LG Arnsberg, Beschluss vom 08.04.2019 - II-2 KLs-362 Js 292/18-3/19
Fundstelle
openJur 2019, 27286
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Arnsberg vom 21.01.2019, das Sicherungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen der ihm in der Antragsschrift zur Last gelegten Tat zu eröffnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Beschuldigten in der Antragsschrift vom 21.01.2019 (Bl. 47 d.A.) zur Last, in der Zeit vom 24.10.2017 bis 24.11.2017 auf seinem Mobiltelefon Nokia, Mod. TA-1020, acht kinderpornographische Bildaufnahmen besessen zu haben. Die Lichtbilder Nr. 1 und Nr. 4 würden ein etwa 12-jähriges Mädchen zeigen, das auf einem Handtuch auf einer Wiese sitzt, sich in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung den Slip auszieht und den entblößten Intimbereich der Kamera darbiete. Lichtbild Nr. 2 zeige ein gänzlich unbekleidetes, etwa 10 bis 12-jähriges Mädchen, welches sich auf dem Bett liegend mit gespreizten Beinen unter Darstellung ihres entblößten Intimbereichs in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung der Kamera darbiete.

Auf Lichtbild Nr. 3 seien zwei etwa 10-jährige Kinder, ein Mädchen und ein Junge, beim Geschlechtsverkehr abgelichtet. Lichtbild Nr. 5 zeige einen vollständig unbekleideten, etwa 12-jährigen Jungen, der sich stehend mit erigiertem Penis der Kamera darbiete. Lichtbild Nr.6 zeige ein etwas 8 bis 10-jähriges Mädchen, welches sich mit gespreizten Beinen unter Darstellung ihres entblößten Intimbereichs unnatürlich der Kamera darbiete, wobei sich zwischen ihren Füßen ein erigierter Penis eines ansonsten nicht sichtbaren Mannes befinde. Lichtbild Nr. 7 zeige ein unbekleidetes, etwa 10-12-jähriges Mädchen, welches sich mit gespreizten Beinen unter Darstellung ihres entblößten und mit Sperma bespritzten Intimbereichs der Kamera darbiete. Lichtbild Nr. 8 zeige ein nacktes etwa 8 bis 10-jähriges Mädchen, das ihren entblößten Intimbereich unnatürlich mit angezogenen und gespreizten Beinen der Kamera darbiete. Lichtbild Nr. 9 zeige einen etwa 8-jährigen Jungen, der den Penis eines etwa 6 bis 8-jährigen Jungen im Mund habe. Neben den vorbenannten Bildern habe der Beschuldigte auf dem vorgenannten Mobiltelefon im Tatzeitraum auch zwei kinderpornographische Videos besessen. Video Nr. 2 zeige einen erwachsenen Täter beim vaginalen Geschlechtsverkehr mit zwei aufeinanderliegenden, etwa 8 bis 10-jährigen Mädchen. Video Nr. 3 zeige zwei etwa 10-jährige Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, die den Geschlechtsverkehr vollziehen. Im weiteren Verlauf des Videos müsse das Mädchen zusätzlich den Oralverkehr bei dem ansonsten nicht sichtbaren erwachsenden männlichen Täter durchführen.

Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen stellt sich wie folgt dar:

1.

Der Beschuldigte ist in O1 geboren. Er habe drei ältere Geschwister und ein jüngeres Geschwisterkind. Nach Angaben des Beschuldigten sei seine Mutter alkohol- und tablettenabhängig gewesen. Ihr zweiter Ehemann sei gewalttätig gewesen. Bereits im Alter von 3 Jahren sei er aus der Familie herausgenommen worden und in einer Wohngruppe mit professionellen Erziehern gemeinsam mit seinen Geschwistern untergekommen. Aus dieser Wohngruppe heraus sei er sodann zu Pflegeeltern in O2 gekommen. Dort sei er von dem Pflegevater sexuell missbraucht worden, als er etwa 5 oder 6 Jahre alt war. Ca. 5 Jahre habe er dort leben müssen bevor er in ein Heim gekommen sei.

Der Beschuldigte habe eine Lernbehindertenschule vollständig durchlaufen, jedoch keinen Schulabschluss erlangt. Anschließend habe er erfolgreich eine Berufsausbildung als Gärtner absolviert, in diesem Beruf jedoch nie gearbeitet.

Der Beschuldigte befinde sich seit nunmehr 5 Jahren aufgrund seiner Erkrankung mit pädophiler Neigung in der geschlossenen Unterbringung in der LWL-Klinik Marsberg.

Nach eigenen Angaben soll der Beschuldigte im Alter von etwa 17 Jahren Geschlechtsverkehr mit einem 8 bis 10-jährigen Jungen gehabt haben. Strafrechtlich ist er jedoch bislang noch nicht in Erscheinung getreten. Der ihn betreffende Bundeszentralregisterauszug vom 22.01.2019 enthält keine Eintragungen.

2.

Der Beschuldigte habe sich am 24.11.2017 ursprünglich wegen eines (letztlich nicht mehr nachweisbaren) Kontakts per Mobiltelefon zu einem 12-jährigen Mädchen, das er zur Übersendung von Nacktbildern und Videos aufgefordert habe, selbst angezeigt und auch die hiesige Tat im Rahmen seiner Nachvernehmung am 10.10.2018 vollumfänglich eingeräumt. Im Übrigen werde der Beschuldigte der Tat auch durch die sichergestellten Bild- und Videodateien, die acht kinderpornographischen Bilder sowie zwei kinderpornographische Videoaufnahmen, überführt werden.

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist der Beschuldigte am 03.12.2018 durch den Sachverständigen P1 begutachtet worden. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Beschuldigten eine Pädophilie vorliege (F 65.4, ICD-10). Die in der Klassifikation der Erkrankungen geforderten Kriterien für die Störung der Sexualpräferenz seien erfüllt, insbesondere bestehe im vorliegenden Fall eine anhaltende und dominierende Präferenz für sexuelle Handlungen mit einem Kind vor der Pubertät. Ferner liege bei dem Beschuldigten eine emotionalinstabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ vor (F. 60.30 G, ICD-10). Sowohl vor der Behandlung in der LWL-Klinik Marsberg als auch im Behandlungsverlauf sei es immer wieder zu impulsiven Durchbrüchen gekommen, teilweise verbunden mit eigen- und fremdaggressiven Verhalten. Dem Beschuldigten könne zudem eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F 33.0 G, ICD-10) sowie eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung (F 70.1 G, ICD-10) diagnostiziert werden, die eine Beobachtung oder Behandlung erfordere.

Ausgenommen der depressiven Störung sei es trotz der psychiatrischen Behandlung in der Klinik einschließlich entsprechender Medikation bislang nicht gelungen, die bestehende Paraphilie und emotionalinstabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ ausreichend zu behandeln. Vielmehr würden die pädophilen Gedanken und sich darauf ergebende Handlungen sowie die Impulskontrollverluste weiterhin fortdauern.

Der Sachverständige komme aus medizinischpsychiatrischer Sicht nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass aufgrund der sicher diagnostizierten Paraphilie eine schwere andere seelische Abartigkeit bei dem Beschuldigten vorliege. Der Beschuldigte sei hinsichtlich der eigenen Erkrankung und der sich darauf ergebenden Behandlungsnotwendigkeit nicht einsichtig. Die Fähigkeit, das Unrecht seines Handelns einzusehen sei zur Tatzeit eingeschränkt gewesen. Insbesondere sei seine Selbstanzeige ausschließlich darauf zurückzuführen, dass er im Rahmen der stationären Behandlung zunehmend unter Druck geraten sei.

Ferner müsse auch davon ausgegangen werden, dass seine Steuerungsfähigkeit im Tatzeitraum aufgehoben gewesen sei (§20 StGB). Der Beschuldigte sei ausschließlich von seinem Sexualtrieb gesteuert gewesen. Die teilweise in der Therapie erlernten Maßnahmen, die geeignet gewesen wären, die Straftat zu verhindern, habe er nicht mehr einsetzen können.

Prognostisch gehe der Sachverständige davon aus, dass die durch die hiesige Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit des Beschuldigten auch weiterhin fortbestehe. Insbesondere hätten die seit der Unterbringung im Rahmen des Betreuungsverfahrens durchgeführten multimodalen Behandlungsansätze zu keiner Änderung geführt, die Paraphilie und Impulskontrollstörung bestünden vielmehr auch weiterhin. Daher seien die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB gegeben.

Es sei daher zu erwarten, dass die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird.

II.

Der Antrag auf Eröffnung des Sicherungsverfahrens war gemäß § 414 StPO i.V.m. § 204 StPO aus rechtlichen Gründen abzulehnen.

1.

Der in der Antragsschrift zugrunde gelegte Sachverhalt wird sich gemessen am Ermittlungsergebnis voraussichtlich in einer Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren feststellen lassen.

Die rechtliche Bewertung der Taten in der Antragsschrift als Besitz kinderpornographischer Schriften gemäß §§ 184b Abs. 3 StGB ist dabei dahingehend zu ergänzen, dass die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurde (§ 20 StGB), ist im Übrigen jedoch nicht zu beanstanden.

2.

Nach Auffassung der Kammer ist die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB jedoch nicht zu erwarten.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 S. 1 StGB), begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschluss v. 19.01.2017, 4 StR 595/16, -juris; Beschluss v. 22.02.2011, 4 StR 635/10, -juris; Beschluss v. 18.03.2008, 4 StR 6/08, - juris; Beschluss vom 16.07.2008, 2 StR 161/08, - juris, jeweils m.w.N.). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn sie außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stünde (vgl. BGH, Beschluss vom 09. April 2013 - 5 StR 120/13 -, BGHSt 58, 242-243 mwN).

Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Anlassdelikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2008, 1 StR 153/08, zit. nach juris; Urteil vom 12.06.2008, 4 StR 140/08, zit. NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17.02.2004, 1 StR 437/03, - juris; Beschluss vom 03.04.2008, 1 StR 153/08, - juris; Beschluss vom 10.08.2010, 3 StR 268/10, - juris).

Bei der gebotenen Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8.10.1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Die Verhältnismäßigkeit bestimmt sich nach der Bedeutung der jetzigen Anlasstaten sowie derjenigen der zu erwartenden Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 03.09.2015 - 1 StR 255/15 -, juris). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.

Nach dieser vorzunehmenden Abwägung stellt sich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB als unverhältnismäßig dar.

Zu berücksichtigen ist hier, dass jeder, der kinderpornographische Schriften besitzt und diese verbreitet, für Nachfrage sorgt und damit mittelbar den sexuellen Missbrauch von Kindern fördert (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13 -, juris). Die Erstellung von kinderpornograpischen Schriften ist dabei auch grundsätzlich geeignet, die Opfer seelisch oder körperlich erheblich zu schädigen. Dem Beschuldigten kann nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis jedoch nicht vorgeworfen werden, dass er den sexuellen Missbrauch von Kindern unmittelbar gefördert hat. Er hat weder aktiv auf die Fertigung von Bildern hingewirkt, noch nachweisbar unmittelbaren Kontakt zu anderen Personen zum Zwecke der Aufnahme von Fotos aufgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13 -, juris).

Das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten ist eingeleitet worden aufgrund seiner Selbstanzeige, in der er behauptet hat, ein 12-jähriges Mädchen über sein Mobiltelefon aufgefordert zu haben, ihm Nacktfotos und Videos zu schicken. Diese Behauptung des Beschuldigten wird jedoch durch das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen nicht gestützt. Ein Chatverlauf konnte im Rahmen der Auswertung des Mobiltelefons nicht aufgefunden werden. Die von dem Beschuldigten angegebene Mobilfunknummer konnte keinem Kind zugeordnet werden. Angemeldet war die entsprechende Nummer auf eine nach jetzigem Ermittlungsstand erfundene Person.

Bei dem Beschuldigten sind seitens des Sachverständigen P1 eine emotionalinstabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (F. 60.30 G, ICD-10), eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F 33.0 G, ICD-10), eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung (F 70.1 G, ICD-10) und eine Pädophilie (F 65.4, ICD-10) diagnostiziert worden. Es kann insofern nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte den der Selbstanzeige zugrunde liegenden Sachverhalt aufgrund seiner Erkrankungen erfunden hat.

Im Rahmen der Exploration hat der Beschuldigte ebenfalls angegeben, dass er mit 17 Jahren Geschlechtsverkehr mit einem 8-bis 10-jährigen Kind gehabt haben solle. Die Angaben widersprechen sich jedoch insofern, als dass er ebenfalls angegeben hat, dass dieses Kind ihm den "Stinkefinger" gezeigt haben solle, weil er "keinen hochbekommen" habe, es demnach nicht zu einem Geschlechtsverkehr gekommen sei.

Der Beschuldigte wird aufgrund der gestellten Diagnose bereits seit längerer Zeit antiandrogen behandelt. Die Medikamente werden von dem Beschuldigten - zwar bei schwankender Motivation - auf freiwilliger Basis eingenommen. Seit dem 31.01.2019 befindet sich der Beschuldigte zudem in einer auf die Behandlung von Pädophilie spezialisierten Einrichtung (Bl. 46 d. Gutachtens). Dass der Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sinne des § 63 StGB eine bessere medizinische Behandlung, die geeignet ist die von ihm ausgehenden Gefahren zu reduzieren, erhalten kann, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.

Auch wenn die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich erneut den Besitz von kinderpornographischen Material verschafft, sind Anhaltspunkte für eine Steigerung seiner Handlungen, welche eine Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB begründen könnten, derzeit nicht gegeben.

Die Kammer verkennt nicht, dass der Beschuldigte unabhängig von seiner strafprozessualen Situation engmaschiger fachlicher Hilfe und Unterstützung bedarf, die zu leisten jedoch nicht Zweck der einstweiligen Unterbringung sein kann. Der Beschuldigte wird diesbezüglich jedoch im Rahmen des Betreuungsrechts durch die Bestellung eines Betreuers und einer Unterbringung nach § 1906 BGB versorgt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

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