OLG Bamberg, Beschluss vom 04.12.2008 - 3 Ss OWi 1386/08
Fundstelle
openJur 2012, 97182
  • Rkr:
Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau vom 4. Mai 2007 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 04.05.2007 wegen am 29.03.2006 außerhalb und am 18.09.2006 innerhalb geschlossener Ortschaften jeweils fahrlässig begangener Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 39 km/h bzw. um 18 km/h, im letztgenannten Fall in Tateinheit mit einer ebenfalls fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit der unerlaubten Nutzung eines Mobiltelefons zu Geldbußen von 150 Euro und 35 Euro verurteilt. Wegen der Tat vom 29.03.2006 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen in Übereinstimmung mit dem insoweit ergangenen Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle vom 11.04.2006 zusätzlich ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes (in einem Regelfall) gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV verhängt.

Mit seiner ausdrücklich auf die Verurteilung wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 29.03.2006 und insoweit weiter auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, mit welcher sich der Betroffene gegen die Verhängung des Fahrverbots wendet, rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete sowie wirksam sowohl auf die prozessual selbständige Tat vom 29.03.2006 als auch hinsichtlich dieser weiterhin wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen erweist sich als unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils im Umfang der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.

1. Das Amtsgericht hat die Notwendigkeit eines Fahrverbots zutreffend mit dem Vorliegen eines Regelfalls eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne der §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., 26 a StVG i.V.m. mit § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV begründet, nachdem der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen u.a. am 23.09.2005 wegen einer am 04.09.2004 begangenen fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h zu einer Geldbuße von 50 Euro sowie einem Fahrverbot für die Dauer eines Monats rechtskräftig verteilt worden ist. Mit der verfahrensgegenständlichen Tat vom 29.03.2006 hat der Betroffene damit innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Vorahndung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h, nämlich um 38 km/h, begangen.

2. Gründe, die ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

a) Insbesondere hat sich das Amtsgericht in der gebotenen Weise mit den persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Folgen eines Fahrverbots für den als Inhaber einer Zeitarbeitsfirma selbständig tätigen und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Betroffenen auseinander gesetzt und damit dem mit Verfassungsrang ausgestatteten rechtsstaatlichen Übermaßverbot hinreichend Rechnung getragen. Gründe dafür, warum für den Betroffenen als Inhaber eines Betriebes mit 46 Mitarbeitern für die Dauer eines Monats die Vorhaltung eines Fahrers „unzumutbar“ sein sollte, werden selbst von der Rechtsbeschwerde nicht plausibel vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich; entsprechendes gilt, soweit die Rechtsbeschwerde zusätzlich vorbringt, die Pflege des an Alterskrankheiten leidenden Vaters des Betroffenen könne für die Dauer eines Monats nicht ausschließlich von der (mitbetreuenden) Schwester des Betroffenen, etwa unter Zuhilfenahme eines privaten Pflegedienstes, geleistet werden.

b) Schließlich scheidet auch ein Wegfall oder eine Abkürzung des verwirkten Fahrverbots im Wege der Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (vgl. zur sog. Vollstreckungslösung bei strafgerichtlichen Verurteilungen zuletzt eingehend BGH GSSt, Beschluss vom 17.01.2008 – GSSt 1/07 = BGHSt 52, 124 ff. = StV 2008, 133 ff. = NJW 2008, 860 ff. ) aus.

Aus den Akten ergibt sich, dass gegen das in der Hauptverhandlung vom 04.05.2007 in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete Urteil am 10.05.2007 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese, nachdem das schriftliche Urteil erst unter dem 25.10.2007 zu den Akten gebracht wurde, mit am 29.11.2007 eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom 28.11.2007 begründet wurde. Weil sich bei den Akten keine Verteidigervollmacht befand, musste eine erste am 30.10.2007 bewirkte Urteilszustellung an den Verteidiger des Betroffenen nach Eingang der unter dem 01.02.2008 datierten Verteidigervollmacht am 05.02.2008 mit gerichtlicher Verfügung vom 18.02.2008 wiederholt werden. Die wirksame Urteilszustellung an den Verteidiger erfolgte sodann am 25.02.2008. Obwohl die Akten damit nach Ablauf der einmonatigen Rechtsbeschwerdebegründungsfrist, mithin spätestens Ende März 2008 dem Rechtsbeschwerdegericht vorzulegen gewesen wären, erfolgte die Rechtsbeschwerdevorlage durch das Amtsgericht aus von diesem zu vertretenden Gründen über die zuständige Staatsanwaltschaft an die Generalstaatsanwaltschaft erst Mitte Oktober 2008; die Akten gingen dort am 22.10.2008 ein.

Über den Grund der Verzögerung ist einem am 08.10.2008 niedergelegten richterlichen Vermerk zu entnehmen, dass die Verfahrensakte dem seit 01.09.2008 für Ordnungswidrigkeitenverfahren zuständigen Richter des Amtsgericht erstmals am 08.10.2008 vorgelegt wurde, da sie sich bis dahin offenbar noch im Dienstzimmer des seit 01.09.2008 im Ruhestand befindlichen Amtsvorgängers befunden hatte.

aa) Zwar bedurfte es, wie die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer Antragsschrift vom 23.10.2008 insoweit zutreffend feststellt, ausnahmsweise keiner den Einwand der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im einzelnen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO darstellenden Verfahrensrüge, weil die fragliche Verfahrensverzögerung im wesentlichen erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde eintrat und deshalb vom Beschwerdeführer – im Unterschied zur unterbliebenen Verfahrensrüge der verspäteten Urteilsabsetzung gemäß §§ 338 Nr. 7, 275 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG - nicht (mehr) mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden konnte (BGH NStZ 2001, 52; OLG Bamberg, Beschluss vom 11.02.2006 – 2 Ss OWi 62/05).

11bb) Allein in der hier eingetretenen Verfahrenverzögerung von mindestens sechs und maximal sieben Monaten kann allerdings ohne das Hinzutreten sonstiger den Betroffenen besonders belastender Umstände noch kein zum Wegfall oder zur Abkürzung des verwirkten Fahrverbots, zur Ermäßigung des festgesetzten Bußgeldes oder gar zu einer Einstellung des Verfahrens zwingender Konventionsverstoß im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK erblickt werden.

12Zwar gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip auch dem Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren - nicht anders wie dem Beschuldigten im Strafverfahren - das Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren, welches nicht zuletzt das Recht auf Durchführung des Verfahrens in angemessener Zeit einschließt, wobei die Frage, ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen ist. Bestimmende Faktoren sind insbesondere der durch eine Verzögerung seitens der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens seinem Gegenstand nach sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 02.07.2003 – 2 BvR 273/03 m.w.N.). Denn auch beim Ordnungswidrigkeitenverfahren kann jede vermeidbare – auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz eintretende - Verzögerung den Betroffenen zusätzlichen fühlbaren Belastungen aussetzen. Mit zunehmender Verzögerung des Verfahrens treten diese in Widerstreit zu dem aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleiteten Grundsatz, wonach das Bußgeld und insbesondere ein an sich verwirktes Fahrverbot verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zum Verschulden des Täters stehen muss. Deshalb kann die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht nur Auswirkungen auf die Höhe des Bußgeldes, sondern auch auf den Bestand, die Dauer oder die konkrete Ausgestaltung eines bußgeldrechtlichen Fahrverbots im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG haben. In jedem Falle sind die Gerichte bei Vorliegen eines mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang stehenden überlangen Verfahrens zu sorgfältiger Prüfung verpflichtet, ob und mit welchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen (noch) ordnungswidrigkeitenrechtlich vorgehen kann. Regelmäßig ist es deshalb angezeigt, dass Art und Umfang der Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich festgestellt und das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstands näher bestimmt werden (BVerfG a.a.O.).

Allerdings wird die Strenge des anzuwendenden Maßstabs bei Ordnungswidrigkeiten dadurch gemildert, dass mit der Sanktion lediglich eine an die Eingriffsintensität staatlichen Strafens nicht heranreichende nachdrückliche Pflichtenmahnung bezweckt wird. Die Annahme einer überlangen Verfahrensdauer liegt nach diesem Maßstab etwa nahe, wenn die Verfahrensdauer ein Vielfaches der normalen Verjährungsfrist erreicht (BVerfG a.a.O.; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 06.02.2008 – 5 Ss OWi 33/07 = NZV 2008, 534 = VRR 2008, 190 m. Anm. Burhoff).

cc) Besondere mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundene Belastungen werden von diesem hier freilich weder im Rahmen seiner Rechtsbeschwerdebegründung noch im Rahmen der ergänzenden Stellungnahme seines Verteidigers vom 12.11.2008 aufgezeigt und sind für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.

15dd) Unter den gegebenen Umständen folgt die Notwendigkeit einer Kompensation auf Rechtsfolgenebene, insbesondere eines Wegfalls des Fahrverbots auch nicht aus der Gesamtdauer des bisherigen Verfahrens oder aus einer von der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit vertretenen (entsprechenden) Heranziehung der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frage des Absehens vom Fahrverbot infolge Zeitablaufs (vgl. hierzu neben OLG Bamberg, Beschlüsse vom 11.02.2005 – 2 Ss OWi 62/05 und vom 12.02.2006 – 3 Ss OWi 1312/05 = DAR 2006, 337 zuletzt insbesondere OLG Bamberg, Beschluss vom 16.07.2008 – 2 Ss OWi 835/08 = ZfSch 2008, 591 f. = DAR 2008, 651 f. und OLG Karlsruhe DAR 2007, 528 f. = NStZ-RR 2007, 323 = VRR 2007, 351 m. Anm. Böhm), zumal seit der mit dem Fahrverbot geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung vom 29.03.2006 im Urteilszeitpunkt am 04.05.2007 erst ein Zeitraum von 13 Monaten verstrichen war.

Nachdem sonstige Gründe dafür, dass die vom Amtsgericht getroffene Rechtsfolgenentscheidung als unverhältnismäßig anzusehen wäre, nicht vorliegen, hat es bei der gegen den Betroffenen verhängten Geldbuße und auch bei dem Fahrverbot zu verbleiben.

III.

Der Senat entscheidet durch Beschluss nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.