SG Berlin, Urteil vom 21.12.2016 - S 2 EG 33/14
Fundstelle
openJur 2019, 39835
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid vom 12. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. März 2014 in der Fassung des Bescheids vom 23. November 2016 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger weiteres Elterngeld für 1. bis 2., 4. bis 6. und 8. bis 14. Lebensmonat seiner 2013 geborenen Tochter unter Berücksichtigung des um die Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben bereinigten Einkommens im Bezugszeitraum zu zahlen.

Die Erstattungsverfügung im Bescheid vom 23. November 2016 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (idF des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012, BGBl. I, S 1878 - im Folgenden BEEG -) zustehenden Elterngeldes und insoweit um den Abzug der Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben vom Einkommen im Bezugszeitraum.

Der Kläger ist Vater des 2013 geborenen Kindes E. P. Er war vor der Geburt seiner Tochter zunächst selbständig tätig. Er erzielte ausweislich des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2012 in diesem ein Einkommen von 40.056,00 €. Am 19. August 2013 meldete der Kläger sein Gewerbe ab, wobei als Datum der Betriebsaufgabe der 31. Juli 2013 benannt wurde. Ab 1. August 2013 war der Kläger nichtselbständig als Möbeldesigner erwerbstätig. Er befand sich im 1. bis 2., 4. bis 6. und 8. bis 14. LM seiner Tochter in Elternzeit, in der er einer Teilzeittätigkeit im Umfang von 12 Stunden pro Woche nachging und insoweit ein Einkommen von 1.200,16 € brutto erzielte; er war insoweit in der Kranken- und Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig.

Am 8. November 2013 beantragte der Kläger die Gewährung von Elterngeld für den 1. bis 2., 4. bis 6. und 8. bis 14. Lebensmonat (LM) seiner Tochter, die Mutter beantragte Elterngeld für den 1. bis 2. Lebensmonat. Auf seinen Elterngeldantrag bewilligte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 11. November 2013 Elterngeld für den 1. bis 2., 4. bis 6. und 8. bis 14. LM seiner Tochter in Höhe von monatlich 1.066,33 €, wobei er vom Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit im Bezugszeitraum keine Beitragspauschalen für Sozialabgaben abzog. Der Bescheid erging vorläufig, weil die Einkünfte im Bezugszeitraum noch nicht abschließend feststanden.

Mit Widerspruch vom 18. November 2013 trug der Kläger vor, dass er ab 1. August 2013 durch die Aufnahme der abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig geworden sei, so dass die Versicherungspauschalen abgezogen werden müssten. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014 zurück.

Im laufenden Klageverfahren hat der Beklagte, nachdem der Kläger seine Gehaltsbescheinigungen für den Zeitraum nach der Geburt eingereicht hatte, mit Bescheid vom 23. November 2016 den Elterngeldanspruch endgültig auf monatlich 1.062,55 € festgesetzt und einen Betrag von insgesamt 45,36 € erstattet verlangt; er hat auch insoweit bei der Berechnung der Einkünfte aus nichtselbständiger Beschäftigung im Bezugszeitraum keine Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben nach § 2f Abs 1 Satz 2 BEEG abgesetzt.

Die Klage richtet sich ausschließlich gegen die Ermittlung des Einkommens im Bezugszeitraum, wobei sich der Kläger ausdrücklich nicht gegen die Höhe des im Bemessungszeitraum berücksichtigten Einkommens wendet. Er rügt insoweit, dass der Beklagte keine Abzüge für Sozialabgaben vorgenommen habe, obwohl er bei Ausübung der nichtselbstständigen Tätigkeit im Bezugszeitraum sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Er begehrt insoweit die Berücksichtigung der Beitragssatzpauschalen nach § 2f Abs 1 Satz 2 BEEG, die zu einem monatlich höheren Elterngeld von 160,98 € und somit zu einem höheren Gesamtbetrag im streitgegenständlichen Zeitraum von insgesamt 1.931,76 € führen würden.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 12. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. März 2014 in der Fassung des Bescheids vom 23. November 2016 zu verurteilen, ihm Elterngeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, dass sich die Berechnung der Höhe des Einkommens einschließlich der Abzüge aus den §§ 2c bis 2f BEEG ergebe. § 2c BEEG definierte das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. Hier werde keine Unterscheidung zwischen Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum oder Bezugszeitraum getroffen. Entsprechend § 2c Abs 3 BEEG seien für den Abzug der Steuern und Sozialabgaben immer die Abzugsmerkmale, die sich aus den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen für den Bemessungszeitraum ergeben, maßgeblich. Da der Kläger indes im Bemessungszeitraum des Jahres 2012 nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei, komme auch kein Abzug der Beitragspauschalen für Sozialabgaben in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist, Bezug genommen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 10. November 2015 (Beklagter) und 14. Dezember 2015 (Kläger) gegenüber dem Gericht ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Gründe

Gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) konnte das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die gemäß § 54 Abs 1 und 4 SGG zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist begründet. Das hiermit gemäß § 123 SGG verfolgte Begehren des Klägers ist entsprechend seines Antrags dahingehend zu verstehen, dass dieser ein Grundurteil nach § 130 SGG erstrebt, mit dem ihm vom Gericht unter Abänderung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung weiteres Elterngeld für den 1. bis 2., 4. bis 6. und 8. bis 14. LM seiner Tochter zugesprochen wird (vgl. zur Zulässigkeit eines Grundurteils etwa BSG v. 15.12.2011 - B 10 EG 1/11 R, RdNr 22; juris); im Hinblick auf die im Bescheid vom 23. November 2016 ausgesprochene Erstattungsverfügung stellt sich die Klage als reine Anfechtungsklage dar, weil mit einem höheren Leistungsanspruch auch zugleich ein geringerer Erstattungsanspruch korrespondiert, so dass die entsprechende Verfügung aufzuheben wäre. Der Bescheid vom 12. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. März 2014 in der Fassung des Bescheids 23. November 2016 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf die Bewilligung weiteren Elterngeldes, da das Einkommen im Bezugszeitraum um die Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben zu bereinigen ist, wodurch sich ein geringeres Einkommen im Bezugszeitraum und damit ein höherer Differenzbetrag nach § 2 Abs 3 BEEG ergibt; dies führt gleichfalls dazu, dass kein Erstattungsanspruch des Beklagten verbleibt.

Der Kläger erfüllte - unstreitig - dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Gewährung von Elterngeld gemäß § 1 Abs. 1 BEEG, denn er hatte seinen Wohnsitz in Deutschland, lebte mit seiner Tochter in einem Haushalt, betreute und erzog seine Tochter selbst und übte im Umfang von 12 Wochenstunden keine volle Erwerbstätigkeit (§ 1 Abs. 6 BEEG) aus, weshalb ihm der Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 11. November 2013 vorläufig nach § 8 Abs 3 Satz 1 Nr. 3 BEEG) Elterngeld für den 1. bis 2., 4. bis 6. und 8. bis 14. LM seiner Tochter bewilligt hat.

Nicht zu beanstanden und vom Kläger auch nicht gerügt worden ist die Ermittlung des Einkommens im Bemessungszeitraum, für den der Beklagte zu Recht nach § 2b BEEG auf den letzten vor der Geburt abgeschlossenen steuerrechtlichen Veranlagungszeitraum, mithin das Jahr 2012, abgestellt hat. Die Kammer nimmt insoweit gemäß § 136 Abs 3 SGG Bezug auf die zutreffende Begründung und Berechnung im angefochtenen Bescheid sowie auf den damit korrespondierenden Berechnungsbogen Bl. 14 dA und folgt dieser nach eigenständiger Prüfung.

Gemäß § 2 Abs 3 BEEG wird für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat, das durchschnittlich geringer ist als das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, das Elterngeld in Höhe des nach § 2 Abs 1 oder 2 maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt, wobei als Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt dabei höchstens der Betrag von 2.770,00 € anzusetzen ist. Für die Berechnung des Elterngeldes des Klägers ist mithin § 2 Abs 3 BEEG einschlägig, weil der Kläger in den Bezugsmonaten Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit erzielt hat. Insoweit hat der Beklagte zunächst zwar zutreffend ein prognostisches Durchschnittseinkommen ermittelt. Indes hat er zu Unrecht dieses Einkommen nicht um die Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben bereinigt.

Wird im Bemessungszeitraum kein, aber sodann im Bezugszeitraum ein Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt, so ist letzteres um die Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben zu bereinigen. Für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit bestimmt § 2c Abs 1 S 1 BEEG, dass sich dieses aus dem monatlich durchschnittlich zu berücksichtigenden Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über 1/12 des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2b und 2f BEEG, ergibt. Diese Regelung gilt ausweislich der Gesetzesbegründung für die Ermittlung des Einkommens im Bemessungszeitraum und Bezugszeitraum gleichermaßen (BT-Drs 17/984, 21). Nach § 2c Abs 3 S 1 BEEG sind Grundlage der Ermittlung der nach § 2f BEEG erforderlichen Abzugsmerkmale für Sozialabgaben die Angaben in der Lohn- und Gehaltsbescheinigung, die für den letzten Monat im Bemessungszeitraum mit Einnahmen nach Abs. 1 erstellt wurde, wobei auch insoweit nach § 2c Abs 3 S 3 iVm Abs 2 S 2 BEEG die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen vermutet wird; die Entgeltdaten sind mithin nicht monatsbezogen, sondern aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung anhand der Entgeltdaten im letzten Monat des Bemessungszeitraums mit Einnahmen zu bestimmen (BT-Drs 17/984, 22). Die Regelung des § 2c Abs 3 S 1 BEEG ist indes entgegen der Auffassung des Beklagten auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt.

Ausweislich des Wortlauts der Regelung des § 2c Abs 3 S 1 BEEG soll für die Ermittlung der nach § 2f BEEG erforderlichen Abzugsmerkmale für Sozialabgaben auf die Angaben in der Lohn- und Gehaltsabrechnung, die für den letzten Monat im Bemessungszeitraum mit Einnahmen nach Abs 1, mithin aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit, erstellt wurde, abzustellen sein. Eine solche Lohn- und Gehaltsabrechnung existiert indes im vorliegenden Fall nicht, da der Kläger im Bemessungszeitraum des Jahres 2012 überhaupt nicht nichtselbständig erwerbstätig war und es somit auch keinen "letzten Monat im Bemessungszeitraum mit Einnahmen nach Abs 1" gibt. § 2c Abs 3 S 1 BEEG stellt ausweislich seines Wortlauts indes keine Rechtsgrundlage dafür da, dass grundsätzlich nur auf die im Bemessungszeitraum vorliegenden Abzugsmerkmale abzustellen ist. Vielmehr verlangt der Wortlaut ausdrücklich, dass im Bemessungszeitraum Einnahmen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit erzielt worden sein müssen; nur in diesem Fall kommt das Abstellen auf die im letzten Monat mit Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit vorliegenden Abzugsmerkmale in Betracht. Auf den Fall, dass im Bemessungszeitraum überhaupt keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit erzielt wurden, ist § 2c Abs 3 S 1 BEEG mithin - mangels Vorliegen seiner Tatbestandsvoraussetzungen - nicht anwendbar.

Ist indes die Spezialvorschrift des § 2c Abs 3 S 1 BEEG für die Bestimmung der Grundlage der Ermittlung der Abzugsmerkmale für Sozialabgaben nicht anwendbar, so ist auf die Grundregel des § 2c Abs 1 S 1 BEEG abzustellen, wonach sich das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit aus dem monatlich durchschnittlich zu berücksichtigenden Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über 1/12 des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f BEEG, ergibt. Danach ist bei Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit ein Abzug für Sozialabgaben vorzunehmen. Da die der Verwaltungsvereinfachung dienende Regelung des § 2c Abs 3 S 1 BEEG, die nach der Gesetzesbegründung den Aufwand einer monatsbezogenen Ermittlung der Entgeltdaten übrigen soll, vorliegend nicht eingreift, müssen nach dem Willen des Gesetzgebers die konkret erfolgten Abzugsmerkmale monatlich ermittelt werden. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck das § 2 Abs 3 BEEG. Denn im Rahmen des § 2 Abs. 3 BEEG führt das im Bezugszeitraum erzielte Einkommen zu einem geringeren Elterngeldanspruch. Insoweit darf aber nur auf das der berechtigten Person zur Verfügung stehende Einkommen abgestellt werden, weil ansonsten eine Elterngeldminderung für Einkommensbestandteile erfolgen würde, die der berechtigten Person (aufgrund der Abführung der Sozialabgaben) überhaupt nicht zur Sicherung der Lebensgrundlage zur Verfügung standen. Ziel des Elterngeldes ist es jedoch, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern (BT-Drs 16/1889, 2, 15 und BT-Drs 16/2454, 2); jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, solle einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für die finanziellen Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes erhalten (vgl. BT-Drs. 16/1889, 2, 15 und BT-Drs 16/2454, 2).

Der Beklagte war mithin unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, dem Kläger weiteres Elterngeld unter Berücksichtigung der Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben bei der Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit im Bezugszeitraum zu gewähren; da dies selbst bei überschlägiger Berechnung zu einem weiteren Elterngeldanspruch von deutlich über 45,36 € führen wird, war die Erstattungsverfügung im Bescheid vom 23. November 2016 aufzuheben, da es keine Grundlage für eine Rückforderung von Elterngeld vom Kläger gibt.

Der Klage war danach stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulässig, denn die Berücksichtigung der Beitragssatzpauschalen für Sozialabgaben beim Einkommen im Bezugszeitraum führt nach überschlägiger Berechnung zu einem monatlich um mehr als 100,00 € höheren Elterngeldanspruch, so dass bezogen auf die 12 streitgegenständlichen Monate der Beschwerdewert den Betrag von 750,00 € übersteigt.