SG Aachen, Urteil vom 23.04.2019 - S 12 SB 656/17
Fundstelle
openJur 2019, 27711
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mehr als 60 sowie des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, H und RF.

Mit Bescheid vom 11.10.2006 stellte das Versorgungsamt B bei der Klägerin ab dem 13.08.2004 einen GdB von 50 fest. Am 16.06.2016 stellte sie einen Änderungsantrag, in dem sie angab, sie leide unter Bluthochdruck, Wirbelsäulenleiden, Depressionen, Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes mellitus, einer beiderseitigen Kniearthrose, Bandscheibenvorfällen, einem "damals gebrochenen Steiß-bein", inneren Leiden, Migräneattacken, Magenbeschwerden, und schlimmen Gleichgewichtsstörungen. Es sei eine ständige Begleitung erforderlich. Sie habe eine gestörte Orientierung und sei vergesslich. Auch bestünde ein Zustand nach älteren Knie-Operationen. Neben der Feststellung eines höheren GdB begehrte sie die Zuerkennung der Merkzeichen B, RF und H. Auf Nachfrage erklärte die Klägerin ihr Diabetes sei mit Metformin medikamentös behandelt.

Der Beklagte holte Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Dr. G und des Neurologen und Psychiaters M ein. Frau Dr. G gab hinsichtlich des Diabetes an, dieser werde diätisch behandelt.

Der ärztliche Dienst des Beklagten kam zu der Einschätzung, für die depressive Entwicklung, Anpassungsstörung und Schmerzstörung sei ein GdB von 40, für Funktionsstörungen der Harnorgane eine GdB von 20 sowie für Funktionsstörungen der oberen Extremitä-ten, Funktionsstörungen der Kniegelenke bei Verschleiß und Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule jeweils ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen. Insgesamt sei der GdB mit 50 weiter zutreffend bewertet. Die Zuerkennung der Merkzeichen aG, B, RF und H komme nicht in Betracht.

Mit Bescheid vom 23.11.2016 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren GdB sowie die Zuerkennung der Merkzeichen aG, B, H und RF ab. Hiergegen legte die Klägerin am 01.12.2016 Widerspruch ein, den sie umfänglich handschriftlich begründete. Der Beklagte habe die bei ihr vorliegenden starken, zum Großteil in ihrer Kindheit begründeten, psychischen Probleme nicht hinreichend berücksichtig. Auch die Tatsache, dass sie ständig unter sehr starken Schmerzen leide finde sich in der Entscheidung des Beklagten nicht wieder. Ihr Rücken sei "total kaputt", ihr Steißbein sei gebrochen gewesen, sie habe in beiden Knien starke Arthrose, ebenso in der linken Hüfte. Sie sei völlig hilflos und ständig und umfänglich auf fremde Hilfe angewiesen. Die Klägerin legte ein Attest der Frau Dr. G vor, wonach bei ihr eine drittgradige Gonarthrose rechts, ein restlesslegs-Syndrom sowie eine chronische Schmerzkrankheit vorliege. Sie sei außerhalb des Hauses in ihrer Mobilität eingeschränkt und könne sich daher Termine nicht fest vornehmen.

Der Beklagte zog ein Pflegegutachten des MDK Nordrhein vom 09.01.2017 bei, in dem eine Pflegestufe unter I festgestellt wurde. Daneben zog er einen weiteren Befundbericht des Herrn M bei und wertete diesen, zusammen mit einem Arztbericht des Orthopäden Dr. I. sowie radiologischen Befunden durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, der GdB für die psychischen Beeinträchtigungen sei auf 50 zu erhöhen und der für die unteren Extremitäten auf 30. Insgesamt sei der GdB mit 60 zu bewerten.

Am 21.04.2017 erging daraufhin ein (Teil-)Abhilfebescheid in dem der GdB der Klägerin mit 60 festgestellt wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2017 wurde der Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Am 02.08.2017 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben. Im Rahmen des Klageverfahrens hat die Klägerin ein Pflegegutachten vom 04.04.2017 vorgelegt, in dem die Pflegestufe I festgestellt wurde. Mit Beschluss vom 01.06.2018 ist das Verfahren zum Ruhen gebracht worden, weil die Klägerin im Verfahren S 21 P 63/17 gutachterlich untersucht werden sollte. Das entsprechende Gutachten des Dr. H., welches dieser am 06.07.2018 erstattet hat, ist beigezogen und das Verfahren fortgesetzt worden. Am 19.12.2018 hat eine erneute Begutachtung der Klägerin durch den MDK Nordrhein stattgefunden. Es ist bei der Klägerin in diesem Gutachten der Pflegegrad 3 festgestellt worden. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin und Rehabilitationswesen Dr. K., welches dieser ? nach Durchführung eines Hausbesuches bei der Klägerin am 18.01.2019 ? gegenüber dem Gericht erstattet hat.

Im Rahmen der am 23.04.2019 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, ausgeführt, sie halte die Einstufung des Beklagten weiterhin für unzutreffend. Der festgestellte GdB und die Ablehnung der nunmehr begehrten Merkzeichen spiegele ihren Gesundheitszustand nicht zutreffend wider. Der Kammervorsitzende hat darauf hingewiesen, dass das Merkzeichen G weder beantragt worden war und der Beklagte hierüber auch nicht entschieden habe, weswegen dieses keinesfalls streitgegenständlich sein könne.

Die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, beantragte gleichwohl,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2016 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 21.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2017 zu verurteilen, bei ihr einen Gesamtgrad der Behinderung vom mehr als 60 festzustellen sowie anzuerkennen, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, H und RF vorliegen.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verwies er auf die Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren sowie die Feststellungen des Gutachters Dr. K.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Verwaltungsakte, die auszugweise beigezogene Verfahrensakte S 21 P 63/17 sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

I. Die Klage ist, soweit die Klägerin die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G begehrt, unzulässig. Die Klägerin kann die begehrte Feststellung gerichtlich allein im Rahmen einer entsprechenden (Anfechtungs- und) Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend machen. Eine solche Klage ist indes nur dann zulässig, wenn die Klägerin zuvor den Erlass des entsprechenden Verwaltungsaktes beantragt hat und dies vom Beklagten abgelehnt worden ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 20. Schon hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Klägerin hatte ausdrücklich im gesamten Verwaltungs- (und auch Widerspruchsverfahren) allein die Feststellung der Merkzeichen B, RF und H beantragt. Die sodann erstmalig auf Zuerkennung des Merkzeichens G gerichtete Klage ist mithin unzulässig. Eine Entscheidung hier-über konnte nicht ergehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden, die Feststellung des ? ebenfalls nicht beantragten ? Merkzeichens aG abgelehnt hat. Das Merkzeichen G ist nicht etwa ein "Minus" zum Merkzeichen aG; es sind beim Merkzeichen aG nicht etwa bloß die Voraussetzungen gegen-über dem Merkzeichen G gesteigert. Die Voraussetzungen besitzen insgesamt einen anderen Charakter, was sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Systematik der Normen. Es handelt sich daher um ein "Aliud" (SG Dresden, Urteil vom 13.05.2014 ? S 13 SB 590/12 = juris Rn. 49 unter Hinweis auf BSG Urteile vom 29.03.2007 ? B 9a SB 1/06 R sowie B 9a SB 5/05 R = juris; vgl. auch unlängst LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2018 ? L 3 SB 2660/16 = juris Rn. 46).

II. Im Übrigen ist die Klage zulässig. Die bereits erwähnte Tatsache, dass der Beklagte, ohne dass dies beantragt gewesen wäre, auch über das Merkzeichen aG entschieden hat, führt insoweit nicht zu einer Unzulässigkeit der Klage. Es stellt sich in diesem Zusammenhang zwar durchaus die Frage, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auch dann besteht, wenn ein Merkzeichen abgelehnt worden ist, welches zunächst nicht beantragt gewesen ist und dass die Klägerin mithin zunächst gar nicht begehrte. Nach Auffassung der Kammer ist es bei einer solchen Sachlage aber durchaus möglich, sich im

Nachgang anders zu entscheiden und die Bestandskraft der ? insoweit ursprünglich nicht gewollten Feststellung ? zu verhindern. Die Klage ist aber ? soweit sie zulässig ist ? unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG nicht beschwert, da diese rechtmäßig sind. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 60 (dazu unten 1.) noch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens RF (dazu unten 2.), des Merkzeichens aG (dazu unten 3.), des Merkzeichens H (dazu unten 4.) oder des Merkzeichens B (dazu unten 4.).

1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches ? Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ? (SGB IX) in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz ? BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt dabei dann vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides war freilich noch § 2 SGB IX a.F. maßgeblich, wonach Menschen behindert waren, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (bzw. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.) werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX (bzw. § 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG ? Beschluss vom 01.06.2017 ? B 9 SB 20/17 B = juris; BSG Beschluss vom 09.12.2010 ? B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG ? Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 ? L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 ? B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 ? L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 (a.F.) Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX (bzw. § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F.) auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorlie-

gen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.

Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grunds-ätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 ? B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 ? L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 ? L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.

Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht die Feststellung eines GdB von mehr als 60 rechtfertigen.

Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter:

1. Depressive Entwicklung, Angststörung, sonstige neurotische Störungen, chronischer Schmerzstörung, nichtorganische Insomnie, Somatisierungsstörung, migrä-noider Kopfschmerz 2. Restlesslegs-Syndrom 3. Funktionsstörung der Harnorgane 4. Funktionsstörung der Kniegelenke bei Verschleiß Gonarthrose Grad III, rechts 5. Coxarthrose 6. Senk-Spreiz-Füße 7. Funktionsstörungen der oberen Gliedmaße 8. Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule 9. Diabetes mellitus Typ II 10. Bluthochdruck

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte, des beigezogenen Gutachtens des Dr. H., der vorliegenden Pflegegutachten des MDK Nordrhein sowie insbesondere auch des Gutachten des Dr. K., welches dieser im Rahmen eines Hausbesuchs bei der Klägerin erstellt hat, fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen eines erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben nach Auffassung der Kammer auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Dass die Klägerin mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden ist, mag sein und hängt nach Auffassung der Kammer wohl auch mit den bei der Klägerin vorliegenden psychischen Beeinträchtigungen zusammen. Nach Auffassung der Kammer ist das Gutachten aber lege artis und nachvollziehbar erstellt. Vor allem fügt es sich aber mit seinen Feststellungen auch in die übrigen eingeholten Gutachten ein. Objektiv besteht auch bei diesen ein erheblicher Widerspruch zum Vortrag der Klägerin. So hat die Klägerin schon im Verwaltungsverfahren angegeben, sie sei nahezu in allen Bereich auf umfängliche Hilfe angewiesen. Dies haben weder die seinerzeit eingeholten Pflegegutachten des MDK noch das Gutachten des Dr. H. bestätigen können. Auch der Gutachter Dr. K. weist mehrfach darauf hin, dass die von der Klägerin geklagten Beschwerden teilweise objektiv nicht nachvollzogen werden können.

Für die Kammer steht insgesamt fest, dass bei der Klägerin absolut im Vordergrund die psychischen Beeinträchtigungen stehen. Für diese kann ? wie vom Beklagten vorgenommen ? gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze durchaus ein GdB von 50 in Ansatz gebracht werden. Im Rahmen der psychischen Beeinträchtigungen stehen dabei die chronifizierten Schmerzen und die Somatisierungsstörungen im Vordergrund. Hierunter fallen auch insbesondere die Kopfschmerzen, die Probleme mit der Schlaflosigkeit aber auch die Beeinträchtigungen durch das restlesslegs-Syndrom. Die daneben bestehenden depressiven Beschwerden stehen ? auch unter Berücksichtigung des mit dem Tod des Ehemanns zwischenzeitlich erfolgten weiteren Schicksalsschlag ? dahinter zurück. Der Psychiater M., der die Klägerin zuletzt gesehen hat, spricht insoweit von einer Dysthymie. Hierbei handelt es sich nach der Definition in ICD 10 F. 34.1 um "eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung (F33.-) zu erfüllen" (vgl. dazu auch Schöpf, Psychiatrie für die Praxis, 2. Aufl. 2003, S 189; Butcher/Mineka/Hooley, Klinische Psychologie, S. 282 f.). Die Behandlung der depressiven Verstimmungen der Klägerin erfolgt mit Fluoxetin 40 mg, eine darüber hinausgehende Therapie erfolgt nicht. Daneben besteht zudem eine Angststörung und eine nicht organisch bedingte Schlaflosigkeit.

Die eingeholten Pflegegutachten machen freilich deutlich, dass die Klägerin im Bereich der sozialen Kontakte sowie der Gestaltung des Alltagslebens durchaus weitgehend selbständig tätig ist. Auch das Verhalten der Klägerin im Rahmen des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens macht deutlich, dass die Klägerin durchaus bereit und in der Lage ist, die von ihr angestrebten Ziele zu verfolgen. Bei den Untersuchungen war sie insgesamt zu allen Qualitäten informiert, gab nachvollziehbare Antworten und war in der Lage ihre Situation zu beschreiben.

Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass der Antrieb der Klägerin in bestimmten Bereichen stark reduziert ist. Zwar stützt die Klägerin die Tatsache, dass sie kaum noch das Haus verlässt auf körperliche Beschwerden; diese lassen sich zur Überzeugung der Kammer indes nicht hinreichend objektivieren. Hier zeigen sich vielmehr wieder insbesondere die Auswirkungen der Schmerzerkrankung, die sich bei der Klägerin in den verschiedensten Gebieten (Kopf, Rücken, Beine, aber auch Knie) zeigen. Diese Auswirkungen insgesamt lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Beeinträchtigungen der Klägerin schon als schwere Störung zu betrachten, die indes bislang mit einem GdB von 50 hinreichend bewertet sind. Hiervon sind ebenfalls schon die Beeinträchtigungen durch die "restlesslegs" und die Kopfschmerzen, aber auch die somatisch nicht begründbaren Schmerzen in verschiedenen Körperregionen mit berücksichtigt. Beeinträchtigungen, die darüber einen darüber hinausgehenden GdB rechtfertigen könnten sind ? schon im Hinblick auf die niederschwellig intensive Therapie und dem Mangel einer fachärztlichen Behandlung ? nicht objektiviert.

Für das Funktionssystem der Harnorgane ist gemäß Teil B Ziffer 12.2.4 ein GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Die Klägerin gibt an, unter eine Tröpfcheninkontinenz zu leiden, weswegen sie Vorlagen trägt. Im Hinblick auf den von der Klägerin ? etwa gegenüber der Gutachterin im Rahmen der letzten Pflegebegutachtung ? selbst angegeben Umfang der Inkontinenz ist ein GdB von mehr als 20 nach Auffassung der Kammer nicht zu berücksichtigen.

Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten ist gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Bei der Klägerin ist eine Gonarthrose Grad III des rechten Knies bei bestehendem beidseitigem Verschleiß der Knie sowie eine Coxarthrose diagnostiziert worden. Hinsichtlich des rechten Knies war auch eine Indikation zur totalendoprothetischen Versorgung gestellt worden. Nach den Feststellungen des Dr. K. konnten die Hüft- und Kniegelenke beidseits bis mindestens 90&730; gebeugt werden. Im Rahmen eines Gehtests konnte ein Streckdefizit in Hüft- und Kniegelenken nicht festgestellt werden. Entsprechende Feststellungen finden sich auch im Gutachten des Dr. H. Dieser beschreibt zudem kleine Narben im Bereich des rechten Knies nach Arthroskopie. Auch dort gelang im Sitzen die Beugung in Hüft- und Kniegelenken bis über 90&730;. Im Liegen wurde die passive Beugung links auch darüber hinaus ohne Schmerzangabe toleriert. Auffallend war freilich bei dieser Beurteilung, dass trotz der beschriebenen Beugefähigkeit beider Knie, die demonstrierte Beugung rechts nur bis 30&730; erfolgt. Dieses Ergebnis ist in sich nicht schlüssig und spricht nach Auffassung der Kammer jedenfalls für ein Aggravieren der Klägerin, d.h. einer verschlimmernden bzw. überhöhenden Darstellung tatsächlich vorhandener krankhaften Störungen zum Zweck der Erlangung von Vorteilen (vgl. Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Aufl. 2011, S. 66 ff.; Venlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 23; vgl. auch Hausotter, Neurologische Begutachtung, 2006, S. 158; Nedopill/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl.2012, S. 213 ff.). Hier sind nach Auffassung der Kammer die Grenzen zu bloßen (bewussten oder unbewussten) Verdeutlichungstendenzen, die in einer Begutachtungssituation durchaus üblich ist, überschritten. Unter Berücksichtigung der objektivierten Beeinträchtigungen im Bereich beider Knie sowie der Hüftgelenke ist hier ein GdB von mehr als 30 keinesfalls in Ansatz zu bringen. Nach Auffassung der Kammer lässt sich dieser GdB nur dann rechtfertigen, wenn man hier die Schmerzproblematik mit in die Bewertung des GdB einbezieht. Dies ist in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen so auch vorgesehen. Allerdings wurden die Schmerzen auch schon im Bereich der Psyche wesentlich bewertet, weswegen bei der Bildung des Gesamt-GdB hier eine Doppelbewertung zu vermeiden ist. Der bei der Klägerin diagnostizierte Senk-Spreizfuß erhöht den GdB nicht weiter.

Für das Funktionssystem der oberen Gliedmaße ist ein höherer GdB als 10 gemäß Teil B Ziffer 18.13. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht objektiviert. Die Arme konnten bei der Untersuchung durch Dr. K. bis mindestens 120&730; gehoben werden. Die Ellenbogengelenke, die Handgelenke und das Fingerspiel waren ebenfalls unauffällig.

Für die Funktionsstörungen der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz bringen. Die Klägerin trägt vor, sie habe diverse Bandscheibenvorfälle und einen gebrochenen Steiß gehabt. Der sie zuletzt behandelnden Orthopäde bestätigte im Verwaltungsverfahren eine multisegmentale Protrusion (Vorwölbung) der Lendenwirbelsäule und eine rezidivierende Lumbago. Hierdurch bedingte Bewegungseinschränkungen der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte konnten bei der Untersuchung durch Dr. K. nicht objektiviert werden. Ein entsprechendes Ergebnis zeigte auch schon die Untersuchung durch Dr. H ... Da maßgeblich nicht bestimmte Diagnosen sondern Funktionsbeeinträchtigungen sind, kommt eine höhere Bewertung des GdB nicht in Betracht.

Für den bei der Klägerin diagnostizierten Diabetes mellitus Typ II ist ein GdB nicht festzustellen. Selbst wenn man die Aussage der Klägerin, sie nehme Metformin ein ? eine Aussage, die der Feststellung der Hausärztin, die Behandlung erfolge rein diätisch, widerspricht ? und die von der Klägerin im Übrigen im Rahmen der Begutachtung auch nicht durch Vorlage entsprechender Medikamente untermauert werden konnte, als zutreffend unterstellt, resultiert hieraus kein GdB. Denn auch diese Behandlung kann keine regelhaften Hypoglykämien auslösen (vgl. hierzu etwa Lüllmann/Mohr/Hein, Pharmakologie und Toxikologie, 17. Aufl. 2010, S. 446; Biesalski/Bischoff/Puchstein, Ernährungsmedizin 4. Aufl. 2010, 517), und ist daher mit keinem GdB (GdB 0) zu bewerten (vgl. dazu Teil B Ziffer Nr. 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze; vgl. dazu auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.07.2018 ? L 8 SB 1348/18 = juris ). Soweit die Klägerin unter erhöhten Blutdruck leidet wird dieser behandelt. Schäden an Zielorganen sind bislang nicht objektiviert, so dass hier allerhöchstens ein GdB von 10 in Ansatz gebracht werden kann.

Ausgehend von den objektivierten Beeinträchtigungen ist bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 152 Abs. 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.) in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze weiterhin ein GdB von 60 in Ansatz zu bringen.

§ 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F.) schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 ? L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).

Im vorliegenden Fall ist zunächst als absolut führender GdB derjenige der Psyche zugrunde zu legen. Dieser GdB ist ? wie oben ausführlich dargelegt ? mit 50 zu bewerten. Daneben sind erhöhend zu berücksichtigen die Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten. Diese sind geeignet, den Gesamt-GdB auf 60 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung, insbesondere etwa im Hinblick auf die geklagten orthopädischen Beschwerden und die Tröpfcheninkontinenz kommt nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht. Die geklagten Schmerzen waren ebenso wie die geklagten Schwierigkeiten der Klägerin sich zu erheben, was letztlich das Tragen von Vorlagen insbesondere erforderlich macht, im Bereich der Psyche mit berücksichtigt worden. Eine doppelte Bewertung kommt insoweit ? hierauf wurde bereits mehrfach hingewiesen ? nicht in Betracht. Darüber hinaus rechtfertigt nach Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) auch ein GdB von 20 ? unabhängig davon, dass ein anderes Organsystem betroffen ist ? vielfach nicht die Anhebung des GdB. Eine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB durch andere Beeinträchtigungen kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil diese lediglich einen GdB von höchstens 10 (teilweise allenfalls soeben 20) bedingen. Unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der Beeinträchtigungen sind sie nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen. Die Klägerin hat mithin nach § 48 SGB X eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung der Leiden nicht hinreichend objektiviert hat.

2. Auch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens RF scheidet aus. Rechtsgrundlage für einen entsprechenden Anspruch wäre § 152 Abs. 1, 4 SGB IX in der ab 01.01.2018 gültigen Fassung vom 23.12.2016 (der im Wesentlichen der Vorgängerregelung des § 69 Abs. 1, 4 SGB IX entspricht) i.V.m. den Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RdFunkBeitrStVtr) in der Fassung der Bekanntmachung des Gesetzes zur Zustimmung zum Einundzwanzigsten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Einundzwanzigster Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 08.05.2018 (GV.NRW S, 211 ff.). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Rundfunkgebührenpflicht aus gesundheitlichen Gründen auf ein Drittel sind gemäß § 4 Abs. 2 RdFunkBeitrStVtr erfüllt bei blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 RdFunkBeitrSt-Vtr), hörgeschädigten Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 RdFunk-BeitrStVtr), und bei behinderten Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr).

Um dem Zweck der Ermäßigung der Rundfunkgebühren zu genügen, ist eine enge Auslegung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr geboten (Bayerisches LSG Urteil vom 14.11.2018 ? L 18 SB 84 = juris Rn. 19 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 = juris Rn 11 m.w.N.). § 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr setzt daher - neben einem GdB von mindestens 80 - voraus, dass der Behinderte wegen seiner Leiden ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen kann; vielmehr muss er praktisch an das Haus bzw. an die Wohnung gebunden sein (vgl. Bayerisches LSG Urteil vom 14.11.2018 ? L 18 SB 84 = juris Rn. 19 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 12.02.1997, 9 RVs 2/96 juris Rn 11 m.w.N). Maßgeblich ist dabei allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln, z.B. einem Rollstuhl, und/oder mit Hilfe einer Begleitperson (vgl. Bayerisches LSG Urteil vom 14.11.2018 ? L 18 SB 84 = juris Rn. 19; BSG vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; vom 11.09.1991, 9a/9 RVs 15/89). Ein Ausschluss aus anderen als behinderungsbedingten Gründen begründet das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht (vgl. BSG vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; LSG Bayern, a.a.O.). Bei der Klägerin liegen die Voraussetzungen nicht vor. Insbesondere ist der erforderliche Mindest-GdB nicht erreicht (vgl. dazu oben). Daneben ist aus dem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Attestes der Fr. Dr. G. auch zu entnehmen, dass die Klä-ger zwar "außerhalb ihres Hauses in der Mobilität stark eingeschränkt ist" weswegen sie sich "Termine nicht fest vornehmen" könne. Dies macht aber deutlich, dass entsprechende Termine auch nach Ansicht der damals behandelnden Ärztin durchaus möglich wären. Die Kammer kann ? mit dem Gutachter Dr. K. ? auch keine objektivierbaren Anhaltspunkte dafür erkennen, aus welchem Grund die Klägerin an den oben beispielsweise genannten Veranstaltungen nicht sollte teilnehmen können. Hierauf kommt es aber im Hinblick auf den GdB von 60 bei der Klägerin im Ergebnis indes nicht an. 3. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG kommt nicht in Betracht.

Die am 01.01.2018 in Kraft getretenen Regelung des § 229 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bestimmt - inhaltsgleich mit der bis zum 31.12.2017 geltenden Regelung des § 146 Abs. 3 SGB IX a.F. - dass schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung sind, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Nach Satz 3 der Vorschrift zählen hierzu insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Weitere, in Satz 4 der Vorschrift beispielhaft aufgeführte Gesundheitsstörungen (Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Stö-rungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) sind nach § 229 Abs. 3 Satz 5 SGB IX als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" normiert § 229 Abs. 3 SGB IX somit zwei Voraussetzungen, welche kumulativ vorliegen müssen: Bei dem Betroffenen muss (1.) eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen, die (2.) einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 entspricht (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 02.05.2018 ? L 17 SB 347/17 = juris Rn. 4). Schon der Gesamt-GdB der Klägerin beträgt nicht 80, weswegen das Merkzeichen schon aus diesem Grund ausscheidet. 4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H.

In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung. Entsprechend § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausgegangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (BSG, Urteil vom 24.11.2005 B 9 a SB 1/05 R). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (vgl. BSG, a.a.O.).

Bislang wurde mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB IX a.F.) die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007, L 8 SB 1421/06; vgl. auch BSG, a.a.O.). Nicht hilflos war nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer angeschlossen hat, danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde waren danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr war der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (vgl. zu alledem BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden war bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, war auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Die notwendige Bereitschaftszeit einer Hilfsperson war hierbei dann berücksichtigungsfähig, wenn die Hilfsperson dadurch zeitlich und örtlich ebenso beansprucht werde, wie bei körperlicher Hilfeleistung (vgl. (BSG Urteil vom 12. Februar 2003, B 9 SB 1/02 R = juris).

An diesen Rechtsgrundsätzen ändert sich auch nichts durch die durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weitere Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz ? PSG II) vom 21.12.2015 (BGBl. 2015, S. 2424 ff.) zum 01.01.2017 erfolgte Einführung des neuen Pflegebegriffs §§ 14, 15 SGB XI n.F. Auch hier kommt es weiter auf den objektivierten Zeitaufwand an. Erst ab Pflegegrad 4 kann davon ausgegangen werden, dass generell eine Hilfebedürftigkeit besteht (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.10.2018 ? L 6 SB 2329/18, rechtlich unbeanstandet gelassen durch BSG Beschluss vom 27.12.2018 ? B 9 SB 5/18 BH). Bei der Klägerin war indes zur Zeit der Antragstellung bis zum 19.12.2018 der Pflegegrad 2 festgestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt geht die Pflegekasse vom Vorliegen des Pflegrades 3 aus. Der Pflegegrad 3 geht dabei definitionsgemäß vom Vorliegen schwerer Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aus. Bei der Klägerin ist in diesem Zusammenhang freilich zu berücksichtigen, dass bei ihr auch im letzten Gutachten des MDK aus Dezember 2018 gewichtete Punkte von 50,00 festgestellt worden, was im Hinblick auf die Spanne der Punkte für die Zuerkennung des Pflegegrades 3 von 47,5 bis 70 Punkten, deutlich am unteren Ende des entsprechenden Pflegegrads sich bewegt.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gutachten ? sowohl des Dr. K. als auch der im Pflegeverfahren eingeholten Gutachten des MDK sowie des Dr. H. ? konnte die Kammer nicht mit hinreichender Gewissheit davon überzeugen, dass der Hilfebedarf der Klägerin tatsächlich in einem Maße besteht, welcher die Zuerkennung des Merkzeichens H begründen würde. Das letzte Pflegegutachten überzeugt die Kammer hierbei in einigen Punkten nicht sonderlich, da die Angaben der Klägerin nach Auffassung der Kammer teilweise zu wenig hinterfragt werden. Hierauf weist auch Dr. K. in seinem Gutachten zutreffend hin. Aber selbst wenn man das Gutachten des MDK zugrunde legt wird dort von einem Pflegeaufwand von 10 Stunden verteilt auf regelmäßig zwei Tage ausgegangen. Hier wird schon deutlich, dass eine tägliche zeitumfängliche Hilfeleistung bei der Klägerin auch von der dortigen Gutachterin nicht gesehen wird. In vielen Bereichen der Selbstversorgung wird die Klägerin als überwiegend selbständig beschrieben, lediglich im Bereich des Waschens des Intimbereichs, des Duschen und Badens einschließlich der Haare sowie des An- und Auskleidens des Unterkörpers wird sie als überwiegend unselbständig und hinsichtlich der Bewältigung der Folgen der Harninkontinenz als unselbständig beschrieben. Das Bereitstellen der Medikation erfolgt einmal pro Woche. Nachts bedarf die Klägerin nach eigenen Angaben auch Hilfe im Hinblick auf Ausscheidungen (Urin). Auch wenn hier für eine Reihe von Verrichtungen Hilfe in Anspruch genommen wird, so ist nach Auffassung der Kammer hier der erforderliche tägliche Rahmen bislang keinesfalls gegeben. Insoweit teilt die Kammer ? unter Zugrundelegung der Darstellungen der Klägerin ? die Auffassung der Gutachterin des MDK. Die Zuerkennung des Merkzeichens H scheidet mithin aus.

5. Die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B scheidet ebenfalls aus.

Gemäß § § 228 Abs. 1 SGB IX n.F. wird die Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen, der infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos ist, im öffentlichen Personenverkehr unentgeltlich befördert, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen und dies im Ausweis des schwerbehinderten Menschen eingetragen ist. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 1 und 4 SGB IX n.F.). Nach Teil D Ziffer 2 lit b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist eine Berechtigung für eine ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl oder H vorliegen) gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Der Tatbestand für die Zuerkennung des Merkzeichens B knüpft mithin an die "G", "Gl" und "H" an. Die Zuerkennung des Merkzeichens "B" kann somit nur erfolgen, wenn das Merkzeichen "G", "H" oder "Bl" zuerkannt ist (LSG Urteil vom 22.03.2019 - L 8 SB 3550/18 = juris unter Hinweis auf so BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 6/86 = juris, freilich noch zu, SchwebG). Weiter ist Voraussetzung, dass sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind (§ 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX; § 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a.F.). Da bei der Klägerin weder das Merkzeichen G noch das Merkzeichen H festgestellt worden sind scheidet die Zuerkennung des Merkzeichens B ebenfalls aus.

Die Klage war damit insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

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