einen Unglücksfall, bei dem das vorwerfbare Verhalten des Beschuldigten als relativ gering anzusehen ist. Der Beschuldigte bereut den Unglücksfall. Er ist durch die erlittenen Verletzungen seines Enkels ausreichend getroffen".

Die Klägerin forderte mit Rechnung vom 31.08.2016 (Anlage K 2, Bl. 9 d.A.) die Zahlung von 50.016,76 € und mit Rechnung vom 11.10.2017 die Zahlung von 74,-€ (Anlage K 3, Bl. 10 d.A.). Je 74,-€ will die Klägerin für die ambulanten Krankenhausbehandlungen am ...-... und ... aufgewendet haben. Der nicht - haftpflichtversicherte - Beklagte leistete keine Zahlungen.

Die Klägerin behauptet, sie habe bis zur Klageeinreichung am 29.01.2018 Aufwendungen für 50.090,76 € erbracht, davon allein 45.071,89 € für die stationäre Behandlung vom ...-... bis ..., für Fahrtkosten des Rettungsdienstes, Verdienstausfall und Übernachtungskosten der Mutter und weiteres. Zu den Beträgen im Einzelnen wird auf die Auflistung in der Klageschrift Bl. 4 d.A. sowie die mit dem Schriftsatz vom 09.05.2018 vorgelegten Rechnungen und Belege Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen an sie 50.090,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 50.016,76 € seit dem 02.10.2016 und aus 74,-€ seit dem 13.12.2017 zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen Schäden aus der Körperverletzung des Kindes T vom ... in V, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche auf sie übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet die Höhe der Aufwendungen.

Er meint, er habe keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen und verweist auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 25.05.2018 (Bl. 87 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist - mit Ausnahme von 270,21 € - begründet.

1.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 49.820,55 € gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 116 SGB X.

Dem Kind T steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung zu, der auf die Klägerin als Krankenversicherung übergegangen ist.

Der Beklagte hat beim Betrieb des Grills Verkehrssicherungspflichten verletzt, was zu einem Körperschaden bei seinem Enkelkind geführt hat.

Indem der Beklagte den Grill durch Anzünden der Grillkohle in Betrieb nahm, eröffnete er eine Gefahrenquelle. Es oblag ihm, die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu unternehmen, um Gefahren abzuwenden.

Der Beklagte hat diese Pflicht verletzt, indem er es zuließ, dass sein Enkelkind neben dem Grill stand, als es zur Verpuffung kam. Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, er habe nicht gesehen, dass der Enkel neben ihm gestanden habe, als er den Grillanzünder in Richtung des Grills hob, ist seine Einlassung nicht glaubhaft. Denn in seinem schriftlichen Bericht gegenüber der Ermittlungsbehörde (Bl. 7, 8 d.A.) hat er dargelegt, sein Enkel habe ihm helfen wollen. Er habe ihn ausnahmsweise neben dem Grill stehen lassen.

Der Beklagte beruft sich darauf, dieser Bericht sei von seinem Sohn verfasst worden, weil er selbst nicht hinreichend der deutschen Schriftsprache mächtig sei. Das mag sein, jedoch ist unstreitig sein Sohn nicht bei dem Unfall anwesend gewesen und kann deshalb seine Informationen für den schriftlichen Bericht nur vom Beklagten bekommen haben. Der Beklagte will dem Enkel gesagt haben, er solle warten, als er sich zum Grill begab, um Grillanzünder nachzugießen. Der Beklagte hat sich aber zum einen nicht vergewissert, dass der Enkel dem nachkam. Zum anderen ist es nicht nachvollziehbar, wie das vierjährige Kind vom Beklagten unbemerkt so nah an den Grill heran getreten sein soll, dass es an Kopf und Oberkörper Verbrennungen erlitt.

Es stellt auch eine Verkehrssicherungspflichtverletzung dar, dass der Beklagte einen flüssigen Grillanzünder auf die bereits angezündete Grillkohle spritzte, wodurch es zu einer Stichflamme und Verpuffung kam.

Es ging dem Beklagten darum, das Durchglühen der Kohle zu beschleunigen. In dem in seinem Namen erstellten Bericht heißt es dazu: "Als nach längerer Zeit die Kohle noch nicht genug am Glühen war". Der Beklagte wusste also, dass jedenfalls ein Teil der Kohle warm, wenn nicht gar heiß war, dies allein war ein Umstand, der ihn hätte dafür Sorge tragen müssen, dass der Junge nicht in der Nähe des Grills stand. Es bedarf wohl keiner Erklärung, dass ein vierjähriges Kind die Gefahren eines mit angezündeter Grillkohle befüllten Grills nicht einschätzen kann. Insofern hätte der Beklagte dafür sorgen müssen, dass T einen gehörigen Abstand zum Grill einhielt.

Der Beklagte hat fahrlässig gehandelt, als er den Glühvorgang mittels einer brennbaren Flüssigkeit beschleunigen wollte. Der Beklagte hat zwar in der mündlichen Verhandlung dargelegt, die Kohle sei nur noch warm gewesen, habe erkaltet geschienen. Nach Auffassung des Gerichts ist diese Behauptung aber nicht glaubhaft. Zum einen steht sie in Widerspruch zur schriftlichen Erklärung (s.o.), zum anderen widerspricht sie auch seiner übrigen Darstellung. Es ging ihm darum, dem Wunsch des Enkelkindes nach baldigem Beginn des Grillens nachzukommen, d.h. er wollte den Prozess des Durchglühens beschleunigen. Das beinhaltet aber, dass ein Teil der Kohle bereits durchglüht ist, d.h. sehr heiß ist. Selbst wenn die Kohle "ausgegangen" war, konnte er nicht davon ausgehen, sie sei erkaltet. Hiervon hatte sich der Beklagte nicht zuvor überzeugt.

Der Beklagte beruft sich darauf, er habe nicht damit rechnen müssen, dass der Sicherheitsverschluss von der Flasche flog, als er sie in Richtung Grill hielt. Er habe auch nicht gewusst, dass man einen flüssigen Grillanzünder nicht auf angezündete Grillkohle spritzen dürfe, die Flasche sei alt gewesen. Dass ein Warnaufkleber darauf gewesen sei, bestreitet er mit Nichtwissen, wenn ja, habe er den Aufkleber ohnehin nicht lesen können.

Diese Erklärungen können den Beklagten nicht entlasten, das Gegenteil ist der Fall.

Der Beklagte verwendete zum Anzünden des Grills eine Flasche mit Flüssigkeit, deren Beschriftung er nicht lesen konnte, die Flüssigkeit war aber für ihn erkennbar brennbar und sollte auch dazu dienen, die Grillkohle anzuzünden. Er begnügte sich nicht damit, die Grillkohle mittels Zeitung oder einen schmalen Holzstab anzuzünden, er verwendete einen (Brand)Beschleuniger. Wenn der Beklagte nicht wusste, was konkret er in den Händen hielt, durfte er die Flüssigkeit auch nicht verwenden. Die brennbare Flüssigkeit ließ er in der Sonne stehen, d.h. sie konnte sich für ihn erkennbar aufheizen, wodurch weitere Gefahren entstanden.

Es ist für die Haftung unerheblich, dass das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Zum einen ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft für das Gericht nicht bindend, zum anderen erfolgte die Einstellung wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung, weil kein Strafantrag vorlag und das öffentliche Interesse wegen des familiären Hintergrundes und der glaubhaften Betroffenheit des Beklagten verneint wurde.

Hinsichtlich der Höhe ist die Klage begründet, mit Ausnahme der Positionen "Arznei- und Verbandsmittel" (21,75 €, 29,87 €, 34,51) sowie "tatsächliche ärztliche Behandlung" (55,27 €, 31,64 €, 80,29 €, 16,88 €). Insoweit liegen keine Nachweise vor. Da der Beklagte auch den Anfall der Kosten (insgesamt 270,21 €) bestritten hat, war dies aber erforderlich.

Kein Abzug erfolgt, soweit die Klägerin für die ambulante Behandlung in der Kinderklinik am ... und ... je 74,-€ geltend macht, es aber an Rechnungen fehlt. Mit je 74,-€ pro Untersuchung in der "Verbrennungssprechstunde" ist der Kostenansatz angemessen.

Die Zinsforderungen sind begründet aus Verzug, §§ 288 Abs. 1, 280 Abs. 2, 286 Abs. 3 BGB.

2. Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Feststellung der Eintrittspflicht des Beklagten für künftige aus der Verletzung resultierende materielle Aufwendungen. Das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO besteht, denn allein wegen der Narbenbildungen können sich bei dem Kind weitere Behandlungen als notwendig erweisen.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 709 S. 1 und 2 ZPO.

Streitwert: 51.090,76 €

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