VG Würzburg, Beschluss vom 07.01.2016 - W 3 S 15.50392
Fundstelle
openJur 2019, 41096
  • Rkr:
Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Tatbestand

I.

Beim zur Person nicht ausgewiesenen Antragsteller handelt es sich nach dessen eigenen Angaben um einen am ... ... 1997 geborenen äthiopischen Staatsangehörigen oromischer Volkszugehörigkeit und moslemischsunnitischen Glaubens. Er gab an, am 17. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein; am 18. Mai 2015 meldete er sich als Asylsuchender. Am 3. Juli 2015 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Antrag auf die Gewährung politischen Asyls.

Im Rahmen einer Anhörung durch das Bundesamt am 17. September 2015 gab der Antragsteller an, er habe sein Heimatland Äthiopien am 10. Mai 2014 verlassen und sei über den Sudan, Libyen, Italien und Österreich nach Deutschland gereist, wo er am 17. Mai 2015 angekommen sei. Nach Italien sei er am 9. Mai 2015 eingereist und habe sich dort etwa acht Tage in Turin aufgehalten. Allerdings habe er in Italien keinen internationalen Schutz beantragt.

In einer weiteren Anhörung am selben Tag gab der Antragsteller an, er habe keine Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder Behinderung. Er wolle nicht nach Italien rücküberstellt werden, da er dort menschenunwürdig behandelt worden sei; ihm seien unter Gewalt die Fingerabdrücke abgenommen worden.

Eine entsprechende Anfrage ergab einen EURODAC-Treffer der Kategorie 2 Italien. Am 31. August 2015 stellte das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien, auf das keine Antwort erfolgte.

Mit Bescheid vom 17. November 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde ausgeführt, Italien sei aufgrund der illegalen Einreise seitens des Antragstellers gemäß Art. 13 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. In Italien lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH vor. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, das Einreiseverbot beruhe auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; die Befristung auf zwölf Monate sei im vorliegenden Fall angemessen.

Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 20. November 2015 zugestellt.

Am 27. November 2015 ließ der Antragsteller im Verfahren W 3 K 15.50391 Klage erheben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2015 anzuordnen.

Zugleich wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt der Einreise in Deutschland und zum Zeitpunkt der Meldung ein unbegleiteter Minderjähriger ohne Familienangehörige gewesen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bildeten unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen, die grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen seien. Dies habe das Bundesamt in seinem angefochtenen Bescheid übersehen und nicht thematisiert. Zwar sei im vorliegenden Fall der Asylantrag des Antragstellers erst nach dessen Volljährigkeit offiziell erfasst worden; es könne jedoch nicht zulasten eines Minderjährigen gehen, dass dessen Asylgesuch aufgrund von Verzögerungen durch die Behörden erst so spät erfasst worden sei, dass die Volljährigkeit eingetreten sei. Zudem komme eine Abschiebung nach Italien deshalb nicht in Betracht, weil dort systemische Mängel hinsichtlich des Asylverfahrens und der Unterbringung von Asylsuchenden herrschten.

Die Antragsgegnerin beantragte,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes und den Inhalt der Gerichtsakte W 3 K 15.50391, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.

Gründe

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes im Bescheid vom 17. November 2015 ist zulässig; insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 17. November 2015 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Somit überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers u. a. in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist.

Welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, richtet sich nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages. Dies ergibt sich aus § 27a AsylG, auf welchen § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG auch insoweit verweist.

Im vorliegenden Fall findet dabei die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. EU L 180, S. 31) - Dublin III-VO - Anwendung (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO).

Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis Art. 15 Dublin III-VO) bestimmt wird. Hierbei ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO zu beachten, dass die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung finden. Dabei ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Lässt sich anhand der Kriterien des dritten Kapitels der Dublin III-VO nicht bestimmen, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO).

Auf der Grundlage dieser Vorschriften kann sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin gemäß Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz wäre. Nach dieser Vorschrift ist für einen unbegleiteten Minderjährigen, also bei Abwesenheit eines Familienangehörigen, eines seiner Geschwister oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2, der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.

Zwar hat der Antragsteller grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einhaltung der primär den Interessen der Mitgliedstaaten dienenden Zuständigkeitsverfahrensvorschriften, insbesondere insoweit diese Form- und Fristerfordernisse regeln; allerdings kann er eine Dublin-Zuständigkeitsregelung gerichtlich dann durchsetzen, wenn diese - wie Art. 8 Dublin III-VO - grundrechtlich "aufgeladen" ist (vgl. hierzu EuGH, U.v. 6.6.2013 - C-648/11 -, NVwZ-RR 2013, 735, Beckonline Rn. 58 und 59 zum inhaltsgleichen Art. 6 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 - Dublin II-VO; VG Aachen, B.v. 22.4.2015 - 5 L 15/15.A - juris Rn. 25).

Allerdings ist Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO auf den Antragsteller nicht anwendbar.

Diese Vorschrift ist auf der Grundlage der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 6.6.2013 - C-648/11 - a. a. O.) mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit Minderjähriger dahingehend auszulegen, dass unbegleitete Minderjährige, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben, grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind, in dem sie den ersten Asylantrag gestellt haben. Unbegleitete Minderjährige sind damit von Wiederaufnahmeverfahren ausgenommen. Die Prüfung des Schutzgesuchs ist vom Aufenthaltsstaat selbst durchzuführen.

Dies muss der Sache nach auch für Fälle gelten, in denen der unbegleitete Minderjährige im anderen Mitgliedstaat lediglich registriert worden ist, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, um dem vom Europäischen Gerichtshof geforderten Minderjährigenschutz Rechnung zu tragen. Allerdings kann sich der Antragsteller trotzdem nicht gegenüber der Antragsgegnerin auf Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO berufen, weil diese Vorschrift nicht auf ihn zutrifft. Denn diesbezüglich ist hinsichtlich der Antwort auf die Frage, ob es sich um einen Minderjährigen i. S. d. Art. 8 Abs. 4, Art. 2 Buchst. i) (hiernach bezeichnet der Ausdruck Minderjähriger einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren) Dublin III-VO handelt, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Antragsteller einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Dabei kann offen bleiben, ob in diesem Rahmen Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift ist von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (für die Anwendung dieser "Sachverhaltsversteinerungsregelung": VG Aachen, B.v. 22.4.2015 - 5 L 15/15.A - juris Rn. 35; a.A. VG Minden, B.v. 27.1.2015 - 10 L 820/14.A - BeckRS 2015, 41154 - Beckonline; a.A. wohl auch EuGH, U.v. 6.6.2013 - C-648/11 - a. a. O. Rn. 45 zur inhaltsgleichen Vorschrift Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO). Denn nach den Angaben des Antragstellers, die durch den EURODAC-Treffer der Kategorie 2 bestätigt worden sind, hat dieser in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Demzufolge ist auf den Antrag auf internationalen Schutz abzustellen, den der Antragsteller am 3. Juli 2015 beim Bundesamt gestellt hat. Entgegen der Meinung des Antragstellerbevollmächtigten ist demgegenüber nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Antragsteller das Gebiet der Bundesrepublik erstmals betreten oder zu dem er sich erstmals als Asylsuchender gemeldet hat.

Dies ergibt sich aus der Formulierung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO; hier wird auf die Zuständigkeit des Mitgliedstaats abgestellt, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen "Antrag auf internationalen Schutz" gestellt hat. Im Sinne der Dublin III-Verordnung bezeichnet gemäß Art. 2 Buchst. b) Dublin III-VO der Ausdruck "Antrag auf internationalen Schutz" einen Antrag auf internationalen Schutz i. S. d. Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU.

Nach Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9) - Richtlinie 2011/95/EU - bezeichnet der Ausdruck "Antrag auf internationalen Schutz" das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht.

Dies bedeutet, dass bei der Beurteilung, ob ein "Antrag auf internationalen Schutz" in diesem Sinne vorliegt, das inhaltliche Begehren des Antragstellers zu berücksichtigen ist; dies wird jedoch nicht schon dann im Einzelnen benannt und seitens der Antragsgegnerin in rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und entsprechend eingeordnet, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser erstmals - bei welcher Behörde oder Institution auch immer - als Asylsuchender meldet. Vielmehr wird dieses Begehren erst bei der Antragstellung i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes aufgenommen und konkretisiert, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist (vgl. hierzu auch § 23 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

Dies wird bestätigt durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach ein Antrag auf internationalen Schutz dann als gestellt gilt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Erst dieser Antrag begründet die Zuständigkeit des Bundesamtes gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Folglich ist hinsichtlich des Verfahrensfristregimes der Dublin III-Verordnung nicht auf (irgend-)eine Meldung als Asylsuchender bei irgendeiner Behörde oder sonstigen Stelle zu einem möglicherweise völlig beliebigen Zeitpunkt abzustellen, sondern zumindest auf die formelle Asylantragstellung bei der zuständigen Bundesamtsaußenstelle (vgl. VG Potsdam, B.v. 26.6.2015 - VG 6 L 763/15.A - BeckRS 2015, 51713 - Beckonline). Eine mögliche weitere Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes gemäß § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts kann hier außer Betracht bleiben, da der Antragsteller schon zum Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG am 3. Juli 2015 volljährig war.

Bestätigt wird dies durch die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2013 (C-648/11 - NVwZ-RR 2013, 735). Hier erläutert der Europäische Gerichtshof, dass bei der Auslegung der entsprechenden Vorschriften auch das Ziel, unbegleiteten Minderjährigen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen und das Hauptziel der Dublin III-Verordnung, das darin besteht, einen effektiven Zugang zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten, zu berücksichtigen sind. Da unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen bilden, ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinzieht, was bedeutet, dass unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind (vgl. Rn. 54 und 55 der Entscheidung).

Hieraus ergibt sich, dass zumindest auf das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abzustellen ist. Dieses Verfahren beginnt jedoch nicht schon bei der Meldung als Asylsuchender bei irgendeiner Stelle, sondern erst mit der Antragstellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Denn die Entscheidung gemäß § 27a AsylG, ob ein Asylantrag unzulässig ist, weil ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, kann erst dann getroffen werden, wenn der Asylantrag i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG tatsächlich gestellt ist. Erst dann kann der vom Europäischen Gerichtshof postulierte Minderjährigenschutz maßgeblich sein.

Damit steht fest, dass es hinsichtlich der Anwendung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zumindest auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung ankommt, nicht dagegen schon auf den davor gelegenen Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob auf der Grundlage des § 77 Abs. 1 AsylG im Rahmen des Gerichtsverfahren auf den - später gelegenen - Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, 81, Ziffer 5.7 m.w.Nachw.).

Denn der Antragsteller war schon am 3. Juli 2015, dem Zeitpunkt der Asylantragstellung, nicht mehr minderjährig. Damit ist Art. 8 Dublin III-VO auf ihn nicht anwendbar.

Ist dies aber so, ist - gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO nach der in Kapitel III genannten Rangfolge - Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO einschlägig. Wird nach dieser Vorschrift auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß bestimmten im Einzelnen genannten Verzeichnissen festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

So liegt der Fall hier. Auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers steht fest, dass der Antragsteller aus Libyen kommend die Grenze von Italien illegal überschritten hat. Damit ist Italien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Auf das am 31. August 2015 an die italienischen Behörden gerichtete Übernahmegesuch haben diese innerhalb der vorgegebenen Frist von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO nicht geantwortet, so dass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen ist, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde. Wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden i. S. von Art. 4 Grundrechte-Charta (GR-Charta) zur Folge hätte (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - juris). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Verstoß eines zuständigen Mitgliedstaates gegen einzelne unionsrechtliche Bestimmungen zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein (weiterer) Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Asylsuchenden an den zuständigen Staat zu überstellen. Denn eine solche Sichtweise würde den Kern und die Verwirklichung des Ziels der Dublin-Verordnungen gefährden, rasch denjenigen Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist (EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für die Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylsuchenden stehe in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylsuchende wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt würde. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt, Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der oben genannten Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - und B.v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - beide juris).

Nach diesen Maßstäben kann das erkennende Gericht nicht die Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass der Antragsteller, der nicht als besonders schutzbedürftige Person im Sinne von Kapitel IV der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. Nr. L 031 v. 6.2.2003, S. 18 ff.) anzusehen ist, bei einer Überstellung nach Italien dort wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein würde. Diese Bewertung entspricht sowohl der Rechtsprechung des EGMR (B.v. 18.6.2013 - 53825/11 - ZAR 2013, 338 und B.v. 2.4.2013 - 27725/10 - ZAR 2013, 336) als auch der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 -; VGH Baden-Württemberg, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 -; OVG Münster, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A -: OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 -; OVG Niedersachsen, B.v. 27.5.2014 - 2 LA 308/13 -; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13 -; OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A -; B.v. 30.5.2014 - 14 A 1138/14.A -; alle: juris), wie auch der überwiegenden erstinstanzlichen Rechtsprechung (vgl. etwa VG Würzburg, B.v. 6.6.2014 - W 3 S 14.50057 - n.v.; VG Ansbach, U.v. 5.6.2014 - AN 1 K 14.30275 -; VG Bremen, B.v. 31.7.2014 - 1 V 495/14 -, VG Potsdam, B.v. 19.6.2014 - 6 L 474/14.A -; VG Bremen, B.v. 31.7.2014 - 1 V 495/14 - alle: juris).

Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 - Tarakhel ./. Schweiz Nr. 29217/12 - ergibt sich nichts anders. Zwar wird in dieser Entscheidung ausgeführt, dass zwar die Anzahl der und die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen Italiens Befürchtungen zulassen, dass im Einzelfall Asylbewerber ohne Unterkunft bleiben bzw. in überfüllten Einrichtungen untergebracht werden. Der EGMR kam aber ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Struktur und die Gesamtsituation des Aufnahmesystems in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (Rn. 114, 115).

Die Situation des Antragstellers als allein stehender junger Mann ist mit der Situation der Kläger im vorgenannten Verfahren nicht vergleichbar. Der EGMR hat mit Entscheidung vom 5. Februar 2015 in dem Fall A.M.E. v.the Netherlands (Nr. 51428/10) entschieden, dass die Abschiebung eines jungen allein stehenden Mannes nach Italien nicht nach Art. 3 EMRK unzulässig ist (http://hudoc.echr.coe.int/sites/search.aspx?i=001-152295#{"itemid").

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Behandlung von Dublin-Rückkehrern nicht vergleichbar ist mit der Behandlung von neu ankommenden Bootsflüchtlingen. Hinsichtlich der Verfahrensweise wird ergänzend auf die Ausführungen im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 16. April 2014 (- A 11 S 1721/13 - juris) Bezug genommen. Jedenfalls wenn sich der Antragsteller dem Asylsystem in Italien unterwirft, kann er im Falle einer Überstellung nach Italien seinen Asylantrag weiter verfolgen und hat als Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung und Verpflegung.

In diesem Zusammenhang kann der Antragsteller nicht für das Gericht nachvollziehbar glaubhaft machen, dass für ihn etwas anderes gelten müsste.

Somit ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien rechtlich zulässig. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin im Verfahren nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigen hat (BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 1795/14 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris), liegen nicht vor.

Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG auf zwölf Monate rechtsfehlerhaft wäre, sind weder seitens des Antragstellers vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.

Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten des vorliegenden Verfahrens war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).