VG Arnsberg, Beschluss vom 29.11.2018 - 5 L 1831/18.A
Fundstelle
openJur 2019, 27268
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 933/18. A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Februar 2018 wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgericht Arnsberg 5 L 342/18. A vom 3. Juli 2018 angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

Der aus dem Tenor ersichtliche - sinngemäß gestellte - Antrag der Antragstellerin hat Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient dabei nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung - hier der Beschluss vom 3. Juli 2018 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 5 L 342/18.A - formell und materiell richtig ist. Vielmehr eröffnet es lediglich die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist demzufolge allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache anhängigen Klage geboten ist.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 7. Januar 2016 - 4 VR 3.15 -, juris Rn. 4, und vom 10. März 2011 - 8 VR 2.11 -, juris Rn. 8, jeweils m.w.N.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 16. Juni 2000 - 7 B 715/00 -, juris Rn. 11.

Ausgehend hiervon ist der Antrag zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat unter Vorlage der Bescheinigung von Frau M. -T. , Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vom 7. September 2018 glaubhaft gemacht, dass sie schwanger ist. In Anbetracht dieser neuen Sachlage sowie zusätzlich vor dem Hintergrund, dass Italien - wie noch ausgeführt wird - nach derzeit verfügbaren Erkenntnissen erst kürzlich beschlossen hat, seine bisherige Praxis zur Aufnahme und Unterbringung (noch) nicht anerkannter Asylbewerber grundlegend zu verändern, überwiegt das Interesse der Antragstellerin, einstweilen von der Vollziehung der Abschiebungsanordnung verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausreisepflicht. Denn bei summarischer Prüfung bestehen bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 AsylG) zumindest erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordneten Abschiebung der Antragstellerin nach Italien.

Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Dabei sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu berücksichtigen. Dies gilt auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen oder Duldungsgründen.

Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris.

Zwar sieht die Kammer nach wie vor keinen Anlass für die Annahme, dass eine Überstellung der Antragstellerin nach Italien gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Staat zuständig ist (sog. Dublin III-Verordnung), schon grundsätzlich unmöglich wäre, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit sich brächten.

Allerdings ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis besteht.

Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 4. November 2014 (Tarakhel ./. Schweiz) ausgeführt, dass die Anzahl und die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen Italiens die Befürchtung zulassen, dass Asylsuchende im Einzelfall ohne Unterkunft bleiben oder in überfüllten Einrichtungen untergebracht werden, auch wenn die Struktur und die Gesamtsituation des Aufnahmesystems in Italien nicht mit derjenigen Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen. Vor der Abschiebung einer Familie mit Kindern als besonders Schutzbedürftige seien daher individuelle Garantien von den italienischen Behörden einzuholen, dass die Familie bei ihrer Ankunft in Italien in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werde, die dem Alter der Kinder angemessen seien, und dass sie als Familie zusammenbleiben könnten.

Vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 4. November 2014 - Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 -, juris und Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2015, S. 127.

Im Einklang hierzu hat Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - (abrufbar unter juris) ausgeführt:

"Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 ). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 ).

a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010- 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014- A 9 K 3615/13 -, juris).

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).

Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 ).

c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.

Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen allgemein besonders zu beachtenden Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls (vgl. etwa Erwägungsgrund 22 und Art. 14 Abs. 1 a) und d) der Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen."

Beziehen sich die oben zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu notwendigen Garantierklärungen ausdrücklich nur auf die - hier noch nicht gegebene - Konstellation einer Abschiebung von Familien mit minderjährigen Kindern, so spricht doch bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass die darin aufgestellten Grundsätze ebenso für die Rückführung von Asylbewerberinnen Geltung beanspruchen, deren Schwangerschaft dem Bundesamt bekannt (geworden) ist und bezüglich derer mithin bereits vorhersehbar ist, dass sie sich in absehbarerer Zeit, nämlich mit der zu erwartenden Niederkunft, in einer Situation befinden werden, in der in besonderem Maße auf die Schutzbedürftigkeit der auf ihre Eltern angewiesenen Neugeborenen oder (Kleinst-)Kinder Rücksicht genommen werden muss.

In Anwendung dieser Maßstäbe dürfte die Antragsgegnerin mit Blick auf die Antragstellerin, die ausweislich der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung ein Kind erwartet, verpflichtet sein, vor der angeordneten Überstellung eine individuelle Garantieerklärung der italienischen Behörden einzuholen, damit solche Unterbringungsbedingungen gewährleistet sind, die der Schutzbedürftigkeit der Antragstellerin als werdender Mutter sowie - für die Zeit nach der für den 2. Mai 2019 vorausberechneten Niederkunft - des dann im Säuglingsalter befindlichen Kindes der Antragstellerin ausreichend Rechnung tragen.

Eine individuelle Garantieerklärung ist auch nicht in Ansehung des Umstands entbehrlich, dass Italien - in Reaktion auf die oben genannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (Tarakhel ./. Schweiz) - allgemein zugesichert hat, für eine altersgerechte Unterbringung von im Dublin-Verfahren rücküberführten Familien mit Kindern Sorge zu tragen. In seiner Entscheidung vom 4. Oktober 2016 hat es der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zwar als ausreichend angesehen, dass das italienische Innenministerium mit allgemeinen Erklärungen vom 2. Februar 2015, 15. April 2015 sowie 8. Juni 2015 gegenüber den übrigen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zur Kenntnis gebracht hat, dass eine altersgerechte Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern generell gewährleistet werde und ausreichend Kapazitäten innerhalb der Einrichtungen des sog. ‚Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifiugati‘ (kurz: SPRAR) reserviert seien. Der jeweilige nach Italien zu überstellende Asylbewerber müsse hiernach konkrete Umstände vortragen, aus denen hervorgeht, dass die Wahrung der Familieneinheit durch eine gemeinsame Unterbringung nicht gewährleistet ist.

Vgl. EGMR, Urteil vom 4. Oktober 2016 - Ali u.a. ./. Schweiz, Nr. 30474/14 -, Rn. 15, 34 f., juris,

Es kann dabei dahinstehen, ob, wie die Antragstellerin meint, bereits in der Vergangenheit durchgreifende Zweifel an der tatsächlichen Einhaltung und Durchführung dieser allgemeinen Zusicherung Italiens - nicht zuletzt mit Blick auf die geringe Anzahl gemeldeter Plätze in den kommunalen SPRAR-Unterbringungseinrichtungen - angezeigt gewesen sein könnten,

vgl. kritisch auf der Grundlage einer stichprobenartigen Überprüfung Danisch Refugee Council (DRC), "Is Mututal Trust Enough?" vom 9. Februar 2017, S. 9 ff..

Denn jedenfalls kann zur Überzeugung der beschließenden Kammer zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr von einer (fortbestehenden) Entbehrlichkeit individueller Garantiezusagen vor einer möglichen Überstellungsentscheidung ausgegangen werden, nachdem nunmehr das so bezeichnete Dekret ‚Sicurezza e immigrazione‘ des italienischen Innenministers Matteo Salvini vom 4. Oktober 2014 (Decreto Legge n. 113) die bis dato noch zur Gesetzeskraft erforderliche Zustimmung im italienischen Abgeordnetenhaus gefunden hat.

Vgl. Spiegel online vom 29. November 2018, "Italien verschärft seine Einwanderungsgesetze drastisch", http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlingeitalienverschaerftseineeinwanderungsgesetzedrastischa-1241091.html; SRF, "Italien verschärft Einwanderungsgesetz deutlich, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlingeitalienverschaerftseineeinwanderungsgesetzedrastischa-1241091.html (jeweils zuletzt abgerufen am 3. Dezember 2018).

Das vorbezeichnete Dekret, dass am 4. Dezember 2018 als Gesetz in Kraft getreten ist, zielt unter anderem auf eine wesentliche Umgestaltung des bisherigen Systems für die Unterbringung von Asylsuchenden. Anders als bislang sollen nach den gegenwärtig verfügbaren Erkenntnissen nämlich nur noch Personen mit zuerkanntem Schutzstatus sowie unbegleitete Minderjährige Zugang zu den kommunalen SPRAR-Einrichtungen erhalten, während die Unterbringung im Übrigen - also insbesondere solcher Personen, über deren Antrag auf internationalen Schutz noch nicht entschieden worden ist - innerhalb zentraler Auffangeinrichtungen erfolgen soll.

Vgl. etwa Spiegel online vom 29. November 2018, "Italien verschärft seine Einwanderungsgesetze drastisch", http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlingeitalienverschaerftseineeinwanderungsgesetzedrastischa-1241091.html; Süddeutsche Zeitung, "Hart, aber fraglich" vom 25. September 2018, https://www.sueddeutsche.de/politik/italienhartaberfraglich-1.4144303; Zeit online, "Regierung verschärft Asylrecht" vom 24. September 2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-09/italienmigrationspolitikaslyrechtverschaerfungmatteosalvini (jeweils zuletzt abgerufen am 3. Dezember 2018).

Im Lichte dieser Erkenntnisse kann bei summarischer Prüfung gegenwärtig nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Italien allein aufgrund der im Jahre 2015 allgemein erklärten Zusicherungen seines Innenministeriums in hinreichender Weise dafür Sorge tragen wird, dass Familien mit minderjährigen Kindern oder aber schwangeren Frauen - wie hier der Antragstellerin - ohne weiteres eine der besonderen Schutzbedürftigkeit angemessene Unterbringung nach erfolgter Rückführung zur Verfügung steht. Zwar könnten die geplanten Änderungen in den Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende für sich genommen noch nicht zu dem Schluss gereichen, dass damit die allgemeine Zusage Italiens gegenüber den übrigen Mitgliedstaaten vom 27. März 2015, nämlich eine altersgerechte Unterbringung von Familien mit Kindern zu gewährleisten, generell als hinfällig zu bewerten wäre. Gleichwohl hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine im Anschluss an die Tarakhel-Entscheidung getroffene Einschätzung, die Überstellung besonders schutzbedürftiger Familien nach Italien sei grundsätzlich auch ohne individuell eingeholte Garantiezusagen zulässig, unter anderem maßgeblich darauf gestützt, dass Italien mit seinem zweiten Schreiben vom 15. April 2015 gegenüber der Europäischen Kommission erklärt hatte, dass eine erforderliche Anzahl an Plätzen für schutzbedürftige Familien in den kommunalen SPRAR-Einrichtungen gesichert werde und nicht ohne weiteres angenommen werden könne, es bestünde in Italien schon kein Zugang zu den verfügbaren Kapazitäten.

Vgl. EGMR, Urteil vom 4. Oktober 2016 - Ali u.a. ./. Schweiz, Nr. 30474/14 -, Rn. 15 und 34, juris.

Vor dem Hintergrund der voraussichtlichen Änderungen in den Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen, wie sie vorstehend mit Blick auf (noch) nicht anerkannte Schutzsuchende anhand aktueller Presseberichte dargelegt worden sind, dürfte diese Annahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durchgreifend erschüttert sein. Solange der Kammer daher keine weiteren belastbaren Informationen darüber zur Kenntnis gelangen, welche geeignet sind, die derzeit erkennbare Unsicherheit in den künftigen Aufnahme- und Unterbringungspraktiken der italienischen Behörden auszuräumen und einen hinlänglich sicheren Aufschluss darüber ermöglichen, dass rücküberführte vulnerable Personengruppen im Einklang mit den oben dargelegten Anforderungen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine angemessene Unterbringung und Versorgung erhalten, ist in Ansehung einer für die Antragstellerin nicht auszuschließenden unmenschlichen Behandlung die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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