LG Aurich, Urteil vom 06.04.2018 - 4 S 201/17
Fundstelle
openJur 2019, 38666
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 20 C 216/17
    nachgehend BGH
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Papenburg vom 26.10.2017 (Az 20 C 216/17) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin und die Beklagten bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft der Anlage H. r., P.. In der dieser Wohnungseigentümergemeinschaft zu Grunde liegenden notariellen Teilungserklärung vom 28.03.2013 ist unter § 18 eine Öffnungsklausel enthalten, wonach Änderungen der Teilungserklärung mit einer Mehrheit von 75 % aller Miteigentumsanteile beschlossen werden können. Mit notarieller Urkunde vom 06.05.2013 wurde die Teilungserklärung vom 28.03.2013 unter anderem hinsichtlich § 5 Ziffer 5 dahin ergänzt, dass dem Eigentümer die Vermietung seiner Wohnung gestattet wird und die dauerhafte, wie auch vorübergehende und/oder wechselnde Vermietung, zum Beispiel an Familienangehörige, Feriengäste, vor Ort befristet beruflich Tätige etc. zulässig ist.

In der Eigentümerversammlung vom 29.03.2017 wurde unter dem Tagesordnungspunkt 2 (Änderung der Teilungserklärung vom 06.05.2013, § 5 Ziffer 5) folgender Beschlussantrag gestellt:

„Die Wohnungen dürfen grundsätzlich nur zu Wohnzwecken genutzt oder zu Wohnzwecken vermietet werden. Die Überlassung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste, vor Ort befristet Tätige oder andere Mieter mit Unterkunftsbedürfnissen von kurzer Dauer ist nicht zulässig. Ausgeschlossen ist ebenfalls eine Nutzung zur Beherbergung von Personen oder als Unterkunft für Beschäftigte gemäß Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums des Inneren vom 17.12.2013 („Werkswohnungen“). Die Überlassung einer Wohnung an Dritte ist der Hausverwaltung anzuzeigen.“

Dieser Beschlussantrag wurde in der Eigentümerversammlung vom 29.03.2017 mehrheitlich angenommen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beschluss sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Aktenzeichen V ZR 72/09 (Urteil vom 15.01.2010) materiell unzulässig. Die durch den angefochtenen Beschluss untersagte Nutzung halte sich im Rahmen der zulässigen Wohnungsnutzung. Sie werde durch den Beschluss unzumutbar belastet. Durch ihn werde der Kernbereich des erworbenen Eigentums, das in einer Wohnungsnutzung, die hier durch die Teilungserklärung auch klar stehend geregelt sei, verletzt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Beschluss vom 29.03.2017 zu Tagesordnungspunkt 2 über den Beschlussantrag, wonach Wohnungen grundsätzlich nur zu Wohnzwecken genutzt und zu Wohnzwecken vermietet werden dürfen, die Überlassung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste, vor Ort befristet Tätige oder andere Mieter mit Unterkunftsbedürfnissen von kurzer Dauer nicht zulässig ist, ebenfalls eine Nutzung zur Beherbergung von Personen oder als Unterkunft für Beschäftigte gem. Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums des Inneren vom 17.12.2013 („Werkswohnungen“) ausgeschlossen ist und die Überlassung einer Wohnung an Dritte der Hausverwaltung anzuzeigen ist, für ungültig zu erklären,

hilfsweise für den Fall, dass der Beschluss nichtig ist, festzustellen, dass der Beschluss vom 29.03.2017 zu Tagesordnungspunkt 2 über den Beschlussantrag, wonach Wohnungen grundsätzlich nur zu Wohnzwecken genutzt und zu Wohnzwecken vermietet werden dürfen, die Überlassung an täglich oder Wöchentlich wechselnde Feriengäste, vor Ort befristet Tätige oder andere Mieter mit Unterkunftsbedürfnissen von kurzer Dauer nicht zulässig ist, ebenfalls eine Nutzung zur Beherbergung von Personen oder als Unterkunft für Beschäftigte gem. Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums des Inneren vom 17.12.2013 („Werkswohnungen“) ausgeschlossen ist und die Überlassung einer Wohnung an Dritte der Hausverwaltung anzuzeigen ist, nichtig ist.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, die Klägerin habe schon bei Erwerb ihres Miteigentumsanteils eine „Wechselvermietung“ geplant. Durch ständig wechselnde Nutzer der Wohnung der Klägerin sei bereits eine erhebliche Unruhe entstanden. Nach Auffassung der Beklagten seien fundamentale inhaltliche Schranken durch den Beschluss nicht missachtet worden. Die beschlossene Änderung widerspreche nicht den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung, sondern sei durch das Selbstorganisationsrecht abgedeckt. Die in der Teilungserklärung enthaltene Öffnungsklausel legitimiere den angefochtenen Beschluss.

Das Amtsgericht hat dem Hilfsantrag stattgegeben und festgestellt, dass der angefochtene Beschluss nichtig ist. Er greife in den Kernbereich des Wohnungseigentums der Klägerin ein. Die in der Teilungserklärung vom 06.05.2013 geregelten Nutzungsrechte und damit das durch Art. 14 Grundgesetz geschützte Eigentum werde durch den Beschluss unzulässig eingeschränkt. Er verbiete nicht nur eine Überlassung an Feriengäste sondern letztlich jede Überlassung an Mieter, die die Wohnung aus welchen Gründen auch immer - nur kurz nutzen wollen.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Das Amtsgericht habe sich in der Urteilsbegründung auf die Entscheidung des BGH vom 15.01.2010 gestützt. Dabei habe es unberücksichtigt gelassen, dass in dieser Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben sei, dass die Vermietung einer Eigentumswohnung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste Teil der zulässigen Wohnungsnutzung sei, wenn die Teilungserklärung nichts anderes bestimme. Durch die in der Teilungserklärung enthaltene Öffnungsklausel sei eine Änderung durch Mehrheitsbeschluss zulässig, dieser habe sich auch die Klägerin von vornherein unterworfen. Das amtsgerichtliche Urteil lasse eine Abwägung der Interessen zwischen der Klägerin einerseits und der Wohnungseigentümergemeinschaft andererseits vermissen. Als die anderen Wohnungseigentümer das Eigentum erworben hätten, sei dies in der Erwartung geschehen, dass die Mieter in etwa demselben Personenkreis entstammen würden wie die Eigentümer selbst.

Mit der Berufung verfolgen sie weiterhin die Klageabweisung.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen den angefochtenen Beschluss für nichtig erklärt. Die Kammer teilt die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, dass der hier streitgegenständliche Beschluss in den unentziehbaren Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift.

In seinem Urteil vom 15.01.2010 (V ZR 72/09) hat der BGH festgestellt, dass die Vermietung einer Eigentumswohnung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste Teil der zulässigen Wohnungsnutzung ist und einem Eigentümer nicht im Beschlusswege untersagt werden kann, wenn die Teilungserklärung nichts anderes bestimme und die Wohnungseigentümer nichts anderes vereinbaren. Hier besteht die Besonderheit, dass die Teilungserklärung eine Öffnungsklausel enthält. Öffnungsklauseln erfüllen gerade den Zweck, den Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz zur Regelung bestimmter Fragen, d.h. zur Änderung der unbilligen gesetzlichen Regelungen über das Gemeinschaftsverhältnis oder der vereinbarten Gemeinschaftsordnung zu geben (vgl. Bärmann-Klein, WEG 12. Aufl. 2013, § 10 WEG Rn. 160). Diese Öffnungsklausel hat die Wohnungseigentümergemeinschaft mit dem angefochtenen Beschluss genutzt und etwas anderes bestimmt.

Die Kammer teilt jedoch die Auffassung des Amtsgerichts, dass die am 29.03.2017 beschlossene Einschränkung der Vermietung in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift. Grundsätzlich darf ein Eingriff in den Kernbereich auch im Falle einer Öffnungsklausel nicht erfolgen (s. Bärmann/Merle, aaO, § 23 WEG Rn. 140). Das dem Wohnungseigentümer zugewiesene Eigentum genießt vollen Eigentumsschutz nach Art. 14 GG. Der Wohnungseigentümer ist insbesondere nicht darauf beschränkt, seine Wohnung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen. Nach Art. 14 GG hat er das mit § 13 Abs. 1 WEG auch einfach rechtlich abgesicherte Recht, mit dem Wohnungseigentum nach Belieben zu verfahren. Dies umfasst das in § 13 Abs. 1 WEG ausdrücklich bestimmte Recht, sein Wohnungseigentum zu vermieten, worunter auch eine Kurzzeitvermietung fällt. Dies hat der Bundesgerichtshof mit der zuvor zitierten Entscheidung bestätigt. Zudem hatte es vor dem Eigentumserwerb der Klägerin schon eine Änderung der Teilungserklärung vom 06.05.2013 gegeben, die unter § 5 gerade die nun untersagte Vermietung ausdrücklich gestattete. Durch den angefochtenen Beschluss wird das Recht des Eigentümers auf Vermietung aus Art. 14 GG und das beim Erwerb durch die Klägerin in der Teilungserklärung enthaltene Recht eingeschränkt, indem ein umfassendes Verbot jeglicher kurzzeitigen Vermietung aufgestellt wird. Es wird nicht nur die Überlassung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste ausgeschlossen, sondern auch die Vermietung an vor Ort befristet Tätige oder andere Mieter mit Unterkunftsbedürfnissen von kurzer Dauer. Mit dem umfassenden Ausschluss jeglicher Kurzzeitvermietung wird die Vermietungsnutzung nicht nur in einem sehr geringen Umfang eingeschränkt, sondern es liegt ein gravierender Eingriff in den wesentlichen Inhalt der Nutzung von Wohnungseigentum vor (vgl. auch Jennißen, WEG, 5. Aufl. 2016, § 14 Rdnr. 4b).

An dieser Einschätzung vermag auch der von den Beklagten aufgeführte Charakter der Wohnanlage und ihre bei Erwerb des Wohnungseigentums vorhandenen Erwartungen nichts zu ändern. Als die Beklagten ihr Wohnungseigentum erwarben war eine Einschränkung der Vermietbarkeit nicht vorhanden. Im Gegenteil, es gab sogar eine Ergänzung die dem Eigentümer die Vermietung seiner Wohnung und die dauerhafte, wie auch vorübergehende und/oder wechselnde Vermietung zum Beispiel an Familienangehörige, Feriengäste, vor Ort befristet beruflich Tätige etc. ausdrücklich gestattete.

Selbst wenn ein Eingriff in das Eigentumsrecht durch den angefochtenen Beschluss verneint würde, wäre er unwirksam und damit als ungültig zu erklären. Er beschränkt die Vermietung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste, aber auch an vor Ort befristet Tätige oder andere Mieter mit Unterkunftsbedürfnissen von kurzer Dauer. Welche Zeiträume hier umfasst sein sollen wird nicht festgehalten. Es ist daher nicht klar geregelt, ob auch für diese Mietverhältnisse der kurze Zeitraum von täglich bis wöchentlich oder auch ein längerer umfasst ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 709 Nr. 10, 711 ZPO.

Da die Kammer der Frage, ob durch eine Öffnungsklausel eine umfassende Kurzzeitvermietung ausgeschlossen werden kann eine grundsätzliche Bedeutung beimisst, wird die Revision zugelassen.