LAG Hamm, Urteil vom 23.11.2017 - 17 Sa 811/17
Fundstelle
openJur 2019, 33175
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 Ca 1788/16
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.05.2017 - 3 Ca 1788/16 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits insgesamt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger tarifgerecht zu vergüten und die tarifliche Sonderzahlung für 2016 in ungekürzter Höhe zu erbringen.

Der Kläger ist seit dem 17.03.2004 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist Mitglied bei der Gewerkschaft ver.di.

Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 19.05.2004 (Bl. 6, 7 d. A.) zugrunde. In Nr. 3 des Arbeitsvertrags findet sich folgende Regelung:

Auf das Arbeitsverhältnis finden die jeweils geltenden Tarifverträge des Einzelhandels, die Gesamtbetriebsvereinbarungen beziehungsweise Betriebsvereinbarungen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

In Nr. 5 des Arbeitsvertrags vereinbarten die Parteien ein Bruttoentgelt von 2248,00 Euro mit folgendem Zusatz:

Tarifentgelt: Euro 2248,00

Tarifgruppe: L III d im 2. Berufs-/Tätigkeitsjahr,

Stufungsdatum: 17.03.2003.

Der über das Tarifentgelt hinausgehende und nicht ausdrücklich als nicht anrechenbar bezeichnete Betrag ist eine freiwillige Leistung von S - und kann auf Erhöhung des Tarifentgeltes angerechnet werden.

Nach Nr. 4 des Arbeitsvertrags richtete sich die wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeittätigkeit nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag. Nach Nr. 7 des Arbeitsvertrages bestimmt sich der Erholungsurlaub des Klägers nach den jeweiligen tariflichen Regelungen. In Nr. 15 des Arbeitsvertrages verwiesen die Parteien hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf die jeweilige tarifliche Ausschlussfrist.

Bis Juni 2015 unterlag die Beklagte kraft Verbandsmitgliedschaft einer Bindung an die Flächentarifverträge der Arbeitgeberverbände, so auch in Nordrhein-Westfalen. Sie kündigte ihre Mitgliedschaften und ist seit dem 17.06.2017 lediglich Verbandsmitglied ohne Tarifbindung.

Am 29.07.2016 schlossen die N AG und die Beklagte mit ver.di einen Zukunftstarifvertrag (Bl. 11- 16 d. A.). In diesem heißt es unter anderem:

"§ 2

Anerkennung der Tarifverträge des Einzelhandels

(1) Alle gültigen (einschließlich nachwirkenden) regionalen Tarifverträge des Einzelhandels werden von S- anerkannt. Diese Tarifverträge gelten dynamisch, also für den jeweiligen räumlichen Geltungsbereich in ihrer jeweiligen Fassung und mit ihrem jeweiligen Rechtsstatus.

(2) Ausnahmen von der Anerkennung nach Abs. 1 sind in diesem Tarifvertrag abschließend vereinbart.

(3) Werden Tarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt.

§ 3

Ausnahmen von der Geltung der Flächentarifverträge

(1) Die Parteien vereinbaren folgende Abweichungen von den Regelungen in den Flächentarifverträgen:

1. Die Tarifentgelterhöhungen werden für die Jahre 2015, 2016, 2017 nicht gezahlt.

2. Für die Kalenderjahre 2017 bis einschließlich 2019 werden die aus den tariflichen Bestimmungen entstehenden Ansprüche auf Zahlung von Urlaubsgeld befristet reduziert auf 40%. Die Berechnung des Anspruchs erfolgt auf der Basis der jeweiligen Entgelttabellen der Flächentarifverträge.

3. Für die Kalenderjahre 2016 bis einschließlich 2018 werden die aus den tariflichen Bestimmungen entstehenden Ansprüche auf Zahlung einer tariflichen Sonderzuwendung ("Weihnachtsgeld") befristet reduziert auf 40%; im Kalenderjahr 2019 wird die tarifliche Sonderzuwendung auf 70% reduziert. Die Berechnung des Anspruchs erfolgt auf der Basis des individuell dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zustehenden Tarifentgelts.

...

Bis einschließlich Juli 2016 zahlte die Beklagte dem Kläger den Tariflohn aus der Lohngruppe III d) des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel vom 18.08.2015, geschlossen von dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen e. V. und ver.di.

Mit Wirkung zum 01.08.2016 verringerte sie seinen Lohn auf 2724,00 Euro brutto.

Mit Schreiben vom 09.09.2016 (Bl. 24, 25 d. A.) vertrat der Kläger die Auffassung, der Lohntarifvertrag für den Einzelhandel in NRW sei in seiner jeweils gültigen Fassung weiterhin auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar. Er forderte die Zahlung eines Differenzbetrags von 124 Euro für August 2016.

Mit Schreiben vom 26.09.2016 (Bl. 26 d. A.) verwies die Beklagte auf den Zukunftstarifvertrag, der die Weitergabe der Tarifentgelterhöhungen für die Jahre 2015 bis 2017 ausschließe.

Mit seiner am 18.11.2016 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage, die er im Laufe des Verfahrens erweitert hat, begehrt der Kläger die Zahlung der Vergütungsdifferenz für die Monate August 2016 bis Januar 2017 in Höhe von insgesamt 1843,00 Euro brutto (einschließlich der tariflichen Sonderzahlung).

Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nicht berechtigt, seinen Lohn zu kürze, und hat ausgeführt:

Nr. 3 seines Arbeitsvertrages nehme nicht den Zukunftstarifvertrag in Bezug. Die Verweisungsklausel sei als dynamische Verweisungsklausel auf die Tarifverträge des Einzelhandels zu verstehen. Der Zukunftstarifvertrag sei jedoch kein Tarifvertrag des Einzelhandels, da er auf Arbeitsgeberseite nicht von dem Handelsverband geschlossen worden sei.

Auch die Nennung seiner Lohngruppe in seinem Arbeitsvertrag zeige auf, dass die Beklagte ihn nach den jeweils gültigen Lohntarifverträgen habe vergüten wollen.

Die Bezugnahmeklausel stelle nach ihrem Wortlaut keine große dynamische Tarifwechselklausel dar.

Zwischen dem normativ geltenden Zukunftstarifvertrag und dem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen jeweils gültigen Tarifvertrag sei ein Günstigkeitsvergleich durchzuführen, der ergebe, dass die Regelungen des Lohntarifvertrages für ihn günstiger seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 1843,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Den mit der Klageschrift angekündigten Antrag festzustellen, dass auf sein Arbeitsverhältnis über den 16.06.2015 hinaus die jeweils geltenden Tarifverträge des Einzelhandels NRW in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden, hat er zurückgenommen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ausgeführt:

Der Lohntarifvertrag vom 18.08.2015 sei auf das Arbeitsverhältnis nicht normativ anwendbar, da sie ihre Tarifbindung zum 17.06.2015 beendet habe.

Die Auslegung der Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag vom 16.06.2004 umfasse auch Firmentarifverträge. Dass auf das Arbeitsverhältnis alle kollektiv in ihrem Betrieb geltenden Regelungen Anwendung finden sollen, ergebe sich schon aus dem ausdrücklichen Hinweis auf die geltenden Betriebsvereinbarungen.

Mit Urteil vom 03.05.2017 hat das Arbeitsgericht Bochum die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1843,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 372,00 Euro seit dem 25.11.2016, aus weiteren 1471,00 Euro seit dem 25.02.2017 zu zahlen.

Es hat ausgeführt:

Die zulässige Klage sei begründet.

Der Kläger könne für die Zeit von August 2016 bis Januar 2017 eine Vergütungsdifferenz in Höhe von 744,00 Euro brutto gemäß § 611 BGB in Verbindung mit Nr. 3, 5 des Arbeitsvertrages verlangen.

Die Bezugnahmeklausel in Nr. 3 des Arbeitsvertrags enthalte eine zeitdynamische Verweisung auf die durch den Handelsverband NRW und ver.di abgeschlossenen Tarifverträge des Einzelhandels, nicht aber auf den Zukunftstarifvertrag, wie die Auslegung ergebe.

Nr. 3 des Arbeitsvertrags stelle eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.

Allgemeine Geschäftsbedingungen seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden würden.

Die Klausel verweise nach ihrem Wortlaut auf die Tarifverträge des Einzelhandels. Hierunter fielen zunächst die örtlich für den Einzelhandel geltenden Verbandstarifverträge in Nordrhein Westfalen. Zwar fehle es in der Klausel an einem Hinweis auf das Bundesland. Das Arbeitsverhältnis sei jedoch für eine Beschäftigung in Nordrhein-Westfalen geschlossen worden.

Die Verweisungsklausel sei zeitdynamisch ausgestaltet.

Die Klausel sei nicht als Gleichstellungsabrede anzusehen. Es handle sich um einen nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform geschlossenen "Neuvertrag". Die Tarifbindung der Beklagten sei in der Klausel nicht Voraussetzung geworden.

Der Zukunftstarifvertrag sei jedoch kein Tarifvertrag des Einzelhandels. Zwar könnten auch firmenbezogene Tarifverträge solche des Einzelhandels sein. Voraussetzung sei jedoch die Beteiligung des Arbeitgeberverbandes.

Eine solche Beteiligung des Handelsverbandes an dem Zukunftstarifvertrag sei jedoch nicht gegeben. Die Beklagte habe als Verbandsmitglied ohne Tarifbindung den Zukunftstarifvertrag ausschließlich in eigenem Namen abgeschlossen.

Der Zukunftstarifvertrag lege das Verständnis der Vertragsschließenden zugrunde, er sei kein Tarifvertrag des Einzelhandels. Das zeige sich in § 2 des Zukunftstarifvertrages, in dem die Tarifverträge des Einzelhandels anerkannt würden.

Der Auslegung stehe nicht entgegen, dass die tarifschließenden Parteien in der Verweisungsklausel nicht erwähnt seien. Aus dem Gesamtzusammenhang der Klausel ergebe sich, dass die Parteien übereinstimmend unter "Tarifverträge des Einzelhandels" die Verbandstarifverträge verstanden hätten. Denn in Nr. 5 des Arbeitsvertrags werde auf die im Verbandstarifvertrag vereinbarten Lohngruppen Bezug genommen.

Es fehle an Anhaltspunkten dafür, dass über den Wortlaut der Bezugnahmeklausel hinaus die jeweils fachlich beziehungsweise betrieblich geltenden Tarifverträge im Sinne einer großen dynamischen Verweisung in Bezug genommen worden seien. Dafür spreche insbesondere nicht die weitere Bezugnahme auf Gesamtbetriebsvereinbarungen und Betriebsvereinbarungen. Denn für den Fall, dass gegebenenfalls miteinander konkurrierende Tarifverträge in Bezug genommen sein sollten, hätte es der Vereinbarung einer Kollisionsregelung bedurft. Eine Konkurrenzregelung für Tarifverträge gebe es nur bei ihrer normativen Geltung.

Auch die Vereinbarung der jeweils geltenden "Tarifverträge" lasse einen derartigen Schluss nicht zu. Der Wortlaut beziehe sich auf die Tarifverträge des Einzelhandels, zu denen der Zukunftstarifvertrag nicht gehöre. Es sei gerade nicht formuliert worden: "jeweils bei der Beklagten geltenden Tarifverträge".

Der Zukunftstarifvertrag verdränge nach dem Günstigkeitsvergleich nicht den Lohntarifvertrag. Dieser sei in der Sachgruppe "Arbeitszeit und Arbeitsentgelt" günstiger als der Zukunftstarifvertrag.

Der Kläger habe weiterhin Anspruch auf Zahlung einer tariflichen Sonderzuwendung nach B § 1 Abs. 1 des Tarifvertrags über Sonderzahlungen zwischen dem Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen, dem Handelsverband BAG Nordrhein-Westfalen und ver.di vom 10.02.2016 in Höhe von 1099,00 Euro brutto.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 268 bis 275 der Akte Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 30.05.2017 zugestellte Urteil am 14.06.2017 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 30.08.2017 bei dem Landesarbeitsgerichts eingehend begründet.

Sie rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:

Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag des Klägers nehme auf keinen konkret genannten Tarifvertrag Bezug. Es werde weder auf die zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen e. V. und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifverträge noch auf Flächentarifverträge für den Einzelhandel verwiesen. Es handle sich um die Vereinbarung der Tarifverträge einer Branche, wobei noch nicht einmal auf die Tarifverträge eines bestimmten Bundeslandes Bezug genommen worden sei.

Im Hinblick auf den Branchenbezug sei entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes auch der Zukunftstarifvertrag anwendbar.

Aufgrund der Tarifbindung des Klägers sei er unmittelbar anwendbar.

Es liege keine Tarifkonkurrenz vor, da sie zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lohntarifvertrages vom 18.08.2015 nicht mehr tarifgebunden gewesen sei. Es handle sich bei dem Zukunftstarifvertrag um den einzigen unmittelbar auf das gesamte Unternehmen anwendbaren Tarifvertrag.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien Verweisungsklauseln auf die Tarifverträge einer Branche grundsätzlich dahingehend auszulegen, dass auch die für den Betrieb geltenden Firmentarifverträge in Bezug genommen würden.

Nichts anderes ergebe sich aus den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 26.08.2015 (4 AZR 719/13) und 15.06.2016 (4 AZR 485/14). Die in diesen Fällen zu beurteilende Verweisungsklausel habe auf den TVöD in der jeweils für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände geltende Fassung verwiesen.

Zu berücksichtigen seien auch Sinn und Zweck der Verweisungsklausel. Ihr sei es darauf angekommen, dass die für den Betrieb einschlägigen kollektivrechtlichen Rechtsnormen im Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung fänden. Das zeige sich auch in der Bezugnahme auf die Betriebsvereinbarungen.

Diese Auslegung entspreche im Übrigen auch der Interessenlage der Arbeitnehmer.

Zahlreiche Arbeitsgerichte hätten bundesweit im Sinne ihrer Rechtsauffassung entschieden (Aufstellung Bl. 322 d. A.).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.05.2017 - 3 Ca 1788/16 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt aus:

Die Auslegung der Verweisungsklausel in seinem Arbeitsvertrag ergebe, dass im Hinblick auf seinen Beschäftigungsbetrieb die entsprechenden Tarifverträge für Nordrhein-Westfalen gälten.

Die Verweisungsklausel nehme unabhängig von der Tarifbindung der Beklagten Bezug zeitlich dynamisch auf die Einzelhandelstarifverträge.

In Nr. 5 seines Arbeitsvertrages vom 16.06.2004 habe die Beklagte als Klauselverwenderin deutlich zum Ausdruck gebracht, sie vergüte tarifgerecht.

Entgegen ihrer Auffassung sei der Zukunftstarifvertrag kein Tarifvertrag des Einzelhandels.

Dagegen spreche schon § 2 Abs. 1 des Zukunftstarifvertrages, der auf alle gültigen regionalen Tarifverträge des Einzelhandels verweise.

Zwar könnten auch firmenbezogene Tarifverträge solche des Einzelhandels sein, setzten jedoch die Beteiligung des jeweiligen Arbeitgeberverbandes voraus. Das ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.06.2016 (4 AZR 485/14).

Der Zukunftstarifvertrag stelle keinen Verbandstarifvertrag dar.

Die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel sei auch nicht als große dynamische Verweisungsklausel auszulegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 05.10.2017 (Bl. 330 - 348 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Gründe

A.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.05.2017 ist begründet.

Die zulässige Zahlungsklage war auf ihre Berufung abzuweisen, da der Lohntarifvertrag vom 18.08.2015, geschlossen zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen e. V. und ver.d, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar ist, wie schon das Landesarbeitsgericht Hamm am 11.10.2017 (3 Sa 607/17 und 3 Sa 608/17; Revision eingelegt 4 AZR 533/17 und 4 AZR 534/17) in Parallelfällen entschieden hat.

Ein Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen dem Tarifentgelt und dem von der Beklagten tatsächlich geleisteten Entgelt besteht nicht.

1. Der Lohntarifvertrag ist nicht gemäß § 4 Abs. 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar, da die Beklagte schon vor seinem Inkrafttreten aus der Mitgliedschaft beim Handelsverband mit Tarifbindung in die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung gewechselt ist.

2. Die am 19.05.2004 in Nr. 3 des Arbeitsvertrags vereinbarte Bezugnahmeklausel ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 17.11.2010 - 4 AZR 127/09 - Rdnr. 31, NZA 2011, 457; 18.11.2009 - 4 AZR 514/08 - Rdnr. 22, BAGE 132, 261) nicht als Gleichstellungsabrede auszulegen, da der Arbeitsvertrag nach dem 01.01.2002 geschlossen wurde. Es handelt sich hier um eine konstitutive Verweisungsklausel, da die Tarifgebundenheit der Beklagten an die Tarifverträge des Einzelhandels nicht zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung gemacht worden ist. Insoweit besteht kein Streit.

Entsprechend haben die Parteien in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Bruttomonatsentgelt nach der Tarifgruppe L III d im 2.Berufs-/Tätigkeitsjahr, § 2 des Lohntarifvertrages, festgelegt. Entgegen der Auffassung der klagenden Partei folgt daraus jedoch kein Anspruch, stets und ausnahmslos das Tarifentgelt nach dem jeweiligen Lohntarifvertrag für den Einzelhandel zu erhalten. Es handelt sich dabei lediglich um die übliche Information zu den bei Vertragsschluss geltenden Entgeltbeträgen, der kein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt (LAG Hamm 11.10.2017 - 3 Sa 607/17 - Rdnr. 99 unter Hinweis auf BAG 12.06.2013 - 4 AZR 970/11 - Rdnr. 20, BAGE 145, 237).

3. Die Verweisungsklausel ist zeitdynamisch ausgestaltet. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass sie im Hinblick auf den Beschäftigungsort der klagenden Partei dahin auszulegen ist, dass die für das Land Nordrhein-Westfalen geltenden Branchentarifverträge im Einzelhandel in Bezug genommen sind.

4. Entgegen der Auffassung der klagenden Partei erfasst die Bezugnahmeklausel auch den von der Beklagten mit ver.di abgeschlossenen Zukunftstarifvertrag. Das ergibt ihre Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB.

a. An der Regelungsbedürftigkeit fehlt es nicht etwa deshalb, weil der Zukunftstarifvertrag materiellrechtlich kein Tarifvertrag ist. Er ist von Beteiligten abgeschlossen worden, die gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 TVG tariffähig sind. Er erfüllt das Schriftformerfordernis nach § 1 Abs. 2 TVG und bezeichnet sich selbst als Tarifvertrag (LAG Hamm 11.10.2017 a. a. O. Rdnr. 102).

b. Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das folgt schon aus der Tatsache, dass allein dem Landesarbeitsgericht Hamm eine Vielzahl von Arbeitsverträgen zur Beurteilung vorliegt, die diese von der Beklagten gestellte Klausel beinhalten.

AGB-Klauseln sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Soweit auch der mit dem Vertrag verbundene Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten. Bleiben nach Erwägung dieser Umstände Zweifeln, geht dies nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders (BAG 19.05.2010 - 4 AZR 796/08 - Rdnr. 15, BAGE 134, 283).

Es sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Abzustellen ist auf den typischerweise bei Arbeitsverträgen der geregelten Art zu erwartenden nicht rechtskundigen Arbeitnehmer.

Der Wortlaut der Vertragsklauseln nimmt allgemein auf Tarifverträge des Einzelhandels als Branche Bezug. Weder der Lohntarifvertrag noch der Gehaltstarifvertrag noch der Tarifvertrag über Sonderzahlungen im Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen sind konkret bezeichnet.

bb. Der Zukunftstarifvertrag ist ein Tarifvertrag für den Einzelhandel. Die Beklagte betreibt ein im Einzelhandel tätiges Unternehmen.

In § 2 Abs. 1 des Zukunftstarifvertrags werden ausdrücklich die regional geltenden Tarifverträge des Einzelhandels mit den in dem Zukunftstarifvertrag bezeichneten Ausnahmen anerkannt.

Auch § 3 Nr. 2, 3 dieses Tarifvertrages zeigen, dass Regelungen für den Einzelhandel getroffen werden, denn bei der Berechnung der Reduzierung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes ist die jeweilige Entgelttabelle der Flächentarifverträge Ausgangspunkt.

cc. Die Verweisungsklausel schließt die Geltung von Firmentarifverträgen nicht aus.

1) Nicht nur Vereinigungen von Arbeitsgebern, auch einzelne Arbeitgeber sind tariffähig, § 2 Abs. 1 TVG.

2) Weder der Wortlaut von Nr. 3 des Arbeitsvertrags noch der Gesamtzusammenhang der vertraglichen Vereinbarungen lässt darauf schließen, dass nur Firmentarifverträge, die vom jeweiligen Arbeitgeberverband mit der zuständigen Gewerkschaft geschlossen werden, in Bezug genommen sind.

Das ergibt sich nicht aus der Anerkennung der Verbandstarifverträge des Einzelhandels in § 1 Abs. 2 des Zukunftstarifvertrags. Für den durchschnittlichen Arbeitnehmer ist ersichtlich, dass es der Beklagten bei Abschluss des Zukunftstarifvertrags lediglich um einzelne Modifizierungen der Regelungen im Flächentarifvertrag ging.

Typischerweise sind die fachlich und betrieblich einschlägigen Tarifverträge und damit auch Firmen-/Haustarifverträge von einer Bezugnahmeklausel erfasst. Der Arbeitgeber will mit der Verweisung auf Tarifverträge der einschlägigen Branche regelmäßig die sachlich und betrieblich geltenden Tarifverträge der Branche in Bezug nehmen und eine eventuell fehlende normative Gebundenheit des Arbeitsnehmers an diese Tarifverträge ersetzen. Dazu gehört auch ein vom Arbeitgeber zur vorübergehenden Abänderung von Flächentarifverträgen geschlossener Firmen-/Haustarifvertrag (BAG 23.01.2008 - 4 AZR 602/06 - Rdnr. 24, ZTR 2008, 665).

Die klagende Partei kann sich zur Stützung ihrer Rechtsauffassung, nur von dem Arbeitgeberverband geschlossene Firmentarifverträge würden von der Bezugnahmeklausel erfasst, nicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.06.2016 (4 AZR 445/14, NZA 2017, 593) berufen. Nach dem Tatbestand des Urteils (Rdnr. 3) war eine für den öffentlichen Dienst typische Verweisungsklausel zu beurteilen, in der der BMT-O und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen "in der für den Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung" in Bezug genommen wurden. Das Bundesarbeitsgericht hat die Klausel wegen der Bezugnahme auf die Tarifbestimmungen "für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände" dahingehend ausgelegt, dass nur unter Beteiligung der VKA geschlossene Firmentarifverträge erfasst sind (BAG 15.06.2016 a. a. O. Rdnr. 18).

In seiner Entscheidung vom 16.05.2012 (4 AZR 290/10, ZTR 2012, 707) war in der Bezugnahmeklausel auf die "ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für die TdL jeweils geltenden Fassung" verwiesen worden (Rdnr. 2). Nur weil ausdrücklich auf die von der TdL geschlossenen Tarifverträge verwiesen wurde, hat es erkannt, dass zu den in Bezug genommenen Tarifverträgen Haustarifverträge, die von anderen Tarifvertragsparteien geschlossen wurden, nicht gehörten (BAG 15.06.2012 a. a. O. Rdnr. 28).

Die hier zu beurteilende Klausel enthält eine solche Einschränkung nicht. Es wurde auf keine besondere tarifschließende Partei verwiesen (LAG Hamm 11.10.2017 a. a. O. Rdnr. 110).

c. Da vorliegend kein Tarifwechsel erfolgt ist, sondern der Zukunftstarifvertrag die Branche des Einzelhandels unter anderem in NRW betrifft, bedurfte es keiner großen dynamischen Verweisung im Sinne einer Tarifwechselklausel (zur Tarifwechselklausel BAG 29.08.2007 - 4 AZR 767/06 - Rdnr. 17, BAGE 124, 34). Die Darlegung besonderer Umstände, die für die Auslegung als große dynamische Verweisungsklausel sprechen, war nicht erforderlich.

5. Der kraft vertraglicher Vereinbarung geltende Zukunftstarifvertrag verdrängt als speziellere Regelung den ebenfalls kraft einzelvertraglicher Vereinbarung geltenden Lohntarifvertrag vom 18.08.2015 (LAG Hamm 11.10.2017 a. a. O. Rdnr. 116).

Auch die flächentariflichen Regelungen zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld finden keine Anwendung.

Die aus dem Zukunftstarifvertrag für den streitgegenständlichen Zeitraum folgenden Vergütungsansprüche sind erfüllt.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.