LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.03.2019 - L 9 AL 144/18
Fundstelle
openJur 2019, 27709
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 33 AL 285/17
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.05.2018 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils wird wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 03.08.2018 und 07.08.2018 verurteilt, dem Kläger vom 30.11.2016 bis zum 25.04.2017 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen endgültig zu zahlen. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld vom 30.11.2016 bis zum 25.04.2017 sowie die Anrechnung seines zuvor in den Niederlanden erhaltenen Arbeitslosengeldes.

Der am 00.00.1985 geborene Kläger wohnt in L und hat hier seinen Lebensmittelpunkt, arbeitet jedoch regelmäßig (mit Unterbrechungen) in den Niederlanden für Zeitarbeitsunternehmen u.a. als Produktionshelfer. Dort stand er zuletzt vom 28.04.2014 bis zum 15.05.2015 im Bezug von WW-uitkering nach dem Werkloosheidswet. In der Folgezeit war er in den Niederlanden ausweislich der vorliegenden PD U1-Bescheinigung des Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen (UWV) I erneut vom 08.06.2015 bis zum 11.10.2015, vom 16.10.2015 bis zum 25.10.2015 und vom 23.11.2015 bis zum 14.11.2016 versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 30.11.2016 meldete der Kläger sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Diese erkannte ihn als echten Grenzgänger an und bewilligte ihm mit Bescheiden vom 04.01.2017 und 05.01.2017 vorläufig Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30.11.2016 bis zum 29.05.2017 i.H.v. 24,52 Euro täglich. Durch Änderungsbescheide vom 31.01.2017 änderte die Beklagte die Anspruchsdauer unter Beibehaltung der vorläufigen Bewilligung von ursprünglich 180 Tagen auf 114 Tage für den Zeitraum vom 06.02.2017 bis auf weiteres und auf 113 Tage für den Zeitraum vom 08.02.2017 bis zum 30.05.2017.

Am 02.03.2017 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB X für die Vergangenheit ab dem 30.11.2016 nebst Erstattung von 2.329,40 Euro an. Er habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld besessen. Zwar habe er aufgrund seiner Tätigkeiten in den Niederlanden grundsätzlich einen Anspruch auf deutsches Arbeitslosengeld erworben, davon seien aber die Tage des Leistungsbezugs in den Niederlanden vom 28.04.2014 bis zum 15.05.2015 (383 Tage) abzuziehen, so dass sich kein Anspruch mehr ergebe. Der Kläger habe die Überzahlung verursacht, da er eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung in seinen Verhältnissen nicht vollständig mitgeteilt habe.

Mit Aufhebungsbescheid vom 02.03.2017 hob die Beklagte unter Bezugnahme auf § 48 SGB X die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 05.03.2017 auf und stellte die Zahlung am 04.03.2017 ein. Die Dauer des in den Niederlanden erhaltenen Arbeitslosengeldes sei von dem hier erworbenen Anspruch auf Arbeitslosengeld abzuziehen, so dass sich kein Anspruch ergebe.

Hiergegen legte der Kläger am 23.03.2017 Widerspruch ein und führte aus, nach dem Bezug des niederländischen Arbeitslosengeldes im Zeitraum vom 28.04.2014 bis zum 15.05.2015 habe er neue versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten in den Niederlanden zurückgelegt (08.06.2015 bis 11.10.2015, 16.10.2015 bis 25.10.2015 und 23.11.2015 bis 14.11.2016), durch die er einen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben habe.

Am 26.04.2017 trat der Kläger in ein neues Beschäftigungsverhältnis ein.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2017 als unbegründet zurück. Zwar habe der Kläger durch seine Beschäftigungszeiten in den Niederlanden grundsätzlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 137 Abs. 1 SGB III erworben. Jedoch sei unter Berücksichtigung von Art. 61 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EGV 883/2004) die nach § 147 SGB III ermittelte Anspruchsdauer um den ausländischen Leistungsbezug zu mindern. Insoweit sei zunächst die erweiterte Rahmenfrist nach § 147 SGB III zugrunde zu legen. Die für die Anspruchsdauer maßgebliche Rahmenfrist umfasse daher die Zeit vom 30.11.2011 bis zum 29.11.2016. Innerhalb dieser Rahmenfrist seien so viele Zeiten zu berücksichtigen, bis die Anspruchshöchstdauer von 360 Tagen erreicht sei. Diese sei um die Zeiten des ausländischen Leistungsbezugs zu mindern. Der Kläger habe im Zeitraum vom 06.08.2013 bis zum 14.11.2016 801 Tage mit ausländischen Versicherungszeiten erreicht, so dass eine Höchstanspruchsdauer von 360 Tagen vorliege. Von den 360 Tagen sei der Bezug von Arbeitslosengeld in den Niederlanden von 383 Tagen (28.04.2014 bis 15.05.2015) in Abzug zu bringen. Damit habe der Kläger im Ergebnis keinen Anspruch. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete, sei der Verwaltungsakt nach § 48 Absatz 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Daher sei die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 05.01.2017 ab dem 05.03.2017 aufzuheben gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 30.06.2017 fristgemäß Klage zum Sozialgericht Duisburg erhoben.

Bis zum 15.05.2015 habe er in den Niederlanden Arbeitslosengeld bezogen, danach sei er jedoch in den Zeiträumen vom 08.06.2015 bis zum 11.10.2015, vom 16.10.2015 bis zum 25.10.2015 und vom 23.11.2015 bis zum 14.11.2016 wieder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Damit habe er in der zugrunde zu legenden Rahmenfrist von zwei Jahren deutlich mehr als zwölf Monate versicherungspflichtig gearbeitet und somit eine neue Anwartschaftszeit gemäß § 142 SGB III erfüllt. Insoweit sei ein neuer Arbeitslosengeldanspruch für die Dauer von sechs Monaten entstanden (§ 147 Abs. 2 SGB III). Die Beklagte verkenne, dass nach der Gewährung des Arbeitslosengeldes in den Niederlanden eine neue Rahmenfrist zu laufen begonnen habe und sich die Rahmenfristen gemäß § 143 Abs. 2 SGB III nicht überschneiden dürften. Die Gewährung von Arbeitslosengeld aus einer bereits ausgeschöpften Anwartschaft könne nicht die Ablehnung einer danach neu erworbenen Anwartschaftszeit begründen.

Soweit die Beklagte die Auffassung vertrete, dass § 143 Abs. 2 SGB III vorliegend keine Anwendung finden könne, so entbehre diese Auffassung einer rechtlichen Grundlage und Begründung. Sinn und Zweck der Regelung sei es, zu verhindern, dass Versicherungszeiten doppelt zur Begründung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld herangezogen würden, gleichzeitig aber auch zu verhindern, dass neu erworbene Zeiten gar nicht zur Erfüllung einer neuen Anwartschaft in Betracht kämen und die so erworbenen Zeiten, in denen gleichfalls in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt worden sei, außen vor zu lassen. Eine doppelte Anrechnung von Versicherungszeiten sei vorliegend jedoch gar nicht gegeben, da er im Zeitraum vom 08.06.2015 bis zum 14.11.2016 einen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben habe. Er dürfe gerade unter Berücksichtigung des Art. 61 EGV 883/2004 nicht schlechter gestellt werden, als hätte er die Versicherungszeiten in Deutschland zurückgelegt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 02.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2017 aufzuheben und ihm entsprechend dem Bewilligungsbescheid vom 05.01.2017 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Bezug auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid genommen und diese ergänzt. § 143 Abs. 2 SGB III finde keine Anwendung, wenn ein Leistungsanspruch nach ausländischem Recht erworben worden sei. Für die Festlegung der Rahmenfrist sei es unerheblich, ob und wann der Arbeitnehmer vor dem aktuellen deutschen Arbeitslosengeldanspruch einen Leistungsanspruch im Ausland erworben habe. Sie verweist auf Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004, unter dessen persönlichen Geltungsbereich der Kläger falle. In Anwendung des Art. 10 EGV 883/2004 seien die Versicherungszeiten in den Niederlanden, für die der Kläger bereits Leistungen wegen Arbeitslosigkeit erhalten habe, von der deutschen Anspruchsdauer abzuziehen. Dies ergebe sich aus dem Urteil des EuGH vom 08.07.1992 zum Az. C-102/91 (Rechtssache Knoch).

Mit Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung entschieden und in seinem Urteil vom 15.05.2018 den Bescheid der Beklagten vom 02.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.05.2017 aufgehoben:

Die Aufhebung des mit Bewilligungsbescheid vom 05.01.2017 in der Gestalt des Änderungsbewilligungsbescheides vom 31.01.2017 gewährten Arbeitslosengeldes ab dem 05.03.2017 durch den streitigen Bescheid vom 02.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.05.2017 sei rechtswidrig.

Soweit die Beklagte die Aufhebung des bewilligten Arbeitslosengeldes ab dem 05.03.2017 auf § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X gestützt habe, fehle es an dem Tatbestandsmerkmal des Eintritts einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen.

Auch eine Umdeutung in eine Rücknahme nach § 45 SGB X scheide aus. Jedenfalls fehlten insoweit die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X.

Schließlich scheide auch eine Umdeutung in eine abschließende Entscheidung nach § 328 SGB III aus. Als in diesem Sinne abschließende Entscheidung über das zunächst nur vorläufig beschiedene Leistungsbegehren genüge die Regelungswirkung eines Aufhebungsbescheids nach § 48 Abs. 1 SGB X nicht.

Auch die Rechtsauslegung der Beklagten zu Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004 i.V.m. Art. 10 EGV 883/2004 sei fehlerhaft. Nach Art. 10 EGV 883/2004 könnten gleichartige Leistungen nicht mehrmals auf dieselben Zeiten im Sinne des Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004 gestützt werden. Würden für den Anspruch ausländische Zeiten nach Art. 61 EGV 883/2004 berücksichtigt und habe der ausländische Träger zeitlich nach den berücksichtigten Zeiten Leistungen bei Arbeitslosigkeit gezahlt, sei die nach § 147 SGB III ermittelte Anspruchsdauer um den ausländischen Leistungsbezug zu mindern. Vorliegend habe der Kläger zuletzt vom 28.04.2014 bis zum 15.05.2015 Leistungen bei Arbeitslosigkeit vom niederländischen Träger erhalten. Allerdings habe er danach Zeiten für einen neuen Arbeitslosengeldanspruch erworben. Er habe vom 08.06.2015 bis zum 14.11.2016 insgesamt 494 Tage versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten zurückgelegt. Insoweit habe der niederländische Träger zeitlich vor den berücksichtigungsfähigen Zeiten Leistungen bei Arbeitslosigkeit gezahlt. Die für den neu erworbenen Anspruch nach § 147 SGB III zu ermittelnde Anspruchsdauer sei daher nicht um die Zeiten des niederländischen Arbeitslosengeldbezuges zu mindern. Der Kläger habe insoweit zu Recht auf die Einschlägigkeit des § 143 Abs. 2 SGB III verwiesen. Art. 10 EGV 883/2004 i.V.m. Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004 schließe die Anwendbarkeit des § 143 Abs. 2 SGB III nicht aus.

Aus dem Urteil des EuGH vom 08.07.1992 in der Rechtssache Knoch (Az. C-102/91) könne die Beklagte nichts Gegenteiliges herleiten. Das Urteil sei nicht einschlägig, da die Klägerin in dem dort zu Grunde liegenden Fall zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld nach britischem Recht und der Geltendmachung von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht keine neue Anwartschaftszeit nach deutschem Recht erworben habe.

Da die rechtswidrige Aufhebung durch Bescheid vom 02.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.05.2017 insoweit aufzuheben gewesen sei, lebe die Bewilligungsentscheidung vom 05.01.2017 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 31.01.2017 wieder auf. Der Kläger habe daher Anspruch auf Arbeitslosengeld in bewilligter Höhe auch für die Zeit ab dem 05.03.2017 bis zum Beginn seines neuen Beschäftigungsverhältnisses am 26.04.2017. Soweit ihm Leistungen aus dieser Bewilligung für den Zeitraum vom 05.03.2017 bis 25.04.2017 nicht ausgezahlt worden seien, werde dies die Beklagte nunmehr nachzuholen haben.

Gegen das ihr am 25.06.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.07.2018 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.

Sie wiederholt und vertieft ihren Standpunkt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.05.2018 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Durch Ablehnungsbescheid vom 03.08.2018 hat die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosengeld abschließend abgelehnt und durch Erstattungsbescheid vom 07.08.2018 das vorläufig für die Zeit vom 30.11.2016 bis zum 04.03.2017 gezahlte Arbeitslosengeld i.H.v. 2.329,40 Euro zurückverlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

I. Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.05.2018 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der aufgrund der Bescheidlage des erstinstanzlichen Verfahrens zulässigen Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben. Im Hinblick auf den erst im Berufungsverfahren erfolgten Erlass der Bescheide vom 03.08.2018 und vom 07.08.2018 war das Klagebegehren dahingehend auszulegen, dass sich die Klage seitdem als zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) auf die i.S.v. § 328 Abs. 3 SGB III endgültige Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30.11.2016 bis zum 25.04.2017 richtet. Auch insoweit ist die Klage begründet.

1. Streitgegenstand sind die gemäß § 96 Abs. 1 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheide vom 03.08.2018 und vom 07.08.2018, durch die die Beklagte eine abschließende Entscheidung über den Arbeitslosengeldanspruch des Klägers i.S.v. § 328 Abs. 3 SGB III getroffen und die vorherigen Bescheide einschließlich des Bescheides vom 02.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.05.2017 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X ersetzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2017 - B 14 AS 36/16 R -, juris Rn. 15). 2. Die von der Beklagten vorgenommene abschließende Entscheidung in den Bescheiden vom 03.08.2018 und vom 07.08.2018 erweist sich als rechtswidrig, denn dem Kläger stand ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30.11.2016 bis zum 25.04.2017 zu.

Der Kläger erfüllte am 30.11.2016 unstreitig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld i.S.v. § 137 Abs. 1 SGB III. Er war arbeitslos, hatte sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt.

Die Anspruchsdauer betrug hier acht Monate nach § 147 Abs. 1 SGB III. Aufgrund der Aufnahme der Beschäftigung endete der Anspruch auf Arbeitslosengeld am 25.04.2017.

Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III der Fassung vom 20.12.2011 richtet sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld - nach näherer Maßgabe des Absatzes 2 -nach der Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse innerhalb der um drei Jahre erweiterten Rahmenfrist und dem Lebensalter, das die oder der Arbeitslose bei der Entstehung des Anspruchs vollendet hat. Abs. 1 Satz 2 sieht vor, dass die Vorschriften des Ersten Unterabschnitts des Ersten Abschnitts des Vierten Kapitels zum Ausschluss von Zeiten bei der Erfüllung der Anwartschaftszeit und zur Begrenzung der Rahmenfrist durch eine vorangegangene Rahmenfrist entsprechend gelten.

§ 143 SGB III befindet sich im Ersten Unterabschnitt und regelt in Abs. 1, dass die Rahmenfrist zwei Jahre beträgt und mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld beginnt, sowie in Abs. 2, dass die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreicht, in der die oder der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hat.

In Anwendung von § 147 Abs. 1 Satz 2 SGB III i.V.m. § 143 Abs. 2 SGB III ist die Rahmenfrist hier - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht auf fünf Jahre auszudehnen, sondern durch die vorangegangene Rahmenfrist begrenzt.

Der letzte Bezug von niederländischem Arbeitslosengeld fand vom 28.04.2014 bis zum 15.05.2015 statt. Auch das niederländische Recht kennt eine Anwartschaftszeit und eine Rahmenfrist. Art. 17 lid 1 Werkloosheidswet bestimmt:

"Recht op uitkering ontstaat voor de werknemer indien hij in 36 kalenderweken onmiddellijk voorafgaand aan de eerste dag van werkloosheid in ten minste 26 kalenderweken ten minste één arbeidsuur per kalenderweek heeft."

Im Regelfall hat folglich derjenige einen Anspruch auf das niederländische Arbeitslosengeld, der in den letzten 36 Wochen (= Rahmenfrist) vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit 26 Wochen gegen Entgelt beschäftigt gewesen ist (= Anwartschaftszeit). Die Rahmenfrist erfasste im Fall der letzten Arbeitslosengeldgewährung nach niederländischem Recht also den Zeitraum vom 19.08.2013 bis zum 27.04.2014.

Der Senat hat keine Bedenken, diese ausländische Rahmenfrist zu berücksichtigen. Die Regelungen des EGV 883/2004, insbesondere dessen Artikel 10, 61 und 65 stehen dem nicht entgegen. Zu Recht hat der Kläger darauf hingewiesen, dass bei einem Bezug von deutschem Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 28.04.2014 bis zum 15.05.2015 die Rahmenfrist ebenfalls über § 143 Abs. 2 SGB III verkürzt worden wäre. Es besteht jedenfalls in den Fällen, in denen der Bezug von Arbeitslosengeld im EU-Ausland an ähnliche Voraussetzungen geknüpft ist wie im Inland, kein Anlass dessen Bezieher schlechter zu stellen. Im Gegenteil würde dies den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung, dessen besondere Bedeutung für Arbeitnehmer, die nicht im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnen, einschließlich von Grenzgängern, die der europäische Verordnungsgeber noch in Erwägungsgrund 8 der EGV 883/2004 betont, verletzen. Die Entwertung im Ausland zurückgelegter Versicherungspflichtzeiten gegenüber solchen im Inland zurückgelegten widerspricht zudem Art. 61 EGV 883/2004, wonach Zeiten im EU-Ausland genauso zu behandeln sind, wie im jeweiligen Mitgliedstaat.

Im Ergebnis war daher nach deutschem Recht eine erweiterte, aber durch die vorherige begrenzte, Rahmenfrist vom 28.04.2014 bis zum 30.11.2016 zu bestimmen. Innerhalb dieses Zeitraumes hat der Kläger vom 08.06.2015 bis zum 11.10.2015, vom 16.10.2015 bis zum 25.10.2015 und vom 23.11.2015 bis zum 14.11.2016, was 14 Monaten und 66 Tagen entspricht, in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld beträgt nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von - wie hier - insgesamt mindestens 16 Monaten und vor Vollendung des 50. Lebensjahres acht Monate (§ 147 Abs. 2 SGB III).

Von diesem Anspruch ist - anders als die Beklagte meint - kein Abzug für das zwischen dem 28.04.2014 und dem 15.05.2015 nach niederländischem Recht erhaltene Arbeitslosengeld vorzunehmen, denn dessen Gewährung beruhte nicht auf derselben Pflichtversicherungszeit wie der geltend gemachte Anspruch und unterfiel daher nicht dem Verbot des Zusammentreffens von Leistungen gemäß Art. 10 EGV 883/2004. Danach wird aufgrund der Verordnung ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit weder erworben noch aufrechterhalten, sofern nichts anderes bestimmt ist. Zwar handelt es sich bei dem niederländischen Arbeitslosengeld und dem begehrten deutschen Arbeitslosengeld um Leistungen gleicher Art i.S.v. Art. 10 EGV 883/2004, diese stammen aber nicht aus derselben Pflichtversicherungszeit. Da die Beklagte die Rahmenfrist falsch berechnet hat (s.o.), ist sie zu dieser unzutreffenden Annahme gelangt.

Aus dem Urteil des EuGH vom 08.07.1992 zum Az. C-102/91 (juris Rn. 47 ff.) folgt - entgegen ihrer Auffassung - nichts anderes. Denn es ist nicht einschlägig, da die Klägerin in dem dort zu Grunde liegenden Fall zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld nach britischem Recht und der Geltendmachung von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht keine neue Anwartschaftszeit nach deutschem Recht erworben hatte. Sie war vom 01.10.1982 bis zum 30.06.1983 und vom 01.10.1983 bis zum 30.06.1984 als Lektorin für deutsche Sprache und Literatur an einer Universität in Großbritannien sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nach Beendigung ihrer Beschäftigung meldete sie sich zunächst dort arbeitslos und erhielt von Anfang Juli bis zum 21.08.1984 Arbeitslosenunterstützung. Nach Deutschland zurückgekehrt, meldete sie sich am 19.12.1984 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Dieses lehnte die Beklagte ab, weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei und nach dem Gemeinschaftsrecht die Zeit in Großbritannien nicht berücksichtigt werden könne. Die Instanzgerichte vertraten demgegenüber die Ansicht, dass die Anwartschaftszeit durch die Beschäftigung in Großbritannien erfüllt sei, denn diese Beschäftigungszeiten seien nach Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) von der Beklagten zu berücksichtigen.

Der EuGH hat hierzu ausgeführt, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb und die Dauer eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig sind, in den Fällen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 EGV 1408/71 gemäß Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 dieser Verordnung (entsprechend Art. 61, 65, und 10 EWGV 883/2004) für die Berechnung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungszeiten berücksichtigen muss, die nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden, die für den Arbeitslosen zuletzt galten. Der Träger muss jedoch von der erworbenen Dauer des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Tage abziehen, für die Leistungen nach diesen Rechtsvorschriften bezogen worden sind (Urteil vom 08.07.1992 - C-102/91 -, juris Rn. 49).

Die Konstellation, über die der EuGH zu entscheiden hatte, war eine andere als die hiesige, wie bereits das Sozialgericht richtig erkannt hat. Zunächst war dort auf der Grundlage des deutschen Rechts zu prüfen, ob eine Anwartschaftszeit erfüllt war; dabei konnte die Beschäftigungszeit im Ausland innerhalb der nach deutschem Recht zu bestimmenden Rahmenfrist berücksichtigt werden. Wenn diese Pflichtversicherungszeit bereits Gegenstand der Gewährung von Arbeitslosengeld in einem anderen EU-Staat gewesen ist, greift das Kumulationsverbot in Art. 10 EGV 883/2004 und erfolgt die vom EuGH beschriebene Anrechnung. Im vorliegenden Fall war die innerhalb der Rahmenfrist als Anwartschaftszeit berücksichtigte Pflichtversicherungszeit nicht Gegenstand der Gewährung von Arbeitslosengeld nach niederländischem Recht. Folglich ist das Verbot nicht tangiert und hat eine Anrechnung nicht zu erfolgen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

III. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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