LG Arnsberg, Beschluss vom 05.02.2019 - II-2 KLs-14 Js 293/08-6/19
Fundstelle
openJur 2019, 27163
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Verurteilten vom 17.12.2018 auf Wiederaufnahme des Verfahrens 21 KLs-14 Js 293/08-3/10 Landgericht Siegen wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Wiederaufnahmeverfahren bzw. zur Vorbereitung eines solchen wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht Siegen hat den Antragsteller im oben näher bezeichneten Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und Beleidigung unter Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 24.11.2008 (403 Ds-26 Js 930/08-272/08) unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus diesem Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie wegen sexueller Nötigung, wegen Nötigung sowie vorsätzlicher Körperverletzung in sechs Fällen, davon in einem Fall wegen Versuchs, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung und in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Neben der Strafe hat das Landgericht Siegen die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

Der Verurteilung liegen Straftaten zum Nachteil damaliger Partnerinnen des Angeklagten zugrunde. Das Landgericht Siegen hat insoweit sachverständig beraten durch den Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P1 aus O1 festgestellt, dass der Verurteilte bei Begehung der abgeurteilten Taten unter einer schweren wahnhaften Störung gelitten habe, aufgrund derer seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei. Der Verurteilte habe aufgrund dieser Erkrankung an Wahnvorstellungen gelitten, die regelmäßig sexuelle Gewalt, Pornographie und Prostitution in Verbindung mit Verfolgungs- und Verschwörungsideen zum Gegenstand gehabt hätten. Ferner führt die Strafkammer des Landgerichts Siegen aus, aufgrund des persistierenden Wahnsystems sei auch zukünftig mit Gewissheit innerhalb von Partnerbeziehungen damit zu rechnen, dass es erneut zu wahnhaften Realitätsverkennungen und damit zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen werde, so dass der Verurteilte für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei in Anbetracht zweier festgestellter Sexualdelikte verhältnismäßig.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Urschrift des Urteils des Landgerichts Siegen vom 31.08.2009, Bl. 826-867 d.A., verwiesen.

Eine gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 15.02.2011 verworfen.

Der Angeklagte befindet sich im Maßregelvollzug, derzeit in der LVR-Klinik O2.

Mit seinem unter dem 17.12.2018 zu Protokoll des Geschäftsstelle des Amtsgerichts Düren erklärten Antrag begehrt er die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens mit dem Ziel, die Anordnung der Maßregel zu beseitigen.

Zur Begründung beruft er sich auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P2 vom 14. März 2018, das dieser gemäß § 16 Abs. 3 MRVG NRW für die LVR-Klinik O2 erstellt hat. Der Verurteilte trägt sinngemäß vor, nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P2 handele es sich bei seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus um eine Fehleinweisung. Die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. P2 in einer erneuten Hauptverhandlung führe dazu, dass die Anordnung der Maßregel unterbleibe. Der Sachverständige Dr. P2 komme zu dem Ergebnis, dass der Sachverständige Dr. P1 von wissenschaftlich nicht hinreichend gestützten Folgerungen ausgegangen sei. Die Schlussfolgerungen seien nicht richtig, nicht gesichert und nicht zwingend. Die Diagnosen einer schizophrenen Störung und einer wahnhaften Störung seien nicht nachvollziehbar. Es sei jedenfalls nicht erkennbar, wie die beschriebene Wahnsymptomatik sich dahingehend ausgewirkt haben solle, dass sich der Verurteilte weniger habe kontrollieren oder steuern können, als wenn das, was ihm im Wahn zugeschrieben worden sei, der Realität entspreche. Darüber hinaus ist der Verurteilte der Ansicht, der Sachverständige Prof. Dr. P2 verfüge über dem Sachverständigen Dr. P1 überlegene Forschungsmittel.

Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll das Amtsgericht Düren vom 17.12.2018, 11 AR 35/18, Bl. 1079-1081 d.A., Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft O1 hat die Akten zur Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens an die Staatsanwaltschaft Arnsberg abgegeben. Sie hält das Wiederaufnahmegesuch für unzulässig, da der Sachverständige Prof. Dr. P2 kein neues, jedenfalls aber kein geeignetes Beweismittel sei.

Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat die Sache der Kammer vorgelegt. Sie beantragt, das Wiederaufnahmeverfahren als unzulässig zu verwerfen. Der Verurteilte trage kein geeignetes neues Beweismittel vor.

II.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens war gemäß § 368 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.

Der Verurteilte führt in seinem Gesuch kein neues Beweismittel an, das geeignet ist, die Feststellungen des Urteils des Landgerichts O1 vom 31.08.2010 und den auf ihnen gründenden Maßregelausspruch zu beseitigen.

1.

Schon nach dem Wortlaut des § 368 Abs. 1 StPO sind an das Vorbringen hinsichtlich des Wiederaufnahmegrundes aus § 359 Nr. 5 StPO höhere Anforderungen zu stellen, da ein "geeignetes" Beweismittel anzubringen ist. Damit setzt § 359 Nr. 5 StPO als einziger Wiederaufnahmegrund bereits im Aditionsverfahren eine Eignung der Tatsachen und Beweismittel speziell im Hinblick auf die dort genannten Wiederaufnahmeziele voraus. Sie müssen geeignet sein, das angegriffene Urteil zu erschüttern. Diese Prüfung erschöpft sich nicht in einer abstrakten Schlüssigkeitsprüfung. Vielmehr ist ein neues Beweismittel bereits im Zulässigkeitsverfahren auf seinen Beweiswert zu überprüfen, soweit das ohne förmliche Beweisaufnahme möglich ist. (BGH, Beschluss vom 22.10.1999 - 3 StE 15/93-1 - StB 4/99, NStZ 2000, 218).

Die Wiederaufnahmegerichte sind verfassungsrechtlich nicht gehindert, im Rahmen des Aditionsverfahrens zu prüfen, ob eine vorgetragene neue Tatsache oder ein benanntes neues Beweismittel geeignet ist, für den Antragsteller die Freisprechung, in Anwendung eines milderen Gesetzes eine geringere Bestrafung oder eine i. S. des § 359 Nr. 5 StPO wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung herbeizuführen. (BVerfG, Beschluss vom 07.09.1994 - 2 BvR 2093/93, NStZ 1995, 43).

Gemessen an diesen Maßstäben ist das Gutachten das beigebrachte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P2 nicht geeignet, eine andere Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus herbeizuführen.

2.

Der Antragsteller verkennt bereits den Zweck des nach § 16 Abs. 3 MRVG NRW eingeholten Gutachtens, den an den Sachverständigen gerichteten Untersuchungsauftrag und dessen Prüfungsumfang. Sinn und Zweck des im Vollzug der Maßregel nach drei Jahren einzuholenden Gutachtens ist die sachkundige Prüfung eines außenstehenden Gutachters, ob die Maßregeleinrichtung bei den Strafvollstreckungsbehörden eine Entlassung des Untergebrachten anregen kann. Die Gutachten dienen damit nicht unmittelbar der Überprüfung des Urteils nebst zugrundeliegendem Einweisungsgutachten.

3.

Der Sachverständige Prof. Dr. P2 kommt entgegen der Ansicht der Antragsschrift nicht zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Unterbringung des Angeklagten um eine Fehleinweisung handelt.

Der Antragsteller verkürzt in seinem Vorbringen das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P2 in unzulässiger Weise. Gegenstand der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. P2 war der Zustand des Verurteilten zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens im Februar/März 2018, nicht jedoch der Zustand des Verurteilten bei Begehung der abgeurteilten Taten in den Jahren 2008 und 2009. So beruhen die Schlussfolgerungen des Sachverständigen Prof. Dr. P2 auf der persönlichen Exploration am 14., 15. und 16.02.2018. Der Sachverständige Dr. P1 ist in seinem Gutachten hingegen von den Angaben des Verurteilten in dessen persönlicher Exploration am 24.08.2009 und seinem persönlichen Eindruck in der dreitägigen Hauptverhandlung vor der erkennenden Strafkammer des Landgerichts O1 ausgegangen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte gegenüber dem Sachverständigen P2 offenbar andere Angaben machte als seinerzeit gegenüber dem Sachverständigen P1.

So führt der Sachverständige Prof. Dr. P2 auf seinem Gutachten S. 89 aus:

"Bei der jetzigen Begutachtung stellte Herr P3 sich und die für die Unterbringung relevanten Sachverhalte etwas anders dar, als es aufgrund des Aktenstudiums vom Unterzeichner erwartet wurde."

Der Sachverständige P2 bewertet in seinem Gutachten die damals von dem Sachverständigen P1 und der erkennenden Strafkammer angenommenen Anknüpfungstatsachen wie folgt (S. 84 unten):

"Geht man von den von Herrn Dr. P1 beschriebenen Auffälligkeiten (s.o.) aus und entsprechen diese den damaligen Überzeugungen von Herrn P3, so ist auch rückblickend die Annahme einer wahnhaften Störung naheliegend. Dass die heutigen Angaben des Probanden nicht so eindeutig ausfallen, würde einer solchen Aussage nicht widersprechen, da bei vielen Betroffenen im weiteren Verlauf auch Modifikationen ihrer eigenen Überzeugungen und noch mehr ihrer diesbezüglichen Aussagen zu erwarten sind." (Hervorhebung durch die Kammer).

Eine Änderung der Angaben des Verurteilten zu seinen damaligen Überzeugungen ist nach Auffassung der Kammer naheliegend, da dieser sich gegen die Anordnung der Maßregel wehrt und ihm insoweit die Bedeutung des zumindest damals bestehenden Wahnsystems bewusst ist. Diese Änderung in den Angaben des Verurteilten im Laufe des Verfahrens ist aber unerheblich, da auch das Wiederaufnahmegericht vom Standpunkt des erkennenden Tatrichters aus zu prüfen hat, ob das Urteil unter Berücksichtigung der neuen Beweise anders ausgefallen wäre. Insofern ist die Einbeziehung neun Jahre später im Vollstreckungsverfahren gemachter Angaben bereits rein hypothetischer Natur. Das Tatgericht hat sich im Urteil jedoch bereits mit einer Distanzierung des Verurteilten von seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. P1 in der Hauptverhandlung auseinandergesetzt.

Das Landgericht O1 führt im Urteil aus (Bl. 853 d.A.):

"Soweit der Angeklagte erklärt hat, die vom Sachverständigen wiedergegebenen Äußerungen, insbesondere bezüglich seine Kontakte zur Pornobranche und eines Komplotts, um ihn "mundtot" zu machen, wären von ihm nicht so getätigt bzw. vom Sachverständigen missverstanden worden, ist seine Einlassung unglaubhaft. Der Sachverständige hat nachdrücklich versichert, dass Angaben des Angeklagten möglichst wortgetreu protokolliert wurden. Ein solches Vorgehen liegt angesichts des Gutachtenauftrags auch nahe, während nicht ersichtlich ist, warum der Sachverständige diesbezüglich unrichtige Angaben machen sollte.

Die im Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen Dr. P1 zutage getretenen Realitätsverkennungen und Wahnideen, insbesondere bezüglich Drogen, sexueller Gewalt und Prosititution sowie einer Beobachtung und Verfolgung sind auch durch die Zeuginnen P4, P5 und P6 sowie durch den Zeugen P7 und in den Feststellungen des verlesenen Urteils wegen der Taten zum Nachteil der Frau P8 durchgängig in übereinstimmender oder wenigstens ähnlicher Form beschrieben worden."

Eine Begutachtung des Verurteilten durch den Sachverständigen Prof. Dr. P2 ist nicht geeignet, diese Beweiswürdigung und die daraus resultieren Feststellungen zu erschüttern. Es entzieht sich der eigenen Wahrnehmung und auch der Beurteilung durch den Sachverständigen, was der Verurteilte damals im Zusammenhang mit den Taten gegenüber den Zeuginnen und im Explorationsgespräch mit dem Sachverständigen Dr. P1 angegeben hat.

Der Sachverständige P2 macht die Abweichungen der Angaben des Verurteilten in seinem Gutachten wie folgt kenntlich (S. 90):

"Demgegenüber schilderte er die Auseinandersetzungen mit Frau P4, Frau P6 und Frau P5 nicht wirklich so auffällig, dass aufgrund seiner jetzigen Schilderungen zwangsläufig Realitätsverkennungen abgeleitet werden müssten. [...] Er beschuldigte keine der Frauen, dass sie der Prostitution nachgegangen seien oder dass sie einem Pornoring angehört hätten." (Hervorhebungen durch die Kammer).

Auch schließt der Sachverständige P2 in seiner Bewertung nach Auffassung der Kammer eine Qualifizierung als Wahn nicht zwingend aus. So teilt er mit, die jetzigen Äußerungen entsprächen ebenfalls nicht "wirklich unauffälligen und arglosen Sichtweisen", sondern legten ein "übertriebenes Misstrauen und möglicherweise auch die Neigung, aus gewissen Beobachtungen und subjektiven Überzeugungen Schlussfolgerungen zu ziehen, die einer objektiven Realitätsprüfung nicht mehr standhalten, nahe". Derartige subjektive Überzeugungen (wohlgemerkt: wie sie der Verurteilte nunmehr vertritt!, Anmerkung der Kammer) seien jedoch nicht notwendigerweise psychopathologisch als Wahn zu qualifizieren.

4.

Auch die weiteren Angriffe in der Wiederaufnahmeschrift gegen das Urteil des Landgerichts O1 bzw. das verwertete Gutachten des Sachverständigen Dr. P1, die der Antragsteller mit dem Gutachten P2 zu belegen versucht, gehen fehl.

a)

Die Kammer vermag die Bewertung des Sachverständigen P2 zu "Urteil und Schuldfähigkeit" (S. 82/83 GA),

"Der fachkundige Leser, der diese Annahmen einer sorgfältigen und kritischen Prüfung unterzieht, kann diese Argumentation nicht nachvollziehen",

ihrerseits nicht nachzuvollziehen. Die Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB und deren Darstellung in den Urteilsgründen waren bereits Gegenstand der Revisionsprüfung durch den Bundesgerichtshof, ohne dass dieser (durchaus fachkundig) die Darstellung beanstandet hätte.

Nach Auffassung der Kammer befasst sich das Urteil sehr wohl mit den Auswirkungen der festgestellten Störung auf das Tatverhalten, die Einsichtsfähigkeit und die Steuerungsfähigkeit. Bei der Bewertung des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. P1 ist zu beachten, dass sich der Auftrag zunächst allein auf die Tat am 03.03.2008 zum Nachteil der Zeugin P4 (u.a. Vergewaltigung in Form der analen Penetration) bezog und hinsichtlich der Bewertung der übrigen Taten durch den Sachverständigen auf die Darstellung in den Urteilsgründen abzustellen ist, da der Inhalt des mündlich in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens nicht dokumentiert ist.

Der Sachverständige Dr. P1 führt im vorbereitenden Gutachten zur Tatzeitpersönlichkeit aus (S. 26 GA, Bl. 434 d.A.), zum Zeitraum der dem Probanden zur Last gelegten Tat (März 2008) sei mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass die anhaltende wahnhafte Störung hoch akut gewesen sei. Es sei mit überaus großer Sicherheit davon auszugehen, dass der Proband im März 2008 von ausgeprägten Wahnvorstellungen besessen gewesen sei und deshalb die Möglichkeit, sein Tun und Handeln frei zu gestalten, erheblich eingeschränkt gewesen sei.

Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass das Urteil des Landgerichts O1 einen Einfluss der wahnhaften Störung auf die Auseinandersetzung mit der Zeugin P5 beim Schneiden einer Paprika nicht erkennen lässt. Diese Körperverletzung ist für sich betrachtet für die Frage der Anordnung der Maßregel jedoch unbeachtlich, da die übrigen Taten als Anlasstaten für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausreichen.

Zum Einfluss des Wahnsystems auf die Tathandlungen bei den übrigen Taten hat das Landgericht O1 folgende Feststellungen getroffen:

aa) Tat zum Nachteil der Zeugin P4 (Bl. 832 d.A.):

"Der Angeklagte war erregt und verärgert, weil die Zeugin, obwohl sie gewusst hatte, dass er kommen würde, eingeschlafen war und ihn ausgesperrt hatte. Diese Verärgerung verband sich im Verlauf der Zeitspanne von ca. 30 bis 45 Minuten, die verging, bis ihm geöffnet wurde, mit den Inhalten seines persistierenden Wahngebildes, so dass er einen Zusammenhang zwischen dem Vorfall und seinen Verfolgungsideen bezüglich sexueller Handlungen seiner Lebensgefährtin mit einem kriminellen Hintergrund annahm.

Er schlug dann weiter auf die Zeugin ein, wobei er ihr vorhielt, mit anderen Männern zu schlafen und sich zu prostituieren. Er forderte sie immer wieder auf, ihm die Namen der Personen zu nennen, denen sie Geld schuldete, und für die sie ‚anschaffen‘ ginge und beleidigte sie mit Ausdrücken wie ‚Bitch‘

oder ‚Hure‘."

Nachdem er der Zeugin Namen vermeintlicher Zuhälter genannt hatte, rief er nach den Feststellungen des Urteils die Genannten an und konfrontierte sie mit seinen Wahnideen.

bb) Tat zum Nachteil der Zeugin P8 (Bl. 835 d.A.):

"Bereits nach ca. einer Woche gewann der Angeklagte aufgrund der durch seine wahnhafte Störung verursachten Wahrnehmungsstörung die Überzeugung, dass Frau P8 Drogen konsumieren, eine Affäre mit seinem Mitbewohner, dem Zeugen P7, habe, Pornofilme drehen und sich prostituieren würde. Diese Verdächtigungen hielt er ihr mehrfach vor, wodurch es immer wieder zu streitigen Auseinandersetzungen kam, wenn Frau P8 die Vorwürfe zurückwies."

cc) Taten zum Nachteil der Zeugin P5 (Bl. 836 d.A.):

"Im Lauf der Zeit kam es indes öfter vor, dass der Angeklagte auch der Zeugin P5 Vorwürfe bezüglich Schulden und Prostitution machte und meinte, sie arbeitete tatsächlich nicht an ihrer eigentlichen Arbeitsstelle, sondern ginge auf den Strich."

"Nach einigen Monaten, am 15.12.2008, kam es zwischen dem Angeklagten und der Zeugin P5 zu einem heftigen Streit, der darauf beruhte, dass der Angeklagte ihr vorwarf, fremdzugehen und ihn zu belügen."

"Am nächsten Tag, dem 21.07.2010, gewann der Angeklagte aufgrund seiner wahnbedingten Realitätsverkennung die Überzeugung, dass die Zeugin P5 ihn in der Nacht mit Hilfe von Drogen betäubt und dann anal vergewaltigt hätte. [...] Wegen des Hinweises auf Amphetamine im Schnelltest sah sich der Angeklagte trotz des negativen Ergebnisses der körperlichen Untersuchung in seinem wahnhaften Verdacht bestätigt, so dass er sich gegenüber der Zeugin abends wieder sehr misstrauisch verhielt und seine Verschwörungsideen äußerte, wobei er ihr wiederum Drogenkonsum und Prostitution unterstellte. Aufgrund dessen kam es wieder zum Streit. [...] Er warf ihr vor, regelmäßig Faustverkehr mit ihrem Nachbarn und zahlreichen weiteren Männern zu haben, und erklärte, nun feststellen zu wollen, wie viele Männer an diesem Tag ‚schon in ihr drin‘ gewesen wären - das könnte er nämlich fühlen. Dabei griff er ihr dann - oberhalb der von der Zeugin getragenen Shorts - im Bereich der Scheide zwischen die Beine und drückte fest zu." (Bl. 842 d.A.)

dd) Tat zum Nachteil der Zeugin P6 am 21.03.2009 (Bl. 838 d.A.):

"Auch ihr gegenüber kam es nach kurzer Zeit zu wahnhaften Verkennungen durch den Angeklagten, aufgrund derer er der Zeugin vorwarf, sie nähme Drogen und würde sich prostituieren, und er verdächtigte sie, ihn unter Drogen zu setzen und anal zu vergewaltigen."

"Am 21.3.2009 kam es "zum Streit, als er erneut seine Verdächtigungen äußerte, sie würden vom Zuhälter der Zeugin P6 aus der Wohnung über ihnen beobachtet, die Zeugin würde im Rahmen einer gegen ihn gerichteten Verschwörung mit seinem Chef zusammenarbeiten, um ihn auszutricksen. Außerdem sprach er davon, dass die Zeugin ein sexuelles Verhältnis zu seinem Verteidiger, dem Rechtsanwalt P9, unterhielte, um den Verlauf der Verhandlung zu seinem Nachteil beeinflussen zu können."

Die Taten vom 18.04.2009 zum Nachteil der Zeugin P6 und am 14.07.2009 zum Nachteil P5 beruhen ebenfalls auf der Konfrontation des Angeklagten mit dem Wahnsystem.

In diesem Zusammenhang hält die Kammer die Hypothese des Sachverständigen P2, es müsse bei der Prüfung der Schuldfähigkeit überlegt werden, ob tatsächlich für jemanden, dessen Realität den Wahnvorstellungen entspreche, die gleichen juristischen Folgen einträten - also auch verminderte Steuerungsfähigkeit anzunehmen sei, für zumindest gewagt.

Denn diese Überlegung berücksichtigt nicht, dass gerade die wahnhaft Verkennung Triebfeder für ein Handeln ist, das - denkt man sich die wahnhafte Störung als Auslöser hinweg - in dieser Form nicht stattgefunden hätte. Die Situation ist nach Auffassung der Kammer nicht mit einem gesunden Menschen, der die vom Angeklagten eingebildeten Vorgänge tatsächlich als real erleben würde, vergleichbar.

b)

Die Kammer vermag auch die grundlegende Kritik an der Diagnose einer wahnhaften Störung durch den Sachverständigen Dr. P1 nicht zu teilen. In seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten vom 08.10.2009 (Bl. 409 ff. d.A.) legt dieser die Kritikpunkte selbst dar. So grenzt er sehr sorgfältig die Diagnosen einer schizophrenen Psychose und einer wahnhaften Störung voneinander ab (S. 22 ff. GA, Bl. 430 ff. d.A.). Er beschreibt durchaus, dass man versucht sei, eine schizophrene Störung zu diagnostizieren, kommt dann aber - und dies wie oben dargelegt auch für den Sachverständigen P2 rückblickend verständlich - zur Diagnose der wahnhaften Störung. Dabei erwähnt der Sachverständige Dr. P1 ausdrücklich, dass wahnhaftige Störungen sehr selten seien und bezieht sich auf die Prävalenz nach DSM IV, die er mit 0,03% angibt.

Die Unterbringung des Angeklagten beruht im Ergebnis auch nicht auf der differentialdiagnostisch diskutierten schizophrenen Psychose. Der Sachverständige Dr. P1 weist darauf hin, dass viele der Symptome einer schizophrenen Psychose bei dem Probanden nicht nachzuweisen waren, so dass eine endgültige Differenzierung zum damaligen Zeitpunkt nicht eindeutig möglich gewesen sei. (S. 25 GA, Bl. 433 d.A.). Er hält im Ergebnis eine (schwere) anhaltende wahnhafte Störung für wahrscheinlicher.

5.

Eine Gesamtwürdigung, die das Urteil zum einen mit dem gesamten Akteninhalt, zum anderen mit dem neuen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P2 in Zusammenhang setzt, führt daher im Ergebnis nicht dazu, dass das Absehen von der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB möglich erscheint.

Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P2 ist, auch wenn es in einer gedachten Hauptverhandlung mit dem vorgelegten Inhalt erstattet würde, nicht geeignet, eine dem Antragsteller günstigere Beurteilung herbeizuführen.

III.

Da der Wiederaufnahmeantrag erfolglos bleibt, ist für die Unterbrechung der Vollstreckung nach § 360 Abs. 2 StPO kein Raum.

IV.

Dem Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Wiederaufnahmeverfahren war ebenfalls nicht zu entsprechen. Der Verurteilte war in der Lage, das von ihm betriebene Wiederaufnahmeverfahren auch ohne anwaltlichen Beistand vorzubereiten und den geltend gemachten Wiederaufnahmegrund angemessen vorzutragen. Insoweit bedarf er eines anwaltlichen Beistandes zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens nicht mehr.

Darüber hinaus liegen auch keine Gründe für eine Pflichtverteidigerbeiordnung für das weitere Wiederaufnahmeverfahren vor, da mangels Zulässigkeit der Wiederaufnahme weder eine Beweiserhebung im Aditionsverfahren vorzunehmen noch ein Probationsverfahren mit erneuter Hauptverhandlung durchzuführen ist.

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