LG Köln, Urteil vom 30.11.2017 - 15 O 55/17
Fundstelle
openJur 2019, 26679
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

Der Kläger möchte die Beklagte auf Rückabwicklung eines widerrufenen Darlehensvertrags in Anspruch nehmen.

Der Kläger schloss mit der Beklagten zur Ablösung eines Darlehens bei der Q- Bank, das der Finanzierung des Erwerbs einer Immobilie gedient hatte, im Jahr 2008 einen Darlehensvertrag, für dessen Einzelheiten, insbesondere die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung auf die Anlage K2 zur Klageschrift Bezug genommen wird. Zur Sicherung des Darlehens wurde eine Grundschuld auf dem finanzierten Objekt in Höhe von 50.000,00 EUR bestellt. Dieser Darlehensvertrag war über die J AG vermittelt worden. Die Beklagte sandte dem Kläger mit Schreiben vom 26.09.2008 den von ihr bereits unterzeichneten Darlehensvertrag mit der Bitte um Vereinbarung eines Termins zur Unterschriftsleistung unter Hinweis auf die Befristung des Darlehensangebots bis zum 06.10.2008. Der Kläger unterzeichnete sodann den Darlehensvertrag, wobei der Ort der Unterschriftsleistung streitig ist.

Am 08.10.2008 erklärte der Kläger, er werde aufgrund des gesunkenen Zinsniveaus von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen, wenn die Beklagte den Nominalzins nicht reduziere. Die Beklagte bot ihm an, den Zins von 5,34 % auf 5,15 % zu reduzieren. Der Kläger forderte die Beklagte daraufhin auf, die Änderungsvereinbarung noch in dieser Woche zu unterschreiben, weil sonst die Widerrufsfrist verstreichen werde. Die Parteien schlossen sodann unter dem 08.10.2008 eine Änderungsvereinbarung, mit der ein Zins von 5,15 % vereinbart wurde. Wegen des genauen Inhalts wird auf die Anlage K3 Bezug genommen. Der Kläger wurde erneut über ein Widerrufsrecht belehrt.

Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 21.06.2016 den Widerruf des auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung, das er der Beklagten am selben Tag übergab. Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 16.08.2016 zurück.

Für den Fall, dass die Kammer von einem wirksamen Widerruf ausgeht, erklärt die Beklagte gegenüber dem geltend gemachten Anspruch auf Nutzungsersatz die Aufrechnung mit ihrem Anspruch auf Wertersatz.

Der Kläger behauptet, er habe den Vertrag unterzeichnet zurückgesandt. Er ist der Ansicht, die Widerrufsfrist sei nicht angelaufen, weil ihn die Wendung, "der Lauf der Frist beginnt einen Tag, nachdem Ihnen ..., der schriftliche Vertragsantrag ... zur Verfügung gestellt wurden", über den Beginn des Fristlaufs im Unklaren lasse.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. festzustellen, dass er der Beklagten aus dem Darlehensvertrag zwischen den Parteien, Darlehenskonto Nummer ...#/... zum Nennbetrag von 50.000,00 EUR in Folge der Widerrufserklärung des Klägers vom 21.06.2016 keine vertraglichen Zins- und Tilgungsleistungen gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB mehr schuldet;

hilfsweise: festzustellen, dass sich der Darlehensvertrag zwischen den Parteien, Darlehenskonto Nummer ...#/... zum Nennbetrag von 50.000,00 EUR durch die Widerrufserklärung des Klägers vom 21.06.2016 in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, aus dem er der Beklagten zum Widerrufszeitpunkt nicht mehr als 45.273,36 EUR schuldet;

2. festzustellen, dass die Beklagte gegen ihn aus dem Darlehensvertrag zwischen den Parteien, Darlehenskonto Nummer ...#/... ab Zugang der Widerrufserklärung des Klägers vom 21.06.2016 keinen Anspruch mehr auf Leistung des Vertragszinses von 5,15 % p.a. in Form von Nutzungsentschädigung hat;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Nutzungsentschädigung von 1.675,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger habe den Vertrag am 30.09.2008 in der Filiale unterzeichnet. Sie ist der Ansicht, die Widerrufsbelehrung sei im Präsenzgeschäft nicht zu beanstanden. Die Ausübung des Widerrufsrechts verstoße jedenfalls gegen Treu und Glauben, das Widerrufsrecht sei verwirkt.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet. Der von dem Kläger erklärte Widerruf hat nicht zur Umwandlung des Darlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis geführt, so dass die Beklagte weiterhin Anspruch auf den Vertragszins und der Kläger keinen Anspruch auf die Zahlung von Nutzungsersatz hat.

I. Dem Kläger stand kein Widerrufsrecht bezüglich des Darlehensvertrages aus September 2008 zu, weil die Parteien sich darüber geeinigt haben, dass der Kläger sein ihm bekanntes Widerrufsrecht nicht ausüben werde, wenn die Beklagte dafür einer Absenkung des Zinses zustimmt. Dies ergibt sich aus dem vom dem Kläger nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten zum Zustandekommen der Änderungsvereinbarung vom 08.10.2008. Dass dem Kläger bei Abschluss der Änderungsvereinbarung möglicherweise nicht bewusst war, dass er aufgrund einer unrichtigen Belehrung ein "ewiges" Widerrufsrecht hatte, ändert daran nichts. Entscheidend ist, dass ihm sein Widerrufsrecht bewusst war und er der Beklagten gegenüber mitteilte, er werde dieses nicht ausüben, wenn diese einer Zinsänderung zustimme.

Aus diesen Gründen erschiene die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls jedenfalls auch als rechtsmissbräuchlich und als Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als unbeachtlich. Die Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts kann im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung aus sonstigen Gründen darstellen und in Widerspruch zu § 242 BGB stehen, auch wenn die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vorliegen. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (BGH, Urt. v. 12.07.2016 - XI ZR 564/15, Rn. 43). Eine Rechtsausübung kann insbesondere unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urt. v. 07.05.2014 - IV ZR 76/11, Rn. 40; BGH, Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 103/11, Rn. 12; BGH, Urt. v. 12.07.2016 - XI ZR 501/15, Rn. 20).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegt hier ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vor, weil der Kläger erklärt hat, er werde von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen, wenn sich die Beklagte auf die Zinsänderung einlässt. Knapp acht Jahre später erneut wegen weiter gesunkener Zinsen den Widerruf zu erklären, ist ersichtlich widersprüchlich.

II. Ein gesetzliches Widerrufsrecht gem. § 495 BGB stand dem Kläger bezogen auf die Änderungsvereinbarung vom 08.10.2008 nicht zu, weil mit diesem Vertrag, der nur die Zinsvereinbarung modifizierte, kein neues Kapitalnutzungsrecht vereinbart wurde.

Ob einer Widerrufsbelehrung, die keine Beschränkung darauf enthält, dass sie nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen gelten soll, die Vereinbarung eines vertraglichen Widerrufsrecht entnommen werden kann, kann hier dahingestellt bleiben. Denn der Kläger hätte ein ihm vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht jedenfalls nicht fristgemäß ausgeübt. Der Kläger war - ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht unterstellt - nach der Widerrufsbelehrung berechtigt, den Darlehensvertrag binnen zwei Wochen (einem Monat) zu widerrufen. Diese Frist wäre am 21.06.2016, also knapp 8 Jahre nach Vertragsschluss, längst abgelaufen gewesen. Für den Beginn der Widerrufsfrist kommt es nicht darauf an, ob die Widerrufsbelehrung den Anforderungen an eine Belehrung über ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht. Den Formulierungen des Darlehensvertrages lässt sich - wenn man der Widerrufsbelehrung überhaupt die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts entnehmen wollte - im Wege der Auslegung jedenfalls nicht entnehmen, die Beklagte habe dem Kläger nicht nur ein vertragliches Widerrufsrecht mit der in der Widerrufsbelehrung beschriebenen Ausgestaltung einräumen wollen, sondern sich darüber hinaus auch verpflichtet, ihnen gegenüber alle im Falle eines gesetzlichen Widerrufsrechts einzuhaltenden gesetzlichen Belehrungspflichten erfüllen zu wollen und ihm bei deren Nichteinhaltung ein unbefristetes Widerrufsrecht einzuräumen. Bei der Auslegung der Vertragserklärung ist der Hintergrund der gesetzlichen Widerrufsvorschriften in den Blick zu nehmen: Die Fälle des gesetzlichen Widerrufsrechts, die eine Durchbrechung des Grundsatzes "pacta sunt servanda" darstellen, sind enumerativ und abschließend geregelt (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB) und knüpfen an bestimmte gesetzliche Merkmale an. Wird einem Vertragspartner vertraglich ein Widerrufsrecht eingeräumt, das ihm nach dem Gesetz nicht zusteht, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die Vertragspartner gleichwohl in einer solchen Situation begegnen. Sie sind vielmehr grundsätzlich als vom Gesetz gleichgewichtig eingeschätzte Vertragspartner anzusehen. Dann bestimmt sich der Inhalt des Widerrufsrechts aber auch ausschließlich durch Auslegung ihrer vertraglichen Vereinbarung. Vor diesem Hintergrund bedarf es dann, wenn ein Unternehmer einem Verbraucher, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein, ein Widerrufsrecht eingeräumt hat, konkreter Anhaltspunkte in der getroffenen Vereinbarung dafür, dass zwar das Widerrufsrecht als solches von den gesetzlichen Voraussetzungen unabhängig sein soll, gleichwohl die für die Ausübung des Widerrufsrechts vereinbarte Frist nur dann in Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Verbraucher zusätzlich eine Belehrung erteilt hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht. (BGH, Urt. v. 22.05.2012 - II ZR 233/10 -, Rn. 15, juris).

Derartige Anhaltspunkte bestehen vorliegend nicht. Ein vernünftiger Empfänger der Erklärung der Beklagten konnte den Formulierungen der Widerrufsbelehrung nicht entnehmen, dass die Beklagte sich für den Fall, dass ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, verpflichten wollte, dem Kläger vertraglich ein unbefristetes Widerrufsrecht einzuräumen, wenn die von ihr in der Widerrufsbelehrung genannten Voraussetzungen des Widerrufsrechts nicht den vom Gesetz für ein gesetzliches Widerrufsrecht aufgestellten Anforderungen genügten. Für die gegenteilige Auslegung reicht es nicht aus, dass die Beklagte selbstverständlich beabsichtigte, im Falle des Eingreifens eines gesetzlichen Widerrufsrechts mit der Belehrung die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, aus der Sicht eines verständigen Empfängers ein Anhaltspunkt dafür, dass er sein (möglicherweise vertragliches) Widerrufsrecht unter anderen als unter den formulierten Voraussetzungen werde ausüben können.

III. Das Widerrufsrecht ist jedenfalls gem. Art. 229 § 38 Abs. 3 S. 1 EGBGB mit Ablauf des 20.06.2016 erloschen. Danach erlischt bei Immobiliardarlehensverträgen gemäß § 492 Abs. 1a S. 2 BGB, die zwischen dem 01.09.2002 und dem 10.06.2010 geschlossen wurden, ein fortbestehendes Widerrufsrecht spätestens drei Monate nach dem 21.03.2016, wenn das Fortbestehen des Widerrufsrechts darauf beruht, dass die dem Verbraucher erteilte Widerrufsbelehrung den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht entsprochen ist. Das ist hier der Fall. Der vorliegende Immobiliardarlehensvertrag wurde im September 2008 geschlossen und es wurde eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung erteilt. Denn die hier verwendete Belehrung, bei der der Fristbeginn mit der Wendung "eine Vertragsurkunde, der schriftliche Darlehensantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Darlehensantrages" oder mit der Wendung "die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags" bezeichnet wird, den Vorgaben des § 355 Abs. 2 S. 3 BGB a.F. nicht genügt, weil dadurch das unrichtige Verständnis nahegelegt wird, die Widerrufsfrist beginne einen Tag nach Zugang des mit der Widerrufsbelehrung versehenen Vertragsantrags des Unternehmers ohne Rücksicht darauf, ob der Verbraucher bereits seine auf Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung abgegeben (BGH, Urt. v. 10.03.2009 - XI ZR 33/08, v. 06.12.2011 - XI ZR 401/10, sowie - XI ZR 442/10, juris Rn. 32; Urt. v. 16.05.2017 - XI ZR 586/15; Urt. v. 21.02.2017 - XI ZR 381/16). Der durch objektive Auslegung ermittelte Belehrungsfehler kann auch nicht durch die konkreten, aber nicht in Textform dokumentierten Umstände der Erteilung der Widerrufsbelehrung ausgeräumt werden (BGH, Urt. v. 21.02.2017 - XI ZR 381/16 -, Rn. 13, juris).

Die betroffenen Widerrufsrechte erlöschen ipso iure spätestens drei Monate nach dem 21.03.2016. Gemäß §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 BGB tritt das Erlöschen damit spätestens am 21.06.2016 um 0.00 Uhr ein. Die Nennung des 21.03.2016 als Anfangszeitpunkt für den Zeitraum von drei Monaten geht auf das zeitgleiche Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11.03.2016 zurück. Für das Inkrafttreten eines Gesetzes gilt regelmäßig § 187 Abs. 2 S. 1 BGB analog (vgl. BVerfGE 102, 254; RGZ 91, 339; Staudinger/Repgen, BGB, Neubearbeitung 2014, § 187, Rn. 11; Münchner Kommentar/Grothe, BGB, 2012, § 187, Rn. 6). Soll das Gesetz mit dem Tag seiner Verkündung oder mit einem bestimmten Datum in Kraft treten, gilt es vom Beginn dieses Tages (0:00 Uhr) an. Deswegen begann die Frist im vorliegenden Fall am 21.03.2016 um 0.00 Uhr zu laufen und endete am 20.06.2016 um 24.00 Uhr (vgl. auch Omlor NJW 2016, 1267 f.; LG Stuttgart, Urt. v. 12.01.2017 - 25 O 259/16, BeckRS 2017, 100313).

IV. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 2 ZPO.

Streitwert: 23.326,67 EUR (BGH, Beschl. v. 12.01.2016 - XI ZR 366/15)

Der Antrag zu 2 hat daneben keinen eigenständigen Wert, die geltend gemachte Nutzungsentschädigung bleibt als Nebenforderung außer Ansatz.