FG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2019 - 7 K 1093/18 Kg
Fundstelle
openJur 2019, 27650
  • Rkr:
Tenor

Unter Aufhebung des Bescheides vom 21.11.2017 wird die Beklagte verpflichtet, Kindergeld für das Kind A für den Zeitraum November 2016 bis Juli 2017 zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte zu 92 v. H. und die Klägerin zu 8 v. H.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin bezog fortlaufend u.a. für ihren Sohn A (geb. 1996) Kindergeld. Der Sohn befand sich zunächst in einer Schulausbildung, die bis Juli 2017 dauern sollte. A begann am 1.8.2016 eine Ausbildung, die zum 31.10.2016 durch eine fristgerechte arbeitgeberseitige Kündigung beendet wurde. Der Sohn war nach einer ärztlichen Bescheinigung vom 29.6.2017 vom 14.9.2016 bis zunächst 16.7.2017 arbeitsunfähig. Nach einer weiteren ärztlichen Bescheinigung vom 4.12.2017 dauerte die Arbeitsunfähigkeit bis 31.12.2017 an.

Mit einem Bescheid vom 29.6.2017 wurde die Kindergeldfestsetzung ab August 2017 wegen Beendigung der Schulausbildung aufgehoben. Auf eine Nachfrage durch die Familienkasse erklärte der Sohn unter dem 12.9.2017, er beabsichtige zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung seiner Erkrankung eine Ausbildung aufzunehmen. In einem Formular bescheinigte der behandelnde Arzt am 12.9.2017, dass das Ende der Erkrankung nicht absehbar sei. Mit einem weiteren Bescheid vom 2.10.2017 wurde Kindergeld ab August 2017 abgelehnt, weil das Ende der Erkrankung nicht absehbar sei. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.

Nach Anhörung wurde die Kindergeldfestsetzung mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.11.2017 rückwirkend ab November 2016 aufgehoben und Kindergeld für den Zeitraum November 2016 bis einschließlich Juli 2017 in Höhe von 1.778 EUR zurückgefordert. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Kind habe die Berufsausbildung abgebrochen. Zudem sei ein Ende der Erkrankung nicht absehbar. Die Klägerin erhob hiergegen am 5.12.2017 Einspruch und trug vor, ihr Sohn habe die Ausbildung nicht abgebrochen, sondern sei während der Probezeit gekündigt worden. Ein Ende der Erkrankung sei absehbar und er werde im nächsten Jahr eine Berufsausbildung beginnen können. Die Klägerin reichte eine ärztliche Bescheinigung ein, wonach die Erkrankung voraussichtlich am 31.12.2017 ende.

Mit Bescheid vom 8.3.2017 wurde der Bescheid vom 21.11.2017 dahingehend geändert, dass Kindergeld ab September 2017 bis einschließlich Januar 2018 festgesetzt wurde.

Mit Einspruchsentscheidung vom 27.3.2018 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Gegenstand der Einspruchsentscheidung sei die Aufhebung ab November 2016 und Rückforderung. In den Gründen wurde ausgeführt, der Einspruchsbescheid beziehe sich auf den Zeitraum ab Februar 2018. Nachweise über Eigenbemühungen um einen Ausbildungsplatz ab Februar 2018 oder eine Registrierung als ausbildungsplatzsuchend ab Februar 2018 seien nicht eingereicht worden. Eine weitere Einspruchsentscheidung erging nicht.

Die Klägerin hat am 20.4.2018 Klage erhoben und trägt im Wesentlichen vor, die Einspruchsentscheidung sei insoweit schon fehlerhaft, als davon ausgegangen werde, dass der Einspruchsbescheid sich nur noch auf die Zeit ab Februar 2018 beziehe. Tatsächlich sei auch noch der Zeitraum ab der Aufhebung ab November 2016 bis einschließlich August 2017 streitig. Ihr stehe durchgängig Kindergeld zu. Sie habe eine Bescheinigung darüber, dass ihr Sohn ab Februar 2018 ausbildungsplatzsuchend sei, eingereicht. Im Übrigen sei ihr Sohn bis 31.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Ihr Sohn habe auch nach der Erkrankung immer eine Ausbildung angestrebt. Dass er die Erklärung, ausbildungswillig zu sein, erst im September 2017 abgegeben habe, liege daran, dass er erst zu diesem Zeitpunkt von der Familienkasse hierzu aufgefordert worden sei. Weder sie noch ihr Sohn hätten gewusst, dass sie eine solche Erklärung hätten abgeben müssen. Die Beklagte argumentiere rein formal, wenn sie der Erklärung des Sohnes keine Wirkung für die Vergangenheit zubillige. Eine vorherige entsprechende Belehrung sei nicht erfolgt.

In der mündlichen Verhandlung am 26.4.2019 hat die Klägerin die Klage für den Monat August 2017 zurückgenommen. Die Beklagte hat die Einspruchsentscheidung vom 27.3.2018 aufgehoben.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 21.11.2017 und Kindergeld für den Zeitraum November 2016 bis einschließlich Juli 2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie ist der Ansicht, der Sohn habe seine Ausbildungswilligkeit durch eine schriftliche Erklärung glaubhaft machen müssen. Diese Erklärung sei erst im September 2017 erfolgt und wirke nur für die Zukunft. Sie könne daher für zurückliegende Zeiträume nicht berücksichtigt werden.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter an Stelle des Senats entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Familienkasse vorgelegten Kindergeldakten.

Gründe

Die als Untätigkeitsklage gem. § 46 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 21.11.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs.1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Die Beklagte war verpflichtet, Kindergeld auch für den Zeitraum November 2016 bis Juli 2017 für den Sohn A festzusetzen (§ 101 FGO). Der Klägerin steht Kindergeld gem. §§ 62, 63 und 32 EStG auch für den Zeitraum November 2016 bis einschließlich Juli 2017 zu.

Nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG wird ein Kind berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass es dem Kind trotz ernsthafter Bemühungen nicht gelungen ist, eine Berufsausbildung zu beginnen oder fortzusetzen. Eine Ausbildungswilligkeit kann auch dann vorliegen, wenn das Kind infolge einer Erkrankung daran gehindert ist, sich um eine Berufsausbildung zu bemühen (FG Düsseldorf, Urteil vom 20.8.1997, 10 K 1177/97 Kg, EFG 1998, 105). Grundsätzlich sollen ausbildungswillige Kinder ohne Ausbildungsplatz, solchen gleichgestellt sein, die sich in Ausbildung befinden (FG Hamburg, Urteil vom 31.7.2018 6 K 192/17 a.a.O., m.w.N). Da ein Anspruch auf Kindergeld auch dann besteht wenn ein Kind seine Ausbildung wegen einer Erkrankung unterbrechen muss, weil es aus objektiven Gründen zeitweise nicht in der Lage ist, die Ausbildung fortzusetzen (vgl. BFH, Urteil vom 15.7.2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848) kann nichts anderes gelten, wenn eine Ausbildung wegen einer Erkrankung schon nicht begonnen oder gesucht werden kann.

Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass der Sohn der Klägerin aufgrund einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung im fraglichen Zeitraum keine Ausbildung aufnehmen konnte. Dies steht aufgrund des vorliegenden ärztlichen Attestes vom 4.12.2017, wonach A seit 14.9.2016 bis 31.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt war, fest. Der Sohn der Klägerin war in dem entsprechenden Zeitraum auch ausbildungswillig. Dies ergibt sich aus seiner klaren und eindeutigen Erklärung vom 12.9.2017, an deren Richtigkeit zu zweifeln keine ernsthaften Gründe vorliegen. Die Beklagte hat aufgrund dieser Erklärung auch Kindergeld ab September 2017 bewilligt, ist also selbst von der Richtigkeit der Erklärung ausgegangen. Aus diesem Grunde war eine Einvernahme des Kindes als Zeuge für seine Ausbildungsbereitschaft entbehrlich.

Diese Erklärung ist auch für den zurückliegenden Zeitraum ab dem Beginn der Erkrankung von November 2016 bis einschließlich Juli 2017 von Bedeutung. Einer Berücksichtigung des Sohnes steht insoweit nicht entgegen, dass dieser die von der Familienkasse geforderte schriftliche Erklärung über seine Ausbildungswilligkeit erst mit Schreiben vom 12.9.2017 mithin insoweit nachträglich abgegeben hat. Zwar muss nach der Dienstanweisung der Beklagten ein Kind seinen Willen, sich unmittelbar nach Wegfall des Hinderungsgrundes um eine Ausbildung zu bemühen, durch eine schriftliche Erklärung glaubhaft machen (DA-KG A 17.2 Abs.1 Satz 4). Eine derartige Erklärung soll nach DA-KG V 6.1 Abs.1 Satz 8 jedoch nur ab dem Zeitpunkt des Eingangs bei der Familienkasse, hier also ab September 2017 gelten. Entgegen dieser Anweisung genügt es nach der zutreffenden finanzgerichtlichen Rechtsprechung, von der abzuweichen keine Veranlassung besteht, wenn die Sachverhaltsumstände im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind (vgl. FG Düsseldorf Urteile vom 28.5.2018, 7 K 123/18 Kg und 7 K 2356/17 Kg; vom 18.7.2018 7 K 1480/18 Kg; vom 11.01.2018 9 K 994/17 Kg, alle in juris; FG Münster Urteil vom 31.10.2018 7 K 1015/18 Kg; FG Hamburg Urteil vom 31.7.2018, 6 K 192/17 a.a.O. m.w.N.). Zwar kann der Zeitpunkt, am dem der Familienkasse ein Sachverhalt unterbreitet worden ist, ein Indiz gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrages sein, ebenso, dass ein Sachverhalt nicht oder falsch dargestellt wurde, weil die Rechtslage unzutreffend beurteilt worden war. Dies führt aber nicht dazu, dass der Anspruch auf die Leistung entfällt. Entscheidend ist nicht, was erklärt wurde, sondern die tatsächliche Lage, denn es handelt sich hier nicht um eine rechtsgestaltende Erklärung, sondern um eine im Wege der Glaubhaftmachung zu würdigende Tatsachenbekundung. Im Übrigen sind die Gerichte nicht an Verwaltungsanweisungen gebunden (vgl. nur FG Düsseldorf Urteile vom 28.5.2018, 7 K 123/18 Kg, juris)

Die Kostenentscheidung beruht, soweit die Klägerin die Klage für August 2017 zurückgenommen hat, auf § 136 Abs. 2 FGO, soweit die Beklagte die Einspruchsentscheidung aufgehoben und insoweit für die Monate Februar und März 2018 dem Anfechtungsbegehren entsprochen hat entsprechend § 138 Abs.2 Satz 1 FGO und im Übrigen auf § 135 Abs.1 FGO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach 115 Abs.2 Nr.1 FGO zuzulassen.

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